✪ Annual Reports 2009, für 28,– statt 55,– €
Die gute Nachricht: Das Designniveau der deutschen Geschäftsberichte ist hoch. Die schlechte Nachricht: Es liegt in den Händen weniger Designbüros. Das muss nicht so bleiben. Man könnte sich zum Beispiel von anderen Wirtschafts- und Designregionen inspirieren lassen. Kein Buch ist hierfür besser geeignet als der Graphis Annual Reports 2009. Das Jahrbuch zeigt unter anderem die 28 Goldmedaillengewinner des diesjährigen Annual-Report-Awards, ausgewählt von den Jurymitgliedern Audra Brown, David Schimmel, Michael Stinson, Davor Bruketa, Robert Louey, Javier Leguizamo und Richard Colbourne. Zwei Unternehmen erhielten sogar einen Graphis Platinum Award. Insgesamt werden rund 100 Geschäftsberichte vorgestellt.
Durch regelmäßige Publikationen ist Graphis seit über 40 Jahren ein feststehender Begriff in der Designbranche, vor allem weil die New Yorker Gesellschaft nur hervorragende Designer, Art Direktoren, Werbeagenturen, Illustratoren und Fotografen ehrt. Mit der Einladung Call for Entries 2009 wurden weltweit alle Profis der visuellen Kommunikation eingeladen, ihre Arbeiten einzureichen. Die Preisträger wurden von kompetenten Jurys aus tausenden von Einsendungen ermittelt.
Als Stern der Woche gibt es das Jahrbuch Graphis Annual Reports 2009 sieben Tage lang für nur 28,– statt 55,– €. Hier geht es zur Bestellung in den FontShop …
»Welt aus Schrift« öffnet morgen
Morgen um 19 Uhr öffnet die große Ausstellung Welt aus Schrift im Berliner Kulturforum ihr Pforten, Untertitel: »Das 20. Jahrhundert in Europa und den USA«. Keine andere Epoche hat einen solchen Reichtum von Schriftformen hervorgebracht, und noch nie war Schrift in einer vergleichbar medialen Vielfalt präsent: im Internet, in Informations-, Werbe- und Buchmedien, im öffentlichen Raum, in der Mode, in Fotografie, Film und Kunst. In chronologischen Schritten wirft die Ausstellung ihre Schlaglichter auf die typografischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts, die Interaktion von Schrift und Bild und die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen freier und angewandter Kunst.
Für die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin ist die „Welt aus Schrift“ seit mehr als einem Jahrhundert ein zentraler Sammlungsschwerpunkt. Ihre Bestände zur Schriftgeschichte der letzten hundert Jahre reichen von den Pressendrucken der englischen Buchkunstbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert, den Schriftkreationen des Jugendstils über die frühe Moderne, den Dadaismus und die Propagandamedien der 30er und 40er Jahre bis hin zu Pop, Fluxus, Concept Art und Digital Art. Neben angewandten Arbeiten der freien Kunst gilt das Sammelinteresse vor allem den Entwicklungen des Grafikdesign in den Alltagsmedien wie Zeitschrift, Buch, Zeitung, Plattencover, Inserat und Plakat und darüber hinaus den Beispielen des modernen Kommunikationsdesigns.
Zum breiten Spektrum grafischer Gestaltungen gehören auch solche, die eine Wiederentdeckung verdient haben wie jene, die heute bereits als Klassiker gefeiert werden. Meisterwerke wie das Monumentalplakat zur Fritz Langs »Metropolis« von 1927 sind Unikate von Weltrang. In der Ausstellung »Welt aus Schrift« wird dieses universale Medienarchiv erstmals in seinem ganzen Umfang für die Öffentlichkeit erlebbar.
Die Ausstellung in den Hallen am Kulturforum (Potsdamer Platz) beschreibt auf über 1000 qm mit fast 600 Exponaten eine Reise durch die Zeit in Etappen, die jeweils zwanzig Jahre umfassen: den Aufbruch in neue Gestaltungen als Reaktion auf den drohenden Qualitätsverlust im Zeitalter industrieller Druckherstellung (1890 – 1909), die typografischen Innovationen der Moderne (1910 – 1929), Einflüsse des Art Déco und die Instrumentalisierung der Schrift als politische Botschaft (1930 – 1949), die Nachkriegsmoderne zwischen swiss style und new bauhaus; die Auflösung der Grenzen zwischen Schrift und Bildender Kunst in Pop Art, Konkreter und Visueller Poesie (1950 – 1969), die Dekonstruktion der Schrift zwischen Konzeptkunst und Postmoderne (1970 – 1989) und schließlich die digitale Renaissance der Schrift als Universalmedium einer globalisierten Welt (1990 – 2009).
