Neulich, bei Schmidt-Friderichs’ (Gastreportage)

Diebe, die diesen Artikel geklaut haben, klauten auch …

Mittwoch früh: Unser Lagerleiter konfron­tiert mich mit über 100 verschwun­denen Exemplaren eines 100-Euro-Fachbuchs. Ich raunze, er solle sein Lager in Ordnung halten und die Augen offen. Aber suchen hilft nicht, der Dieb hat sogar ordent­lich eine Palette umge­parkt, eine aus dem Weg geräumt und ein paar einzelne Bücher umgestapelt

Ich weiß um die Lust und Last, Bücher an den Mann und an die Frau zu bringen und denke laut: ›Wer Detailtypo klaut, klaut auch Lesetypo …‹ Der Lagerist zählt: Hier fehlen 150 Stück. Nun kenne ich meine Hitliste … Nach einer Stunde gebe ich schon Schätzwerte zu den Stückzahlen ab, gegen Mittag erstatten wir Anzeige: Über 1000 verschwun­dene Bücher im Wert von über 75.000,– Euro.

Was macht jemand, der auf drei Paletten Büchern hockt? Solche Mengen verkauft man nicht en passant. Bei Amazon finden wir einen Shop, nur Schmidt-Titel, alle ›neu‹, alle ca. 20 % billiger. Die Bewertungen des Verkäufers laufen schon einige Zeit – plötz­lich erscheinen die ›Inventurdifferenzen‹ in einem anderen Licht …
Die Kripo arbeitet auf Hochtouren und muster­gültig. Nach wenigen Tagen wird der Dieb über­führt, ein Teil der Ware wird eine Woche später sicher­ge­stellt. Zusammen mit einigen ›Inventurdifferenzen‹.

Hinter uns liegt eine schlaf­lose Woche, die auch anders hätte enden können. Ein solcher Deal kann das Ende sein. Ein kleiner Verlag, von Idealisten geführt, die höchste Qualität sauber kalku­lieren und deren Handeln weniger auf Gewinn als auf die Schönheit der Bücher zielt, hat keine großen Reserven. Zumal die Aktion ja doppelt trifft, denn wer die vermeint­li­chen Schnäppchen bestellt, kauft ja nicht mehr im Handel oder beim Verlag …
Glück im Unglück also, aber auch Anlass zu Fragen:

Müssen wir als Branche – aber auch Amazon im Speziellen – die Ladenpreisbindung besser, inten­siver und konse­quenter kommu­ni­zieren? Damit sich beispiels­weise die 360 Kunden unseres Diebes bewusst werden, dass neue Bücher zu güns­ti­geren Preisen viel­leicht Hehlerware sind, an denen sie gar kein Eigentum erwerben können?

Hinter wie vielen Preisbindungsverstößen steht daneben noch ein Diebstahl, der bis dato als Inventurdifferenz tole­riert wurde?

Wie viele Presseexemplare verste­cken sich in der schönen Rubrik ›neu & gebraucht‹?

Was macht man als Verlag mit Kunden eines Diebes, die leicht­gläubig bestellt haben – deren Kreditkarten belastet sind, die aber nun ihre Ware nie bekommen? Oder noch schlimmer: Mit denen, die gegen vermeint­lich billiges Geld Bücher ›getauscht‹ haben, die ihnen juris­tisch nicht gehören …

Wo virtu­elle Marktplätze für Schnäppchen wie Pilze aus dem Boden schießen, wird es zuneh­mend leichter, Diebesgut zu verkaufen. Umso heftiger müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Verlage uns mit einkal­ku­liertem MA und dem derzei­tigen aktiven Ausloten der preis­bin­dungs­recht­li­chen Grenzen wirk­lich einen Gefallen tun. Wir können von unseren Käufern nur so viel Preis-Gefühl erwarten, wie wir ihnen ›aner­ziehen‹ …

Wir hatten das Glück einer äußerst enga­gierten Polizeidienststelle, der Kooperation von Yahoo und Unterstützung von allen Seiten. Und wir haben gelernt, dass sich ›Konkurrenzbeobachtung‹ heute nicht mehr auf Verlage mit ähnli­chem Programm beschränkt, sondern andere Anbieter derselben Bücher durchaus mit einschließt.

Karin und Bertram Schmidt-Friderichs, Mainz, 29. Januar 2007


20 Kommentare

  1. Christian Büning

    oh mann, dass ist harter Tobak. Gut, dass HSM noch so glimpf­lich davon gekommen ist. Die Buchräuber sollen schlag­artig vergessen, dass sie jemals lesen konnten und fortan unver­ständig durch die Welt irren.

