Fontblog Artikel im Juni 2013

Schildbürgerstreich: »Menschen verboten«

ein Bilderbogen von Philipp Heinlein

Seit etwa drei Jahren sammle ich durch­ge­stri­chene Menschen. Mich amüsiert das Vorhaben, jemanden mit einem Hinweisschild davon abzu­bringen, eine Bank zu über­fallen, einen Baum auszu­reißen oder einen Bagger als Aufzug zu benutzen. Manche Ideen müssen einfach verboten werden, sonst wüsste man gar nicht, dass es sie gibt.

Natürlich kann man einen Menschen nicht einfach verbieten wie eine Zigarette. Selbst dann nicht, wenn er gerade etwas anstellen will. Hinter dem Anspruch, Andere zu verbieten, steckt kein guter Geist. Ein sechstes Gebot für Designer zu fordern liegt nahe: Du sollst keine Menschen durch­strei­chen. Gute Gestalter finden eine bessere Lösung.

In der Zwischenzeit wächst meine Sammlung ausgeixter Menschen aus aller Welt.

Indonesien 2013

Österreich 2013

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★ Die extravagante Tenso-Familie, 10 Fonts, 80 60 €

Tenso ist eine neue, platz­spa­rende Sans mit viel Charakter, 2013 entworfen von Jos Buivenga. Die Familie bietet die fünf Strichstärken Light, Regular, Medium, Bold und Black, jeweils mit echten Kursiven (= 10 Fonts). Stilistisch liegt Tenso zwischen einer Amerikanischen Grotesk und einer huma­nis­ti­schen Sans. Ihr beson­deres Kennzeichen sind die »über­steu­erten« Kurven in den Kleinbuchstaben a, C/c, f, G/g, l, r und t, die Serifen an I und 1 sowie der Querstrich am J. Sie geben der Schrift ihren Charakter, dienen aber auch der Unterscheidbarkeit ähnli­cher Buchstaben und damit der Leserlichkeit. Mit 378 Glyphen pro Font bietet Tenso gehörig OpenType-Power, inklu­sive Centra-European-Unterstützung und origi­nellen Ligaturen.

Mit ihrem spie­le­ri­schen Charme ist Tenso bestens für die Werbekommunikation, Packaging, Plakate und fürs Editorial Design, vornehm­lich Magazine, geeignet. Im Web und in Apps sorgt sie auf den ersten Blick für eine starke (typo)grafische Identität.

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Freitag: Der 1. Type Talk in Berlin

Liebe Berliner Freundinnen und Freunde der Typografie,

ich wünsche mir, dass diese Veranstaltung am kommenden Freitag »ausver­kauft« sein wird! Der Type Talk ist eine neue, monat­liche Vortragsreihe über grafi­sche Gestaltung. Kostenlos! Hier kann man sich anmelden … (alle Events am Fuß der Seite).

Wir leben in einer typo­gra­fi­schen Metropole. Das wissen vor allem jene Kolleginnen und Kollegen, die beruf­lich mit Schrift zu tun haben. Dies sollten aber noch mehr Designer und Grafiker wissen, weil immer noch zu viele Drucksachen und Websites schwer lesbar und schlecht struk­tu­riert sind. Der Apple Store Kurfürstendamm gibt uns nun die Möglichkeit, einmal im Monat im Theatersaal junge Talente in die Welt der Schrift zu entführen.

Also: erzählt euren Freunden, dass wir ab sofort verständ­lich über visu­elle Kommunikation spre­chen. Und wer selbst etwas zu diesem Thema zu sagen hat, sende mir bitte eine Mail.

Bis Freitag

Jürgen Siebert, Programmdirektor und Moderator des Type Talk im Apple Store Kurfürstendamm

Den ersten Type Talk bestreitet Tim Ahrens zum Thema »Neue Typografie im Web«. Fontblog-Leser kennen Tim als inter­na­tional erfah­renen Type-Designer und Redner, der mit seiner Frau Shoko Mugikura das Schriftenlabel Just Another Foundry betreibt. Neben zahl­rei­chen Font-Familien entwi­ckelte der ehema­lige Architekt erfolg­reich Design-Software, wie die Font-Remix-Tools und den FontFonter. Als Berater im Bereich Webfonts ist er unter anderem für Adobe Typekit tätig, für FontShop refe­riert er regel­mäßig auf den TYPO Days über Webfonts und Web-Typografie.

