Wkk 11: Verlag Hermann Schmidt Mainz
Die Hausmitteilungen des Schmidt-Verlags halte ich nicht immer für gelungen. Darüber habe ich mit Karin Schmidt-Friderichs auch schon auf einer Buchmesse gesprochen. Unangenehm in Erinnerung sind mir ein Werbebrief kurz nach dem Tod von Hans Peter Willberg, die Begründung zum Verramschen des eBoy-Buches »Hello« und das öffentliche Krisenmanagement, nachdem ein Schmidt-Aushilfsfahrer enttarnt wurde, der Teile des Lieferguts bei eBay preiswert verhökerte.
Mal abgesehen von der Selbstbeweihräucherung (»Qualität von Schmidt«, »Typisch Schmidt«, »Schmidt eben«, TDC-, ADC-Preis-Verlautbarungen, …) … was mir wirklich missfällt ist der Angewohnheit, eigene Versäumnisse mit den Kunden zu teilen. Wir alle haben Verständnis für einen verspäteten Erscheinungstermin, dass gute Bücher ihren Preis haben und dass man ab und zu auch mal einen Flop landet. Die meisten Schmidt-Kunden sind Profis und kennen das aus eigener Erfahrung. Als Hauptgegenstand einer Kundenmitteilungen geben diese Geständnisse nicht viel her. Sie emotional aufzuladen schadet mehr als es hilft. Die Grenze nämlich, den Kunden (unbeabsichtigt) ins Gewissen zu reden, ist schnell überschritten.
Und so stimmt auch die E-Mail-Weihnachtskarte (Text und Bild), die Schmidt am Freitag an seine Direktkunden verschickte, nicht wirklich besinnlich. Es ist eigentlich gar keine, sondern eine Hausmitteilung – diesmal im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt zwei Sanierungen zu vermelden: »Zum neuen Jahr schenken wir Ihnen und uns einen Relaunch unserer Homepage www.typografie.de.« Da fragt man sich als Beschenketer natürlich: Gibt es Unternehmen, die für ihren Relaunch Eintritt verlangen? Oder kriegen die Schmidts gar ihren Relaunch geschenkt? Neid ;-)
Dann folgt eine fast intime Mitteilung: Die Schmidts bauen um. »Im neuen Look erscheint dann auch unser
Gebäude – nicht nur von außen. Wir unterziehen es einer kompletten Energiesanierung – unser Weihnachtsgeschenk an die Umwelt.« Warum erzählt man das seinen Kunden? Wo sie doch nach vielen aufklärenden Verlagsverzeichnis-Editorials gelernt haben, dass das Geschäft mit »gut gemachten Büchern« ein schweres ist. Die Antwort folgt im nächsten Satz: »Deswegen können wir im neuen Jahr leider erst wieder am 14. Januar 2008 für Sie da sein.« Und weiter: »In diesem Jahr führen wir Ihre Bestellungen noch bis zum 21.12. (13.00 Uhr) aus – falls Sie Ihre Lieben mit Schmidt-Titeln überraschen wollen!«.
Diese als Weihnachtspost getarnte E-Mail will alles: entschuldigen, danken, werben, Kaufdruck aufbauen, Eigeninteresse gegen Allgemeininteresse stellen, ein bisschen Politik, ein bisschen Umwelt, eine Prise schlechtes Gewissen verbreiten, ein gutes Gewissen schaffen, emotional sein, sachlich sein, … ein Wort hebt das andere auf. Was bleibt? Ratlosigkeit. Und der weihnachtliche Wahlspruch »Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind. Wir sehen die Dinge wie wir sind.« Der Satz macht mir Hoffnung und ich glaube jetzt ganz fest an diese Weisheit … im Sinne von: Ich sehe die Dinge mit meinen Augen … falsch.
Fazit:
+ (keine positiven Punkte)
– ambivalentes, moralisch aufgeladenes Werbe-Weihnachts-Öffnungszeiten-E-Mail
– 3 Punkte
25 Kommentare
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robertmichael
ich schätze mal dies soll kein weihnachtsbrief sein, sondern einfach eine pressemitteilung mit glückwünschen zu weihnachten im anhang. dieses typische: »wir haben zwischen weihnachten und neujahr geschlossen und wünschen ihnen alles gute« floskeln. und da du ja anscheind schon ein richtiges weihnachtsgeschenk aus dem hause schmidt bekommen hast, finde ich das auch gar nicht so schlimm. es gibt sie also doch, die richtigen kundenkarten … diese mail ist nur für die kleinkunden, was natürlich kein grund ist diese deshalb schlecht zu verpacken, denn so sieht es leider aus.
ich finds als information ok und nebenbei gut das die webseite überarbeitet wird. wenn es wirklich die offizielle weihnachtspost ist – shame on you, schmidt. denn da sind wir besseres gewohnt.
was fandest du eigentlich an dem hello-eboy-geständniss denn so flasch? ich fand, dass es damals sehr ehrlich rüber kam und konnte mir ein schmunzeln nicht verkneifen. es verkauft sich halt nicht und darum ramschpreis – ist doch logisch, oder verstehe ich da was falsch?