    Kann man nicht den Lageristen fragen, wie so was passieren kann? War es ein Mitarbeiter oder jemand, der den Schlüssel hatte? 1000 Bücher bringt man nicht im Twingo weg. Ist das nicht was für die Versicherung?

  2. Andreass

    Mit Erziehungsmaßnahmen solltet ihr keine Kunden abschre­cken und auch niemanden krimi­na­li­sieren oder ein schlechtes Gewissen einreden. Das geht alles nach hinten los. Ein Produkt ist nur das Wert, was der Markt bereit zu bezahlen, ganz egal wieviel Schweiß so ein Produkt im Vorfeld gekostet haben mag. Da hilft nur eines, aus den Fehlern lernen und weiter­ma­chen – und das werdet ihr doch hoffent­lich auch.

  3. microboy

    das thema erin­nert mich an einen brief den ich besagtem verlag noch schi­cken wollte. 

    verae­gert habe ich in meinem exem­plar von „U1″ etliche bilder in nied­riger aufloe­sung entde­cken muessen. bei einem buch fuer 89 euro erwarte ich etwas mehr sorg­falt in der produk­tion. ueber aeus­se­rungen wie “ … die höchste Qualität sauber kalku­lieren …“ kann ich da nur lachen. 

    :/

  4. Jürgen

    Ich stimme Andreass zu.

  5. thomas

    die preis­bin­dung im buch­handel ist wohl in der tat wenigen bekannt, woher auch … 

    also hier sehe ich dann ganz klar nach­hol­be­darf auf seiten der anbieter. aber das amazon und co. nicht unbe­dingt könige im kunden­auf­klären sind, ist ja auch bekannt.

  6. robertmichael

    war es einbruch oder ein mitarbeiter?
    unter­liegen bücher nicht einem fest­preis? wieso kann der bücher als ’neu‘ und bis zu 20 % billiger verkaufen? da sollte amazon auch ein auge darauf werfen, immerhin ist es ihre platt­form. vom verlust­ge­schäft mal abgesehen.
    den kunden bzw. käufer kann man es sicher nicht verübeln, der kauft gene­rell erst mal das billigste angebot. dank ebay, amazon und google sind die vergleiche ja schnell ange­stellt. woher soll ich wissen das ich mich strafbar mache?

    wenn ich mir „typo­gra­phie“ von otl aicher anschau frage ich mich auch wie die schlechte qualität des buches zustande kommt. teil­weise schwimmt die schrift stark. liegt es an der rotis? liegt es am druck?

  7. Sebastian Nagel

    Bei Hermann Schmidt ist es einfach: Immer beim Verlag bestellen. Zum einen kriegen die dann das Geld, nicht der Amazon-Roboter, zum anderen sind die Sachen auch noch so schön verpackt :)

    Bisher war ich mit der Qualität der Bücher immer sehr zufrieden (und ich bin da sehr sensibel wenn ich 80-100 Euro hinlege für ein *schönes* Buch, dann will ich auch dass es schön ist). Ich besitze aller­dings weder die Neuauflage von Typografie (sondern das Original), noch U1.

  8. Jürgen

    Der Reprint von Otl Aichers »typo­gra­phie« bietet tatsäch­lich nicht die ansonsten zu Recht gelobte »Schmidt-Qualität« (Schmidt über Schmidt). Das ist auch schwer möglich, wenn man nicht mehr an die Original-Druckstäcke rankommt. Es ist halt eine Faksimile-Ausgabe.

  9. Nora Gummert-Hauser

    es nutzt schmidt nur bedingt, wenn ihr bücher direkt dort bestellt. auf lange sicht verdirbt das die bezie­hungen zum buch­handel und schmidt ist darauf ange­wiesen und tut viel dafür, um auch dort gut präsen­tiert zu werden. der buch­händler der schmidt produkte im regal hat, gehört mit sicher­heit auch unterstützt.

  10. Karin Schmidt-Friderichs

    Danke für so schnelle Kommentare: 

    Erst Mal für Detektive, die fragen wer’s war: Der Mann einer Mitarbeiterin, den wir als Aushilfsfahrer unserer Druckerei einge­setzt haben, nachdem er seinen Job verloren hatte und Privatinsolvenz anmelden musste – sollte Chance zum Neuanfang sein, wars dann wohl nicht… Tut weh…

    Dann zur Schmidt-Qualität: typo­gra­phie ist von einem Original abge­scannt dabei ist die Schrift etwas „aufge­quollen“ und bei U1 waren wir auf die Daten ange­wiesen, die uns die Verlage schi­cken und die waren bei einigen wenigen Covern auch beim wieder­holten Fragen nicht besser zu bekommen… Dennoch tut uns die Qualität dieser Abbildungen sehr Leid!

