Fontblog Artikel im Januar 2007

100 beste Schriften (2)

Paris, Heiligabend 1534. Während sich unge­zählte Familien an den leuch­tenden Augen ihrer Kinder erfreuen, erlebt der 35jährige Claude Garamond am Place Maubert den gräss­lichsten Moment seines Lebens. Mit Tränen in den Augen sieht er seinen Lehrmeister und Drucker Antoine Augereau auf dem Scheiterhaufen brennen, zusammen mit seinen Büchern.

Claude Garamond ca. 1543

Es sind turbu­lente Zeiten zu Beginn der fran­zö­si­schen Renaissance, voller Glauben an den Geist, die Schrift, das Buch, den Humanismus. Die Bibel wird erst­mals in der Volkssprache gedruckt, Plakate gegen die Heilige Messe sind Vorboten der Reformation, Luthers Thesen machen die Runde … reli­giösen Machtkämpfe kündigen sich an.

Augereau soll Pamphlete gegen die katho­li­sche Kirche verfasst haben. Tatsächlich ist er das Bauernopfer seiner Auftraggeberin Marguerite von Navarra, Schwester des Königs und begeis­terte Luther-Anhängerin. Die mäch­tigen Theologen der Sorbonne waren schlicht zu feige, gegen die adelige Publizistin vorzugehen.

Die Pariser Grand-Rue Saint-Jacques war der Tummelplatz für aufge­schlos­sene Drucker und Verleger. Einer von ihnen war Antoine Augereau, der die Auffassung vertrat: Neue Ansichten brau­chen neue Schriften. Sein Lehrling Claude, der schon mehr­fach sein Talent als Stempelschneider unter Beweis gestellt hat, nahm diese Herausforderung nach wenigen Berufsjahren an.

Master-Vorlage für die heutige Garamond: Egenolff-Berner-Schriftmuster (1592)

1530 schnitt er für den berühmten Drucker Robert Estienne unter den Augen seines Lehrmeisters eine eigene Cicero-Type (12 Punkt), die große Bewunderung auslöste. Fast hundert Jahre später, um 1620, wird sie unter seinem Familiennamen Garamond von Schweizer Jean Jannon nach­ge­schnitten und erlangt bald darauf Weltruhm.

Nach dem Tod Augereaus gründet Claude Garamond in der Rue des Carmes seine eigene Werkstatt. Hier perfek­tio­nierte er seine Antiqua-Lettern. Auf Anregung des Rektors der Sorbonne, Jean de Gagny, entwirft er einen kursiven Schnitt zu seiner Cicero von 1530, der späteren Garamond. Dieser kursive Schnitt gilt unter Schriftgestaltern bis heute als der Inbegriff ästhe­ti­scher Vollkommenheit.

Nach Garamonds Tod 1561 ging ein Teil seines Typenrepertoires in den Besitz der Imprimerie Royale über. Die meisten Matrizen und Stempel wurden jedoch von Christophe Plantin aus Anvers erworben, sieben Antiqua-Serien auch vom Frankfurter Schriftgießer Jacques Sabon (später Egenolff-Berner).

Nach fast 200-jährigem Dornröschenschlaf wurden sie 1928 in der deut­schen Garamond-Stempel auf Basis der alten Spezimen aus der Gießerei Egenolff-Berner, revi­ta­li­siert. Viele Stempelschneider, Schriftgießer und Schriftgestalter nahmen sich seitdem »die Garamond« für ihre eigene Schrift zur Vorlage. So auch Tony Stan für seine ITC Garamond und Jan Tschichold für seine Sabon-Antiqua.

Robert Slimbachs Adobe Garamond zählt aufgrund ihrere Vitalität zu den besten Digitalversionen (Abb: Adobe)

Unter den digi­ta­li­sierten Garamonds gilt die von Adobe als eine der besten. Als Vorlage diente Robert Slimbach zunächst ein Egenolff-Berner-Schriftmuster aus dem Jahr 1592. Nach Recherchen im Plantin-Moretus-Museum in Antwerpen, entschied sich Slimbach für eine weitere Überarbeitung des Erstentwurfs, um den Lettern mehr Vitalität und Authentizität zu geben. Auch die Zierbuchstaben, Ornamente, histo­ri­sche Ligaturen und die Titelsatz-Lettern in der Adobe Garamond verdanken wir dieser Studienreise.