Die Ausstellung erstreckt sich über 3 Etagen, die durch ein Treppenhaus mit 6 Treppen verbunden sind. Auf Vorschlag der Kuratorin Dr. Anita Kühnel und des Ausstellungsgestalters Bernard Stein durfte FontShop die verbindenden Treppen mt einer typografischen Installation zur Ausstellungsfläche umfunktionieren. Mehr als 60 Stufen erzählen eine Geschichte der Schriftvielfalt, die von unten nach oben zu lesen ist. Jeder der 6 Treppen widmet sich einer Schriftklasse, so wie sie aus FontBook und FontShuffle bekannt sind: Sans, Serif, Slab, Script, Display und Blackletter. Die obige Abbildung zeigt die Beschriftung der ersten beiden Treppen, die gerade im Kulturforum beklebt werden (Produktion: Heyer Grafische Dienstleistungen). Morgen veröffentliche ich hier im Fontblog die gesamte Treppengeschichte, erzählt mit 60 Schriften, als PDF.
✪ News Gothic (14 Fonts), für 75,– statt 175,– €
Erik Spiekermann hat schon zugegriffen – kein Witz: Eine richtig gut ausgebaute News-Gothic-Familie zu diesem Preis ist ein echtes Schnäppchen. Immerhin gehört dieser Klassiker zu den 100 besten Schriften aller Zeiten (Platz 64). Was ist das Besondere an News Gothic? Sie ist der Prototyp eines Genres serifenloser Schriften, das als »American Gothics« bezeichnet wird. In diesem Fall bezieht sich »Gothic« nicht auf Mediävalziffern oder gebrochene Buchstaben, sondern ist einfach eine alternative Bezeichnung für serifenlose Schriften. Zu den großen Designern dieser Lettern gehört Morris Fuller Benton, der Schriften wie Lightline Gothic, News Gothic und Franklin Gothic schuf; auch Jackson Burkes Trade Gothic™ gehört zu den American Gothics. Bei ihrer Geburtsstunde 1908 bestand News Gothic aus nur zwei Schnitten: einem Medium-Textschrift mit dem Namen »News Gothic« und einen leichten Zwillingsschnitt namens »Lightline Gothic«. Erst 1958 wurde die Familie (vorläufig) vollendet, mit zwei fetteren Graden. Die auffälligsten Buchstaben der platzsparenden Lineargrotesk sind die humanistisch angehauchten Kleinbuchstaben a, g und t. Die News-Gothic-Interpretation von URW überzeugt durch 5 Strichstärken (Light, Regular, Mediuem, Demi und Bold), die konsequent mit Kursiven und Kapitälchen ausgestattet sind; eine Besonderheit sind die ausgefallenen Discaps-Schnitte, Kapitälchen mit »tiefer gelegten« Versalien. Als Stern der Woche gibt es die News-Gothic-Familie, made by URW, bis zum kommenden Montag 0:00 Uhr für nur 75,– € (Listenpreis: 175,– €). Zum Info-PDF und zur Bestellung …
Wir Design und Total Identity kooperieren
Des niederländische Design- und Markenunternehmen Total Identity und die deutsche Wir Design communications AG haben am 10. September eine weit reichende Zusammenarbeit beschlossen. Im Sinne einer strategischen Partnerschaft wollen die Agenturen Know-how austauschen, sich in grenzüberschreitenden Projekten gegenseitig unterstützen und ihre internationale Marktpräsenz ausbauen.