  11. Jürgen

    @ Nora: Schmidt selbst fördert den Fabrikverkauf durch den jähr­li­chen Katalog inklu­sive Bestellformular. Ich sehe das auch nicht so gerne, denn FontShop verkauft Schmidt-Bücher … doch Literatur ist nicht unser Hauptgeschäft, also sehe ich das locker. Der Buchhandel dürfte das strenger werten. Auf der anderen Seite freue ich mich über das vorzüg­liche jähr­liche Verlagsverzeichnis – das auch unseren Verkäufen dient –, und dessen Qualität wahr­schein­lich gerade mal durch die Einnahmen aus Direktverkäufen gesi­chert ist. Interessanterweise wird dieses Vorgehen durch die Buchpreisbindung geschützt, denn würde Amazon in Deutschland wie in den USA mit 25 % Rabatt verkaufen, könnten nicht nur die Buchläden einpa­cken: Der Direktverkauf wäre entweder wirkungslos oder unse­riös (wenn preisreduziert).

  12. robertmichael

    wobei ich mich natür­lich frage: wieso abge­scannt? ich setzte doch auch manu­skripte die per fax ankommen neu und scanne diese nich ein :-(
    an eine lizens der rotis zu kommen sollte dank der guten bezie­hung zu font­shop ja auch nicht das problem sein. zuge­geben der preis für das buch ist halb­wegs human aber ich hätte auch 10 euro mehr bezahlt um in den genuss einer gut gesetzten rotis zu kommen. so ist es wohl eher, auf lasten der rotis, ein abschre­ckendes beispiel geworden. schade. trotzdem merkt man das schmidt seine rest­li­chen bücher mit liebe gestaltet (selbst der jahres­ka­talog ist ein hit, gibts da schon einen neuen?), jeden­falls kann ich das von denen behaupten die ich besitze und das sind nicht wenige …

  13. microboy

    das argu­ment mit den ›schlechten daten vom verlag‹ kann ich wirk­lich nicht gelten lassen. wenn keine ordent­li­chen daten vorhanden sind dann darf das bild eben nicht groesser verwendet werden. bei einem ›bilder­buch‹ wie besagtem ›U1‹ haette man sicher­lich hier und da auf eine abbil­dung verzichten koennen bzw. ein aehn­li­ches buch abbilden koennen. fuer mich sieht es schlicht nach schlam­piger arbeit in der rein­zeich­nung aus …

    als kaeufer enttaeuscht mich eine solche quali­taet und meine sonst sehr gute meinung ueber euren verlag hat deut­lich gelitten. :/

  14. Jürgen

    @robertmichael: Eine Faksimile-Ausgabe eines Buches wird nie neu gesetzt. Es geht auch viel weniger um eine mögli­cher­weise zu erwer­bende Rotis-Lizenz. Es müssen Texte neu erfasst, neu gesetzt und neu korrek­tur­ge­lesen werden. Und dann spre­chen auch noch die Erben mit, weil prak­tisch ein neues Buch entsteht.

  15. Christian Büning

    wo wir gerade bei der rotis in typo­grafie sind und Karin Schmidt Friedrichs hier mitliest: links von den senk­rechten Stämmen sind bei fast allen Buchstaben so komi­sche kleine Querstrichelungen, die die Rotis noch unglück­li­cher aussehen lassen. Kommen die vom Scannen? Wären die nicht da, ich hätte keine Sehnsucht danach. :-)

    Wirklich eine trau­rige Geschichte mit dem Fahrer. Er hat nicht verstanden, wofür ihr arbeitet.

  16. Timo Hahn

    na wenn hier schon die rotis wieder zum streit­ge­spräch wird, kann ich doch gleich mal eine wunder­schöne und inter­es­sante publi­ka­tion aus dem hause hermann schmidt mainz empfehlen: „rotis – eine streit­schrift“ und da stimmt die druck­qua­lität der rotis :-)

  17. Alpha-Hasi

    Hallo liebe Schmidts,

    als Betroffener möchte ich mich dazu auch mal melden.

