Fontblog Artikel des Jahres 2007

Formular für Entschuldigungen

Die New Yorker Software- und Ideenschmiede Magnetism hat eine amüsante Online-Formularseite gegründet, die sich Bureau of Communication nennt. Hier liegen zur Zeit 5 Formulare zum Ausfüllen bereit, darunter eine wunder­bare förm­liche Entschuldigung (Formal Apology). Mein Vorschlag an Zweckform: ins Deutsche über­setzen, blau einfärben und nächstes Jahr zu Weihnachten als Block mit Durchschlag-Kopien heraus­bringen. Das wird genauso erfolg­reich wie die Juxwörterbücher von Langenscheidt. (via Swissmiss)


Wkk 11: Verlag Hermann Schmidt Mainz

wkk schmidt

Die Hausmitteilungen des Schmidt-Verlags halte ich nicht immer für gelungen. Darüber habe ich mit Karin Schmidt-Friderichs auch schon auf einer Buchmesse gespro­chen. Unangenehm in Erinnerung sind mir ein Werbebrief kurz nach dem Tod von Hans Peter Willberg, die Begründung zum Verramschen des eBoy-Buches »Hello« und das öffent­liche Krisenmanagement, nachdem ein Schmidt-Aushilfsfahrer enttarnt wurde, der Teile des Lieferguts bei eBay preis­wert verhökerte.

Mal abge­sehen von der Selbstbeweihräucherung (»Qualität von Schmidt«, »Typisch Schmidt«, »Schmidt eben«, TDC-, ADC-Preis-Verlautbarungen, …) … was mir wirk­lich miss­fällt ist der Angewohnheit, eigene Versäumnisse mit den Kunden zu teilen. Wir alle haben Verständnis für einen verspä­teten Erscheinungstermin, dass gute Bücher ihren Preis haben und dass man ab und zu auch mal einen Flop landet. Die meisten Schmidt-Kunden sind Profis und kennen das aus eigener Erfahrung. Als Hauptgegenstand einer Kundenmitteilungen geben diese Geständnisse nicht viel her. Sie emotional aufzu­laden schadet mehr als es hilft. Die Grenze nämlich, den Kunden (unbe­ab­sich­tigt) ins Gewissen zu reden, ist schnell überschritten.

Und so stimmt auch die E-Mail-Weihnachtskarte (Text und Bild), die Schmidt am Freitag an seine Direktkunden verschickte, nicht wirk­lich besinn­lich. Es ist eigent­lich gar keine, sondern eine Hausmitteilung – diesmal im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt zwei Sanierungen zu vermelden: »Zum neuen Jahr schenken wir Ihnen und uns einen Relaunch unserer Homepage www​.typo​grafie​.de.« Da fragt man sich als Beschenketer natür­lich: Gibt es Unternehmen, die für ihren Relaunch Eintritt verlangen? Oder kriegen die Schmidts gar ihren Relaunch geschenkt? Neid ;-)

Dann folgt eine fast intime Mitteilung: Die Schmidts bauen um. »Im neuen Look erscheint dann auch unser
Gebäude – nicht nur von außen. Wir unter­ziehen es einer kompletten Energiesanierung – unser Weihnachtsgeschenk an die Umwelt.« Warum erzählt man das seinen Kunden? Wo sie doch nach vielen aufklä­renden Verlagsverzeichnis-Editorials gelernt haben, dass das Geschäft mit »gut gemachten Büchern« ein schweres ist. Die Antwort folgt im nächsten Satz: »Deswegen können wir im neuen Jahr leider erst wieder am 14. Januar 2008 für Sie da sein.« Und weiter: »In diesem Jahr führen wir Ihre Bestellungen noch bis zum 21.12. (13.00 Uhr) aus – falls Sie Ihre Lieben mit Schmidt-Titeln über­ra­schen wollen!«.

Diese als Weihnachtspost getarnte E-Mail will alles: entschul­digen, danken, werben, Kaufdruck aufbauen, Eigeninteresse gegen Allgemeininteresse stellen, ein biss­chen Politik, ein biss­chen Umwelt, eine Prise schlechtes Gewissen verbreiten, ein gutes Gewissen schaffen, emotional sein, sach­lich sein, … ein Wort hebt das andere auf. Was bleibt? Ratlosigkeit. Und der weih­nacht­liche Wahlspruch »Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind. Wir sehen die Dinge wie wir sind.« Der Satz macht mir Hoffnung und ich glaube jetzt ganz fest an diese Weisheit … im Sinne von: Ich sehe die Dinge mit meinen Augen … falsch.

Fazit:
+ (keine posi­tiven Punkte)
– ambi­va­lentes, mora­lisch aufge­la­denes Werbe-Weihnachts-Öffnungszeiten-E-Mail
– 3 Punkte


Wunderbare Welt der Schriften 1991

Ralf Herrmann hat einen zauber­haften 30-minü­tigen Dokumentarfilm aufge­stö­bert: Font-City aus der Serie Computer Chronicles. Wir befinden uns im frühen Desktop-Publishing-Zeitalter und erleben die Einführung geglät­teter Bildschirmschriften (dank Adobe Type Manager), die Geburt des TrueType-Formats, die Neuvorstellung der Multiple-Master-Idee und weitere »Meilensteine« der Schriftenwelt. Sehenswert …


Matrix der Bundle-Fonts

Der Web-Design-Berater Richard Rutter hat eine komplette Liste der Betriebssystem-Schriften (OS X und Windows) sowie der mit den Anwendungen MS Office und Adobe Creative Suite gelie­ferten Fonts erstellt (ohne Linux). Die Font-Matrix prak­ti­sches Tool für HTML- und CSS-Zaubermeister, die gerne mit Font-Stacks definieren.