100 beste Schriften (3)

Anfang den 60er Jahren platzt der Pariser Flughafen Orly aus allen Nähten. Am 13. Januar 1964 beschließt der fran­zö­si­sche Ministerrat, auf dem dünn besie­delten Ackergelände nahe der Dorfschaft Roissy-en-France einen neuen Großflughafen zu errichten.

Adrian Frutiger, einer der bedeu­tendsten Schriftentwerfer unserer Zeit, aufge­nommen 2004 in seiner Schweizer Heimat Interlaken

Der Architekt Paul Andreu wird mit dem Entwurf des »Aéroports Paris Nord« (Arbeitstitel) betraut. Er veran­staltet eine Serie von Workshops mit Architekten, Designern, Psychologen und Künstlern, denn in Roissy soll Wegweisendes entstehen. Unter den Experten: Der junge Schweizer Schriftentwerfer Adrian Frutiger, der mit seiner 1957 erschie­nenen Erfolgsschrift Univers (100 beste Schriften, Platz 10) die Beschilderung entwi­ckeln soll.

Doch Univers ist ihm zu geome­trisch und geschlossen für die schnelle Wahrnehmung auf Wegweisern. Also greift auf einen 7 Jahre alten Sans-Serif Entwurf namens Concorde zurück, den er mit André Gürtler für das Satzunternehmen Sofratype gezeichnet hatte.

Erste Entwürfe für die Schrift Concorde (Adrian Frutiger/André Gürtler, 1959), dem Vorläufer der Frutiger (Abbildung: www​.lino​type​.com)

Farbpsychologen legen für das Leitsystem einen gelben Hintergrund fest, die fran­zö­si­schen Hinweise sollen in weiß, die engli­schen in schwarz aufge­druckt werden. Für die Workshop-Präsentation greift Frutiger zu Letraset-Farbfolien. Das Wort ›Départs‹ schneidet er mit einer kräf­ti­geren Concorde aus, das schwarze ›Departures‹ klebt er darunter auf. Die bessere Lesbarkeit gegen­über Univers über­zeugt sofort alle Experten. Und Paul Andreu ist begeis­tert von der Idee einer eigenen Flughafenschrift.

Diese Präsentation über­zeugte 1966, die Flughafenschrift Frutiger war geboren (Grafik: FontShop)

Als der Aéroport Charles de Gaulle im März 1974 einge­weiht wird, setzt auch das Leitsystem Maßstäbe. Typografen aus aller Welt wünschen sich die Schrift für Drucksachen. 1977 bringen die D. Stempel AG und Linotype erste Frutiger-Schnitte auf den Markt. Sie werden rasch zum Bestseller und mehr­fach erwei­tert, zuletzt 1999 vom Schöpfer selbst (Frutiger Next).

Zwei Jahren nimmt er sich Zeit für die Next-Version. Alle Zeichen werden neu digi­ta­li­siert, wobei die Grundformen nahezu unver­än­dert bleiben. Lediglich das ß und das et-Zeichens entstehen neu, s und t erfahren ein dezentes Facelifting. Die Strichstärkenabstimmung ergibt nun 6 statt 5 Stufen, und eine echte Kursive rundet Frutiger Next ab.


Bis heute kaum verän­dert im Einsatz: Die Frutiger auf dem Leitsystem des Pariser Flughafens Charles de Gaulle (Foto: Siebert)


100 beste Schriften (4)

Im Juni 1766 sind alle Reisevorbereitungen getroffen. Der 26-jährige Graveur Giambattista Bodoni, Sohn eines italie­ni­schen Druckers, verlässt Rom, um die zwei­wö­chige Fahrt zur Cambridge University Press anzu­treten. Im Gepäck die aktu­elle Lieblingslektüre: das Neue Testament, gedruckt von »Vollender der klas­si­zis­ti­schen Antiqua« John Baskerville, dem Direktor der Universitätsdruckerei. Bei ihm will Bodoni seine Schriftschneiderlehre abschließen.

