Fontblog Artikel im August 2011

USA: Klage wegen unlizenzierter Webfonts [Update]

Wie die Nachrichtenagentur Thomson Reuters meldet, hat das hollän­di­sche Schriftenhaus Typotheque vor zwei Tagen eine Klage gegen die Agentur des repu­bli­ka­ni­schen Präsidentschaftskandidaten Rick Santorum (Wikipedia-Link) wegen des ille­galen Einsatzes lizenz­pflich­tiger Webfonts einge­reicht. Der Streitwert wurde von dem auf Font-Copyright spezia­li­sierten US-Anwalt Frank Martinez (The Martinez Group) auf 2 Millionen Dollar ange­setzt. Die beklagte Agentur ist RaiseDigital LLC mit Sitz in Herndon, Virginia.

Laut Klageschrift (kosten­pflich­tiger Download hier) hat das Aktionskomitee des Politikers, die America’s Foundation PAC, die Agentur damit beauf­tragt, die Website www​.rick​s​an​torum​.com zur offi­zi­ellen Kampagnenplattform für die Wahl 2012 umzu­bauen (Abbildung oben; Hinweis: die beklagte Website ist inzwi­schen auf www​.americas​-foun​da​tion​.org umge­zogen, aktuell wird dort die Schrift Georgia verwendet). Ab dem 30. Juni 2010 sei auf dieser Site eine »unaut­ho­ri­siert abge­wan­delte Version« der Schrift Fedra zum Einsatz gekommen, genauer die Schnitte Fedra Serif Book, Bold und Italic im OpenType-Format. Sie waren unter den Adressen

  • http://​www​.rick​s​an​torum​.com/​f​o​n​t​s​/​F​e​d​r​a​B​o​o​k​.​otf
  • http://​www​.rick​s​an​torum​.com/​f​o​n​t​s​/​F​e​d​r​a​B​o​l​d​.​otf und
  • http://​www​.rick​s​an​torum​.com/​f​o​n​t​s​/​F​e​d​r​a​I​t​a​l​i​c​.​otf

für jeder­mann frei downloadbar.

Die nieder­län­di­sche Foundry Typotheque stellt fest, dass sie der Lizenzinhaber der Schriftfamilie Fedra Serif sei, jedoch gegen­über RaiseDigital weder eine Lizenzierung erteilt, noch jemals Lizenzzahlungen erhalten habe. Typotheque vertreibt seine Webfont-Lizenzen direkt, entweder per Embedding-Code über den eigenen Webfont-Service oder, bei größeren Websites, zum Selbsthosten.


Schindler Parent Identity ist jetzt Realgestalt

Das Führungsteam der Schindler Parent Identity GmbHMatthias Dietz, Jürgen Michalski, Anne Kohlermann und Cornelius Mangold, ein Industriedesigner, ein Werbemann, eine Designerin und ein Architekt – hat durch weiteren Anteilskauf die Agentur voll­ständig über­nommen. Seit gestern firmiert das Designbüro (unver­än­dert mit Sitz am Kurfürstendamm in Berlin) unter dem Namen Realgestalt GmbH.

Der neue Agenturname soll die verän­derte Kompetenz auf den Punkt bringen: »Mit unserer Arbeit«, so Anne Kohlermann, verant­wort­lich für die Kreation, »verleihen wir den stra­te­gi­schen Unternehmens- und Marketingzielen unserer Kunden eine prägnante und nach­hal­tige Gestalt und tragen dazu bei, sie in der Realität zu verankern«.

Und weiter: »Es freut uns, zum Start als neue Kunden die Brunner Group, Garpa Garten- und Parkeinrichtungen, Prediger Lichtberater und ein Projekt der ThyssenKrupp AG gewinnen zu können«. Die Besetzung des Teams in Berlin bleibt unver­än­dert. (Foto: © Realgestalt)


OPETUTTGART: Das Logo mit dem Paukenschlag

Die Oper Stuttgart gehört zu den Staatstheater Stuttgart, eine Drei-Sparten-Spielstätte für Oper, Schauspiel und Ballett in der baden-würt­tem­ber­gi­schen Landeshauptstadt. Bis zum 17. September baut die Oper Stuttgart an einem neuen Internet-Auftritt, ein neues Logo scheint jedoch bereits gefunden, wie mir heute ein Freund des Hauses schreibt, dem es beim Blick in den PDF-Spielplan unan­ge­nehm aufge­fallen ist. »Die Entwerfer (und Auftraggeber!) scheinen der Meinung zu sein, Oper sei Lärm.« lautet das Fazit in seiner E-Mail.

