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Das hat Sepp Herberger nicht verdient

85-Cent-Briefmarke zum 125. Geburtstag des Fußball-Trainers Sepp Herberger, mit einem Ball im Zentrum, inks und rechts die Waden zweier Fußballspieler, dazu ein Zitat und eine Unterschrift.

Sondermarke „125. Geburtstag Sepp Herberger“ (1. März 2022) © Bundesfinanzministerium, TandemBranding/shutterstock.com

Anlässlich des 125-jährigen Geburtstags des legen­dären Fußball-Bundestrainers Sepp Herberger (1897–1977) hat das Finanzministerium eine Sondermarke heraus­ge­geben. Deren Gestaltung ist beliebig, der Inhalt ist falsch. Es beginnt beim Zitat Das Runde muss ins Eckige, das nicht auf Herberger zurück­geht, sondern vom ehema­ligen Bundesligatrainer Helmut Schulte geprägt wurde. Dieser äußerte während seiner Zeit als Trainer beim FC Schalke 04 (1993–1994) in einem Interview: „Ball rund muss in Tor eckig“. Veredelt und bekannt wurde die abstrakte Anweisung vom Journalist Helmut Schümann, der seinem 2001 erschie­nenen Buch über die Geschichte der Fußball-Bundesliga den Titel „Das Runde muss ins Eckige“ gab.

Berühmte Zitate von Sepp Herberger sind übri­gens: „Der Ball ist rund“, „Ein Spiel dauert 90 Minuten“ oder „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

Kommen wir zum Foto, das gar kein Foto ist, sondern ein compu­ter­ge­nerierter Abbildungsbastard. Ich wusste gar nicht, dass die Herausgeber unserer Briefmarken sich bei 0815-Bildquellen bedienen. Wurden Briefmarken nicht mal geschnitten, gezeichnet oder gemalt? Visuelle Gestalterinnen und Gestalter wissen natür­lich, dass Stockfotos arbi­trär produ­ziert werden, um (1) keine Markenrechte zu verletzen (in diesem Fall: Ball, Schuhe, …) und (2) keine real exis­tie­renden Vereine oder Personen darzu­stellen (in diesem Fall: Stadion, Stutzen). Alles Konkrete schränkt den Gebrauch vorpro­du­zierter Bilder ein. Nur was maximal neutral ist (also nichts­sa­gend), verkauft sich zahlreich.

Ergebnis: Der Fußball ist kein echter Fußball, sondern eine zu klein gera­tene Kreuzung aus Hand- und Volleyball. Und die Farben der Hosen und der Stutzen haben nichts mit den Farben der Heim- und Auswärtstrikots der deut­schen Nationalelf zu tun. Am schlimmsten sind die Schuhe. Sepp Herberger würde fassungslos den Kopf schüt­teln. Vielleicht würde er auch sagen: Das Eckige (die Marke) muss ins Runde (Papierkorb).


Neuer Spaß mit dem Versal-Eszett ẞ


Eigentlich eine tolle Aufgabe für das Versal-Eszett … die in Großbuchstaben gesetzte Spitzmarke »Urlaubsspaß mit Urlaubspass«, auf Seite 9 der aktu­ellen Süwag-Kundenzeitschrift Menschen & Energie (Ausgabe 3/2018; Abb. oben). Doch die Hausschrift des Energieversorgers enthält gar kein Versal-Eszett, und so muss der Kleinbuchstabe herhalten, was natür­lich ziem­lich Schei… aussieht. Bei der Schrift handelt es sich übri­gens um die für RWE entwi­ckelt, was die wirt­schaft­li­chen Verflechtungen der betei­ligten Marken typo­gra­fisch widerspiegelt.

