Nichtlesen 19: Bis einer heult …

Wussten Sie schon, dass insge­samt 21.153 Personen der kürz­lich in Japan wütende Tsunami gefällt? (Darunter auch mir selbst, wie mir nach dem Klick auf den gleich­na­migen Button auffiel.) Das belegt dieser Screenshot mit Stand vom 29. März 2011:

Damit wären wir beim Thema: Letzte Woche hatten wir uns ja mit der Zukunft von Facebook beschäf­tigt (Nichtlesen 18.2). Heute wird es Zeit, sich der Gegenwart zu widmen. In dieser Gegenwart passierte mir persön­lich folgendes:

Kürzlich dödelte ich so nichts­ah­nend bei Facebook rum. Dabei fiel mir auf, dass mir  meine Profilseite oben rechts ein »Vorname Nachname – zurückstupsen« anzeigte. Interessant, dachte ich. Wenn ich zurückstupsen kann, muss ich ja wohl ange­stupst worden sein. Und sogar von einer Frau. Womöglich gar mit Absichten … wer weiß und wie nett! Prompt nahm ich die Gelegenheit wahr und stupste freudig zurück.

Aber wenig später erhielt ich eine persön­liche Nachricht von der Angestupsten: »Ähm, hast Du mich etwa ange­stupst?« Ja, hatte ich. Und das kam wohl nicht gut an. Wie pein­lich. Plötzlich stehe ich als zwie­lich­tige Frauen-Anstupsnase da. »Da muß ich mich wohl verstupst haben, sorry & stup­si­kowski!«, antwor­tete ich der Frau, verzierte die Nachricht mit einer Serie aller­nied­lichster Smileys und suchte noch am selben Abend Vergessen im Alkohol. Leider gelang mir das nicht. Also das Alkoholtrinken schon. Nicht aber das Vergessen der blama­blen Stups-Affäre.

Denn schließ­lich wurde folgendes klar: Facebook arbeitet mit gezielt irre­füh­renden Informationen, um den Stupsverkehr anzu­heizen. Glatte Lüge. Nicht schwer­wie­gend, aber etwas pein­lich, plötz­lich als Stupser dazu­stehen. Dabei ist Stupsen ja an sich nichts schlimmes. Im Gegenteil: Wie viel erfreu­li­cher wäre zum Beispiel die Weltgeschichte verlaufen, hätte es am 1. September 1939 geheißen: »Heute ab 5 Uhr früh wird zurückgestupst.«

Laut »Facebook Help« hätte der Angestupste dann nämlich die Option des – Zitat – »Zurückanstupsens« gehabt, womit wir folgendes über die Facebook-Sprache lernen: »Zurückstupsen« bedeutet in Wirklichkeit initiativ anstupsen (ehemals »stupsen«) und »zurück­an­stupsen« (ehemals »zurückstupsen«) bezeichnet die Reaktion auf eine Stupsigung. Eine inter­es­sante Sinnverschiebung, wie wir sie zum Beispiel auch aus dem TV-Deutsch kennen. Siehe: »sehen Sie jetzt« = »sehen Sie nach dem nächsten Werbeblock«.

Fazit: Man muss beim Rumstupsen genauso aufpassen wie beim Rumschubsen. Beides kann nämlich schnell so weit gehen, bis einer heult. So wie mir kürz­lich die Tränen kamen vor Wut und Scham darüber, daß ich mit einem einzigen Klick auf »zurück­stubsen« meine über lange Jahre mühsam aufge­baute Social-Media-Reputation versaut hatte. Die Sache sprach sich nämlich schnell herum, und nicht nur online. Erst gestern habe ich im soge­nannten Real Life einen Bekannten auf der Straße getroffen, der mich mit »Hallo Stupsi!« begrüßte. Danke Facebook!

Davon einmal abge­sehen erin­nert mich das Zurückanstupsen an eines der mir größten Rätsel unserer zeit­ge­nös­si­schen Sprache. Und zwar an die inbe­son­dere in der geschäft­li­chen Konversation gebräuch­liche »Rückantwort«. Kürzlich erhielt ich eine E-Mail eines Werbeagentur-Mitarbeiters, in der man mir mitteilte, noch auf »Rückantwort« vom Kunden zu warten. Da diese also noch ausstand, nutzte ich die Mußestunde und frag­rückte oder rück­fragte mit der nächsten Brieftaube, was denn der Unterschied zwischen einer Antwort und einer Rückantwort sei. »Schwer zu sagen, klingt irgendwie profes­sio­neller oder moderner oder so …«, erhielt ich als Rückrückantwort, auf die mir keine Rückrückrückantwort mehr einfallen wollte.

Aber eine kurze Rückrecherche im Internet klärte die Sachlage schnell: Dieser Begriff stammt aus der Formularwelt der guten, alten Post, bzw. aus der Verwaltungssprache. Nur warum gerade dieses gar nicht modern klin­gende, nicht einmal angli­zis­ti­sche, sondern streng nach Amtsdeutsch müffelnde Vintage-Wort aus dem Snail-Mail-Segment gerade in der heutigen E-Mail-Konversation und insbe­son­dere bei Werbeagenturen im Einsatz ist und auch noch mit gefühlter Vornedranigkeit in der Business-Korrespondenz verwendet wird, bleibt mir schlei­er­haft. Aber damit kann ich leben.

