Die schönste Tageszeitung kommt aus Portugal

Titelseite der gest­rigen Ausgabe von i (Format 250 x 345 mm, klicken zum Öffnen eines hoch aufge­lösten PDFs)

Die ameri­ka­ni­sche Society for News Design hat zum 32. Mal den jähr­li­chen Wettbewerb The Best of Newspaper Design™ Creative Competition ausge­schrieben und in der Nacht den Gewinner mitge­teilt: die erst 2009 in Oeiras, Portugal, gegrün­dete Tageszeitung i (= abge­kürzt für infor­mação; www​.ionline​.pt) lief allen gedruckten Traditionsmedien den Rang ab. Ihr Art-director ist Nick Mrozowski, ein Amerikaner der zuletzt bei der eben­falls bemer­kens­werten Zeitung The Virginian Pilot (Norfolk, VA) arbeitete.

Aus der Begründung der Jury*: »Die Jury ist mehr als jeder andere über­rascht, dass es nur eine einzige Zeitung in die Bestenliste 2010 geschafft hat. Tatsächlich haben wir unsere Entscheidung sorg­fältig zerpflückt, bis hin zu einer geheimen Abstimmung, und waren am Ende verblüfft darüber, wie ein junges Printobjekt alle Weltklasse-Zeitungen aus dem Rennen warf.

In Zeiten des Umbruchs für die Medien hat diese Entscheidung sehr viel mit Innovation zu tun. Viele der uns vorge­legten Zeitungen spielen nach wie vor eine Hauptrolle an vorderster Medienfront. Sie waren hart­nä­ckig und intel­li­gent genug, um gestärkt aus der Wirtschaftskrise der vergan­genen Jahre hervor­zu­gehen. Aber die portu­gie­si­sche Tageszeitung i stach mit ihrer Methode hervor, das Beste aus der visu­ellen Sprache von Tageszeitung, Magazin und anderen Publikationen zu nehmen um etwas zu schaffen, was mehr ist als die Summe seiner Teile.

Sie ist kompakt, frisch, einheit­lich und steckt voller Überraschungen. Ihre Magazingröße macht es dem Leser leicht, sie nah zu lesen, sich tief in den Inhalt zu vergraben. Die Publikation ist voll­ge­packt mit Informationen, die extrem gut aufbe­reitet sind, unter der Benutzung von Ebenen und Schnitten, die den Leser in jede Seite hineinzieht.«

»i beschreitet den Weg zwischen Zeitung und Zeitschrift mit perfekter Balance. Ihr Format unter­stützt jene Art von Flexibilität, die nötig ist, um auf einer Doppelseite harte Fakten zu präsen­tieren und auf der nächsten eine Reportage. Die Ausgaben, die der Jury vorlagen, brachten an einem Tag als Titelgeschichte das Protrait eines groß­ar­tigen Schriftstellers und am nächsten Tag an der selben Stelle eine Reportage über das Erdbeben in Haiti. Und so stehen in über­ra­schender Reihenfolge Geschichten mit Eile und Neuigkeitswert gegen­über Reportagen mit Tiefgang und Humor.

Das Blatt liefert tradi­tio­nellen Zeitungsinhalt in neuer, mitrei­ßender Form. Das brachte die Jury zu der Frage: Ist das der Weg, den Zeitungen einschlagen? Ist das der Weg, den Zeitungen gehen können oder müssen? Können neue visu­elle Techniken Drucksachen leben­diger und rele­vanter machen?«

Diese Fragen gebe ich gerne an die Fontblog-Leser weiter. Ein Klick auf das untere Bild öffnet eine Galerie auf Facebook mit Titelbildern und Doppelseiten von i.

*Die Jury: Haika Hinze (Die Zeit), Heidi de Laubenfels (The Seattle Times), Svetlana Maximchenko (Akzia, Moscow), Carl Neustaedter (Ottawa Citizen) und Sara Quinn (Poynter Institute)

Vergleiche auch:
Fontblog, 18. Februar 2010: Die schönste Zeitung kommt aus Deutschland
Fontblog, 19. Februar 2009: Wir gratu­lieren der »Welt am Sonntag«
Fontblog, 20. Februar 2008: Die best­ge­stal­teten Zeitungen der Welt
Fontblog, 20. Februar 2007: Die schönsten Zeitungen 2006


13 Kommentare

  1. Christoph

    Auf jeden Fall können andere Schriften als Helvetica Drucksachen leben­diger machen …

  2. seb

    Ich finde gerade durch die viel geschol­tene Helvetica wirkt das Produkt lebendig. Gratulation! Auch sehr schöne Illustrationen!

