Fontblog Designdiskurs

»Wehret den Anfängen«, Schweiz?

Ralph du Carrois hat die Schweizer Flagge etwas umge­staltet. Er schreibt: »Bei dem Plakat das zum Bürgerentscheid zum Minarett-Verbot in der Schweiz hing wird einen bang ums Herz und das Grafikerhirn beginnt Analogien zu kreieren.« Er schuf eine grafi­sche Interpretation, zu der ich gerne verlinke, die ich hier jedoch nicht zeigen möchte. Kommentare? Ja, gerne …


Design-Crowdsourcing: Schaden für die Volkswirtschaft?

volkssport_stapelkamp

Auf der Veranstaltung Volkssport Design (Berlin, Ende Oktober 2009, Fontblog berich­tete) rech­nete der Kölner Designexperte Prof. Torsten Stapelkamp dem Publikum vor, was es volks­wirt­schaft­lich bedeutet, wenn sich mehrere Dutzend Designer auf Dienstleistungsportalen (z. B. desi​gnen​lassen​.de) »um einen Auftrag prügeln«.

In einem Kommentar zu Teil 2 Meiner Berichterstattung erläu­tert Prof. Stapelkamp die Kalkulation noch­mals detail­liert. Da ich das Rechenmodell für wichtig und diskus­si­ons­würdig halte, bestelle ich seinen Kommentar einfach mal in den Designdiskurs.

Dies ist Stapelkamps Berechnung zu einem durch­schnitt­li­chen Design-Crowdsourcing-Projekt, mit realis­ti­schen Vergütungszahlen, also Listenpreise statt Selbstausbeutung (70 €/h):

Aufwand für jeden betei­ligten Kreativen: mind. 10 h
Erforderlicher Stundensatz zur Deckung aller Kosten: 70 €

Durchschnittliche Teilnehmerzahl/Projekt: 119
Durchschnitt. Umsatz/Projekt: 347 € (desi​gnen​lassen​.de: »Preisgeld«)
Gewinn nach Abzug aller Kosten: 0 €
Verlust pro Teilnahme: ca. 700 € (10 h x 70 €)
Anzahl derer mit Totalverlust: 118 Teilnehmer
Anzahl der ausge­wählten Teilnehmer: 1 Teilnehmer
Verlust pro ausge­wähltem Projekt: 353 € (= 700 € – 347 €)
Bei mehr als 10 h entspre­chend höher.

Kalkulatorische kollek­tive Arbeitsleistung: 10 x 70 € x 119 = 83.300 €.
Volkswirtschaftlicher Schaden: 82.953 € (83.300 € – 347 €)

Um volks­wirt­schaft­lich korrekt zu kalku­lieren, sind zu den 82.953 € Schaden noch der Energieverbrauch/-verschwen­dung (Computer, Fahrzeuge, Büroheizung etc.) addieren.

Stapelkamps Fazit: »Durch desi​gnen​lassen​.de werden pro Projekt 119 Personen akti­viert, um Zeit, Energie und Ideenpotenzial für einen einzigen ›fiesen Möpp‹ zu vergeuden, der sich ein Logo, ein Corporate oder einen Internetseitenentwurf für durch­schnitt­lich 347 € erschnorren möchte. Dabei entsteht ein volks­wirt­schaft­li­cher Schaden von rund 83.000 €, zuzüg­lich der Energieverschwendung von 119 Personen/Computern/Fahrzeugen/Büros.«


Werbung heute, Werbung vor 30 Jahren

advertising_2009

Ein Video zum nahenden 3. Media Convergence Forum in New York (20., 21. Oktober 2009) erin­nerte das kata­la­ni­sche Blog barce­lo­na­schi­rin­guito an die oben abge­bil­dete Illustration  der Financial Times (©). Alle spre­chen von der Verschmelzung der Medien … während sich die Anzahl der Kommunikationskanäle verviel­facht. Nur wenige Marken sind in der Lage, alle Medien zu bedienen. Fluch oder Segen? (via)