Tim Ahrens’ aktu­elles Forschungsgebiet sind die neuen typo­gra­fi­schen Herausforderungen im Webdesign. Er vertritt die These, dass wir im Web nicht das imitieren sollten, was seit Jahrhunderten im Gedruckten prak­ti­ziert wird. Die viel­dis­ku­tierte Fluidität moderner Webseiten lässt das Zusammenspiel von Parametern wie Schriftgröße und -art, Zeilenlänge und -abstand in neuem Licht erscheinen. »Jetzt ist es unsere Aufgabe, diese Abhängigkeiten dem Computer beizu­bringen und so ein Optimum an Lesefreundlichkeit zu errei­chen.« prokla­mierte er jüngst auf den Leipziger Typotagen. Er kämpfe dafür, dass sich die Webtypografie von vorder­grün­digen Gags verab­schiede und endlich durch­dachte Anwendung entwickle, zum Wohle der Lesbarkeit.

(Foto: Copyright © 2013 Apple Inc.)


Fonts unter iOS 7: Was wirklich dahinter steckt

Nein … Text und Worte sind keine sinkenden Schiffe unter iOS 7, ganz im Gegenteil

Es mangelte nicht an Ferndiagnosen zur Typografie der neu vorge­stellten Apple-Mobil-Oberfläche iOS 7. Die Live-Übertragung der Keynote von der Entwicklerkonferenz WWDC am letzten Montag hatte noch gar nicht begonnen, als die ersten Schriftenfreunde ihren Sorgen über Twitter Ausdruck verliehen. Unser Freund Stephen Coles machte sich bereits ange­sichts der leichten Helvetica auf den Werbebannern im Moscone-Center (San Francisco) große Sorgen:

Der Ex-New-York-Times-Art-Director Khoi Vinh verglich noch am selben Morgen die Oberfläche des neuen iOS mit der Kosmetik-Abteilung bei Macy’s:

Den frühere Adobe-Type-Kollege Thomas Phinney beschäf­tigte die iOS-7-Typo noch zwei Tage später:

Den frühen Vögeln, die bereits während der Keynote zwit­scherten, möchte ich kurz in Erinnerung rufen, 

  • dass es noch mindes­tens 4 Monate dauern wird, bis die finale Version des iOS 7 auf den Markt kommt
  • dass man die Leistung einer Schrift in einem dyna­mi­schen OS nicht anhand von Videos oder Screenshots beur­teilen sollte
  • dass auf der Keynote kein Wort über die dem iOS zugrunde liegende Font-Technik verloren wurde, die sich augen­fällig geän­dert hat.

In den Folgetagen der einwö­chigen WWDC beru­higten sich langsam die Gemüter. Das lag vor allem an den ersten Vorträgen von Apple-Ingenieuren, die sich gezielt der neuen Fontbehandlung widmeten und erste Details durch­si­ckern ließen.

Ian Baird, bei Apple in Cupertino verant­wort­lich für die Text-Behandlung auf den Mobilgeräten, nannte es in seiner Session »das coolste Feature in iOS 7«: Text Kit. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich eine neue Programmierschnittstelle (API) für alle Entwickler, in deren Apps Text eine entschei­dende Rolle spielt. Text Kit setzt auf das hoch entwi­ckelt Core Text auf, eine mäch­tige Unicode-Layout-Engine, deren Möglichkeiten aller­dings nicht so einfach »anzu­zapfen« waren. In Zukunft muss sich niemand mehr mit Core Text herum­schlagen, weil Text Kit als Dolmetscher dazwi­schen geschaltet ist.