Christian Büning
Ähnliches dachte ich auch, als ich die Email bekam. Medium und emotionale Dichte passen nicht gut zusammen und trotzdem habe ich den Text mit einem schmidtschen Wohlwollen gelesen. Wer so schöne Bücher macht, darf auch mal eine konfuse Weihnachtsmail schreiben.
Wenn Firmen ihr Umweltbewusstsein nach vorne tragen, klingt das leider immer schnell so, als wenn Politiker betonen, dass sie verheiratet und gläubig sind. Alle drei Themen sind Privatsache und bekommen als Mittel zum Zweck schnell etwas Schmieriges. Hier finde ich es gerade noch im Rahmen, da ein größeres Bauvorhaben nur in einem Emailsatz erwähnt wird.
franz
Im Fall Schmidt geht das für mich völlig in Ordnung, weil man diesen Ton eben schon kennt und damit eine (wenn auch „eigene“ :-) Persönlichkeit kommuniziert. Sowas würde ich einem Großkonzern natürlich nie abnehmen, den Schmidts aber schon. Deser Ton erinnert auch ein bißchen an Manufactum, ich denke dort ist er auch einer der Schlüssel zum Erfolg. Und ich bin ganz froh drum, daß es da noch ein paar verstreute Gallier gibt, die nicht jeden Satz marketingoptimiert „streamlinen“, sondern etwas einfach so schreiben, wie sie es eben sehen.
C. Werler
Na endlich sagt es mal einer! Der Verlag produziert immer wieder gute Bücher, das kann man sicherlich bestätigen. Aber die Selbstbeweihräucherungen der Vorwörter im Gesamtverzeichnis und die Begleitbriefe sind eine Zumutung. Das aktuelle Verzeichnis ist eine wilde Zitatsammlung, die allerorts mehr oder weniger weit hergeholte Sinnsprüche anbringt.
Ich erinnere mich an die Buchvorstellung von Uwe Stoklossa in Zürich. Wie locker, humorvoll und »down to earth« er die harte Phase der Buchumsetzung vorgetragen hat kann für Karin Schmidt-Friderichs, die ebenfalls anwesend war, ein gutes Beispiel sein.
thomas
mir war noch etwas anderes aufgefallen. ich bekam die mail und wunderte mich, von wem sie denn ist? ich kannte keine frau yxz@typografie.de mit diesem namen. d. h. optisch hat mir die direkte verbindung zum verlag, den ich im übrigen sehr schätze, gefehlt. ich muss quasi erstmal alles lesen, das finde ich, wenn das alle machen würden, etwas zuviel des guten.
CHR15
danke, jürgen.
danke, c. werler.
für mich ist spätestens seit den inspirationen aus dem wolkenwald der ofen aus.
FlorianG
Ich maße mir kein Urteil zu, sondern stelle nur fest: Das letzte, allenthalben hochgepriesene Verzeichnis des Verlags ist bei uns – ebenfalls einem Verlag – durchs Band *sehr* schlecht angekommen. Der Grat zwischen sympathischer Offenheit und unangenehmer Selbstdarstellung ist schmal – diesmal wars, für uns zumindest, eindeutig zu viel. Flattert dann noch Paolo Coelho auf hochglänzenden Schmetterlingsflügeln hinzu …
Jürgen
Originaltext Sommer-2004-Flyer des Verlag Hermann Schmidt Mainz:
»Tut uns leid … unser Fehler, Ihr Vorteil.
Ja, manchmal machen wir Fehler. Und dann gilt bei uns: Fehler dürfen passieren, aber nur, wenn man daraus lernt! Und das tun wir. Zum Beispiel aus der Fehlentscheidung, die wir an einem Buchmessen-Freitag vor drei Jahren getroffen haben: Da wurde uns eine Lizenz angeboten, eBoy, diese fitten Berliner plus einem Mann in NY, deren Arbeit (Pixelpop und Vector) wir so bewunderten. »Nein, das ist nicht Schmidt!«, sprach die strenge markenbewusste KSF. »Davon verkaufe ja ich allein …«, konterte der wichtige Handelspartner K.; »Das wäre ein Buch, wie ›die Gestalten‹ das machen«, lockte es weiter.
