USA: Klage wegen unlizenzierter Webfonts [Update]
Wie die Nachrichtenagentur Thomson Reuters meldet, hat das holländische Schriftenhaus Typotheque vor zwei Tagen eine Klage gegen die Agentur des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Rick Santorum (Wikipedia-Link) wegen des illegalen Einsatzes lizenzpflichtiger Webfonts eingereicht. Der Streitwert wurde von dem auf Font-Copyright spezialisierten US-Anwalt Frank Martinez (The Martinez Group) auf 2 Millionen Dollar angesetzt. Die beklagte Agentur ist RaiseDigital LLC mit Sitz in Herndon, Virginia.
Laut Klageschrift (kostenpflichtiger Download hier) hat das Aktionskomitee des Politikers, die America’s Foundation PAC, die Agentur damit beauftragt, die Website www.ricksantorum.com zur offiziellen Kampagnenplattform für die Wahl 2012 umzubauen (Abbildung oben; Hinweis: die beklagte Website ist inzwischen auf www.americas-foundation.org umgezogen, aktuell wird dort die Schrift Georgia verwendet). Ab dem 30. Juni 2010 sei auf dieser Site eine »unauthorisiert abgewandelte Version« der Schrift Fedra zum Einsatz gekommen, genauer die Schnitte Fedra Serif Book, Bold und Italic im OpenType-Format. Sie waren unter den Adressen
- http://www.ricksantorum.com/fonts/FedraBook.otf
- http://www.ricksantorum.com/fonts/FedraBold.otf und
- http://www.ricksantorum.com/fonts/FedraItalic.otf
für jedermann frei downloadbar.
Die niederländische Foundry Typotheque stellt fest, dass sie der Lizenzinhaber der Schriftfamilie Fedra Serif sei, jedoch gegenüber RaiseDigital weder eine Lizenzierung erteilt, noch jemals Lizenzzahlungen erhalten habe. Typotheque vertreibt seine Webfont-Lizenzen direkt, entweder per Embedding-Code über den eigenen Webfont-Service oder, bei größeren Websites, zum Selbsthosten.
Schindler Parent Identity ist jetzt Realgestalt
Das Führungsteam der Schindler Parent Identity GmbH – Matthias Dietz, Jürgen Michalski, Anne Kohlermann und Cornelius Mangold, ein Industriedesigner, ein Werbemann, eine Designerin und ein Architekt – hat durch weiteren Anteilskauf die Agentur vollständig übernommen. Seit gestern firmiert das Designbüro (unverändert mit Sitz am Kurfürstendamm in Berlin) unter dem Namen Realgestalt GmbH.
Der neue Agenturname soll die veränderte Kompetenz auf den Punkt bringen: »Mit unserer Arbeit«, so Anne Kohlermann, verantwortlich für die Kreation, »verleihen wir den strategischen Unternehmens- und Marketingzielen unserer Kunden eine prägnante und nachhaltige Gestalt und tragen dazu bei, sie in der Realität zu verankern«.
Und weiter: »Es freut uns, zum Start als neue Kunden die Brunner Group, Garpa Garten- und Parkeinrichtungen, Prediger Lichtberater und ein Projekt der ThyssenKrupp AG gewinnen zu können«. Die Besetzung des Teams in Berlin bleibt unverändert. (Foto: © Realgestalt)
OPETUTTGART: Das Logo mit dem Paukenschlag
Die Oper Stuttgart gehört zu den Staatstheater Stuttgart, eine Drei-Sparten-Spielstätte für Oper, Schauspiel und Ballett in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Bis zum 17. September baut die Oper Stuttgart an einem neuen Internet-Auftritt, ein neues Logo scheint jedoch bereits gefunden, wie mir heute ein Freund des Hauses schreibt, dem es beim Blick in den PDF-Spielplan unangenehm aufgefallen ist. »Die Entwerfer (und Auftraggeber!) scheinen der Meinung zu sein, Oper sei Lärm.« lautet das Fazit in seiner E-Mail.
Es stimmt einiges nicht, an diesem Logo, und wir können nur hoffen, dass es sich um einen Platzhalter handelt, eingefügt von einem Scherzbold.
