Palatino Sans ist da

Am Ende meines gest­rigen Besuchs bei Linotype bekam ich ein Premiere über­reicht: Die erste produ­zierte Palatino-Sans-Font-CD. Die neue Schriftfamilie ist eine Ergänzung zu Hermann Zapfs Palatino Nova und mehr als eine Besonderheit. Über 50 Jahre nach Erscheinen seiner erfolg­rei­chen Antiqua-Schrift Palatino legt der Darmstädter Schriftentwerfer eine passende Sans auf. Die Entwürfe dafür entstanden aller­dings schon 1973 (Abbildung oben).

Zu Goethes 200. Geburtstag erschien 1949 in Frankfurt am Main das Büchlein »Von der drei­fa­chen Ehrfurcht – Gedanken Goethes über Erziehung zu edlem Menschentum« (numme­riert, Auflage 1000 Exemplare). Schriftfreunde zahlen heute ein kleines Vermögen für diese Drucksache, gesetzt aus einem Probegrad der Palatino.

Ein Jahr später erscheint Hermann Zapfs erfolg­reichste Schrift offi­ziell, sowohl für den Handsatz wie auch den Linotypesatz. Der kursive und der halb­fette Schnitt folgen 1951. Das Gutenberg-Jahrbuch gehört zu den ersten Benutzern der Palatino und adeln sie damit. Der inter­na­tio­nale Durchbruch begann, als 1956 die Standard Oil Company ihren Jahresbericht in Palatino setzte.

Mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung wurde die Schrift 2004 als Palatino Nova – komplett über­ar­beitet – neuver­öf­fent­licht. Die sorg­fäl­ti­gere Digitalisierung und ein größerer Zeichenvorrat machen die Beschränkungen von Blei- und Photosatz vergessen.

Die nun erschienen Palatino Sans ist eine bemer­kens­werte OpenType-Schriftfamilie … fast könnte man sagen: Erst die neue Font-Technik berech­tigte zur Herausgabe dieser Ergänzung. Die 21 Fonts glänzen mit sympa­thi­schen Raffinessen, die erst durch OpenType komfor­tabel nutzbar werden: außer­ge­wöhn­liche Ligaturen, Mediäval-, Tabellen-, Ordinal- sowie Hoch- und Tiefziffern, Kapitälchen und unge­zählte Sonderzeichen.

Die Familie glie­dert sich in zwei Stränge: Palatino Sans (Standard) und Palatino Sans Informal, wobei die zweite mehr kalli­gra­fi­sche »Effekte« aufweist. Beide Teilfamilien bieten 5 Strichstärken (Ultra Light, Light, Regular, Medium, Bold) plus 5 echte Kursive; ein Sonderschnitt enthält amüsante Pfeile und spezi­elle Ligaturen.

Palatino Sans ist ein Kuriosum, eine Art Echo aus der Vergangenheit. Wenn sie von einer neuen Generation von Anwendern über­zeugen einge­setzt wird, dürften auch die klas­si­sche Palatino und die Palatino Nova in neuem Licht erscheinen. Es wäre bedau­er­lich, das Potential der Sans ledig­lich in den ange­stammten Revieren der Palatino zu vergeuden: Historisches, Poetisches, Urkunden oder gar Beileidsanzeigen. Palatino Sans kann mehr, sie will entdeckt werden …


15 Kommentare

  1. Heinrich

    vom look her wirkt sie ein bischen wie CRONOS (adobe), wir wollen mehr sehen :)

  2. Micha Heidinger

    Für mich wirkt sie auf den ersten Blick wie eine frische Alternative zur Optima, die ich unfai­rer­weise immer irgendwo in der Kosmetik-Ecke einordne. Die Cronos kannte ich noch gar nicht. Auch pein­lich:) Und ja: bitte mehr!

  3. Dan Reynolds

    Mein letzter Beitrag war wahr­schein­lich vom WordPress als SPAM gelesen, da ich so viele Links einge­tippt habe :(

    Aber alle Info zur Palatino Sans kann mann von diese Seite aufklicken –
    http://​www​.lino​type​.com/​3​2​0​1​/​p​a​l​a​t​i​n​o​s​a​n​s​.​h​tml

    Auch zu bemerken: „In cele­bra­tion of the release of these new fami­lies, custo­mers who make any purchase at Linotype​.com through February 28, 2007, will receive Palatino Sans Informal Light as a test font – abso­lutely free!“

  4. Dan Reynolds

    Die Cronos hat mehr gemein­sam­keiten mit der Today Sans, oder? Palatino Sans hat einen Gerust, dass eher an Palatino und Optima errinert.

    P.S.: Sorry für meine Aufregung oben, Jürgen. Ich selbst verwende ein Spam-Filter, der nach so-und-so viele Links schreit!

  5. Heinrich

    ich möchte sie nicht mit der cronos verglei­chen und habe vorher nur den einen beispiel gesehen. mit optima würde ich sie aber auch nicht vergleichen

  6. Micha Heidinger

    Für mich ist das auch nur ne Assoziation, einfach das erste Gefühl aus dem Bauch heraus…
    Danke für die Infos, Dan!

  7. thomas

    viel­leicht könnte der ultra­light-schnitt die etwas ausge­lei­erte gleich­starke version der neuen helve­tica für die ganzen mädchen-zeit­schrif­ten­head­lines ablösen, die wäre zumin­dest mensch­li­cher als die strenge schweizerin. ;-)

  8. Jens Fassmann

    Eine tolle Schrift! Hat viel­leicht auch was von FF Angie / Foundry / Eureka und ein bischen Lithos… Fällt aber wesent­lich kalli­gra­fi­scher und verspielter aus.

  9. Micha R.

    Linotype-Besuch? In Bad Homburg? Die Firma, bei der ich arbeite liegt quasi vis-a-vis … Wären wir uns also fast über den Weg gelaufen.

  10. Jürgen Siebert

    Also liegt Deine Arbeitsstätte auch im Atzelnest?

  11. Andreass

    Für Schriftfreunde die kein Vermögen für den ersten Probedruck inves­tieren möchten wird ein Besuch von zvab​.com lohnen. :-)

  12. Jürgen Siebert

    Andreas hat recht … beeilt Euch, nur 15 € (OU mit Läsuren, Rücken mit kl. Einrissen, Ecken etw. bestoßen, sonst noch gutes Expl.). Ich habe bereits ein gut erhal­tenes Exemplar.

  13. Micha Heidinger

    Die Schrift ist wirk­lich sehr schön. Sehr organisch…

  14. Micha R.

    @Jürgen: Genau. Im beschau­li­chen Atzelnest ;-)

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