Text Kit ist eine schnelle, moderne Text-Layout und -Rendering-Engine, deren einfache Bedienung ins User-Interface-Kit inte­griert ist. Sie gibt den Entwicklern die volle Kontrolle über die Core-Text-Funktionalitäten, um auf diesem Weg das Verhalten von Schrift in allen User-Interface-Elementen fein abzu­stimmen. Hierfür hat Apple die Bausteine UITextView, UITextField und UILabel neu gebaut. Die gute Nachricht: Erstmals in der Geschichte von iOS ergibt sich eine naht­lose Verbindung von Text zu Animationen, sowie den Ansichten UICollectionViews und UITableView. Die schlechte Nachricht: exis­tie­rende text­las­tige Apps müssen umpro­gram­miert werden, um den vollen Textkomfort unter iOS 7 unter­stützen zu können.

Apple hat die Text-Layout-Architektur in iOS 7 neu aufge­baut, so dass Entwickler das Verhalten von Texten und Fonts mit bisher nicht gekannter Freiheit und Dynamik in das User-Interface ihrer Apps inte­grieren können

Was bedeuten die neuen Optionen in der Praxis. Erstmals lassen sich längere Texte in Apps lese­freund­lich und optisch attraktiv in ein Seiten-Layout packen, wahl­weise mit mehreren Spalten und frei­ge­schla­genen Flächen für Abbildungen. Aufregende neue Möglichkeiten verbergen sich hinter den Stichwörtern »Interactive Text Color«, »Text-Folding« und »Custom Truncation«. So wird es beispiels­weise bald möglich sein, dass sich beim Verfassen von Texten unter iOS die Schriftfarbe ändert, sobald die App eine dyna­mi­sche Textkomponente erkannt hat (z. B. Hashtag, Twitter-Account-Name, etc. …). Das Zusammenfalten wir auch das Beschneiden längerer Texte zu einer Vorschau muss nicht mehr den vorge­ge­benen Optionen vorne/hinten/Mitte folgen, sondern kann vom Entwickler frei defi­niert werden.

Mit wenigen Zeilen Code lässt sich unter iOS 7 die Uhrzeit in ansehn­li­cher Typo darstellen, mit propor­tio­nalen Ziffern und korrektem Trennzeichen

Den Ästheten unter den Typografen sei verraten, dass Kerning- und Ligatur-Support über das gesamte iOS 7 einge­schaltet sein werden. Selbst auf hoch­ent­wi­ckelte grafi­sche Effekte, wie die verblüf­fend realis­ti­sche Büttenpapier-Ästhetik (Apple nennt diese Makros »Font Descriptors«), lässt sich unter iOS 7 jetzt spie­lend leicht zugreifen. Zur Beruhigung: Der Buchdruck-Zauber ist im Moment der einzig verblie­bene Skeuomorphismus, der in iOS 7 über­lebt hat, ausge­rechnet in der Notizen-App. Betrachten wir ihn nur als ein Beispiel, was in Zukunft abrufbar sein könnte. Ob man es in Anspruch nimmt, bleibt jedem Entwickler selbst überlassen.

Die heißeste typo­gra­fi­sche Nummer im neuen iOS 7 ist aller­dings Dynamic Type. Meines Wissens werden die Apple-Mobilgeräte damit die ersten elek­tro­ni­schen Geräte sein, die eine Schriftqualität als selbst­ver­ständ­lich erachten, wie sie zuletzt nur im Bleisatz derart konse­quent gepflegt wurde. Wohlgemerkt: Wir spre­chen von einem Betriebssystem, keine Anwendung oder einem Typografie-Job. Die opti­sche Schriftgrößenanpassung gab es natür­lich auch im Fotosatz und im Desktop Publishing … nicht wirk­lich auto­ma­tisch und mit einigen Sackgassen (Adobe Multiple Master). Und sicher­lich gibt es auch jede Menge Displays in Industrieprodukten, die verschie­dene »Grades« für kleine und große Texte verwenden. Doch bei iOS ist die opti­sche Textgröße ein Feature, mit verblüf­fenden Möglichkeiten, die darauf aufbauen.