Mobiles Grafikdesign in der Provinz
Seit Ende Juni ist die Berliner Designerin Eva Kretschmer mit ihrem gelben Hupe Design-Bus in Brandenburg unterwegs und bietet kleinen Unternehmern und Firmen ihre Dienste an. »Mein Angebot ist offen für jegliche Art von visueller Gestaltung. Ich überarbeite Speisekarten, entwerfe Ladenschilder, entwickele Logos und benenne Imbissbuden um. Darüber hinaus lasse ich mich gern auf individuelle Vorstellungen ein. Die ›Bezahlung‹ soll als Tauschgeschäft funktionieren, kann aber auch mit finanziellen Mitteln geschehen. Wichtig ist die Deckung des täglichen Bedarfs wie Essen, Benzin, Strom, Internet und Stellplatz.« Mit diesen Sätzen hat sie ihr Projekt in einem PDF formuliert, das sie zu Beginn ihrer Diplomprojekt an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Prof. Alex Jordan übergab, der sie im Fachbereich Visuelle Kommunikation betreut.
Durch das Herumfahren und mittels Empfehlungen versucht die Designerin an neue Aufträge zu gelangen. Wochenweise lädt sie darüber hinaus immer wieder Gäste zu sich ein – Illustratoren, Fotografen, Architekten, Literaten und ähnliche – , die als »Special offer« ihr Angebot bereichern. Nebenbei möchte sie auf ihren Fahrten interessante und engagierte (Geschäfts-)Ideen ausfindig machen und dokumentieren. »Brandenburg ist geprägt durch Wirtschaftsschwäche und Zersiedelung, dennoch entwickeln gerade dort die Menschen interessante und ungewöhnliche Überlebensstrategien.« schreibt sie in ihrem Blog. Diese Menschen möchte sie kennenlernen und interviewen. Ihr eigenes Geschäft wird auf diese Art Mittel zum Zweck, um diesen Menschen nahe zu kommen und ihre Ideen, Wünsche und Vorstellungen zu kommunizieren.
»Es geht darum herauszufinden, ob ihre Überlebensstrategien wirken, was ihnen an ihrer Arbeit wichtig ist und was sie dafür in Kauf nehmen. Gleichzeitig hinterfrage ich meine Rolle als Grafikdesigner: kann ich überhaupt nützlich sein, wofür werde ich gebraucht und welche Kompromisse bin ich bereit dafür einzugehen. Diese Auseinandersetzung gibt mir die Möglichkeit, über Arbeits- und Identitätssuche beider Seiten zu reflektieren.« so beschreibt die Designerin das Ziel ihrer Diplomarbeit. Es werde interessant sein zu erfahren, welche Wertschätzung man für seine Arbeit oder Leidenschaft erfährt, also auch wie viel Auftraggeber bereit sind zu zahlen.
Nach den ersten Aufträgen in Zempow fuhr Eva Kretschmer weiter nach Heimland. Dort gestaltet sie im Moment Infotafeln für das Ferienland Luhme. »Der Mitinhaber und Linken-Stadtverordnete Freke Over hat sie außerdem gebeten, das Willkommensbild zu malen, dass seit gestern Reisende am Bahnhof der Prinzenstadt begrüßt. Es verdeckt ein Nazi-Graffito.« weiß die Märkische Allgemeine zu berichten. Auch andere Lokalzeitungen sind bereits auf das interessante Projekt aufmerksam geworden.
REWE-Designwettbewerb »ja!-Star«
Ich kann mich noch gut an den ersten Kauf eines ja!-Produktes vor 25 Jahren erinnern: es waren Zigaretten. Als Gelegenheitsraucher (inzwischen Nichtraucher seit 8 Jahren) habe ich damit die Markenraucher provoziert. Ich fand das schlicht cool, Zigaretten pur zu rauchen, ohne den ganzen Imagezauber drum herum … und dann auch noch richtig preiswert.
ja! gehört zu REWE und gilt mit 500 Produkten inzwischen als eine der beliebtesten Eigenmarken in Deutschland … Zigaretten gehören nicht mehr zum Sortiment. Nun will REWE mit einem Design-Experiment beweisen, »dass Alltägliches besonders sein kann und Luxus und Discount sich nicht ausschließen müssen«. Unter dem Motto »ja! zu Design« laden REWE und sein Partner TrendMafia Kreative dazu ein, am ja!Star-Wettbewerb teilzunehmen und rufen sie auf, ein ja!-Produkt durch eine handgemachte Zugabe zum Star unter der Massenware zu machen. Die besten Produkte sollen prominent beworben und in 5 ausgewählten Berliner REWE Märkten im Zeitraum vom 5. bis zum 17. Dezember 2011 verkauft weren. »Den Gewinn streichst Du ein (Verkaufspreis Deines Produktes).« heißt es zum Thema Honorierung.