Norbert Gabrysch, Wir-Design-CEO, beurteilt die Kooperation gegenüber der Presse: »Wir Design international auszurichten ist die logische Konsequenz der Internationalisierung unserer Kunden. Mit Total Identity haben wir eine ähnlich denkende Agentur gefunden, die uns mit ihren Netzwerkpartnern unter anderem in Belgien, Dubai und Seoul weltweite Verbindungen eröffnet.« Hans P. Brandt, CEO der Total Identity Gruppe und seit Januar 2009 auch Aufsichtsratsmitglied der wirDesign AG, formuliert die Vorteile der Kooperation aus seiner Sicht: »wirDesign hat sich über viele Jahre in Deutschland, einem der attraktivsten und gleichzeitig am härtesten umkämpften europäischen Märkte, behauptet und wächst weiter. Das bedeutet nicht nur interessante Impulse für uns und unsere Kunden, sondern eine zusätzliche Stärkung unseres internationalen Netzwerkes.«
DAM Architectural Book Award 2010
Die Frankfurter Buchmesse und das Deutsche Architekturmuseum (DAM) loben nach der erfolgreichen Premiere im letzten Jahr auch 2010 wieder den internationalen DAM Architectural Book Award aus. Zur Teilnahme aufgerufen sind alle Kunst- und Architekturbuchverlage aus dem In- und Ausland. Eine wechselnde Fachjury aus Vertretern des DAM sowie externen Experten bewertet die Einsendungen nach Kriterien wie Gestaltung, inhaltliche Konzeption, Material- und Verarbeitungsqualität, Grad an Innovation und Aktualität.
Das Deutsche Architekturmuseum unterstreicht die Bedeutung eines solchen Wettbewerbs im digitalen Zeitalter: »Auch im Zeitalter wachsender Konkurrenz durch neue Medien und Kommunikationsmöglichkeiten steht das Architekturbuch weiterhin im Fokus der Architekturvermittlung. So ist es das vorrangige Ziel des DAM Architectural Book Award die besten Architekturbücher des aktuellen Jahrgangs zu bestimmen, auszuzeichnen und einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.« Als Ehrenpreis ist er nicht mit einer Geldsumme dotiert.
Bestärkt durch die große Resonanz von über 200 Einsendungen durch insgesamt 60 hauptsächlich deutschsprachige Verlage im letzten Jahr, wird sich der diesjährige DAM Architectural Book Award gezielt einem internationalen Teilnehmerfeld öffnen und weltweit zur Teilnahme aufrufen.
Graphicore Bitmap-Font und Editor
Der Berliner Designer Lasse Fister hat vor wenigen Stunden seine Website www.graphicore.de ins Netz gestellt. Zu Feier des Tages veröffentlicht er die Pixelschrift aus dem Graphicore-Logo sowie den Code, mit dem sie gebaut wurde, unter einer freien Lizenz. Graphicore ist eine Bitmap Schriftart, die ursprünglich von Underwares Sauna Bold Italic Swash inspiriert war, aber sehr schnell ihren eigenen Weg gegangen ist. Sie hat bei einer Größe von 8 px und Vielfachen davon auf dem Bildschirm scharfe Konturen. Der angedachte Anwendungsfall liegt jedoch eher in Display-Größen. »Diese Schrift zu benutzen, ist ein Bekenntnis für die Kernelemente der Wahrnehmung unserer Zeit – Pixel. Auflösung ist endlich. Antialiasing ist eine Lüge!« verkündet Fister provokativ auf seiner Seite.
Fast 90 Schnitte umfasst im Moment das kostenlos ladbare Graphicore-Paket. Jede Unterfamilie weist eigene Charakteristiken auf. Weil es kein System in der Entwicklung dieser Charakteristiken gibt, hat Lasse Fister sie durchnummeriert. So ist es sehr einfach, der Sammlung neue Varianten hinzuzufügen, wenn neue Generatoren auftauchen. Der Nachteil liegt darin, dass der Name nicht beschreibt, wie die Schrift aussieht. Die Stile unterscheiden sich in ihrem Eckenradius und darin, wo die Ecken abgerundet sind. In den ersten drei Familien werden alle Ecken jedes »Pixels« gleich behandelt. Der Eckenradius der dritten Familie macht die Pixel zu Kreisen und die Familie daher zu einer »Dot-Matrix«. In den letzteren Stilen entscheidet ein Algorithmus, wo abgerundete Ecken gezeichnet werden.