Noch vor der öster­rei­chi­schen Grenze setzt ein Fieberanfall der Expedition ein abruptes Ende: Malaria! In einem nord­ita­lie­ni­schen Sanatorium erholt sich Bodoni schneller als die Ärzte erwarten. Dabei schneidet er, ohne neue Pläne zu schmieden, Tag für Tag Schriften. Nach einem Besuch in Parma wird er dort 1768 Leiter der Stamperia Reale. Auf Wunsch einiger kunst­fa­na­ti­scher Fürsten soll er der Druckerei landes­weite Bedeutung verschaffen.

Bis zu seinem Tode 1813 arbeitet Bodoni am Manuale Tipografico, das seine Witwe 1817 voll­endete. Auflage: 250 Exemplare.

Um Bodoni an den Hof zu binden, erlaubt ihm Prinz Ferdinand von Bourbon-Parma 1771 die Errichtung einer privaten Buchdruckerei im Palast. Hier entstehen bald Folianten und Prachtausgaben von Klassikern, die euro­pa­weit für Aufsehen sorgen, weil Bodoni fast jede Ausgabe in einer neuen Schrift setzt. Seine Perfektion – vom Schriftschnitt bis zur Wahl der Papiere – bringt ihm den Ruf »Drucker der Könige und König der Drucker.«Über 40 Jahre leitet Bodoni die Stamperia Reale, bis zu seinem Tod 1813. In den folgenden 5 Jahren sichtet seine Witwe Margherita den entstan­denen Schrift-Schatz. Die Druckerei ist fast ausschließ­lich für das Erbe ihres Mannes im Einsatz. 1817 schließ­lich bringt sie das zwei­bän­dige Manuale Typografico (Handbuch der Typografie) heraus, in einer Auflage von nur 250 Exemplaren. Mit 142 Alphabeten, den dazu­ge­hö­rigen Kursiven, Schreibschriften und Ornamenten beschäf­tigt es bis heute die Bodoni-Interpreten.

Beim Setzen mit der könig­li­chen Schrift ist zu beachten, dass die harmo­ni­schen Formen und der klare Kontrast zwischen Schwarz und Weiß Sorgfalt beim Umgang voraus­setzt. Bodoni ist keine klein­ka­rierte Bürokratenschrift. Und sie ist auch nicht sehr prak­tisch. Wenn es jedoch gilt, einem lesens­werten Text Geltung zu verschaffen, mache man es wie Bodoni selbst: viel weißer Raum, groß­zü­giger Zeilenabstand und mindes­tens 10 Punkt Schriftgröße.

Eine von 142 gera­de­ste­henden Bodoni-Schriften im Manuale Typografico (Abbildungen mit freund­li­cher Genehmigung von Octavo/Bridwell Library)


Wetten, dass …? die typografischen Höhepunkte …

Beyoncés (Destiny’s Child, »Dreamgirls«) präsen­tierte ihre neue Single »Listen« vor ihrem aus Fraktur gesetzten Namenszug

Um Buchstabensuppe drehte sich die Kinderwette; beim Bühnenbild konnten sich die Maler typo­gra­fisch austoben.

Die Buchstaben-Brille von Wettkandidat Florian Wittekind (7 Jahre, Schüler) aus Heidelberg (alle Abbildungen: ZDF-TV-Stills)


100 beste Schriften (5)

Punkt 22:00 Uhr setzt sich der Fackelzug bei strö­mendem Regen in Bewegung. Zu den Klängen einer SA-Blaskapelle marschieren Studenten, Professoren und Verbände der SA und SS durchs Brandenburger Tor, eskor­tiert von berit­tener Polizei. Ihr Ziel: der Opernplatz (heute Bebelplatz), wo tags­über ein Scheiterhaufen aufge­schichtet wurde. In wenigen Minuten werden die »zerset­zenden« Bücher von Heinrich Heine, Erich Kästner, Karl Marx, Kurt Tucholsky und vielen anderen »dem Feuer über­geben«. Eine Streitschrift mit dem Titel »Kulturbolschewismus?« steht nicht auf der braunen Liste vom 10. Mai 1933 …


