Fontblog Artikel im März 2008

Wieviel Plagiat steckt in »Be Berlin«?

Je größer die Bühne einer Berliner Veranstaltung, und je mehr sich die Politik einmischt (Banken, Love Parade, Tempodrom, Spreedreieck) umso größer das Skandalpotenzial. Die Be-Berlin-Kampagne ist davon nicht ausgenommen.

Im Oktober 2007 haben Andrea Horn (26) und Marc Arroyo (25) an der Ausschreibung der Stadt Berlin teil­ge­nommen. Ihr Slogan »just be.rlin« soll die Vielfältigkeit, Internationalität, Weltoffenheit und Besonderheit Berlins kommu­ni­zieren. Sie glauben nun, das die finale Kampagne ihre Grundidee – hono­rar­frei – verwendet und erläu­tern dies in einem eigenen Weblog: just­berlin.


Neues aus der Hausindustrie

Der span­nen­dere Teil unseres Lagers in der Kreuzberger Bergmannstraße: die Etage »House Industries«

Es ist kein Geheimnis, dass House Industries FontShop mag. Unsere jähr­liche TYPO-Konferenz, das Font-Ranking Die 100 besten Schriften aller Zeiten oder so eine Idee wie die FontStars sorgen im ameri­ka­ni­schen Delaware für Respekt. Nur so ist es zu erklären, dass FontShop-Kunden seit diesem Monat in den Genuss eines Services kommen, den House keinem anderen Fonthändler gestattet: Ihre Schriften per Download anzubieten.

Dazu ein Auszug aus unserer Pressemitteilung: »Bisher konnten die Schriften von House Industries bei FontShop ausschließ­lich auf CD per DHL oder UPS bezogen werden. Seit März 2008 bietet FontShop seinen Kunden den direkten Download der House Industries Schriften an – als erster und einziger Font-Händler welt­weit. Dies hat nicht nur den Vorteil einer Preissenkungen für alle Familien, erst­mals können nun auch Einzelschnitte erworben werden. … Freunde der aufwendig gestal­teten House-Industries-CD-Verpackungen kann FontShop selbst­ver­ständ­lich weiterhin mit physi­schen Paketen beliefern.«

Zur Feier dieses Ereignisses bieten wir einen House-Appetitanreger zum Sonderpreis an, das exklu­sive Fontpaket House Movements – 5 nütz­liche Headline-Hits, entworfen von Ken Barber, zum Sonderpreis von nur 59,– € (im Download; Versand: 69,– €).


Helvetica-Film in Wiesbaden

Schon mal vormerken: In 4 Wochen findet die Wiesbadener Erstaufführung des Helvetica-Films statt (veran­stal­tete vom Büro Q). Am 17. April trifft man sich um 20:00 Uhr im Walhalla-Theater. Vor dem Film findet ein Podiumsgespräch statt mit Dr. Walter Greisner (dem ehema­ligen Geschäftsführer der Schriftgießerei D. Stempel AG und Helvetica-Zeitzeugen), dem Schriftkünstler Professor Werner Schneider und Bertram Schmidt-Friderichs (TDC, Verlag Hermann Schmidt Mainz). Weitere Infos und Anmeldung …


Merkwürdige »Ich habe Aids«-Kampagne

Ich traue dieser Kampagne des Regenbogen e. V. nicht: vergis​saids​nicht​.de. Fünf Prominente – Katja Saalfrank, Markus Kavka, Nova Meierhenrich, Herbert Knaup und Pascal Hens behaupten in viral verbrei­teten Video-Clips: »Ich habe Aids«. Bisher wusste niemand, dass einer der 5 »Bekenner« HIV-positiv ist. Wieso werden sie »Bekenner« genannt, und nicht Infizierte? Warum taucht in ihrer Kampagnenbiografie kein Eintrag der Art »seit 2006 HIV-positiv« auf. Warum fehlt überall – auch in der Presseinformation – ein Hinweis, dass sich fünf infi­zierte Promis erst­mals zu ihrer Aids-Erkrankung bekennen?

Liest man zwischen den Zeilen der Konzepts, liegt der Verdacht nahe, dass die Prominenten viel­leicht gar kein Aids haben: »Aids berührt uns erst, wenn es jemanden trifft, den wir kennen. Und wen kennen wir alle? Prominente. Wir haben mit dieser Kampagne (hoffent­lich) einen Weg gefunden, wie wir die Menschen mit Hilfe von Prominenz wach­rüt­teln. Aids verdient Aufmerksamkeit, keine Vergessenheit.« Hoffentlich geht der Schuss nicht nach hinten los.