Der Dynamic-Type-Wasserfall aus iOS 7 (Mitte), links der Headline-Font im Wasserfall, rechts der Font fürs Kleingedruckte: Noch sind die Laufweiten nicht perfekt … was kein Problem ist, denn iOS gestattet die Modifikation derselben, entweder durch Apple oder den Entwickler

Erstmals ist es Benutzern möglich, dank Dynamic Type die Lesetextgröße in allen Apps (die mit Text Kit für iOS 7 aktua­li­siert wurden) mittels Schieberegler unter Einstellungen → Allgemein  → Textgröße in 7 Stufen dem eigenen Geschmack anzu­passen. Falls die größte Schriftgröße nicht ausreicht, haben Sehbehinderte unter Einstellungen → Allgemein → Bedienungshilfen die Möglichkeit, Dynamic Type bis zur Maximalgröße aufzu­drehen; zusätz­lich gibt es an derselben Stelle noch die Optionen »Lesbarkeit verbes­sern« (stellt die Schrift – bei glei­cher Größe – auf einen leicht fetteren Grad um) und »Hintergrund-Kontrast« optimieren.

Fazit: Wenn iOS 7 in wenigen Monaten seri­en­reif ist, wird das Betriebssystem selbst viel­leicht noch nicht die beste Typografie liefern (mit Neue Helvetica). Aber die dem OS zugrunde liegende Text-Layout- und Rendering-Technik bietet (den Entwicklern und Apple selbst) alle Optionen, Texte in bisher nicht gekannter Dynamik und Lesequalität auf die Retina-Bildschirme zu zaubern.


Vormerken: Illustrative 2013 in Berlin

Vom 31. August bis zum 8. September 2013 wird im Direktorenhaus in Berlin das 6. inter­na­tio­nale Kunstfestival »Illustrative« statt­finden. Das erst­mals 2006 durch­ge­führte Festival, eine Idee von Pascal Johanssen und Katja Kleiss, zeigt über­wie­gend persön­liche künst­le­ri­sche Arbeiten von Illustratoren, die ohne Auftragshintergrund entstanden sind. In diesem Jahr werden rund 200 ausge­wählte Künstler ausstellen.

Im Zentrum des Festivals steht die Hauptausstellung, gefolgt von der Werkschau der Nominierten des »Young Illustrators Awards«. Polen wird als Gastland gefeiert mit der Ausstellung »Where I come from«, das die jüngere polni­sche Illustrationsszene vorstellt. Zentral ist in diesem Jahr auch die Sektionsausstellung »Handwerk/Illustration Craft«, in der die Einflüsse der Illustration in den Bereichen des Produktdesigns, der Raumgestaltung und anderer ange­wandter Künste beleuchtet werden. Neu ist der Fokus auf physi­sche Originale: Während in den letzten Jahren oft digi­tale Editionen zu sehen waren, wurden diesmal für die Hauptausstellung nur Originale oder streng limi­tierte Editionen zuge­lassen, verstärkt auch Installationen und Objekte.
Weitere Informationen: illus​tra​tive​.de


Fresh Fonts: Neue Schriften dieser Woche 13 | 24

Freshfonts-NeuLogoFrische Schriftenveröffentlichungen spru­deln uns diese Woche einmal mehr entgegen:

 

FontShop_exljbrisAus dem hollän­di­schen Arnhem veröf­fent­licht Exljbris mit Tenso eine fünf-schnit­tige Charakter-Familie mit passenden Kursiven für den viel­sei­tigen Einsatz in Print- und Web-Gestaltung.

Exljbris Gründer Jos Buivenga entwi­ckelte Grotesk-Eigenschaften wie den einstö­ckigen Kleinbuchstaben bei »g« und geschlossen-gewin­kelte Anstriche bei »C«, »G« und »S«, die er mit hohem Strich-Kontrast, beson­ders in den gezeich­neten Kursiven, ergänzte.

Diese Eigenschaften verleihen der Tenso-Familie einen ausge­prägten Charakter mit spie­le­ri­schem Zug und brechen aus der ernst­haf­teren Groteskform aus. Auch der Preis macht gute Laune: Die 10 Schriftschnitte kosten 80 Euro, den Grundschnitt gibt es zum Ausprobieren kostenlos.