Und 2002 kam das schöne Buch mit runden Ecken, prall gefüllt vom englischen Originalverlag palettenweise zu uns. Und leider war es tatsächlich nicht »Schmidt«. Lieber Herr Klanten von den Gestalten, das hätten wir euch machen lassen sollen, solchen Titel sucht man eher bei euch. Damit wir nun das Lager irgendwann wieder für zu uns passende Bücher frei haben, profitieren Sie von unserem Fehler: eBoy brauchen Sie nicht bei ebay kaufen.
eBoy: 19,80 statt 58,– Euro. Solange der Vorrat reicht.«
Phillip
Ich verstehe diesen Seelenstriptease seitens Hermann Schmidt Mainz auch nicht wirklich. Sollen Sie aus ihren Fehlern lernen, aber was interessiert das uns? Das einzig relevante in dem Text ist die letzte Zeile.
Der Sven
Hab letztens zwei Bücher direkt bei Schmidt bestellt und bekam eine handbeschriebene Postkarte dazu, die wirklich nett formuliert war. Da dachte ich: So muss es sein! Für mich fällt die Weihnachtsmail einfach voll aus dem Rahmen dessen, was ich bisher von dem Verlag gewohnt war (mal abgesehen von der Website, die ja jetzt renoviert wird). Bleibt zu hoffen, dass der Verlag mit den elektronischen Medien in Zukunft ein glücklicheres Händchen hat und dort genauso sorgfältig und anspruchsvoll wird, wie im analogen Bereich.
robertmichael
ja und, jürgen? ich fand es ehrlich. klar es ist, marketingtechnisch gesehen, ein super zug – zuerst einen fehler eingestehen und dann ein angebot anpreisen aber ich fand das irgendwie sympatisch. wenn die bücher nunmal ladenhütter sind … was solls. fehler gemacht, preis runter, bücher weg, gras drüber.
renko
Halte mich bei Kreationsbashings normalerweise zurück, aber hier drücke ich auch noch meinen Senf dazu: Pflichte RM uneingeschränkt bei. Der Eboy-Brief ist doch bitte entzückend entwaffnend. Ein Rundumschlag der Sympathie, wenn man so will.
Das Weihnachtsmailing hingegen scheint mir – aus externer Sicht – äußerst unangemessen. Entweder schlechtes Timing oder … hmm… ein wenig arrogant.
Jürgen
Lieber Robert, lieber renko. Könnt Ihr Euch vorstellen, was die Autoren empfunden haben dürften, als sie diese Details – öffentlich ausgebreitet – lesen durften? Ich denke, ein Verlag muss sich vor seine Autoren stellen, egal wie schlecht ein Buch läuft. Niemand hat etwas gegen eine Preissenkung nach 2 Jahren. So etwas regelt man diskret und kann es durchaus in eine »gute Nachricht« für die Kunden packen.
Doch der zitierte »Werbetext« ist alles andere als eine gute Nachricht. Da wird ein Urteil gesprochen: »Das war … nicht Schmidt«. Dazu das Wörtchen »palettenweise«: Im Kontext »Bücher« assoziiert das schlicht Altpapier. Auch die scheinbare Verbrüderungen mit einem konkurrierenden Verlag (Die Gestalten) macht die offen ausgesprochene Ablehnung nicht besser. Die wahren Verlierer bei diesem Spiel sind die Autoren (eBoy), die mal eben coram publico bescheinigt bekommen, dass sie keine (Schmidt)-Qualität liefern und ihr Marktwert soeben um 70 % gefallen ist.
renko
Lieber Herr Siebert. Ich lese das ganz anders: Eboy – tolle Burschen, klasse Sachen, passen aber vom Stil her nicht in unser Programm. Leider. Unsere Kunden suchen diese Art Bücher eher bei dgv.
Ich lese da Positives wie »fitten Berliner«, »deren Arbeit wir so bewunderten«, »schönes Buch mit runden Ecken«, » das hätten wir euch machen lassen sollen«. Und dann auch noch ein schöner Augenzwinkerer wegen der ebay-Aktion. Ich bin immer noch der meinung dass das gelungen ist und die »fitten Berliner« aufgrund des Mailings auch noch profitiert haben.
robertmichael
sicherlich hast du da recht für die eboys klingt das wahrscheinlich nicht so toll. allerdings habe ich es anders verstanden. das buch war zu groß aufgezogen, vielleicht zu aufwendig produziert, vielleicht hat man auch zu wenig werbung dafür gemacht oder es wurde schlicht und einfach nicht beim schmidtverlag gesucht. der kunde sucht so ein werk eben bei der konkurrenz. der verlag kann ja erstmal nichts für den inhalt.
ich habe mir das buch damals auch gekauft als es im preis gesenkt wurde, für den originalpreis war es mir das einfach nicht wert, weil es mehr oder weniger ein bilderbuch ist und kein lehrbuch im klassischen sinne (so wie ca. 75% des restlichen verlagsverzeichnisses) sowas schaut man sich ein oder zweimal an und dann steht es im regal. schmidt-qualität ist für mich eine lehrreicher inhalt, typografisch sauber layoutet und interessant rübergebracht. die gestalten machen dann eben diese typischen designerbücher wo grafiker ihre werke und arbeiten vorstellen, sowas passt halt nicht in das verlagsprogramm von schmidt und so habe ich den werbetext verstanden.
