Fontblog Artikel des Jahres 2009

PdW 51: Whomp, der Lettering-Zauberkasten

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Immer Dienstags, das Produkt der Woche (PdW) bei FontShop, ausge­sucht und preis­re­du­ziert. Heute: das OpenType-Scriptsystem Whomp, entworfen und program­miert von Alejandro Paul (Sudtipos), für 75 € statt 99 €.

Der ameri­ka­ni­sche Schilder- und Werbemalers Alf R. Becker stand Pate bei der Entwicklung von Whomp. Seine Berufslaufbahn star­tete 1932 mit der Gestaltung einer Reihe von Alphabeten, die im christ­li­chen Magazin »Signs of the Times« einge­setzt wurden. Im Durchschnitt entstand auf diese Art ein Entwurf pro Monat. Als Becker 100 solcher Schreibschriften ausge­ar­beitet hatte, veröf­fent­lichte er diese in einem Buch, das Kult wurde unter den Schildermalern der USA. Doch erst in den späten 1990er seiner Entwürfe wieder­ent­deckt und teils digitalisiert.

Becker war in erster Linie Kalligraf und Schildermaler. Seine Werke waren – typo­gra­fisch gesehen – meist unvoll­ständig, aber voller Variationen und Inspirationen. Dies trifft auch auf die Vorlage von Whomp zu, eine Handvoll Wörter aus einer Headline. Der auf Schreibschriften spezia­li­sierte Alejandro Paul baute daraus eine komplette Schreibschrift, wobei er die OpenType-Technik geschickt nutzt, um den digi­talen Formen mit vielen Varianten Leben einzu­hau­chen. So entstanden über 100 Buchstabenalternativen, unge­zählte Ligaturen und jede Menge schwung­voller Buchstabenendungen im Stil von Alf R. Becker. Es mag zur Whomp die eine oder andere Script-Alternative auf dem Markt geben, aber keine ist so lebendig und individuell.

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»Ale« Paul unter­richtet Grafikdesign und Typografie an der Universität in Buenos Aires. Er wurde mehr­fach für seinen Schriften ausgezeichnet.

Weitere Informationen, Schriftmuster und Anregungen in der 10-seitigen Whomp-Broschüre (PDF, 1,9 MB), aus der auch die Abbildungen stammen.


Ein Blütenlogo für die UEFA EURO 2012

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In Kiew wurden vor wenigen Minuten das offi­zi­elle Signet, das Corporate Design und der Slogan für die Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine vorge­stellt. Die beiden Gastgeber wollen »Zusammen Geschichte schreiben«, so das Motto des Turniers. Höhepunkt der Zeremonie war die Enthüllung des Logos vom Präsidenten des Polnischen Fußballverbands, Grzegorz Lato, seinem ukrai­ni­schen Amtskollegen Grigoriy Surkis und UEFA-Präsident Michel Platini.

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In der offi­zi­ellen Verlautbarung der Veranstalters UEFA heißt es: »Mit dem Logo möchte man der UEFA EURO 2012™ eine eigene Persönlichkeit geben. Die visu­elle Identität wird sich auch auf Promo-Artikeln, den Eintrittskarten und Internet-Bannern wieder­finden. Ziel ist es, das Turnier – welches zu den größten Sportereignissen der Welt zählt – weiter zu vermarkten und es mit einem Wiedererkennungswert zu versehen.«

Bei der Konzipierung des Logos wurde darauf geachtet, dass die Gastgeber darin fest veran­kert sind und so orien­tierte man sich am »wycin­anka«, einer tradi­tio­nellen Art Schnittbilder aus Papier herzu­stellen, wie es vor allem in den länd­li­chen Gegenden in Polen und der Ukraine geschieht. Damit soll auch die Tier- und Pflanzenwelt der Region gewür­digt werden. Das Logo besteht aus zwei Blüten, die jeweils eine Gastgebernation reprä­sen­tieren, und einem Ball in zentraler Position zur Verdeutlichung der Emotion und der Leidenschaft, die der Wettbewerb mit sich bringt. Der Stiel kenn­zeichnet den struk­tu­rellen Aspekt des Turniers, also die UEFA und den euro­päi­schen Fußball. Die Natur diente auch als Inspiration für weitere Eigenschaften des CI, so steht grün für die Waldgebiete, gelb für die Sonne, blau für das Wasser und den Himmel.