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❤ der Woche: Typoversity 2, nur 29,90 €

Zum zweiten Mal haben die Herausgeber von Typoversity, Andrea Schmidt und Patrick Marc Sommer, Studierende der Visuellen Kommunikation aufge­rufen, aktu­elle typo­gra­fi­sche Arbeiten vorzu­stellen. Die Auswahl der nun im Buch Typoversity 2 gezeigten Projekte erfolgte durch eine kompe­tent besetzte Jury, bestehend aus Christoph Dunst, Verena Gerlach, Heike Grebin, Christoph Koeberlin, Dan Reynolds und Birgit Tümmers. Aus über 450 Einsendungen wählten sie das Beste aus, nach gestal­te­ri­scher und inhalt­li­cher Qualität.

Das Buch glie­dert sich, zu glei­chen Teilen, in die drei Kapitel Gestaltung, Schrift und Experiment. Im ersten Bereich werden gestal­tete Projekte vorge­stellt, bei denen Schrift die Basis bzw. den Mittelpunkt bildet. Unter anderem lernen wir ein Arbeitsbuch für logo­pä­di­sche Praxen kennen (Christina Bugge, FH Potsdam), ein »Typografisches Manifest« (Lena Haubner, Bauhaus-Universität Weimar) und das Konzept für eine Shakespeare-Buchreihe (Sandra Mulitze, Muthesius-Hochschule, Kiel).

Das zweite Kapitel widmet sich neu entwor­fenen Schriften und Schriftexperimenten. Bemerkenswert sind hier die links­kur­sive Pinselschrift Canary (Mark Frömberg, HTW Berlin), die auf der DDR-Standard-Grotesk basie­rende, drei­schnit­tige »Eisenhüttenstadt-Schrift« (Tobias Keinath, Reinhard Schmidt, FH Pforzheim) und die Schrift Mathil_da für eine Bewerbung der Stadt Darmstadt (Julia Weidmann, Hochschule Darmstadt). Auch die anderen 12 Schriftkonzepte über­zeugen mit einer klaren Problemstellung und (teils mehreren) gekonnten Lösungen. Gerne hätte ich ähnliche Konzepte auf der am Donnerstag eröff­neten Mainzer Ausstellung »Call For Type« gesehen (Fontblog-Ankündigung).

Am ergie­bigsten für Kreative dürfte der dritte Abschnitt von Typoversity 2 sein, die Experimente. Sie widmen sich unter anderem Themen wie Zensur, dem mensch­li­chen Verhalten (Ausstellungskonzept) und dem Einsatz (typo)grafischer Ebenen. Abgerundet wird die aktu­elle Bestandsaufnahme der jungen deut­schen Typo-Szene durch Interviews mit wegwei­senden Typografen, darunter Victor Malsy, Florian Hardwig, Eike König, Andrea Tinnes, Alex Branczyk und Sascha Lobe. Weitere Informationen: http://​typo​ver​sity​.com.

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bukowskigutentag 8/13: Ein Taubenvergrämer packt aus

Eine unty­po­gra­fi­sche Buchrezension hier im Fontblog? Wie konnte denn das passieren? Ganz einfach: Kürzlich geriet ich in die zwei­fel­hafte Lage, das heute erschei­nende Buch »Wenn ich was kann, dann nichts dafür« vor Veröffentlichung lesen können müssen wollen sollen zu dürften. Habe ich gemacht, weil der Autor niemand gerin­geres ist als meine alte Jugendliebe Jan-Uwe Fitz – ein Fitzbold vor dem Herren, kann ich Ihnen sagen.

Bereits nach der Lektüre der ersten etwa zehn Seiten verspürte ich ein diebi­sches Grinsen in meinem Gesicht. »Geil«, sagte ich mir. »Dich kriege ich dran wegen groben Unfugs, Freundchen!« Voller Vorfreude auf eine Abmahnung recher­chierte ich kurzer­hand den entspre­chenden Paragraphen … und wurde enttäuscht. Unter § 118 OWiG zur »Belästigung der Allgemeinheit, alte Bezeichnung: Grober Unfug« fand ich zwar zahl­reiche Beispielfälle wie Störung eines öffent­li­chen Gelöbnisses der Bundeswehr, das Verfassen von Facebook-Kommentaren oder die Nutzung von Segways zur Fortbewegung. Das Schreiben von Büchern scheint aber nicht den Straftatbestand der Ordnungswidrigkeit zu erfüllen. Schade.