Jürgen
Ich freue mich, Robert und renko, dass Ihr den Text so verstanden habt, wie er (wahrscheinlich) gemeint war.
Ganz nebenbei sprecht ihr ein Dilemma des Schmidt-Verlags an, das andere Verlage nicht haben … und vielleicht ist es die tatsächliche Ursache für die kommunikativen Verbiegungen. Es steckt in dem Wort »suchen«, bzw. »bei Schmidt suchen«, das auch im Originaltext vorkommt. Wer sucht denn Bücher bei einem Verlag? Suche ich den neuen Nick Hornby bei einem Verlag? Nein, ich gehe zum Buchhändler oder zu Amazon. Bei Verlagen suchen eigentlich nur Großhändler. Diese suchen auch nicht wirklich, sondern sie lassen sich die Neuvorstellungen auf den Buchmessen präsentieren und ordern daraufhin.
Es gibt nur wenige Verlage (bzw. Verlagskonzepte) in Deutschland, die den direkten Kontakt mit den Lesern suchen (Schmidt, Die Gestalten, Zweitausendeins, … Sammelwerke, … Time Life, …). Kein Gesetz verbietet es ihnen, es ist eine Art Handschlag-Agreement der Buchbranche und ihrer Verbände. Ein Verlag, der seine Bücher auch direkt verkauft, begibt sich in unmittelbare Konkurrenz zu seinen wichtigsten Kunden: den Buchhändlern …
robertmichael
ja, aber fachbücher handhabe ich da anders.
beispiel:
mein vater hat kürzlich das verlagsverzeichniss vom schmidt-verlag durchsucht um ein buch zu finden welches er mir zu weihnachten schenken kann. er weiss nur die führen typografische fachbücher.
anderes beispiel:
suche ich eine gut ausgebaute und moderne schriftfamilie durchsuche ich das verlagsverzeichniss von fsi (sprich das fontbook).
generell kaufe ich lieber beim verlag direkt als bei amazon und co.
Jürgen
Deiner Geschichte entnehme ich, dass Schmidt die richtige Politik fährt – zum Nachteil von FontShop. Wir haben alle Bücher von Schmidt im Angebot, stellen die besten im Fontblog ausführlich vor, liefern versandkostenfrei, … gekauft wird bei Schmidt direkt.
robertmichael
fontshop ist für mich in erster linie schriftenverkäufer. sicherlich habe ich auch schon bücher bei euch gekauft, jedoch würde ich nicht auf die idee kommen – wenn ich ein buch über typographie suche – zuerst bei euch zu schauen.
wenn ich natürlich eh was bei euch bestelle schau ich in die anderen kategorien immer mal wieder mit rein.
Jürgen
Du hast recht, versteh’ ich. Meine Sichtweise ist befangen, weil ich die Bücher so liebe, weil sie greifbar sind und sinnlich – besonders die von Schmidt. Da gibt es nix zu granteln.
Der Sven
Wenn ich online kaufe, kaufe ich da, wo es am einfachsten und angenehmsten ist. Käufe bei Fontshop werden durch die extrem renovierungsbedürftige Homepage erschwert. Habe daher letztens ganz oldschoolmäßig via beigelegtem Bestellfax bei Schmidt geordert – amazon hatte das Buch (noch) nicht – Fontshop auch (noch) nicht oder es hat mal wieder beim Bestellvorgang geklemmt.
Jürgen
Der Sven hat auch recht.
robertmichael
das was sven sagt ist ein gutes argument. würde die webseite von fontshop richtig schön übersichtlich sein, nicht nur bei büchern sondern auch bei fonts und fotos und büroartikeln würde ich auch viiiel lieber dort bestellen bzw. öfters vorbeischauen, öfters empfehlen usw. aber ich will nicht wieder auf eurer webseite herumhacken – ich weiss ja das sie überarbeitet wird.
Jürgen
Danke für die Nachsicht. Und damit Du weißt, dass wir tatsächlich vorankommen: Es gibt inzwischen einen Termin für den Relaunch, den ich aber nicht verrate ;-)
robertmichael
:-D