Die beste Renner-Biografie schrieb der FontFont-Designer Chris Burke 1998: »The Art of Typography«

Die leiden­schaft­liche Verteidigung der Moderne in Architektur und Bildender Kunst, verfasst von Paul Renner, erschien ein halbes Jahr zuvor beim Verlag Eugen Rentsch in Zürich. In seinem Heimatland fand der Autor schon 1932 keinen Verleger mehr. Beim Erscheinen hetzt der Völkische Beobachter erwar­tungs­gemäß gegen den Künstler. Im April 1933 wird Renner inhaf­tiert und muss die Leitung der Meisterschule für Buchdrucker in München abgeben. Einen Monat später flieht er in die Schweiz.

Paul Renners Glück war, dass er 1927 die erfolg­reiche Futura-Schriftfamilie auf den Markt brachte. Die Erlöse aus den Urheberrechten sicherten dem kalt gestellten Vordenker während der Nazizeit seine Existenz.


Reproduktion des Bauerschen Futura-Schriftmusters mit der jüngst erschie­nenen Futura OpenType von Elsner + Flake

Futura, deren erste Entwürfe auf das Jahr 1924 datieren, war stark vom Bauhaus inspi­riert. Renner betrach­tete sie als die Überwindung der »Unvereinbarkeit von römi­scher Versalschrift und den latei­ni­schen Kleinbuchstaben, die der hand­schrift­li­chen karo­lin­gi­schen Minuskel entstammen«. Seine Futura war der Prototyp einer geome­tri­schen (konstru­ierten) seri­fen­losen Linear-Antiqua.

Zwar hielt Renner bei der Erstveröffentlichung an befremd­li­chen (»anti­hand­schrift­li­chen«) Formen für a, g, n, m und r fest (siehe Abbildung oben), doch ihren Siegeszug trat Futura ohne diese Figuren an. Im ersten Schriftmusterblatt der Bauerschen Gießerei von 1927 wurden sie als »Spezialfiguren« ange­priesen, das zweite von 1928 zeigte sie gar nicht mehr.

Die jüngst erschie­nene OpenType-Version der Futura von Elsner + Flake enthält den original Rennerschen Zeichenvorrat.


Die Volkswagen-Headline-Schrift basiert auf einer Futura, die 1998 über­zeu­gend von MetaDesign über­ar­bei­tete wurde


Palatino Sans ist da

Am Ende meines gest­rigen Besuchs bei Linotype bekam ich ein Premiere über­reicht: Die erste produ­zierte Palatino-Sans-Font-CD. Die neue Schriftfamilie ist eine Ergänzung zu Hermann Zapfs Palatino Nova und mehr als eine Besonderheit. Über 50 Jahre nach Erscheinen seiner erfolg­rei­chen Antiqua-Schrift Palatino legt der Darmstädter Schriftentwerfer eine passende Sans auf. Die Entwürfe dafür entstanden aller­dings schon 1973 (Abbildung oben).

Zu Goethes 200. Geburtstag erschien 1949 in Frankfurt am Main das Büchlein »Von der drei­fa­chen Ehrfurcht – Gedanken Goethes über Erziehung zu edlem Menschentum« (numme­riert, Auflage 1000 Exemplare). Schriftfreunde zahlen heute ein kleines Vermögen für diese Drucksache, gesetzt aus einem Probegrad der Palatino.

Ein Jahr später erscheint Hermann Zapfs erfolg­reichste Schrift offi­ziell, sowohl für den Handsatz wie auch den Linotypesatz. Der kursive und der halb­fette Schnitt folgen 1951. Das Gutenberg-Jahrbuch gehört zu den ersten Benutzern der Palatino und adeln sie damit. Der inter­na­tio­nale Durchbruch begann, als 1956 die Standard Oil Company ihren Jahresbericht in Palatino setzte.

Mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung wurde die Schrift 2004 als Palatino Nova – komplett über­ar­beitet – neuver­öf­fent­licht. Die sorg­fäl­ti­gere Digitalisierung und ein größerer Zeichenvorrat machen die Beschränkungen von Blei- und Photosatz vergessen.

Die nun erschienen Palatino Sans ist eine bemer­kens­werte OpenType-Schriftfamilie … fast könnte man sagen: Erst die neue Font-Technik berech­tigte zur Herausgabe dieser Ergänzung. Die 21 Fonts glänzen mit sympa­thi­schen Raffinessen, die erst durch OpenType komfor­tabel nutzbar werden: außer­ge­wöhn­liche Ligaturen, Mediäval-, Tabellen-, Ordinal- sowie Hoch- und Tiefziffern, Kapitälchen und unge­zählte Sonderzeichen.

Die Familie glie­dert sich in zwei Stränge: Palatino Sans (Standard) und Palatino Sans Informal, wobei die zweite mehr kalli­gra­fi­sche »Effekte« aufweist. Beide Teilfamilien bieten 5 Strichstärken (Ultra Light, Light, Regular, Medium, Bold) plus 5 echte Kursive; ein Sonderschnitt enthält amüsante Pfeile und spezi­elle Ligaturen.

Palatino Sans ist ein Kuriosum, eine Art Echo aus der Vergangenheit. Wenn sie von einer neuen Generation von Anwendern über­zeugen einge­setzt wird, dürften auch die klas­si­sche Palatino und die Palatino Nova in neuem Licht erscheinen. Es wäre bedau­er­lich, das Potential der Sans ledig­lich in den ange­stammten Revieren der Palatino zu vergeuden: Historisches, Poetisches, Urkunden oder gar Beileidsanzeigen. Palatino Sans kann mehr, sie will entdeckt werden …


100 beste Schriften (6)

Dem Geschäftsführer der Londoner Tageszeitung The Times, William Lints-Smith, ist zu Ohren gekommen, dass sich der ange­se­hene Typograf Stanley Morison (40) abfällig über die Druckqualität seiner Zeitung geäu­ßert habe. Am 1. August 1929 sitzen sich beide im Verlagsgebäude gegen­über, um über eine Umgestaltung des Blattes zu sprechen.

Morison, seit 6 Jahren künst­le­ri­scher Berater des Satzgeräteherstellers Monotype, beein­druckt den Zeitungsmann mit guten Argumenten, worauf der ihm spontan einen Beraterjob anbietet. Es kommt gleich zur ersten Machtprobe, als Morison ankün­digt, dass der Punkt hinter »Times« im Zeitungskopf sein Redesign nicht über­leben werde. Lints-Smith berät sich mit den Herausgebern und stimmt eine Woche später zu.

The Times im Wandel der Zeiten:
1: Die erste Ausgabe vom 1. Januar 1788, gesetzt u. a. in Caslon
2: Vor dem Redesign: gebro­chene Schrift und ein Punkt hinter »Times«
3: Einführung der Times New Roman durch Stanley Morison am 3. Oktober 1932
4: Die Schrift Claritas in der Ausgabe vom 23. April 1953
5: Times Modern, seit 20. November 2006, entworfen von Luke Prowse

Ende 1930, nach uner­gie­bigen Experimenten an den Druckmaschinen, entscheidet Morison, dass die Zeitung eine eigene, neue Schrift braucht. Im Januar 1931 legt er zwei Entwürfe vor: eine über­ar­bei­tete Perpetua und eine moder­ni­sierte Plantin. Eine Expertenrunde entscheidet sich für den zweiten Vorschlag, der kurz darauf als Times New Roman« welt­be­rühmt wird und die Times Old Roman ablöst.