Ausstellung: Hajo Rose – Bauhaus Foto Typo
Vom 15. September bis zum 8. November 2010 (Eröffnung: 14. 9.. 19:00 Uhr) zeigt das Bauhaus Archiv in Berlin die Ausstellung Hajo Rose – Bauhaus Foto Typo, die sich dem deutschen Fotografen und Grafikdesigner Hajo Rose (1910 – 1989) widmet. Rose studierte ab 1930 in Dessau, 1934 emigrierte er nach Amsterdam. Dort unterrichtete er bis 1940 an der »Nieuwe Kunstschool«, wo er für die Fachbereiche Typografie und Werbung verantwortlich war. Rose’s Arbeit stieß zu dieser Zeit nur in kleinen Kreisen um Paul Schuitema und Piet Zwart auf Interesse. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1949 wurde er an die Hochschule für Bildende Künste in Dresden berufen, von 1952 bis 1959 war Rose an der Fachschule für angewandte Kunst in Leipzig beschäftigt. Sein 100. Geburtstag ist für das Bauhaus-Archiv Anlass, ihn mit einer umfassenden Retrospektive zu ehren, die 80 Arbeiten aus den Bereichen Fotografie und Typografie umfasst.
»Endlich ein Haus aus Stahl und Glas!« äußerte sich Hajo Rose begeistert über das Dessauer Bauhaus-Gebäude, als er dort 1930 sein Studium begann. Zeit seines Lebens vertrat Rose die Methoden des Bauhauses, sowohl als Dozent wie auch als Künstler und Fotograf. Rose experimentierte mit den verschiedensten Materialien und Techniken. Die Fotomontage seines Selbstportraits kombiniert mit dem Dessauer Bauhaus-Gebäude (um 1930), der Surrealismus seiner Fotografie »Seemannsbraut« (1934) sowie die Stoffdruckmuster (1932), die er mit der Schreibmaschine gestaltete, stehen exemplarisch für den außergewöhnlichen Ideenreichtum des Künstlers. Auch an einer Werbekampagne für Jenaer Glas wirkte er mit; dieses erste herdtaugliche Haushaltsglas stand für modernes Produktdesign und zählt bis heute zu den Küchen-Klassikern.
Unmittelbar vor der Schließung des Bauhauses erhielt Hajo Rose als einer der letzten sein Abschlussdiplom. Die nachfolgenden Stationen prägten seine Biografie, die ein besonderes Beispiel für die Migrationsgeschichte vieler Bauhäusler nach 1933 darstellt. Nach einjähriger Assistenz im Berliner Büro von László Moholy-Nagy emigrierte Hajo Rose 1934 gemeinsam mit seinem Bauhaus-Kollegen Paul Guermonprez in die Niederlande. Auf der Weltausstellung in Paris 1937 wurde sein Plakat »Amsterdam« ausgezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Rose als Gebrauchsgrafiker, Fotograf und Lehrer in Dresden und Leipzig tätig. Auch in der DDR setzte er sich für die Ideen des Bauhauses ein, das dort bis Mitte der 1960er Jahre als bourgeois und formalistisch galt. Rose trat aus der SED aus und nahm den Verlust seiner Tätigkeit als Dozent in Kauf. Fortan arbeitete er als einer der wenigen freiberuflichen Grafiker in der DDR. Im Alter von 79 Jahren verstarb Hajo Rose – kurz vor dem Mauerfall.