Nähere Details zum Wettbewerb und das Bewerbungsformular stehen erst ab dem 1. September zur Verfügung. Bleibt zu hoffen, dass die Veranstalter bei der Ansprache der Designer keinen Fehler machen … so wie die AOL-Tochter Huffington Post, die vor wenigen Tagen über ihre Leser ein (honorarfreies) Logo abschöpfen wollte und einen Shit-storm aus Designkreisen erntete (siehe Kommentare und Twitter-Antworten).
Plakat »Mensch als Industriepalast« zu gewinnen
[Update: Das Gewinnspiel ist beendet. Die 5 plus 1 Plakate gehen an die Kommentatoren mit der Nummer: 77, 172, 180, 224, 41 und 18, also an felix, Simon, Julia, Adrian, Gerd Wippich und Don.]
Dieses Plakat ist mehr als ein augenzwinkerndes Schaubild für das Wartezimmer von Ärzten, die Humor verstehen: Es gilt als der Urahn der Infografik. Mit seiner Lehrtafel »Der Mensch als Industriepalast« erklärte der Berliner Arzt Dr. Fritz Kahn den menschlichen Körper, wobei er die organischen Funktionen – vom enormen technischen Fortschritt seiner Zeit inspiriert – mit industriellen Vorgängen und Bürosituationen verglich. Das großformatige Motiv stammt von 1926 und lag seiner fünfbändigen Serie »Das Leben des Menschen« bei. Das Format ist so gewählt, dass der menschliche Körper lebensgroß wiedergegeben wird. Dass es jetzt wieder gedruckt zu haben ist, verdanken wir unter anderem der TYPO-Konferenz (mehr dazu unter der Abbildung, einschließlich Preisfrage mit der Gewinnchance von 5 x 1 Fritz-Kahn-Poster).
Auf der TYPO Berlin 2010 lernte der Frankfurter Designer Thilo von Debschitz, Herausgeber des Buchs Fritz Kahn – Maschine Mensch seinen Kollegen Christian Büning aus Münster kennen, der auf der TYPO-Stage einen Vortrag hielt. Sie stellten im anschließenden Gespräch fest: Debschitz hat das Plakate mit dem berühmten Fritz-Kahn-Motiv »Der Mensch als Industriepalast«, aber keinen Vertrieb. Und Büning hat einen Plakatverlag, aber nicht das Fritz-Kahn-Motiv. »Diesen unglücklichen Zustand haben wir sofort beendet, daher ist der ›Industriepalast‹ ab heute als hochwertiger Druck im Originalformat von 1926, nämlich in lebensgroßen 47 x 95 Zentimetern, beim Plakatverlag erhältlich.« schrieb mir Thilo vergangene Woche.
Zur Feier dieses Ereignisses (und weil Fontblog dies alles ganz toll findet), dürfen sich am Ende dieser Woche fünf Leser als Besitzer dieses Plakats glücklich schätzen, denn die beiden Herausgeber haben so viele Freiexemplare zur Verfügung gestellt. Für die Teilnahme an der Verlosung reicht ein kleiner Kommentar unter diesem Beitrag, mit einer funktionierenden E-Mail-Adresse (nur für die Gewinnmitteilung; wird nicht veröffentlicht und wandert auch nicht in die FontShop-Kundendatenbank).
Alles richtig gemacht, SZ-Magazin fürs iPad
Bis vor fünf Wochen war das SZ-Magazin bei und in der Familie eine unregelmäßige Lektüre, obwohl wir es alle mögen. Der gedrosselte Konsum lag meistens daran, dass uns beim Samstageinkauf einfiel: »Oh, gestern erschien wieder das SZ-Magazin«. Für alle Leser, die nicht so vertraut sind mit den Printobjekten des Süddeutschen Verlag: Das Süddeutsche-Zeitung-Magazin ist die vierfarbige Beilage, ein sogenanntes Supplement, in der Freitagsausgabe der SZ und mit 430.000 Auflage eines der größten deutschen Zeitschriften.