Trotzdem las ich weiter und mir wurde klar, dass Jan-Uwe Fitz nur auf den ersten bis etwa sieb­zehnten Blick einen Gaga-Roman geschrieben hat. Tatsächlich entpuppt sich »Wenn ich was kann, …« als ein scho­nungs­loser Report, der mit dem Traumberuf des Taubenvergrämens radikal aufräumt. Während die jungen Leute früher Schauspieler werden wollten, dann Werber, dann Drehbuchautoren oder Models, giert heute bekannt­lich eine ganze Generation nach dem Trendberuf des Taubenvergrämens. Wer selbst Eltern Heranwachsender ist, kennt das: Ab dem Alter von elf, zwölf Jahren verwan­delt sich das Kinderzimmer in eine einzige Postergalerie, voll­ge­stopft mit Devotionalien und Fanartikeln der berühm­testen Super-Vergrämer unserer Zeit wie Jan-Uwe »die fiese Feder« Fitz, Jan-Uwe »Double-Knock« Fitz oder Jan-Uwe »The Täubchen« Fitz.

Aber jetzt geht’s dem hoff­nungslos über­ro­man­ti­sierten Ideal des Taubenvergrämens an den Kragen. Erleben Sie selbst die unge­schminkte Wahrheit eines häss­li­chen und entmenschten Alltags. Und zeigen Sie das Ihren Kindern! Hier eine Leseprobe:

(…)

Er schiebt mich zur Seite, geht auf die voll­ge­fres­sene Taube zu, die sich vor Fettleibigkeit kaum mehr bewegen kann, und packt sie mit der rechten Hand am Hals. Dann hält er sie mir direkt vor die Nase. Sein Griff ist so fest, dass die Taube röchelt.
»Da!«, sagt er.
»Sie tun ihr weh.«
»Sie wollten sie doch vergrämen. Bitte schön. Hier ist sie. Ich habe sie für Sie gefangen. Bringen Sie sie nach Berlin.«
»Aber die fliegt mir doch bei der erst­besten Gelegenheit weg.«
Herr Menke verpasst der Taube eine Kopfnuss. Der Vogel sinkt bewusstlos in sich zusammen.
»So, jetzt nicht mehr«, sagt er und hält mir die Taube noch dichter vor die Nase.
»Ist sie tot?«, frage ich ängstlich.
»Nur bewusstlos. Sie können die Taube jetzt nach Berlin bringen. Aber beeilen Sie sich. Bevor sie aufwacht.«
»Und falls sie unter­wegs aufwacht?«
»Dann ziehen Sie ihr wieder eine über.«
»Die ist doch ganz Matsche im Kopf, wenn wir Berlin erreichen.«
»Das ist die beste Voraussetzung, um in Berlin glück­lich zu werden.«

(…)

Sehen Sie? Erschütternd! Und wer sich auf einen so heftigen Flirt mit der Wahrheit einlässt wie Jan-Uwe Fitz, der macht sich damit nicht nur Freunde. Wie schon mit seinem ersten Buch »Entschuldigen Sie meine Störung« teilt der Autor das Publikum in zwei sich bis aufs Blut bekämp­fende Lager: Die einen wollen’s genau so und immer schön jan-uwig, die anderen hätten’s lieber etwas uwe-janiger. Tja, allen kann man’s nicht recht machen. Aber ich persön­lich find’s geil.

Hier geht’s zum Buch. Und wer sich den Schlamassel live in Berlin, Basel, Köln, Nürnberg, München oder Wuppertal geben will, bitte sehr!

Michael Bukowski

P.S.: Autoren, die diesen Beitrag geschrieben haben, haben auch diese Beiträge geschrieben.