    Ich habe einge­kauft: den Typo-Fächer für 35,- Euro. Er wurde *nicht* als „Neuware“ sondern als „gebrauchtes Exemplar“ einer sich in Auflösung befind­li­chen Einrichtung verkauft. Jetzt auf die Käufer einzu­dre­schen, weil sie das „Schnäppchen“ wahr­nehmen, finde ich unge­recht. Dass da so viele Exemplare verscheuert wurden, sieht man beim Marketplace nicht, und wenn ich gebrauchte Bücher kaufe, dann darf ich ja wohl auch etwas weniger dafür ausgeben. Das Geld ist übri­gens über­wiesen, die Polizei hat mich ange­schrieben und mir mitge­teilt, dass es „irgend­wann“ zurück­ge­zahlt wird, die „Amazon-A-Z-Garantie“ hat noch nicht geant­wortet, den Fächer habe ich nicht bekommen (und ich wundere mich, dass immer noch Bewertungen beim Kundenkonto unter Amazon eingehen).

    Ich habe etliche Bücher aus dem Schmidt-Verlag, die meisten neu und voll bezahlt. Ich komme selbst aus dem Verlagswesen, hab in der Herstellung und im Vertrieb, außer­halb von Verlagen in der Werbung und sogar schon als Sortimentsbuchhändler gear­beitet. Mir ist das Problem klei­nerer Verlage bekannt, ich verstehe also gut die Preise des Schmidt-Verlags. Andererseits muss ich aber auch sagen, dass ich als Kunde mir nur selten die Bücher leisten kann. Nicht jeder arbeitet in einer gutge­henden Agentur und kann monat­lich einige hundert Euro in Fachliteratur stecken. Und gerade bei den beiden Klassikern Lese- und Detailtypografie denke ich, dass da auch ein guter Teil des Preises der Name „Schmidt“ ist. Ich hab Lesetypo trotzdem gerne gekauft. [Und sah dann zwei Wochen später die neue „verbes­serte“ Auflage im Schaufenster liegen. Wurmt mich bis heute!]

    Und den Typo-Fächer finde ich für 50,- Euro für mich Normalsterblichen zu teuer. Selbst die sehr (druck-)aufwändigen Farbfächer sind güns­tiger. Und ich denke mal nicht, dass die Auflage so winzig ist. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass Preise viele Gründe haben. So akzep­tiere ich das und warte, bis ich wieder irgendwo einen gebrauchten ange­boten bekomme. [Und ich gehe gerne ins Antiquariat (wo man ab und zu auch neuere Werke findet). Es ist doch besser, gebrauchte Bücher zu verkaufen, als sie zu verbrennen.]

  18. Stefan

    Gut, dass sich der Fall so schnell und zu Euren Gunsten klären ließ. Keiner hier will, das der Hermann-Schmidt-Verlag seine Tore schließen muss. Ich liebe eure Bücher und den Jahreskatalog möchte ich nicht missen.

    Der Nachdruck von Aichers »Typografie« ist eine Ausnahme: Ich bin von der Qualität enttäuscht und werde das Buch in diesem Zustand nicht kaufen. Ich halte die Rotis ohnehin für eine schlecht lesbare Schrift (gerade bei konse­quenter Kleinschreibung) die mir schon in der Originalausgabe Kopfschmerzen berei­tete – die Reproduktion macht die Sache nicht besser.
    Da warte ich lieber auf eine neuge­setzte Version oder auf eine anti­qua­ri­sche Gelegenheit.

    Euch weiter alles Gute und ich hoffe Ihr habt Euren guten Glauben nicht ganz verloren. Macht weiter so, 

    Stefan Kalscheid

  19. Michi Bundscherer

    Mannomann, wer Bücher klaut um damit zu hehlen, dem sollte man neben der normalen Strafe für den Diebstahl noch für die Missachtung der Kunst zusätz­lich was aufbrummen.

  20. Nora Gummert-Hauser

    @jürgen: natür­lich habe ich auch schon bei schmidt direkt bücher gekauft. aber ich finde es wichtig, auch beim buch­händler zu kaufen. sonst sind die bald alle weg und wir können uns (gerade bei schmidt büchern) nicht mehr von der guten qualität, der bindung, dem papier – all den hapti­schen dingen, die ein bücher­kauf ja auch ausmacht – verführen lassen. und es hat den vorteil, dass man schon vorher genau sieht was man kauft. dann muss ich mich auch nicht über schlechte qualität aufregen, wobei das wiederum bei schmidt ja nun wirk­lich im verhältnis marginal auftaucht. und verzichten auf das schöne gesamt­ver­zeichnis möchte ich auch ungern. deshalb kauf ich mal hier, mal dort.

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