Das 2-minü­tige UEFA-Video »The Brand Story« verrät mehr über die Typografie, Farbgebung und das Zusammenspiel der Formen im Corporate Design der Fußball EM 2012:

Das Motto der Europameisterschaft lautet »Zusammen Geschichte schreiben«. Die Austragung der UEFA-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine hat einen Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher, weil noch nie zuvor ein Turnier in Zentral- und Osteuropa durch­ge­führt wurde.


Wie Top-Designer die Nuller ehren

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Vielleicht sitzt der ein oder andere Kollege noch am Layout einer Neujahrskarte oder plant einen digi­talen Gruß … das aktu­elle New-York-Magazin hält einige Anregungen bereit. Mathematisch endet das erste Jahrzehnt zwar erst am 31. 12. 2010, aber die »Nuller Jahre« – also die 10 Jahre von 2000 bis 2009 – laufen tatsäch­lich in 20 Tagen aus. Zu diesem Anlass hat New York promi­nente »Imagemaker« dazu einge­laden, das Ende von Doppelnull visuell zu insze­nieren. Unter den Teilnehmern sind die TYPO-Sprecher David Carson und Marian Bantjes, sowie Fellow Designers, Jonathan Gray, Mario Hugo, Studio 8, Matt Owens und Alex Trochut. Besonders aufwendig: das Holzmodell von St. John (Abb. oben links). Ein Diashow aller Motive …

(via CR)


Last-Minute-Weihnachtstipps [Update]

Ab heute jeden Tag 2 bis 3 schnelle Design-Geschenktipps für Weihnachten. Nicht nur FontShop-Produkte – ganz im Gegenteil. Doch damit die Kaufanreize die Fontblog-Berichterstattung nicht allzu sehr stören: Nur auf Twitter …

[Update: Schon 5 echte Geschenkgeheimtipps veröf­fent­licht, alle nicht im Laden erhält­lich … Gmund-Papeterie, Pacifico-Kalender, Typo-Zollstock, Museumsbuchstaben, Designer-Bewerber-Ratgeber, …)


Suhrkamp Frankfurter Reihe

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»Frankfurt trauert um Suhrkamp. Dieser Tage zieht der Verlag nach Berlin. Die Hauptsstadt soll ihn wieder nach vorne führen, das wünschen ihm sicher alle Frankfurter.

Aus der Frankfurter ›Trauer‹ wurde eine Idee geboren, durch die man weiterhin mit der Stadt verbunden bleiben könnte: die Frankfurter Reihe. Autoren und Themen der Mainmetropole würden den Inhalt bestimmen, dazu bereits vorhan­dene Titel aus der Backlist und Neuerscheinungen.

Und die Fleckhaus’sche Reihe Bibliothek Suhrkamp würde Pate dafür stehen. Kaum verän­dert, nur der Balken bliebe stets rot auf weiß = Stadtfarben!

Darf man so mit Legenden umgehen?

Kurzerhand habe ich Fleckhaus’ Tochter, Nelly Fleckhaus kontak­tiert. Sie war begeis­tert. Nur die Witwe, wie sie in Frankfurt genannt wird, ist dagegen. Berlin, Berlin wir fahren nach Berlin …

Bevor es in der Schublade verschwindet, geht es kurzer­hand online nach Berlin zu Fontblog.

Herzliche vorweih­nacht­liche Grüße aus Frankfurt«

Wilhelm Opatz


Neu auf font​blog​.wpen​gine​.com (2)

Experten empfehlen. Im iTunes-Store heißen sie Playlists, die Lieblingssongs der Stars. FontShops Promicharts heißen Schriftkoffer der Experten. Lesen Sie, was Lukas Kircher (KircherBurkhardt) unter Charakter versteht, warum Fedra Alexander Bartels (Heye & Partner) große Liebe ist und wen Dirk Bartos (BartosKersten) mit auf die einsame Insel nehmen würde.

icon_einsNeuer Hersteller Büro Dunst. Christoph Dunst wurde 1979 in Berlin geboren. Nach einer Ausbildung bei der Agentur Wir-Design in Braunschweig zog er nach Den Haag, um Schriftdesign zu studieren. Seit 2009 lebt und arbeitet er wieder in Berlin, wo er gerade seine bemer­kens­werte Großfamilie Novel veröf­fent­lichte (nomi­niert für den Designpreis 2010 der Bundesrepublik).

icon_einsFF Masala von Xavier Dupré. Die neuste Schrift von Xavier Dupré ist ein raffi­niertes Lettering-Paket, basie­rend auf einer »pinse­ligen« Sans (Regular, Bold, Black) mit 3 kalli­gra­fi­schen Kursiven. Sie schlagen die Brücke zur schwung­vollen Masala Script, eben­falls in Regular, Bold und Black. Mit dieser Ausstattung ist FF Masala ein einzig­ar­tiges Editorial- und Packaging-Script-Paket.