Abbildungen
Hajo Rose: »Reklamefoto für Jenaer Glas«, 1933-34, Silbergelatinepapier, 20,6 x 18 cm
Hajo Rose: »Joseph Thain auf der Bauhaus-Terrasse«, 1932, Bauhaus-Archiv Berlin (beide: © VG Bild-Kunst, Bonn)
ZEIT ONLINE plus: leerer Einkaufswagen mit Radsperre
Stellen Sie sich vor, ein neuer Supermarkt hat eröffnet: TIEZ. Er lockt die Kunden mit »kostenloser Parkplatz, kostenloser Einkaufswagen, kostenlose Warenprobe.« Sie steigen ins Auto, fahren dort hin und betreten den Laden. Ein netter Helfer übergibt Ihnen den Einkaufswagen, in dem eine 6 Wochen alte Zeitung liegt sowie der aktuelle TIEZ-Prospekt. Damit stehen sie nun in einem großen, leeren Raum ohne Regale, die Wände nackter Beton. Sie fragen den Angestellten, wo denn die Waren stünden. Er zeigt auf eine Tür mit dem Schild: »Freischaltung: Die Nutzungsdauer Ihres Einkaufswagens ist abgelaufen. Zum Aktionspreis von 4,99 € können Sie die Nutzungszeit um 30 Tage verlängern, im Anschluss unseren geräumigen Verkaufsraum betreten und zugleich den Anspruch auf vier weitere Wochenzeitungen erwerben. Viel Spaß beim Blättern in unserem kostenlosen Prospekt.«
Sie würden eine Kehrtwende machen und verärgert nach Hause gehen? Genau das scheinen rund 50 % der Kunden getan zu haben, wenn man die Bewertungen im App-Store richtig interpretiert, die seit vergangenen Montag die App der Wochenzeitung DIE ZEIT auf iPhone oder iPad luden. Das Programm heißt ZEIT ONLINE plus, ist kostenlos und verspricht: »Auf elegante Art und Weise bringt diese App die Qualität und Aktualität von ZEIT ONLINE und DIE ZEIT auf Ihr iPhone. Sofort nach dem Laden der App steht Ihnen eine kostenlose Demoausgabe der ZEIT zum Ausprobieren zur Verfügung. Nach der kostenpflichtigen Freischaltung lesen Sie vier Ausgaben der ZEIT bereits einen Tag vor Veröffentlichung der gedruckten Ausgabe. Zudem können Sie 30 Tage die aktuellen Informationen von ZEIT ONLINE mit zahlreichen Premiumfunktionen nutzen. Als Universal App läuft sie darüber hinaus optimal dargestellt auf dem iPad.«
Doch die ZEIT-App will mehr: »Im Detail bietet Ihnen die App intelligente Einordnung und Analyse des Tagesgeschehens. Dazu kommen, wie von ZEIT ONLINE gewohnt, minutenaktuelle Nachrichten, hochwertige Fotostrecken und Videos. Wir haben das Ziel, ZEIT ONLINE zur führenden Plattform für anspruchsvolle Leserdebatten auszubauen. Daher war uns sehr wichtig, dass Sie sich direkt aus der App an den Debatten der großen Themen des Tages beteiligen können. Die in der App verfassten Kommentare erscheinen dann ebenfalls direkt unter den Artikeln in der Website.« Das schreibt ZEIT-Redakteur Sascha Venohr im Blog der Wochenzeitung.
Das vielversprechende Inhaltsverzeichnis (links) der kostenlosen ZEIT-App führt vor allen Dingen in die Freischaltung-Sachgasse
Zwischen den Zeilen lese ich: Wir möchten über den neuen Kanal viele neue Leser gewinnen (oder alte zurückgewinnen), die sich aktiv zu Wort melden und die tollen Möglichkeiten des sozialen, mobilen Internets nutzen. Ein richtiger Weg, kann ich sofort unterschreiben. Doch leider ist die ZEIT-App ganz und gar keine Einladung zum Mitmachen. Wer sich nach dem kostenfreien Download bis zur »Demoausgabe« (Nº 30, vom 22. Juli 2010) durchgearbeitet hat, ist ein Dutzend Mal mit der Meldung begrüßt worden, dass der »Nutzungszeitraum abgelaufen« sei. Kein ermunternder Einstieg.
»Warum sich dies der eine oder andere trotzdem antut, spricht für die Hurra-wir-lesen-noch-Qualität, welche ich der ZEIT nicht im Geringsten absprechen möchte. Trotzdem ist die Verpackung und der damit zusammenhängende (Technik-)Auftritt heutzutage deutlich wichtiger als man es in dieser Branche womöglich wahrhaben möchte.« schreibt Alex Olma in seiner Kritik der ZEIT-ONLINE-plus-App im iPhone-Blog. Große Teile der angestrebten Leserschaft, so seine Vermutung, seien wahrscheinlich noch Jahre davon entfernt, digitale Güter gedanklich so wertzuschätzen, wie eine Druckauflage im Briefkasten. Vor allem dann nicht, wenn ein Klick auf das Safari-Icon zu den weitgehend identischen, aktuellen ZEIT-ONLINE-Inhalten führt – kostenlos.