Wie ist es eigent­lich aktuell bestellt, um die Verbreitung des 2008 erfun­denen versalen ß? Ich denke, wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der sich zwei Amateurlager die Waage halten: die einen wissen (nicht mehr), dass im Versalsatz ein Doppel-S das ß ersetzt, die anderen erkennen schlicht nicht den bauli­chen Unterschied zwischen einem »klein geschrie­benen« ß und dem Versal-Eszett. ›Muss man auch nicht‹, denken sich jetzt die Gegner des künst­li­chen Buchstabens.


Lagerfelds »The Karl Daily« ist da

karl_daily_s_1 Karl Lagerfeld liebt Bücher. Seine private Bibliothek soll rund 300.000 Werke umfassen, verteilt auf verschie­dene Wohnungen, Häuser und mehreren Lagerplätzen. 1987 begann der Modeschöpfer zu foto­gra­fieren und eigene Bücher zu gestalten. Im Jahr 2000 grün­dete er mit dem Verleger Gerhard Steidl die Edition 7L, benannt nach seinem Buchladen im Pariser Stadtteil St.-Germain-des-Prés: L steht für die Adresse, Rue de Lille Nº 7.

»Meine Lieblingsbücher sind Wörterbücher. In meinem Pariser Haus gibt es einen Raum, da steht fast nichts anderes.« verriet der Modezar 2002 der Tageszeitung Die Welt (»Ich bin ein Papierfresser«). Weitere Werke, die er häufiger zur Hand nimmt, sind Gedichtbücher von Emily Dickens und die Essay-Sammlungen von E. B. White. Man könnte also davon ausgehen, dass eine Zeitung, die seinen Namen trägt und unter seinen Augen entsteht, für Freunde des Gedruckten ein Leckerbissen darstellen sollte. Seit Samstag kann man The Karl Daily am Bildschirm lesen oder das PDF davon drucken.

Aber The Karl ist eine Enttäuschung. Obwohl der Ton der Zeitung beschwingt ironisch ist, mit der Katze Choupette als Gast-Kommentator, ist ihr opti­scher Auftritt mehr als bieder. Um mal einen Vergleich aus dem Bekleidungsmarkt zu wagen: The Karl ist nicht mal H&M, nein, The Karl ist Kik. Statt hoch­wer­tiger Woll- und Seide-Schriften, sind die Karl-Texte aus Helvetica, Cheltenham und Akzidenz Grotesk gesetzt, immerhin mit Nähten aus Gotham und Neutraface. Die Verarbeitung der Texte spottet jeder Beschreibung: tech­nisch erzwun­gener Blocksatz (ohne Silbentrennung) mit gesperrten Zeilen, Riesenwortabständen und lese­un­freund­li­chem Umbruch. Das Layout ist brett­steif, Bilder und Texte sind streng in Spalten unter­ge­bracht, keine Luft, keine Überraschung, nicht mal eine groß­zügig gestal­tete Doppelseite.

The Karl Daily beweist vor allem eins: gutes Editorial Design ist ein harter Job. Lagerfeld hätte sich einen erfah­renen Experten holen sollen. In der aktu­ellen Form schadet The Karl seinem Ruf als anspruchs­voller Designer. Er hätte es besser zu Papier bringen müssen, denn schließ­lich war der 81-jährige bereits für eine Ausgabe Chefredakteur der Welt am Sonntag und der Libération. Damals sagte er: »Ich glaube an das Gedruckte, aber nur in hoher Qualität«.


Ed Sheeran’s Album Cover Fail

Left: Original Ed Sheeran Album cover with wrong glyph x; right: simulation with correct glyph × (multiply)

Links: Original-Cover von ×; Rechts: unge­fähr so hätte es eigent­lich gestaltet sein müssen (Simulation: Fontblog)

Es gibt jede Menge Musiker und Bands, die ihr 10. Album einfach X getauft haben: Def Leppard (2002), Inxs (1990), Peter Maffay (2000), Air Liquide (2001), Chicago (2003), und andere … Der briti­sche Singer-Songwriter Ed Sheeran hat gerade sein zweites Album heraus­ge­bracht, das nicht x heißt sondern ×, also »mal« oder im Englischen »multiply«; sein erstes Album hieß übri­gens +. Leider zeigt das Albumcover einen falschen Titel, nämlich ein x.