  3. thomas junold

    ich denke, dass hier ein wenig auf die »bloom­berg busi­ness­week« geschaut wurde, die auch eine helve­tica verwendet, aller­dings eine gelun­gene neu-zeich­nung von chris­tian schwartz.

    ansonsten sieht alles schon sehr schick aus, obwohl ich nach der lektüre vermut­lich den wunsch hätte eine halbe stunde eine weisse wand zur neutra­li­sie­rung anzuschauen. ;)

  4. Johannes

    Ist mir persön­lich viel zu bunt. Ich hab es da lieber wenn Ausdruck im Kontrast zu ruhigen Elementen steht. Aber es ist eben keine Nordeuropäisch-unter­kühlte Publikation und die Illus sind schon toll…

  5. mikka

    stimmt, ein wenig zu bunt aber es sieht echt gut aus,
    es macht mich stolz auf meiner heimat.

  6. Johannes Erler

    irgendwie kaum noch text, oder? oder einfach nur die falschen seiten auf der website.

  7. Indra

    Ja, Businessweek ist mir eben­falls sofort einge­fallen. Trotzdem finde ich die Gestaltung und die Schriftauswahl im Großen und Ganzen gelungen, wenn auch sehr auf den aktu­ellen Trendwellen reitend. Die Helvetica wirkt hier nicht billig und unin­spi­riert sondern zusammen mit den Farbflächen recht knackig. Plantin wird zwar momentan auch echt viel verwendet (wegen Monocle?), ist aber immer noch schön. Und mit dem Trend zu sehr engen Zurichtungen sind wir wieder bei den 80er Jahren, wie in so vieler Hinsicht.

    Aber ich gebe Johannes Recht, »i« (sehr guter Name :) wirkt schon eher wie ein Magazin. Vielleicht bringt jedoch genau dieser Ansatz wieder mehr Leute dazu, eine gedruckte Tageszeitung zu lesen?

  8. R::bert

    Erinnert mich ehrlich gesagt eher an ein Magazin der 80er. Vielleicht durch die Helvetica und das Farbklima? Es schwingt irgendwie etwas billiges mit. Man könnte meinen, die Zeitung hat jemand vom Antiquitäten-Heinz um die Ecke mitge­bracht. Sehe ich das nur alleine so?

  9. Philipp

    Geht mir auch so R::bert. Zielgruppe? Zumal das Logo keine Formqualität erahnen lässt und durch seine Prominenz fast einer Imagebroschur zuge­ordnet werden kann.

  10. thomas junold

    die logos oder besser die logo-zeilen einer deut­schen tages­zei­tung sind auch nicht unprominenter ;)

    die typo­gra­fi­sche ausar­bei­tung ist doch einen guten zacken moderner und besser als 80er typo oder? aus den 80ern sind mir ehrlich keine beispiele im kopf geblieben, wenn ich an jahr­bü­cher denke …

  11. Indra

    Nur zum Verständnis noch mal – ich meine nicht, dass die Gestaltung wie 80er Jahre aussieht. Mein Kommentar dies­be­züg­lich bezog sich ausschließ­lich auf die Laufweite der Schrift und viel­leicht noch auf die Schriftwahl. Konzept und Layout empfinde ich über­haupt nicht als billig oder Antiquitäten-Heinz.

  12. thomas junold

    inter­es­sant finde ich in dem zusam­men­hang, dass, wenn ich das richtig sehe die wort­ab­stände nicht im glei­chen maße enger gemacht worden. zumin­dest wirken die wort­ab­stände was arg groß.

  13. poms

    Klasse! Schön promi­nent und kompakt (gesetzt), die (Neue) Helvetica bold ist einfach eine über­ra­gende Displayschrift – ist Display und lässt trotzdem die Illus gut atmen.

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