Nach Morisons Vorgaben bringt der Times-Reinzeichner Victor Lardent eine erste Version der neuen Schrift zu Papier. Spezialisten bei Monotype über­ar­bei­teten den Entwurf für die Gravur und den Guss. Die Times-Ausgabe vom 3. Oktober 1932 erscheint erst­mals in der neuen Schrift, zunächst für ein Jahr exklusiv. Danach lizen­ziert Monotype seine Times für die Zeilengießmaschinen von Linotype und Intertype. 1934 kommt das erste aus der Times gesetzte Buch heraus, in den USA steigen die Magazine Time, Life und Fortune auf die Erfolgstype um.

Neue Druckmaschinen und bessere Papiersorten führen Anfang der 50er Jahre dazu, dass sich der Londoner Namenspatron von Times verab­schiedet. Eine Wiedergeburt erlebt die Schrift in den 80ern durch die Erfindung der Laserdrucker, die sie in digi­ta­li­sierter Form auf einem Speicherchip enthalten. Die Betriebssysteme Windows und Mac-OS, denen Times Roman beiliegt, sowie Web-Browser und Textprogramme sorgen über Jahre für die Präsenz der Schrift. Zuletzt sicherte das U.S. State Department ihre Zukunft, als es Anfang 2004 beschloss, dass alle diplo­ma­ti­schen Dokumente in Zukunft aus 14 Punkt Times statt aus 12 Punkt Courier gesetzt werden müssen.


Warum »100 beste Schriften«?

Hitparaden und Rankings erfreuen sich in vielen Industriezweigen großer Beliebtheit. In der Welt der Schriften gab es diese Art der Begutachtung bisher noch nicht … jeden­falls nicht in der von FontShop gewünschten Tiefe.

Unsere Rangliste unter­scheidet sich von den bisher bekannten Font-Charts, weil sie gleich­zeitig subjektiv und so objektiv wie möglich sein möchte. Der Grund: Die Benutzer der Schriften stimmen mit ab, indem FontShop seine eigenen Verkaufszahlen und diverse Hersteller-Umsatzlisten der letzten 10 Jahre in die Bewertung hinein nahm. Für die subjek­tive Gewichtung sorgte eine unbe­stech­liche Jury*, besetzt mit inter­na­tio­nalen Experten. Auf Basis der »kommer­zi­ellen« Vorauswahl konnte sie strei­chen und Neuzugänge nomi­nieren, umsor­tieren, ihr Veto einlegen, auf- oder abwerten. Nach mehreren Durchgängen einigten sich alle auf eine Liste der besten 100 Schriften.

Expertenlisten sind eine beliebte Entscheidungshilfe. Das Aussortieren aus einem Überangebot gehört zu den grund­le­genden Kulturstrategien … in der bildenden Kunst, der Musikindustrie, der Literatur oder im Sport. Wir vertrauen den Personen und Dingen, die einen Spitzenplatz einnehmen. Tatsächlich wird es bei einem wach­senden Angebot von inzwi­schen fast 40.000 Profi-Schriften immer schwie­riger, die Qualitätswerkzeuge im Auge zu behalten, mit denen sich sattel­fest gestalten lässt. In der schnell drehenden Informations- und Medienindustrie kann der Griff zu einem allge­mein aner­kannten Problemlöser lebens­ret­tend sein, genauer: jobrettend.

Nicht zu vergessen: der Unterhaltungswert von Bestenlisten. Es gibt kaum etwas Reizvolleres, als das Vergleichen der eigenen Auswahl mit der so genannten Expertenauslese. Auch unsere Jury-Mitglieder konnten dieser Verlockung nicht wider­stehen: Und so setzte jeder Juror der öffent­li­chen Top-100 seine ganz privaten Top-Ten entgegen, einschließ­lich Begründung. Nicht zuletzt als Entschädigung für das Diktat des Durchschnitts, dem eine neutrale Bestenliste unter­steht. Demnächst mehr dazu …

*Die Jury:
Roger Black (Danilo Black, Inc., USA)
Stephen Coles (Typographica, USA)
Jan Middendorp (Publizist, Berlin)
Veronika Elsner (Elsner + Flake, Hamburg)
Bertram Schmidt-Friderichs (Type Directors Club, Mainz)
Ralf Herrmann (TypoForum, Weimar)
Claudia Guminski (FontShop, Marketing und Redaktion)