Wesentlich mehr beun­ru­higt mich folgende Blitz-News, die hier gerade bei uns in der Nichtlesen-Redaktion über den Ticker läuft: +++Berlin, 1. April: Nach schwerer Kollision mit einer Power-Point-Präsentation ist heute morgen ein IQ gesunken. Genaueres über die Katastrophe ist noch nicht bekannt. Augenzeugen berichten von erschre­ckenden Bildern.+++ Au backe! Wir berichten weiter.

Michael Bukowski


17 Kommentare

  1. Nichtleser

    Kurze Zwischenfrage eines Partizipienten:

    Wie steht es um den Dopamin-, Serotonin-, Noradrenalin-, Endorphin-, Oxytocin- und Phenethylamin-Haushalt bei Herrn Grabowski? Der schien mir letzte Woche ziem­lich durch­ein­ander geschubst worden zu sein. Das waren doch nicht etwa auch Sie, um Ihn sozu­sagen nach­haltig von der Display Surface zu drängen?

  2. Bukowski

    @ Nichtleser Ich fürchte, bei Herrn Grabowski piept’s noch :)

  3. Nichtleser

    … armer schwarzer Kater … Game also immer noch over.

  4. Kurt

    Dieses Stupsen ist ja noch ’ne nette Sache. Was ich viel schlimmer finde, ist das unter dem (in diesem Fall!) Pseudonym „Forschungsprojekt“ laufende Überwachungsprogramm der Bürger aller EU-Staaten namens INDECT: Dadurch werden wir nicht nur mehr ange­stupst, sondern richtig in den Arsch getreten – von den Leuten, die unsere Zukunft verspielt haben; natür­lich werden solche Aktionen mit dem Vorwand gestartet, es gelte unsere Sicherheit zu wahren. Die Realität sieht leider so aus, dass zuneh­mend die Sicherheit unserer Möchtegerneliten gesi­chert werden muss. Vorsorge wird schon jetzt unter Vorwänden getroffen, über die ich nicht nur staune, die mich gar erschau­dern lassen. Das ist ein poli­ti­scher Krieg gegen das Volk.

    Merkelt euch das!

  5. Theo

    Ich glaube es ist Zeit für ein „Gefällt mir nicht“ Button.

  6. Der Altruist

    Ich denke, wir benö­tigen einfach mehr Assanges, die den Mut haben, große Teile der Bevölkerung wachzurütteln.

  7. Bukowski

    @ Kurt Von INDECT habe ich nur am Rande mitbe­kommen. So weit ich weiß ein ziem­lich heißes Thema, das aber von Medien und Öffentlichkeit weit­ge­hend igno­riert wird. Hier mal ein Link zum Thema: http://​indect​pro​ject​.eu/

  8. Nichtleser

    Ich denke, wir benö­tigen einfach mehr Assanges, die den Mut haben, große Teile der Bevölkerung wachzurütteln.

    Das sollte nicht das Problem sein:

    Facebook: Undurchsichtiger Umgang mit Daten
    (NDR ZAPP Medienmagazin, 09.03.2011)

    Ich klicke, also bin ich – wie mein „digi­tales Ich“ zur realen Gefahr werden kann
    (ARD Monitor, 10.03.2011)

  9. Kurt

    An Bukowski

    Das ist es ja gerade: Alles wird hinterm Rücken der Bürger gemacht. Echelon ist zwar ein System, das es schon länger gibt als INDECT, es ist aber noch schlimmer. Den Krieg im Netz hat nicht „WikiLeaks“ begonnen, sondern die Eliten schon lange vorher. Auch andere Konflikte gehen nicht von Gruppen wie al-Qaida … aus, sondern von unseren eigenen Eliten und Geheimdiensten.
    8-O
    Und schon beginnt INDECT ein Täterprofil von mir zu erstellen!
    Ein „Danke“ auch an Nichtleser – für den inter­es­santen Tipp!

  10. Der Altruist

    Da geht ja was weiter bei euch – Kurt, Nichtleser, Bukowski …

  11. Kellerkind

    Danke. Das hat mich in meiner Entscheidung noch mehr bestärkt. In ca. 5 Minuten bin ich ein Ex-Facebook-Mitglied. Und ich bin absolut und felsen­fest davon über­zeugt, daß sich in meinem Leben dadurch äußerst wenig ändern wird. Ich bekomme höchs­tens ein paar weniger Mails, die mir sagen, daß ich auf irgend­etwas face­boo­kiges reagieren sollte…

  12. Regina

    Rückantwort ist ein weißer Schimmel, ist bzw. war also schon immer falsch. Ant = Anti heißt gegen oder zurück. Wer so spricht, hat erstens kein Latein gehabt, zwei­tens keine Allgemeinbildung und drit­tens kein Sprachgefühl.

  13. K. E.

    Liebe Regina,
    ich gehe davon aus, dass Herr Bukowski Anführungszeichen gesetzt hat, weil er im Umgang mit dem pleo­nas­ti­schen Stilmittel durch­wegs geübt ist oder besser, weil er mit dem pleo­nas­ti­schen Stilmittel umzu­gehen weiß!

  14. Regina

    Lieber K.E.,
    oh, da bin ich wohl mißver­standen worden. Natürlich habe ich meine bissige Bemerkung nicht an Herrn Bukowski gerichtet, sondern an denje­nigen, der besagte „Rückantwort“ von ihm erwartete.

  15. K. E.

    Entschuldige Regina, war nur ’n Gag; wenn du mich deswegen nicht verklagst, sind wir beide Freunde.

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