Gestern Abend erschien zum 6. Mal die digitale Ausgabe des Magazins. Wir haben sie alle gekauft (für je 79 Cent) und erfreuen uns seit der ersten digitalen Ausgabe jede Woche über:
- das Erscheinen am Donnerstagabend
- die zeitlich unbegrenzte Lieferbarkeit
- den günstigen Preis
- den Mehrwert im Vergleich zur Print-Version
- die selbstbewusste, konsequente Inszenierung
Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Vor allem den letzten Punkt möchte ich ausdrücklich hervorheben und vergleichbaren Verlagsprojekten zwecks Überprüfung ans Herz legen. Dem SZ-Magazin für das iPad merkt man auf jeder Seite an, dass es – unter dem Ex-Jetzt-Redaktionsleiter und Ex-Neon-Chefredakteur Timm Klotzek – mit »Liebe zum Gerät« gemacht ist (anstatt mit »Liebe zum Papier, aber weil das ja bald ausstirbt, müssen wir das gezwungenermaßen jetzt aufs iPad bringen«). Die Liebe fürs Detail zeigt sich nicht nur im digitalen Heft selbst, sondern sogar an der Metadaten-Pflege im App-Store, wo aktuelle ScreenShots für die App werben … eigentlich ein Kinderspiel, man muss es nur verstehen und wollen, Woche für Woche.
Ein Beispiel für den Mehrwert der digitalen Ausgabe ist die aktuelle Titelgeschichte: Vor sieben Jahren hat das SZ-Magazin ein Heft über Dreizehnjährige gemacht. Nun haben Fotograf und Redaktion sie alle noch mal getroffen, »für ein Heft über die Zwanzigjährigen von heute«. Ein 5-minütiger Film dokumentiert die Erinnerungen und Gedanken des Fotografen. Und weil es in digitalen Magazinen keine Platzprobleme gibt, werden nicht nur alle alten und neuen Fotos der Jugendlichen ganzseitig inszeniert, man bekommt sogar noch mal die Texte von damals geliefert. Ähnlich geht die Redaktion mit Rezepten um (groß bebildert), der Kolumne von Axel Hacke (inkl. Audio-File, vom Autor gelesen) und den beliebten Kolumnen »Sagen Sie jetzt nichts« oder dem verzwickten Kreuzworträtsel, das selbstverständlich auch mit der iPad-Tastatur gelöst werden kann. So macht man iPad-Magazine.
Zum selben Thema auch meine aktuelle Kolumne in PAGE: Warum e-Books nur ein Zwischending sind
Samy Deluxe »Poesiealbum« [Update]
Tut mir auch leid, liebe EMI, dass ich hier das wunderbare (typografische) Video von Samy Deluxe nicht zeigen kann. Daniel Meyer hat es mir ans Herz gelegt (vielen Dank dafür). Er schreibt: »Für einen Typofan ein leckerer Augenschmaus, das neue Video von Samy Deluxe, falls unbekannt, auf http://www.samy-deluxe.de/ einsehbar. Für die Umsetzung u. a. die ›Typeholics‹ aus Hamburg verantwortlich.«
Ich hätte gerne noch ein bisschen mehr darüber geschrieben, aber dieser kleinkarierte Urheberrechtskrieg zwischen YouTube (die Beklagte; praktisch fürs plattformübergreifende Video-Einbetten), der GEMA (die Klägerin) und den Major-Musikfirmen (die Orientierungslosen) hat mir die Laune verdorben. Vielleicht geht es Samy Deluxe und den Video-Produzenten ähnlich und sie haben deswegen ein Making-of-Video produziert und auf YouTube hochgeladen. Immerhin haben sich das schon 31.000 Samy-Deluxe-Fans angesehen. Ist das jetzt die Zukunft, liebe Musikindustrie, das Angucken wie man Musik und Videos produziert, also der Konsum von Metainformation?
[Update]
Tape-TV hat mir inzwischen einen Embedding-Code gesendet, den ich gemeinsam mit diesem Backlink veröffentlichen darf: Mehr von Samy Deluxe gibt es auf tape.tv – Treppe Hoch!