Ein Paradebeispiel dafür, warum es in der Typografie auf Kleinigkeiten ankommt, die eine große Wirkung haben können.


REGENERIERENDE FUßCREME von Hansaplast

packshotHansaplast hat eine neue Fußcreme heraus­ge­bracht. Sie wurde im Rahmen von derma­to­lo­gi­schen Studien getestet. Ihre Formel habe sich zur Pflege bei extrem trockener Haut als äußerst wirksam und haut­ver­träg­lich erwiesen. Bereits nach einer Woche Anwendungsdauer »erhöht die Creme die Hautfeuchtigkeit signi­fi­kant um 67 %« sagt Hansaplast. Weitere Informationen und Tipps gegen trockene Haut und Hornhaut findet ihr unter Harte Zeiten für Ihre Füße?

fusscreme_ausschnitt

Was mir zu dem Produkt auf den ersten Blick einfällt:

  • Hansaplasts Regenerierende Fußcreme enthält typo­gra­fi­sche Schadstoffe.
  • Kann ich einer derma­to­lo­gi­schen Studie trauen, wenn sich ein Schreibfehler durch alle Abteilungen eines Unternehmens schleicht?
  • Hat die Einführung des Versal-Eszett zur Beliebigkeit bei der Benutzung des scharfen S geführt?
  • Nein, die Schrift Myriad von Adobe enthält kein versales Eszett.

Traditionsbruch: das neue Warsteiner-Logo

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Noch ist es die »Königin unter den Bieren«. Oder »das einzige Wahre?« Beim Claim herrscht durchaus Verwirrung, doch das soll 2014 anders werden. Die »Königin« verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Signet und in den Werbeauftritten der west­fä­li­schen Biermarke. Stattdessen rücken Jahreszahl und ein vergrö­ßerter Schriftzug ins Blickfeld der Konsumenten. Allerdings werden sich deut­sche Schriftkenner wenig über das Facelifting freuen, denn Warsteiner bricht auch mit den Satzregeln für die gebro­chenen Schrift. Leserlichkeit geht vor …

Wie das Branchenorgan W&V heute berichtet, hätte der Markenname vor allem im Ausland zu Verständnisproblemen geführt, weil die Menschen mit dem langen deut­schen s nicht zurecht­kämen und meis­tens Warfteiner statt Warſteiner läsen. Um die Modulation der Buchstabenkette im Logo zu erhalten, griff der für die Marke verant­wort­liche Designer John Wiebelitz zu einem typo­gra­fi­schen Trick: Er verwendet in der Wortmitte das (an dieser Stelle falsche, aber) besser lesbare Schluss-s und vergrö­ßert zusätz­lich das t nach oben und unten. Clever gemacht, aber nicht gern gesehen, wie der Kommentar von Ralf Herrmann auf Twitter zeigt:

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Ergänzend heißt es bei W&V: »Der Slogan ›Eine Königin unter den Bieren‹ wird durch einen anderen Hinweis ersetzt: ›Familientradition seit 1753‹ – dafür ließ Warsteiner eine eigene Schriftart anfer­tigen. Hiermit will das Unternehmen die eigene Geschichte stärker betonen.« Die neue Schrift für den Markennamen »Warsteiner« und der verkürzte Claim tauchen in Flächen außer­halb des Signet auf (siehe Abbildung unten). Der zweite typo­gra­fi­sche Eingriff wirkt eher unbe­holfen. Aus den einst stabilen Antiqua-Kapitälchen entstanden Versalien mit Stummelserifen, mit Buchstaben im Ungleichgewicht (W, S) und teils ampu­tierten Körperteilen. Die Deformationen irri­tieren nicht nur beim Lesen, man könnte sie auch als Indiz werten, dass ihr Designer Buchstabenberührungen nicht in den Griff bekommen hat.

warsteiner_nachher

Die Warsteiner Gruppe ist eines der ältesten und bekann­testen Brauereiunternehmen Deutschlands. Zum 1753 gegrün­deten Familienunternehmen zählen heute welt­weit rund 120 Einzelfirmen. Groß geworden ist die Warsteiner Gruppe mit ihrer Stammmarke Warsteiner.