Die ersten digitalen Bezahlzeitungen [Update]

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Heute morgen brachte der Axel-Springer-Verlag als erster deut­scher Zeitungsverlag zwei seiner Objekte digital und mit Bezahlkonzept ins Netz: BILD und WELT (Kompakt) für das iPhone. Das BILD-Leseprogramm (App-Store-Link) zum Empfangen der Inhalte kostet zur Zeit 0,79 €, der WELT-MOBIL-Reader 1,59 € (App-Store-Link). Beide Programme stellen die Tageszeitung wahl­weise inter­aktiv oder als PDF dar, letz­teres ab 22:00 Uhr des Vortrages. Das Abonnement der tägli­chen Inhalte ist für die kommenden 30 Tage kostenlos. Die BILD kostet danach ohne PDF 1,59 € für 30 Tage, inklu­sive Vorab-PDF schlägt das Monatsabo mit 3,99 € zu Buche; das WELT-Abo kostet 2,99 € (ohne PDF) bzw. 4,99 (inkl. PDF).

Beide Zeitungskonzepte basieren auf dem glei­chen Player, der 5 Ansichten im Schnellzugriff bereit stellt. Bei der BILD-Zeitung sind das die Startseite, der für das iPhone opti­mierte inter­ak­tive iView-Modus, das PDF (16 Seiten), das Mitmachprotal Leserreporter und die erwei­terte Menü-Auswahl. Hinter letz­terem verbergen sich auch – für das iPhone opti­mierte – Darstellungsformen, die mancher Nutzer viel­leicht auch pein­lich findet, zum Beispiel ein BILD-Girl, dem man die Kleidung wegschüt­teln kann.

WELT MOBIL stellt als PDF die 32-seitige Welt Kompakt dar, statt der Leserreporter gibt es eine Suche. Im erwei­terten Menü finden sich über 20 zusätz­liche Angebote, u. a. ein Wecker, der direkte Zugang zu den Welt-Tweets, ein 18:00-Uhr-Quiz, das Fernsehprogramm, Wetter und vieles mehr. Hübsch gemacht ist die iWelt, ein virtu­eller Globus, den man per Fingerzeig rotiert. Alle Orte zu denen die WELT aktu­elle Nachrichten bereit hält, sind mit roten Punkten markiert. Klickt man darauf, erscheint ein Pop-up-Fenster mit der Headline des jewei­ligen Artikels und einem passenden Bild, ein weiterer Klick führt zur ausführ­li­chen Meldung.

Beide Applikationen bedienen sich, nach Zustimung des User, der iPhone-Dienste Push-Benchrichtigung (für Eilmeldungen) und der Ortsbestimmung (für lokale Nachrichten und das Wetter). Die PDFs lassen sich mittels Vergrößerung (einmal Tippen oder Auseinanderziehen) über­ra­schend gut durch­forsten, was bei der BILD-Zeitung an den kompakten Meldungen liegt und bei Welt Kompakt am nativen Kleinformat.

Beide Angebote seien, so der Axel-Springer-Verlag, der Versuch, sich über eine lang­fris­tige Investition gegen die »Gratiskultur« im Internet zu stellen. Die Verleger hätten zehn Jahre zuge­schaut, wie sich kosten­freie Angebote im Internet breit machen, teilte Axel-Springer-Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Döpfner in einer Pressenotiz mit. Es zeige sich, dass mögli­cher­weise die Online-Werbung nicht ausreiche, um Qualitätsjournalismus im Netz zu finanzieren.

Nicht zuletzt ist der iPhone-Vorstoß auch das Ergebnis einer neuen IT-Philosphie des Berliner Großverlags, der im vergan­genen Jahr zum Apple-Großabnehmer wurde. Döpfner begrün­dete diesen Schritt in einer Video-Botschaft an die Mitarbeiter unter anderem mit dem Ziel, neben dem tech­ni­schen auch »den kultu­rellen Wandel im Unternehmen zu beschleu­nigen« (Fontblog berich­tete: Axel Springer verap­pelt den gesamten Konzern).