Studieren, arbeiten, spielen …

oder: Was taugt ein Bachelor-Abschluss im Design? von Jürgen Siebert

An den Designhochschulen beginnt in den nächsten Tagen das Wintersemester. Mancherorts ist es die letzte Möglichkeit, einen Diplomstudiengang zu beginnen, einige FHs dagegen entlassen bereits die ersten Bachelor-Absolventen.

arbeitszimmer_studentin

Bis 2010 müssen nach dem Bologna-Vertrag die neuen Studiengänge eigent­lich Europa-weit einge­führt sein. Einige Kunsthochschulen sträuben sich jedoch bis heute. Sie vertreten die Meinung, dass man künst­le­risch-gestal­te­ri­sche Praxis nicht im Rahmen von Modulen und Punktesystem im Schnelldurchlauf erwerben kann.
Mich würden Eure Erfahrungen als Absolventen, Arbeit-, bzw. Auftraggeber aus dem Designbereich interessieren.

Ist es möglich sich in (nur) drei Jahren umfas­send auf die Tätigkeit als Gestalter vorzu­be­reiten, wie es manche FHs in Deutschland anbieten? In den USA dauert ein BA-Design-Studium über­ra­schen­der­weise meis­tens vier Jahre.

Fördert die neue Studienstruktur wirk­lich den inter­na­tio­nalen Austausch? Oder sind die Studenten heute aufgrund der kürzeren Studienzeiten viel zu gehetzt und gestresst, um auch noch ein Semester ins Ausland zu gehen? Gibt es in Deutschland für auslän­di­sche Studenten genü­gend attrak­tive Studienangebote, z. B. Masterprogramme in engli­scher Sprache, wie etwa in den Niederlanden?

Als Außenstehender empfand ich es als über­ra­schend schwierig, mich über die konkreten Inhalte der neuen Studiengänge im Internet zu infor­mieren. Ich traf auf kompli­ziert ausse­hende Studienpläne und -ordnungen, kryp­tisch formu­lierte Ziele und »Kompetenzen künf­tiger Designer/innen«.

Was sollen sie können, die zukünf­tigen Absolventen eines Designstudiums und in welcher Form lernt man das am besten?

(Abbildung aus Study, Work, Play von Fancy @ ZOOM)


Obama-Logo-Streit in den USA

Health-Care-Logo vs Reichsadler

Auch in den USA werden Logos verrissen – aber auf ganz andere Art, als wir das hier im Fontblog gewöhn­lich tun. Im Moment steht ein Signet aus dem Hause des Präsidenten unter Beschuss. Der US-ameri­ka­ni­scher Radiomoderator und Entertainer Rush Limbaugh hat mit seiner vorgest­rigen Sendung für Empörung gesorgt. Er sieht in dem Mobilisierungslogo für das von Barack Obama mit großem Engagement voran­ge­trie­bene Gesundheitsprogramm eine Verwandtschaft zur Nazi-Symbolik: »Wenn Ihr das Obama-Health-Care-Logo genauer anschaut, werdet ihr fest­stellen, dass es verdammt dicht an einem Nazi-Hakenkreuz-Emblem dran ist.« Er spricht von einem »Vogel mit gespreizten Flügeln« (Aufzeichnung des Radiobeitrags).

Schon die undif­fe­ren­zierte Beschreibung lässt darauf schließen, dass Limbaugh eher auf der Suche nach einem Sommerloch-Thema ist als über unred­li­ches Design aufzu­klären. Er kann weder das Symbol des Reichsadlers nament­lich benennen, noch den Hermesstab (ein Stab mit 2 Flügeln, den 2 Schlangen mit einander zuge­wen­deten Köpfen umschlingen – nicht zu verwech­seln mit dem Äskulapstab), der in den USA von vielen medi­zi­ni­schen Einrichtungen als Kennzeichen einge­setzt wird.