Logo für Kunstschule gegen Besuch im Phantasialand

Die nord­rhein-west­fä­li­sche Stadt Brühl, zwischen Köln und Bonn gelegen, sucht ein Logo … für ihre Kunst- und Musikschule (KuMs). Zu diesem Zweck wendet sie sich nicht an ein Designbüro, sondern an ihre Bürger. Offensichtlich betrachtet die Stadt, in der Max Ernst geboren wurde, das Gestalten eines Logos und die damit zusam­men­hän­genden Corporate-Design-Recherchen als Hobbysache. Das zeigt auch die in Aussicht gestellte Honorierung:

1. Preis: einen Musik- oder Kunstworkshop nach Wahl
2. Preis: zwei Eintrittskarten für das Phantasialand
3. Preis: zwei Eintrittskarten für das städ­ti­sche Schwimmbad

Damit nicht genug. Brühls Bürgermeister Michael Kreuzberg und der neue KuMs-Leiter Bernhard Löffler scheuen sich nicht, den zukünf­tigen Gewinner – ein Kind ihrer Stadt – in eine juris­ti­sche Falle zu locken. Nicht genug, dass der Sieger sämt­li­cher Nutzungsrechte beraubt wird … sollte es urhe­ber­recht­liche Probleme mit dem neuen Logo geben, was sogar erfah­renen Gestaltern bisweilen passiert, »haftet der Teilnehmer/die Teilnehmerin für alle Schäden, welche der KuMs – Kunst- und Musikschule der Stadt Brühl hier­durch entstehen.« Nachzulesen im PDF mit dem Titel Ausschreibung Logo-Wettbewerb KuMs – Kunst- und Musikschule der Stadt Brühl.

Hände Weg von diesem Logo-Wettbewerb!


Wie jetzt, Lange Nacht der Wissenschaften …!?

Die Lange Nacht der Wissenschaften in Berlin und Potsdam ist eine Erfolgsgeschichte. Im kommenden Jahr findet sie zum 13. Mal statt. Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsinstitute und rund 70 tech­no­lo­gie­ori­en­tierte Unternehmen in Berlin und Potsdam wollen in der »klügsten Nacht des Jahres» einen Besucherrekord aufstellen. Ein neues Corporate Design soll der hete­ro­genen Veranstaltung ein klares Profil verleihen. Hierfür gibt es eine Ausschreibung, die in Designerkreisen für Entsetzen sorgte.

Der Berufsverband der Kommunikationsdesigner (BDG) rät ab von Wettbewerben, die keine Jury bekannt­geben, kein Gesamtbudget und keine Entscheidungskriterien nennen. Allein das Beschaffen der Unterlagen für die Vorauswahl braucht zwei Tage und niemand weiß, wer danach und warum einge­laden wird. Und dann mal schnell die krea­tive Aufgabe lösen, ohne Honorar?!

Erik Spiekermann twit­terte gestern: »Kostenlose Konzepte! Nicht mitmachen!«

 

Gegenüber Fontblog äußert er: »Ein Skandal! Wer sich die Mühe macht, endlose Fakten beizu­bringen, der wird einge­laden. Unter den Eingeladenen entscheidet dann eine ›Entscheidungsstelle‹, die natür­lich zusätz­lich zum finan­zi­ellen Angebot auch gleich ein ›Grobkonzept‹ mit Skizzen will. Über den Honorarumfang der vom Gewinner zu erwar­tenden Leistungen wird kein Wort verloren.«

Was meinen die Fontblog-Leser?