Fontblog Artikel im Januar 2007

eBoy: Peter Stemmler geht

Auf der TYPO 2006 traten sie noch zu viert auf … jetzt verlässt Peter Stemmler nach rund 10 Jahren die Designtruppe eBoy (es bleiben: Kai Vermehr, Steffen Sauerteig, Svend Smital). Auf der eBoy-Website heißt es: »Peter is leaving eBoy to focus on his work at Quickhoney. We love you Peter! We love your work and we will all miss you! Good Luck at Quickhoney! Shall the sun shine for you!«Quickhoney sind Nana Rausch & Peter Stemmler. Sie leben und arbeiten in New York.


100 beste Schriften (7)

Der große deut­sche Corporate Designer Anton Stankowski (1906 – 1998) verkün­dete 1989 in einer Anzeige: »Ich akzep­tiere nur funk­tio­nale Schriften. Die Sie gerade hier lesen ist seit 60 Jahren meine bevor­zugte. Sie heißt Akzidenz Grotesk.« Was macht eine Schrift so begeh­rens­wert, dass sich ihr ein eman­zi­pierter Gestalter lebens­läng­lich unterwirft?

Für die Geburt der Akzidenz Grotesk gibt es kein Datum. Tatsächlich können sich einige als Vater der AG bezeichnen, wie Kenner sie gerne abkürzen. Bereits um 1880 entwarf der deut­sche Typograf und Hieroglyphen-Experte Ferdinand Theinhardt (1820–1909) für die Publikationen der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vier Schnitte einer Serifenlosen, die er Royal Grotesk nannte. 1908 über­nimmt Hermann Berthold die Theinhardtsche Schriftgießerei und inte­griert die inzwi­schen sehr beliebte »Royal« in seine Akzidenz Grotesk-Schriftfamilie unter der Bezeichnung »AG Mager«.
Der spätere Ziehvater der Akzidenz Grotesk, Günter Gerhard Lange, verweist auf Quellen, nach der ihr Normalschnitt 1899 bei Bauer & Co. in Stuttgart zur Welt kam, kurze Zeit später eben­falls ein Übernahmekandidat der H. Berthold AG. Diese stellte selbst kurze Zeit vorher eine Accidenz-Grotesk in einer Anzeige vor.

Günter Gerhard Lange führte Akzidenz Grotesk zu Zeiten des Fotosatzes zu einer harmo­ni­schen Familie zusammen (Foto: Marc Eckardt, TYPO 1999)

Das große Verdienst GG Langes war es, als künst­le­ri­scher Direktor der H. Berthold AG zwischen 1966 und 1972 die unter­schied­li­chen Zweige der Akzidenz-Grotesk für den Fotosatz zu einer harmo­ni­schen Familie zusam­men­zu­führen. Dies brachte der AG neue, glühende Anhänger. Und für viele ist sie noch heute die einzig wahre typo­gra­fi­sche Geliebte, neben der keine andere Schrift eine Chance hat.


100 beste Schriften (8)

Zwei Motive bewegten mich 1988 dazu, der International Typeface Corporation (ITC) eine neue Schrift vorzu­schlagen: erstens hatte ich die glatten, ›hübschen‹ Schriften satt, die von allen Herstellern auf den Markt kamen und zwei­tens fehlte eine moderne Korrespondenzschrift für Laserdrucker. ›Prima‹, sagte ITC ›dann mach das mal.‹
Mein Konzept sah vor, die Schreibmaschinen-Schriften Letter Gothic und Courier als Vorbilder zu nehmen, und daraus etwas neues zu schaffen. Dabei reprä­sen­tierte die Letter Gothic die schmal­lau­fende seri­fen­lose Version, Courier die breit­lau­fende Antiqua. Ich beschäf­tigte mich mit der Sans, mein Freund Gerard Unger bot an, den Grundstein für eine Serif zu legen.

Erik Spiekermann 1990 mit eine Vorversion der ITC Officina: fettere Punkturen, diskrete Mediävalziffern (Foto: Hanswerner Holzwarth)

Für die ersten Skizzen zur ITC Correspondence (Arbeitstitel) schielte ich mit einem Auge auf die Letter Gothic, mit dem anderen auf meine Post-Schrift (später: FF Meta; die Red.). Gerard Unger lieferte das Serif-Testwort ›Hamburgefonts‹, danach kam ihm ein wich­tiges Projekt dazwi­schen. Auch ich musste die Schrift liegen lassen. Dann war plötz­lich Frühjahr 1989.
Meine Rettung war Just van Rossum, der im Mai bei MetaDesign als Praktikant anfing. Er nahm sich meine Sans, berei­nigte die Ikarus-Daten und gene­rierte eine piek­feine Familie. Weil Gerard immer noch beschäf­tigt war, versuchten Just und ich daraus eine Slab-Serif zu konstru­ieren. Es sah prima aus. Ende 1989 gingen die Font-Daten zu URW, die per Automatik die abge­run­deten Ecken einbauten.
Als im Sommer ’90 die Kontrollabzüge von ITC aus New York kamen, war ich erst mal sauer, weil meine diskreten Mediävalziffern gegen Tabellenziffern ausge­tauscht waren, die URW gezeichnet hatte. Außerdem werde ich den Verdacht nicht los, dass jemand unsere kräf­tigen Punkturen leichter gemacht hat.