Vor einigen Monaten hat ein Apple-Fanblogger bei Axel Springer recher­chiert und erfahren, mit welcher Neugier der Konzern die neue Technik inte­griert und für seine Produkte in Erwägung zieht. Einen Zusammenschnitt seiner Recherche habe ich eben auf YouTube gefunden:

[Update: Bei diesem Beitrag scheint es sich nicht um ein Fanblog-Video zu handeln, sondern einen Apple-PR-Beitrag, … wie ein Leser heraus­ge­funden hat.]


Der neue grafische Auftritt des Deutschen Bundestags

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Der Deutsche Bundestag hatte bis zuletzt kein übergreifend einheit­li­ches Erscheinungsbild. Nach einer deutsch­land­weiten Ausschreibung wurde das Stuttgarter Büro Uebele mit der Entwicklung einer visu­ellen Identität betraut. Der Wettbewerb stellte zunächst die Frage, ob der  direkt gewählte Souverän der Republik über­haupt ein »Logo« brauche. Die Antwort war »Jein«, denn er hat bereits ein Signet mit hohem Bekanntheitsgrad, das aller­dings über Jahre ohne einheit­liche Spielregeln verwendet wurde.

Signet: Der drei­di­men­sio­nale Adler, 1953 entworfen vom Kölner Künstler Ludwig Gies, hält durch formale Abstraktion auf sympa­thi­sche Weise die Balance zwischen hoheit­li­cher Distanz und einer natu­ra­lis­ti­schen Darstellung. Und weil jeder Mitarbeiter und jedes Mitglied der Institution dieses Zeichen mit Stolz trägt oder verwendet, spricht alles dafür, diese ikono­gra­fisch eindeu­tige Marke zu behalten. So wurde das Wappentier von Uebele ledig­lich für die zwei­di­men­sio­nale Benutzung über­ar­beitet, die jedoch eng am Giesschen Adler ange­lehnt ist. Der neue Adler wurde – für die Kleindarstellung – einfa­cher gestaltet. Das Gefieder ist auf eine Lage redu­ziert und die Binnenlinien sind dicker gezeichnet, um den druck­tech­ni­schen und Hinterlicht-Anwendungen gerecht zu werden. Die Schnabelendung ist durch einen klei­neren Radius freund­lich gezeichnet. Alle Teile der Figur weisen ähnliche Radien und Formenmerkmale auf.

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Der Bundestagsadler vorher (Strichzeichnung) und nachher

Farbe: Die Farben der neuen visu­ellen Identität sind schwarz, weiß, silber und grau. Sie entspre­chen dem hoheit­li­chen und seriösen Auftritt. Das Farbklima ist auch die Folge einer grafi­schen Konsequenz, denn die Form des Bundestagsadlers verträgt sich nur schwer mit Farbe, weil sie ihre souve­räne und selbst­ver­ständ­liche Kraft aus dem einge­führten Symbol schöpft. Grautöne ergänzen die Palette zu einem ruhigen, ausdrucks­starken Klang.

Schrift: Der kräf­tigen Bildmarke mit den vielen Radien steht eine feine, aber strenge und klar konstru­ierte Schrift gegen­über: die seri­fen­be­tonte Melior, 1952 entworfen von Hermann Zapf. Ihre Rundungen sind eine Zwischenform von Kreis und Rechteck und ermög­li­chen so eine band­ar­tige Wirkung der Wortbilder, die das Auge beim Lesen unter­stützt. Für digi­tale Anwendungen wie Internet und E-Mail wird als Ersatz die Systemschrift Georgia eingesetzt.

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Design: Nach einer deutsch­land­weiten Ausschreibung wurde das Büro Uebele Visuelle Kommunikation aus Stuttgart, sowie sieben andere Teilnehmer, zu einem Wettbewerb für das Erscheinungsbild des deut­schen Bundestags einge­laden. In dem mehr­stu­figen Verfahren erhielten nach der ersten Präsentation noch drei Büros die Chance zu einer zweiten Präsentation vor dem Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert. Die mit fünf Grafikdesignern kompe­tent besetzte Jury entschied sich einstimmig für den Entwurf von Büro Uebele.

(Abbildungen und Text basieren auf einer Pressemitteilung von Büro Uebele, Stuttgart; Bundesadler © Prof. Ludwig Gies/Überarbeitung Büro Uebele).