Noch ein Tipp an die Kampagnenmacher: Wer gegen eine Infektionskrankheit kämpft, die von einem tücki­schen Virus über­tragen wird, sollte sich diese Übertragungsmethode nicht zum Vorbild für die Verbreitung eigener Botschaften machen. Auch der Fontblog wurde beinahe mit einem Spam-Kommentar (von Thomas) infi­ziert, den mein Spam-Schutzfilter jedoch sicher abfing.


Heute ist Pi-Tag

Mathematiker auf der ganzen Welt gedenken heute der Kreiszahl π (pi). Sie beschreibt in der Geometrie das Verhältnis des Umfangs eines Kreises zu seinem Durchmesser und beträgt 3,1415926 … . Der 14. März wurde als Pi-Tag gewählt, weil sich das Datum nach der ameri­ka­ni­schen Datumsnotation 3/14 schreibt. Besonders genaue Pi-Fanatiker feiern um 1 Uhr 59 und 26 Sekunden und errei­chen damit die siebte Nachkommastelle der Kreiszahl.

Das hier abge­bil­dete pi-Zeichen ist der Schrift FF Unit Rounded Medium entnommen.


Wie schreibt man eigentlich dieses n?

Im HTML-Text, also auf Webseiten und in E-Mails, erzeugt man hoch­ge­stellte Zeichen durch diesen Code: <sup>n</sup>: Ruhrn. In anderen Textverarbeitungen und Layout-Programmen gibt es häufig den Stil-Befehl »Hochstellen«. Typografisch korrekt sind die Ergebnisse beider Operationen nicht, denn der hoch­ge­stellte Buchstabe wird mecha­nisch erzeugt: Er ist eine verklei­nerte Form des Normalbuchstabens, damit dünner, er verhun­gert in der Luft. Echte Hochzahlen werden vom Schriftentwerfer verklei­nert und etwas kräf­tiger ange­legt. Standardzeichensätze enthalten die häufig verwen­deten Exponenten ²³, eigens gezeichnet, die mit einer HTML-Operation so 2 und 3 aussehen (der Unterschied kommt hier viel­leicht nicht so rüber). Die Leute bei Gray haben diese Umstände beim Entwerfen des Ruhrn-Logos weit­ge­hend beachtet … ich hätte das n etwas tiefer gesetzt.


Ruhrn: Wir müssen mal drüber reden

Berlin, Ruhrgebiet … wie sich die Bilder glei­chen. Oder doch nicht. In beiden Fällen sickerten Details der Standort-Kampagne durch und es hagelte Kritik. Und so fragt sich die WAZ zu recht: »Kann eine Marketing-Kampagne noch erfolg­reich sein, wenn sie schon im Vorfeld der offi­zi­ellen Präsentation nur Hohn und Spott erntete? Antwort: Ja, Sie kann – wenn sie gut ist.«

Tatsächlich unter­scheiden sich die Kampagnen von der Spree und von der Ruhr diame­tral: die eine ist verstaubt, die andere visionär. Die eine enttäuscht, die andere über­rascht. Ob sie funk­tio­nieren, wird die Zeit zeigen. »Ruhrn« stammt aus der Feder von Gray Worldwide, die ziem­lich genau weiß, was sie will: »Es sollte keine emotio­nale Kampagne sein, sondern eine inter­na­tio­nale, die welt­weit Aufmerksamkeit auf die Region lenkt. Deshalb ist sie englisch-spra­chig ange­legt.« betont Frank Dopheide, Chef des Düsseldorfer Ablegers der Werbeagentur Grey.

Das Logo, bestehend aus einer Farbraster-Wolke und der Wortmarke Ruhrn, ist auch als Animation ausge­ar­beitet und symbo­li­siert die gebün­delten Kräfte der Region. Das hoch­ge­stellte n drückt »die Potenz der Region aus, die Kraft der Vielfalt«.

Der Slogan stehe, laut Dopheide, für die Wurzeln des Ruhrgebiets, das von Bergbau und Stahl geprägt war sowie der Kooperation der vielen Städte, der Universitäten, der Unternehmen. Das Ruhrgebiet weise sich künftig als »Hauptstadt des Teamworks« aus, weil hier hunderte Kommunen, Universitäten und Unternehmen zusammenarbeiten.