Die Inhalte der Printausgabe lassen sich entweder in der Faksimile-Darstellung (»Originalansicht«) lesen …
Was gäbe es zur Funktionalität der kostenlosen App zu sagen, außer dass sich aktuelle Meldungen, Fotostrecken und Videos nicht ansehen lassen (wenigstens das »Quiz des Tages« ist ohne Registrierung nutzbar). Die ZEIT macht – im Vergleich zum SPIEGEL (siehe DER SPIEGEL auf dem iPad: grafische Schlachtplatte) – einiges besser. Da wäre die Kommentarfunktion hervorzuheben, im Moment einmalig in der mobilen deutschen Presselandschaft. Begrüßenswert ist auch das Angebot, die aktuelle Ausgabe sowohl im Reader (ePub), als auch gestaltet lesen und betrachten zu können (PDF). Der Reader stellt dabei allein den Text dar und verzichtet auf eine mehr oder weniger zufällige Beimischung von Abbildungen, wie es die SPIEGEL-App zu tun pflegt. So lange der Stein der Weisen noch nicht gefunden ist für die Übertragung von Printmedien auf Tablet-PCs, erscheint mir diese Doppelstrategie als das Minimumangebot für digitalisierte Leserkreise.
Dass es besser gehen muss, wissen Leute wie Oliver Reichenstein (Information Architects), der Experimenten, wie sie zum Beispiel von Wired veranstaltet werden (Fontblog berichtete: WIRED Screen vs. WIRED Print), wenig abgewinnen kann. Glücklicherweise gehört er zu einem Beraterteam, das ZEIT ONLINE begleitet. Auf das Look-&-Feel der Premieren-Version hatte er jedoch kaum Einfluss, wie er gleich nach der App-Store-Premiere twitterte: »Zeit Online has just put out an iPad app based on some of the work we did for them. But, to be clear: we didn’t design or revise the app.«
… oder im Reader, keine Abbildungen, nur Text, dieser aber skalierbar in der Größe
Wie auch bei der SPIEGEL-App lohnt es sich in dieser Phase kein bisschen, auf Layout, Umbruch, Typografie und Schriften einzugehen. So lange grundlegende Mechanismen fehlen, zum Beispiel Lesezeichen, Links in den Artikeln, die sie mit Web-Inhalten und untereinander vernetzen, oder die Möglichkeit, einzelne Artikel zu zitieren oder zu archivieren, brauchen wir das Thema Mikrotypografie noch nicht anzuschneiden. Geradezu unverzeihlich ist das Vergessen der populären Wischen-Geste, mit der iPhone-User schon seit Jahren PDFs und Fotogalerien durchblättern. Zum Blättern der digitalen ZEIT bedarf es zunächst eines Fingertips, um zwei Navigationswerkzeuge einzublenden, Pfeile und ein visuelles Inhaltsverzeichnis … komplizierter geht’s immer.
Der Frankfurter Lehrer Torsten Larbig schreibt in einem iTunes-Store-Kommentar: »Diese App ist von der Angst geprägt, dass bloß kein Benutzer mehr mit ihr anstellt, als Artikel lesen und zu kommentieren. Würde die Printausgabe mit ähnlichen Vorgaben erstellt, müsste sie auf schneidfestem Material erscheinen, gedruckt mit kopiersicherer Tinte und dürfte nur in dem Raum gelesen werden, für den man die Ausgabe frei geschaltet hat – damit bloß keiner mitliest.« Sein abschließendes Urteil, vielleicht typisch: Geladen, getestet, gelöscht.
Fazit: Leider ist auch die ZEIT-ONLINE-plus-App im augenblicklichen Zustand kein mutiger Zeitungsauftritt für iPhone und iPad. Der Erstkontakt ist frustrierend, da die sinnvollen Funktionen erst nach einer kostenpflichtigen Freischaltung (4,99 €) zu erleben sind; der Preis ist zwar günstig, aber kontraproduktiv, wenn vor allem Neukunden ins Boot geholt werden sollen. Ob die nicht näher beschriebenen »Premiumfunktionen« für einen persönlich wertvoll sind, erfährt man nur, wenn man sie kauft. Der aktuelle Daseinszweck der App besteht darin, existierender Online-Inhalte (nun kostenpflichtig) zu servieren und die Texte der Druckausgabe digital lesbar zu machen – nur nicht mehr. Damit bleibt ZEIT ONLINE plus weit hinter den Möglichkeiten zurück, die mit digitalen Medien in einer vernetzten Struktur möglich sind.