Erik Spiekermann (aus: Typen & Typografen, 1991)

Nachtrag: Im Frühjahr 2003 bringt FontShop mit Agfa und von Erik Spiekermann auto­ri­siert ein ITC Officina Komplettpaket im Sinne des Erfinders heraus


Die 100 abgelutschtesten Schriften aller Zeiten

Während sich FontShop gerade mit den 100 besten Druckschriften beschäf­tigt, wirft Manuel Bieh einen statis­ti­schen Blick in die Folterkammer der Schriftenwelt, das Internet. Aus Gründen der Kompatibilität herrscht hier Zwangsjacken-Typografie vor, denn auf die Frage eines jeden Designers – Welche Schriften kann/soll/darf ich verwenden? –, gibt es nur die eine Antwort: Die des Betriebssystem-Monopolisten Microsoft. Hierzu bemerkt der öster­rei­chi­sche Designer Jürgen G. Eixelsberger zu recht: »… (so) wird die Eintönigkeit des Webs nie enden.«

Auf Manuel Bieh’s Schriftstatistik-Seite sammelt ein Flash-Applet Informationen über die eigenen instal­lierten Schriften und gene­riert eine Statistik der am meisten instal­lierten Fonts. Da gibt es keine Überraschungen. Überraschend ist auch nicht, das keine dieser Namen in FontShops 100-beste-Schriften-Liste auftauscht, denn Bewertungszeitraum sind die letzten 500 Jahre und nicht die letzten 15. (Via: Praegnanz und Designblock)


Die Gedanken beim Schriftentwerfen

Immer wieder werde ich gefragt: Warum gibt es so viele Schriften? Oder: Warum werden über­haupt neue Schriften geschaffen? Anders als in der Kunst entstehen Schriften nicht, weil man eine Erleuchtung hat, sondern eine typo­gra­fi­sche Aufgabe zu lösen ist.

Weil Erik Spiekermann seit kurzem ein leben­diges Tagebuch führt, bekommen wir nun endlich mal Live-Einblicke in die Gedankenwelt eines Schritentwerfers. Es geht um die Hausnummern-Serie, die Spiekermann jüngst entwarf (Bericht im Fontblog mit wunder­barer Diskussion dazu). Gerade hat er veröf­fent­licht (Neue Nummern), warum die Meta-Hausnummern anders aussehen als die Ziffern der ihnen zugrunde liegenden Schrift. Ein Interview mit Rob Forbes zu dem Thema ist verlinkt.


100 beste Schriften (9)

Als sich Futura in Deutschland Ende der 20er Jahre zum Bestseller entwi­ckelt, sucht Stanley Morison für seinen Arbeitgeber Monotype ein briti­sches Äquivalent. Irgendwann Ende 1928 fällt ihm der Bildhauer und Zeichner Eric Gill ein, der 7 Jahre zuvor mit Edward Johnston eine beein­dru­ckende Sansserif für die Londoner U-Bahn mitent­worfen hat. So ähnlich könnte der »Futura-Killer« aussehen.


Eric Gill als junger Mann, zirka 1908 (© Harry Ransom Center)

Noch am selben Tag reist Morison ins wali­si­sche Nest Capel-y-ffin, wohin sich der 42-jährige Gill 1924 zurück­ge­zogen hat, um die Schrift Perpetua fertig­zu­stellen. Morison braucht nicht lange, um den Künstler davon zu über­zeugen, dass er der rich­tige Mann für den Job sei, zumal dieser noch jede Menge Schriftideen in der Schublade liegen hat.

Zwei Wochen später begut­achten sie beide in London alte und neue Skizzen von Schriften. Morison war erstaunt, dass viele der Johnston-Buchstaben mit nur wenigen Eingriffen eine vorzüg­lich lesbares Textschrift ergaben, trotz geringer Mittellänge. Der Grund: die Zeichen der neuen Gill-Schrift basieren zunächst auf Antiqua-Formen und Proportionen; erst in einem zweiten Schritt geome­tri­sierte ihr Entwerfer die Lettern.