Erste Reaktionen:

Pottblog: Ruhr hoch N – Team-Work-Capital (aktua­li­siert)
Coffee And TV: Scheiße zum Quadrat
Ruhrstruktur: neuer Ruhr-Slogan
Der Westen: Ruhr hoch n – Potenz in Unendlichkeit

Thomas Knüwer fragt sich, wo er das Logo schon mal gesehen hat. Wer kann ihm helfen?


Be Fontblog

Die Vorstellung der Be-Berlin-Kampagne und die Kommentare, die hier im Fontblog dazu hinter­lassen wurden, haben mich zwei Tage ernst­haft beschäf­tigt. Heute morgen stellt ich mir die Frage: Gibt es auf dieser Site noch Hoffnung auf einen frucht­baren offenen Diskurs über Design?

Gerne erin­nere ich mich an die Diskussion über das neue Corporate Design des Haus der Kulturen zurück (Haus der Kulturen der Welt wird »das Haus«, ff.), oder an die Kommentare zum London-2012-Logo (London 2012 will doch nur spielen, ff.). Da wurde sich gefetzt, da wurde aber auch konstruktiv disku­tiert. Bei der Be-Berlin-Kampagne wurde nur gezetert.

Erst dachte ich, es liegt an mir. Beim Haus-der-Kulturen-Corporate-Design habe ich Position bezogen. Das London-2012-Logo habe ich mit Zähnen und Klauen vertei­digt, obwohl es welt­weit verrissen wurde. Die Be-Berlin-Kampagne habe ich ohne Meinung vorge­stellt, bzw. ich habe die Veranstalter spre­chen lassen, den Regierenden Bürgermeister (»Vor Gott sind eigent­lich alle Menschen Berliner.«) und die Pressemitteilung des Senats (Sei Stadt, sei Wandel, sei Berlin … [Update]).

Dann dachte ich, es liegt an der geän­derten Leserschaft im Fontblog. Ganz klar: Mehr Leser (inzwi­schen über 9000 durch­schnitt­lich an Werktagen) bringen mehr Meinung, mehr Trolle, mehr Konflikte. Die Profis haben sowieso keine Zeit zu kommen­tieren. Viele Experten beob­achten lieber als sich einzu­mi­schen. Ich begegne gele­gent­lich Freunden und Branchengrößen, die mir mitteilen, dass sei das Fontblog seit 3 Jahren täglich lesen … einen Kommentar haben sie noch nie hinterlassen.

Heute morgen bei der Fahrt zur Arbeit dachte ich schon: Hat Fontblog viel­leicht eine kriti­sche Größe über­schritten, die es zunächst unbe­weg­lich macht und in naher Zukunft witzlos werden lässt? Dann fuhr ich an einer Litfaßsäule vorbei, auf der ein Motiv der Be-Berlin-Kampagne zu sehen war: Der Koch des Jahres Tim Raue sagt ›sei unikat, sei delikat, sei berlin‹. Und da fielen mir Zitate der Fontblog-Leser ein: »schlechtes Foto« (chris­toph), »zieht die wurst nicht vom teller« (lvgwinner ), »Be Berlin läuft Gefahr, das neue WM-Logo zu werden« (Rakentim), »lang­weilig, mutlos, austauschbar« (Herr Kleber), … Und ich erin­nerte mich an Worte der Kollegen: »Warum nur wirkt der Koch in der Küche wie aus einem anderen Bild ausge­schnitten und künst­lich drauf­ge­klebt?« (Design-Tagebuch).

Und da war mir auf einmal klar: Es liegt an der Kampagne. »Wie man in den Wald hinein­ruft, so schallt es heraus.« sagt der Volksmund. Ein anders Sprichwort ließe sich wie so adap­tieren: Wer Mist sät, wird Mist ernten. Damals, beim »Haus der Kulturen« und dem »London-Logo«, hatten wir es mit strit­tigen, aber profes­sio­nellen und hoch­wer­tigen Konzepten zu tun. Die Be-Berlin-Kampagne ist Durchschnitt. Nicht mehr und nicht weniger. Es könnte auch die Städtekampagne von Krefeld, Wiesbaden oder Ingolstadt sein – ohne diesen Städten zu nahe treten zu wollen. Ganz im Gegenteil: Denen würden so etwas nie passieren, eine Armee von Kreativen die Zeit stehlen, um mit einem Etat von 10 Millionen Euro Durchschnitt aufs Gleis zu setzen.

Also: Das Fontblog bleibt, wie es ist. Mehr Leser ist prima. Heftige Kritik in den Kommentaren auch. Wir sind kein elitärer Club. Und jetzt wünsche ich mir zur Abwechslung mal eine gelun­gene Kampagne.