Es stimmt einiges nicht, an diesem Logo, und wir können nur hoffen, dass es sich um einen Platzhalter handelt, einge­fügt von einem Scherzbold.

 


Mobiles Grafikdesign in der Provinz

Seit Ende Juni ist die Berliner Designerin Eva Kretschmer mit ihrem gelben Hupe Design-Bus in Brandenburg unter­wegs und bietet kleinen Unternehmern und Firmen ihre Dienste an. »Mein Angebot ist offen für jegliche Art von visu­eller Gestaltung. Ich über­ar­beite Speisekarten, entwerfe Ladenschilder, entwi­ckele Logos und benenne Imbissbuden um. Darüber hinaus lasse ich mich gern auf indi­vi­du­elle Vorstellungen ein. Die ›Bezahlung‹ soll als Tauschgeschäft funk­tio­nieren, kann aber auch mit finan­zi­ellen Mitteln geschehen. Wichtig ist die Deckung des tägli­chen Bedarfs wie Essen, Benzin, Strom, Internet und Stellplatz.« Mit diesen Sätzen hat sie ihr Projekt in einem PDF formu­liert, das sie zu Beginn ihrer Diplomprojekt an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Prof. Alex Jordan übergab, der sie im Fachbereich Visuelle Kommunikation betreut.

Durch das Herumfahren und mittels Empfehlungen versucht die Designerin an neue Aufträge zu gelangen. Wochenweise lädt sie darüber hinaus immer wieder Gäste zu sich ein – Illustratoren, Fotografen, Architekten, Literaten und ähnliche – , die als »Special offer« ihr Angebot berei­chern. Nebenbei möchte sie auf ihren Fahrten inter­es­sante und enga­gierte (Geschäfts-)Ideen ausfindig machen und doku­men­tieren. »Brandenburg ist geprägt durch Wirtschaftsschwäche und Zersiedelung, dennoch entwi­ckeln gerade dort die Menschen inter­es­sante und unge­wöhn­liche Überlebensstrategien.« schreibt sie in ihrem Blog. Diese Menschen möchte sie kennen­lernen und inter­viewen. Ihr eigenes Geschäft wird auf diese Art Mittel zum Zweck, um diesen Menschen nahe zu kommen und ihre Ideen, Wünsche und Vorstellungen zu kommunizieren.

»Es geht darum heraus­zu­finden, ob ihre Überlebensstrategien wirken, was ihnen an ihrer Arbeit wichtig ist und was sie dafür in Kauf nehmen. Gleichzeitig hinter­frage ich meine Rolle als Grafikdesigner: kann ich über­haupt nütz­lich sein, wofür werde ich gebraucht und welche Kompromisse bin ich bereit dafür einzu­gehen. Diese Auseinandersetzung gibt mir die Möglichkeit, über Arbeits- und Identitätssuche beider Seiten zu reflek­tieren.« so beschreibt die Designerin das Ziel ihrer Diplomarbeit. Es werde inter­es­sant sein zu erfahren, welche Wertschätzung man für seine Arbeit oder Leidenschaft erfährt, also auch wie viel Auftraggeber bereit sind zu zahlen.

Nach den ersten Aufträgen in Zempow fuhr Eva Kretschmer weiter nach Heimland. Dort gestaltet sie im Moment Infotafeln für das Ferienland Luhme. »Der Mitinhaber und Linken-Stadtverordnete Freke Over hat sie außerdem gebeten, das Willkommensbild zu malen, dass seit gestern Reisende am Bahnhof der Prinzenstadt begrüßt. Es verdeckt ein Nazi-Graffito.« weiß die Märkische Allgemeine zu berichten. Auch andere Lokalzeitungen sind bereits auf das inter­es­sante Projekt aufmerksam geworden.


REWE-Designwettbewerb »ja!-Star«

Ich kann mich noch gut an den ersten Kauf eines ja!-Produktes vor 25 Jahren erin­nern: es waren Zigaretten. Als Gelegenheitsraucher (inzwi­schen Nichtraucher seit 8 Jahren) habe ich damit die Markenraucher provo­ziert. Ich fand das schlicht cool, Zigaretten pur zu rauchen, ohne den ganzen Imagezauber drum herum … und dann auch noch richtig preiswert.

ja! gehört zu REWE und gilt mit 500 Produkten inzwi­schen als eine der belieb­testen Eigenmarken in Deutschland … Zigaretten gehören nicht mehr zum Sortiment. Nun will REWE mit einem Design-Experiment beweisen, »dass Alltägliches beson­ders sein kann und Luxus und Discount sich nicht ausschließen müssen«. Unter dem Motto »ja! zu Design« laden REWE und sein Partner TrendMafia Kreative dazu ein, am ja!Star-Wettbewerb teil­zu­nehmen und rufen sie auf, ein ja!-Produkt durch eine hand­ge­machte Zugabe zum Star unter der Massenware zu machen. Die besten Produkte sollen promi­nent beworben und in 5 ausge­wählten Berliner REWE Märkten im Zeitraum vom 5. bis zum 17. Dezember 2011 verkauft weren. »Den Gewinn streichst Du ein (Verkaufspreis Deines Produktes).« heißt es zum Thema Honorierung.