Musik-aus-Text-Generator

Die beliebte Type-foundry P22 hat ein Weihnachtsgeschenk für uns alle veröf­fent­licht, den Music Text Composition Generator. Die 1997 für den John Cage Trust entwi­ckelte Software ist erst­mals online für alle zugäng­lich (Voraussetzungen: QuickTime-Plug-In und Flash Player 9). Die Anwendung verwan­delt jeden belie­bigen Text in ein Musikstück, das man auf seinen Rechner laden kann. Als Klangfarben stehen verschie­dene Pianos, Spinett, Harfe, Glockenspiel, Jazz-Gitarre und 50 weitere Instrumente zur Verfügung.


Wkk 10: Wissen Media Verlag

wkk wissenmedia

Die Wissen Media Verlag GmbH wurde 1952 gegründet und gehört zur Bertelsmann AG, genauer zur DirectGroup. Sie zählt zu den führenden Lexikonverlagen Europas (Bertelsmann Lexikon, Wahrig, Viamundo, Chronik, wissen​.de …). Jährlich erscheinen im Wissen Media Verlag rund 100 gedruckte Titel sowie elek­tro­ni­sche Medien. Der Verlag sitzt in Gütersloh und hat ca. 70 Mitarbeiter (Stand 2006).

Ein euro­pa­weit führender Lexikonverlag hat sicher­lich gute Kontakte zu Illustratoren und Bildagenturen. Ganz zu schweigen von leis­tungs­fä­higen Druckereien. Und nicht zuletzt sollten die verlags­ei­genen Nachschlagewerke die beste Garantie dafür sein, die wenigen Sätze einer Grußkarte fehler­frei zu Paper zu bringen. Weit gefehlt.

Das Bildmotiv im Inneren der Faltkarte (ein Selfmailer) zeigt eine Collage aus Foto, Illustration und eigenen Produkten. Statt in einen stim­mungs­vollen winter­li­chen Wald blicken wir auf eine verschneite Nutzholzplantage. Dort hinein­ge­zeichnet: ein Weihnachtsmann mit leeren Augen und ein gläsern drein­bli­ckender Elch, dessen Geweih vier Adventskerzen zieren. Die Taschen des (gezeich­neten) Weihnachtsmannes sind mit 4 (foto­gra­fierten) Nachschlagewerken des Wissen Media Verlags gefüllt. In der rechten unteren Ecke steht eine 2007 – mehr nicht.

Über dieser Illustration liegt ein Pergamentzettelchen mit Weihnachts- und Neujahrsgrüßen sowie dem bemer­kens­werten Satz: »Wie jedes Jahr spendet der Wissen Media Verlag statt Geschenken für einen guten Zweck« (kein Punkt).

Die Karte, die auch gleich­zeitig Umschlag ist, wurde zwei­seitig digital gedruckt, mit dem unan­ge­nehmen Nebeneffekt, dass die (empfind­liche) rote Umschlagsseite mit deut­li­chen Transportspuren beim Empfänger ankommt und aussieht wie »schon mal gelesen«.

Fazit:
+ (keine posi­tiven Punkte)
– beliebig und unver­bind­lich (Regel 06 und 03)
– 1 Punkt


Swisscom mit animiertem Logo

[qt:/wp-content/swisscom.mov 214 230]

Das Schweizer Telekomkonzern Swisscom präsen­tierte am Freitag ein neues Erscheinungsbild, mit dem er ab dem ersten Quartal 2008 auftreten will. Im Zentrum des neuen Auftritts steht ein animiertes Logo – ein Novum für die Branche, wie die Swisscom in ihrer Pressenotiz fest­hält. Das Erscheinungsbild wurde gemeinsam mit der Londoner Agentur Moving Brands und dem Schweizer Typografen Bruno Maag entwickelt.Hintergrund für den visu­ellen Neustart ist der Konzernumbau. Anstatt mit den bishe­rigen Gruppengesellschaften Fixnet, Mobile und Solutions tritt Swisscom jetzt mit den Geschäftsbereichen Privatkunden, Kleine & Mittlere Unternehmen und Großunternehmen auf. Die Marken Swisscom Fixnet, Swisscom Mobile und Swisscom Solutions sowie Bluewin fallen weg bzw. verlieren ihre Eigenständigkeit.


Wer stoppt den Hollywood-Font Trajan

Ralf Herrmanns flickr-Account quillt über mit Filmplakaten, die aus Trajan gesetzt sind. Die US-Video-Site goodiebag​.tv kann Trajan auch nicht mehr sehen und beklagt sich über die typo­gra­fi­sche Monokultur in Hollywood mit dem Beitrag Trajan is the Movie Font, der auch auf YouTube anzu­sehen ist. Wer stoppt Trajan? Arnold Schwarzenegger viel­leicht, bewaffnet mit einem 3 Kilo schweren FontBook?