Über 36 Garnituren der Gill Sans entstanden in den Jahren 1929 bis 1932 für den Bleisatz. Das beson­dere an der Grotesk – im Vergleich zur Futura – ist nicht allein der ausge­prägte Strichstärken-Kontrast: ja alle Schnitte weisen einen eigenen Charakter auf, weil sie nicht mecha­nisch aus einem Entwurf abge­leitet sind.


Das Geheimnis der Gill Sans: erst die Antiqua-Grundform, anschlie­ßend die geome­tri­sche Konstruktion; eine Zeichnung von Eric Gill von 1933 (Quelle: St Pride Printing Library, London)

Die Light mit einem ausla­denden f-Bogen und einem hohen t wirkt offen und elegant. Die Regular ist kompakt und muskulös, mit dem aufsit­zenden b, den oben platten p und q sowie dem t mit einem Dreieck als Abschluss. Die fette Gill Sans greift wieder den offenen Stil der Light auf, während Extra Bold und Ultra Bold einen gera­dezu exzen­tri­schen Stil pflegen. So spie­gelt die Gill-Sans-Familie das Verständnis ihre Schöpfers von Handwerk wider.

Die Qualität des bild­haue­ri­schen und typo­gra­fi­schen Werks von Eric Gill ist in der briti­schen Kulturgeschichte unbe­stritten. Gleichwohl wirft die 1989 veröf­fent­lichte Gill-Biografie von Fiona MacCarthy einen Schatten auf das Schaffen des Künstlers. Sein strenger Katholizismus hinderte ihn weder an einem inzes­tuösen Verhältnis mit der Schwester, noch am sexu­ellen Missbrauch seiner Kinder; in den Tagebüchern schil­dert Gill detail­liert ein sexu­elles Experiment mit dem Familienhund.


100 beste Schriften: Ergebnis Quizfrage

Ein großes Kompliment an den Sachverstand und das Einfühlungsvermögen der Fontblog-Leser. Auf meine Frage vom Freitag gab es 28 auswert­bare Antworten, darunter 2 Disqualifikation (1. wegen Anonymität, 2. wegen 20 statt 10 Antworten). Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben mehr als 5 Treffer gelandet:

8 Richtige: 2 x
7 Richtige: 7 x
6 Richtige: 7 x
5 Richtige: 3 x
4 Richtige: 4 x
3 Richtige: 1 x
2 Richtige: 1 x
0 Richtige: 3 x

Von den zwei »8 Richtigen« hat ein/e Teilnehmer/in eine rich­tige Platzierung getippt, was schließ­lich zum Sieg führte. Wer gewonnen hat, verrate ich dann Anfang kommender Woche … bis dahin läuft der tägliche Countdown.


100 beste Schriften (10)

Die Schrift, die Adrian Frutiger welt­be­rühmt machte, geht auf Übungen zurück, die er bereits 1949 als 21jähriger an der Kunstgewerbeschule Zürich durch­führte. Das eigent­lich Neue an Univers war, dass eine Schriftfamilie erst­mals als geschlos­senes System behan­delt wurde.
Ausgangspunkt ist der Normalschnitt (Univers 55), von dem aus sich alle weiteren herleiten. Der Kontrast ist so austa­riert, dass sich die Schrift auch für lange Texte eignet. Frutiger legte großen Wert auf die Abstimmung der Strichstärkenunterschiede zwischen Versalien und Gemeinen. Für dama­lige Zeiten ist die Mittellänge unge­wöhn­lich hoch.


Aufbau der Univers von 1954, weitere Schnitte sind inzwi­schen hinzu­ge­kommen: die erste Ziffer steht für die Strichstärke, die zweite für die Buchstabenbreite, wobei gerade Ziffern »oblique« bedeuten 

Univers braucht 15 Jahre, bis sie überall bekannt und auf den unter­schied­li­chen Geräten (Blei und Fotosatz) verfügbar ist. Dem Ende der 70 Jahre vorherr­schenden ratio­na­lis­ti­schen Stil in der Typografie kommt die kühle, syste­ma­tisch entwi­ckelte Familie entgegen. Sie entspricht dem Anspruch auf ›Total Design‹, wie Wim Crouwel und Ben Bos ihr Designbüro 1964 taufen. In Holland wird Univers eine Art Nationalschrift, in den USA und Deutschland setzen die Grafiker eher auf Helvetica.

2004 wurde die Univers von Adrian Frutiger und Linotype komplett über­ar­beitet, auf 59 Schnitte erwei­tert und drei­stellig nummeriert.

(Anmerkung: Der Countdown läuft, der oder die Gewinnerin einer TYPO-Karte steht fest, wird aber noch nicht verraten, bevor die Plätze 10 bis 1 veröf­fent­licht sind. Wer nicht weiß, worum es geht: Dies war der Auslöser, am Freitag)