Nähere Details zum Wettbewerb und das Bewerbungsformular stehen erst ab dem 1. September zur Verfügung. Bleibt zu hoffen, dass die Veranstalter bei der Ansprache der Designer keinen Fehler machen … so wie die AOL-Tochter Huffington Post, die vor wenigen Tagen über ihre Leser ein (hono­rar­freies) Logo abschöpfen wollte und einen Shit-storm aus Designkreisen erntete (siehe Kommentare und Twitter-Antworten).


Plakat »Mensch als Industriepalast« zu gewinnen

[Update: Das Gewinnspiel ist beendet. Die 5 plus 1 Plakate gehen an die Kommentatoren mit der Nummer: 77, 172, 180, 224, 41 und 18, also an felix, Simon, Julia, Adrian, Gerd Wippich und Don.]

Dieses Plakat ist mehr als ein augen­zwin­kerndes Schaubild für das Wartezimmer von Ärzten, die Humor verstehen: Es gilt als der Urahn der Infografik. Mit seiner Lehrtafel »Der Mensch als Industriepalast« erklärte der Berliner Arzt Dr. Fritz Kahn den mensch­li­chen Körper, wobei er die orga­ni­schen Funktionen – vom enormen tech­ni­schen Fortschritt seiner Zeit inspi­riert – mit indus­tri­ellen Vorgängen und Bürosituationen verglich. Das groß­for­ma­tige Motiv stammt von 1926 und lag seiner fünf­bän­digen Serie »Das Leben des Menschen« bei. Das Format ist so gewählt, dass der mensch­liche Körper lebens­groß wieder­ge­geben wird. Dass es jetzt wieder gedruckt zu haben ist, verdanken wir unter anderem der TYPO-Konferenz  (mehr dazu unter der Abbildung, einschließ­lich Preisfrage mit der Gewinnchance von 5 x 1 Fritz-Kahn-Poster).

 

Auf der TYPO Berlin 2010 lernte der Frankfurter Designer Thilo von Debschitz, Herausgeber des Buchs Fritz Kahn – Maschine Mensch seinen Kollegen Christian Büning aus Münster kennen, der auf der TYPO-Stage einen Vortrag hielt. Sie stellten im anschlie­ßenden Gespräch fest: Debschitz hat das Plakate mit dem berühmten Fritz-Kahn-Motiv »Der Mensch als Industriepalast«, aber keinen Vertrieb. Und Büning hat einen Plakatverlag, aber nicht das Fritz-Kahn-Motiv. »Diesen unglück­li­chen Zustand haben wir sofort beendet, daher ist der ›Industriepalast‹ ab heute als hoch­wer­tiger Druck im Originalformat von 1926, nämlich in lebens­großen 47 x 95 Zentimetern, beim Plakatverlag erhält­lich.« schrieb mir Thilo vergan­gene Woche.

Zur Feier dieses Ereignisses (und weil Fontblog dies alles ganz toll findet), dürfen sich am Ende dieser Woche fünf Leser als Besitzer dieses Plakats glück­lich schätzen, denn die beiden Herausgeber haben so viele Freiexemplare zur Verfügung gestellt. Für die Teilnahme an der Verlosung reicht ein kleiner Kommentar unter diesem Beitrag, mit einer funk­tio­nie­renden E-Mail-Adresse (nur für die Gewinnmitteilung; wird nicht veröf­fent­licht und wandert auch nicht in die FontShop-Kundendatenbank).


Alles richtig gemacht, SZ-Magazin fürs iPad

Bis vor fünf Wochen war das SZ-Magazin bei und in der Familie eine unre­gel­mä­ßige Lektüre, obwohl wir es alle mögen. Der gedros­selte Konsum lag meis­tens daran, dass uns beim Samstageinkauf einfiel: »Oh, gestern erschien wieder das SZ-Magazin«. Für alle Leser, die nicht so vertraut sind mit den Printobjekten des Süddeutschen Verlag: Das Süddeutsche-Zeitung-Magazin ist die vier­far­bige Beilage, ein soge­nanntes Supplement, in der Freitagsausgabe der SZ und mit 430.000 Auflage eines der größten deut­schen Zeitschriften.