Alda Ekberg von Associated Content ist der Ansicht, dass Limbaugh einen subtilen Vergleich konstru­iert hat, um Mitglieder der Linken als Nazis bezeichnen zu können. »Mit anderen Worten: Er hat sein Allzeittief erreicht.« Der Daily News Blog schreibt: »Obamas Logo zeigt den Hermesstab, das ›Nazi-Hakenkreuz-Emblem‹ einen Adler. … So könnte man endlos weiter­ma­chen, um die falschen These Limbaughs zu entlarven. Unglaublich wie igno­rant und klein­geistig manche Menschen sein können.«

Rush Limbaugh begann seine Radiosendung 1988 und wurde bald zur meist gehörten Talkshow in den USA. Er sieht sich als konser­va­tives Gegengewicht zu den seiner Auffassung nach über­wie­gend libe­ralen Zeitungen und dem Fernsehen. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass Limbaugh den Vertrag mit seinem Arbeitgeber Premiere Radio Networks bis 2016 verlän­gert hat und dafür insge­samt mehr als vier­hun­dert Millionen Dollar erhält. Nach den 12-Uhr-Nachrichten redet Limbaugh drei Stunden lang »vornehm­lich über Politik, über die Welt, das Leben, gerne über sich selbst.« (FAZ).

Den oben rechts abge­bil­deten Reichsadler habe ich Wikipedia entnommen. Die Verwendung dieser Symbole in der Öffentlichkeit ist in der Bundesrepublik Deutschland verboten (§ 86a StGB). Die Strafbarkeit ist ausge­schlossen, wenn die Verwendung oder Verbreitung der staats­bür­ger­li­chen Aufklärung, der Abwehr verfas­sungs­wid­riger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnli­chen Zwecken dient (§ 86 Abs. 3 StGB).


Offener Brief an www​.desi​gnen​lassen​.de

Der Kölner Designer Stefan Maas (MAAS+CO), Mitglied der Allianz deut­scher Designer, hat seinem Berufsverband und dem Fontblog heute morgen seinen offenen Brief an den Nürnberger »Marktplatz für Kreativdienstleistungen« www​.desi​gnen​lassen​.de in Kopie über­bracht, den ich hier gerne zur Diskussion stelle. (Abb: www​.desi​gnen​lassen​.de)

Sehr geehrter Herr Kubens, sehr geehrter Herr Sobolewski,

auf diesem Wege muss ich Ihnen zu Ihrer Internetseite www​.desi​gnen​lassen​.de. gratu­lieren. Ihr zwei­fellos krea­tives und neuar­tiges Geschäftsmodell könnte tatsäch­lich eine neue Zeit in der Designbranche anbre­chen lassen, aller­dings meiner Meinung nach eher eine Endzeit. Das von Ihnen prak­ti­zierte Designverständnis wirft diesen Beruf in seiner öffent­li­chen Wahrnehmung locker um 20 Jahre zurück und ist Rufschädigung pur.

Schon der Name ist für einen poten­zi­ellen Auftraggeber wenig hilf­reich. Jeder, der sich mit profes­sio­neller Gestaltung beschäf­tigt hat, weiß, dass Design eine sehr persön­liche Dienstleistung ist. Das hat zur Folge, dass der „Maßanzug“ für den Auftraggeber nicht ohne dessen Mitwirkung entstehen kann. Wer glaubt, man könnte das Thema komplett dele­gieren oder mit Minimalbriefing als Lotterie ausschreiben, hat schlicht keine Ahnung und wird zu entspre­chenden Ergebnissen kommen, die den Kunden selten begeistern.

Soviel zur fach­li­chen Seite. Mit Interesse lese ich weiterhin auf der Startseite Ihres Projekts, dass sich am 16. Mai 2009 um 18:00 Uhr 1.664 Designer um 43 Projekte mit einem Gesamtbudget von 15.190,00 € balgen. Rechts daneben erfahre ich, dass die in der Liste aufge­führten Projekte ein durch­schnitt­li­ches Budget von ca. 350,00 € aufweisen. Wie man von solchen „Preisgeldern“ als Designer exis­tieren soll, bleibt unklar. Wenn ich die oben genannten Zahlen zum Beispiel mit den Honorarempfehlungen der Berufsverbände vergleiche, dann wird deut­lich, dass es sich hier um den Sachverhalt der „Liebhaberei“ handelt, wie es das Finanzamt ausdrü­cken würde. Das erin­nert mich an eine Denkweise, die man in der Praxis bei Unternehmen ohne Designvorkenntnisse leider manchmal antreffen kann: sollen die Designer doch froh sein, dass sie was Kreatives machen dürfen; aber dann auch noch Geld verdienen; das muss doch nicht sein. So oder so ähnlich lautet zusam­men­fas­send Ihre Botschaft an poten­zi­elle Auftraggeber.