Gestern Abend erschien zum 6. Mal die digi­tale Ausgabe des Magazins. Wir haben sie alle gekauft (für je 79 Cent) und erfreuen uns seit der ersten digi­talen Ausgabe jede Woche über:

  • das Erscheinen am Donnerstagabend
  • die zeit­lich unbe­grenzte Lieferbarkeit
  • den güns­tigen Preis
  • den Mehrwert im Vergleich zur Print-Version
  • die selbst­be­wusste, konse­quente Inszenierung

Damit ist eigent­lich schon alles gesagt. Vor allem den letzten Punkt möchte ich ausdrück­lich hervor­heben und vergleich­baren Verlagsprojekten zwecks Überprüfung ans Herz legen. Dem SZ-Magazin für das iPad merkt man auf jeder Seite an, dass es – unter dem Ex-Jetzt-Redaktionsleiter und Ex-Neon-Chefredakteur Timm Klotzek – mit »Liebe zum Gerät« gemacht ist (anstatt mit »Liebe zum Papier, aber weil das ja bald ausstirbt, müssen wir das gezwun­ge­ner­maßen jetzt aufs iPad bringen«). Die Liebe fürs Detail zeigt sich nicht nur im digi­talen Heft selbst, sondern sogar an der Metadaten-Pflege im App-Store, wo aktu­elle ScreenShots für die App werben … eigent­lich ein Kinderspiel, man muss es nur verstehen und wollen, Woche für Woche.

Ein Beispiel für den Mehrwert der digi­talen Ausgabe ist die aktu­elle Titelgeschichte: Vor sieben Jahren hat das SZ-Magazin ein Heft über Dreizehnjährige gemacht. Nun haben Fotograf und Redaktion sie alle noch mal getroffen, »für ein Heft über die Zwanzigjährigen von heute«. Ein 5-minü­tiger Film doku­men­tiert die Erinnerungen und Gedanken des Fotografen. Und weil es in digi­talen Magazinen keine Platzprobleme gibt, werden nicht nur alle alten und neuen Fotos der Jugendlichen ganz­seitig insze­niert, man bekommt sogar noch mal die Texte von damals gelie­fert. Ähnlich geht die Redaktion mit Rezepten um (groß bebil­dert), der Kolumne von Axel Hacke (inkl. Audio-File, vom Autor gelesen) und den beliebten Kolumnen »Sagen Sie jetzt nichts« oder dem verzwickten Kreuzworträtsel, das selbst­ver­ständ­lich auch mit der iPad-Tastatur gelöst werden kann. So macht man iPad-Magazine.

Zum selben Thema auch meine aktu­elle Kolumne in PAGE: Warum e-Books nur ein Zwischending sind


Samy Deluxe »Poesiealbum« [Update]

Tut mir auch leid, liebe EMI, dass ich hier das wunder­bare (typo­gra­fi­sche) Video von Samy Deluxe nicht zeigen kann. Daniel Meyer hat es mir ans Herz gelegt (vielen Dank dafür). Er schreibt: »Für einen Typofan ein leckerer Augenschmaus, das neue Video von Samy Deluxe, falls unbe­kannt, auf http://​www​.samy​-deluxe​.de/ einsehbar. Für die Umsetzung u. a. die ›Typeholics‹ aus Hamburg verantwortlich.«

Ich hätte gerne noch ein biss­chen mehr darüber geschrieben, aber dieser klein­ka­rierte Urheberrechtskrieg zwischen YouTube (die Beklagte; prak­tisch fürs platt­form­über­grei­fende Video-Einbetten), der GEMA (die Klägerin) und den Major-Musikfirmen (die Orientierungslosen) hat mir die Laune verdorben. Vielleicht geht es Samy Deluxe und den Video-Produzenten ähnlich und sie haben deswegen ein Making-of-Video produ­ziert und auf YouTube hoch­ge­laden. Immerhin haben sich das schon 31.000 Samy-Deluxe-Fans ange­sehen. Ist das jetzt die Zukunft, liebe Musikindustrie, das Angucken wie man Musik und Videos produ­ziert, also der Konsum von Metainformation?

[Update]
Tape-TV hat mir inzwi­schen einen Embedding-Code gesendet, den ich gemeinsam mit diesem Backlink veröf­fent­li­chen darf: Mehr von Samy Deluxe gibt es auf tape​.tv – Treppe Hoch!