Insofern ist der Name Ihres Projekts tref­fend: desi­gnen lassen; lassen Sie das mit dem Design doch einfach sein. Solange Sie Geld damit verdienen, dass Designer sich für ein Taschengeld um Jobs balgen, kann Ihnen das natür­lich egal sein, solange Ihr Geschäftsmodell funktioniert.

Diejenigen, die sich auf Ihr Angebot einlassen, kann man nur bedauern. Sie brau­chen drin­gend einen Grundkurs in kauf­män­ni­schem Denken und werden wohl demnächst ein Fall für Hartz 4 oder 5 sein. Es ist durchaus beein­dru­ckend zu sehen, dass man mit den heutigen Marketingmitteln sogar moderne Formen von Sklaverei so schick verpa­cken kann, dass sie attraktiv wirken. Und man bekommt sogar Förderpreise für diesen Unfug.

Beste Grüße

Stefan Maas, Dipl. Des. AGD


»Krieg der Zeichen« — Eine Leserkritik …

… als Antwort auf die Kritikerkritik »Stadtgespräche«
von Friedrich Grögel

Dieses Buch stinkt. Ich weiß nicht, woher das genau kommt, aber es kam mir schon öfter unter: manche aktu­ellen Drucksachen über­ra­schen einen beim Auspacken als erstes durch einen unan­ge­nehmen, beißenden, chemi­schen Geruch.

Dieser erste Kontakt verstimmt das Gemüt, zumal ein Klebchen auf der Schutzfolie stolz »printed in Germany with Love« verkün­dete. Doch auch der zweite Eindruck, der hapti­sche, ist keines­wegs erfreu­lich. Das Hochglanz-Plaste-Hardcover wirkt wie von einem Billigverlag à la »Buchclub« und nicht wie eine Herzensangelegenheit des wich­tigsten deutsch­spra­chigen Verlags für Grafik und Typografie.

Da ich auf den Inhalt äußerst gespannt war, hatte ich leider keine Zeit, das Buch auslüften zu lassen und unter­warf mich für einein­halb Tage den schalen Ausdünstungen der 288 Seiten.

Palms, USA

Das erste deutsch­spra­chige Textbuch zur grafi­schen Kultur des öffent­li­chen Raums

In »Krieg der Zeichen – Spurenlesen im urbanen Raum« geht es darum, die grafi­schen und schrift­li­chen Phänomene der Stadt in eine Ordnung zu bringen, zu erläu­tern und zu inter­pre­tieren. Dabei greift Markus Hanzer auf eine über­bor­dende Fülle von Beispielen zurück, die er foto­gra­fisch doku­men­tiert hat. Das Bildmaterial stammt über­wie­gend aus euro­päi­schen Straßen: aus Österreich (der Heimat des Autors), Deutschland, der Schweiz, Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Irland, Norwegen, Italien, Ungarn, Kroatien, Griechenland, und Malta. Viele Fotos sind eben­falls in den USA aufge­nommen. Für Südamerika stehen Vertreter aus Brasilien und Argentinien. Bilder aus der Türkei, Indien, Sri Lanka, Kamboscha, Thailand und Vietnam spielen eine unter­ge­ord­nete Rolle. Der abge­deckte Schriftraum kann letzt­lich mit der Sphäre des Lateinischen Alphabets gleich­ge­setzt werden.

Das Thema ist sicher­lich »Special Interest« und nicht für jeden etwas. Andererseits liegt »Schrift im öffent­li­chen Raum« bereits seit Jahren in der Luft und eine text­reiche, inhalt­liche Auseinandersetzung stand nach einer großen Zahl kleiner Veröffentlichungen im Sinne von Fotoalben und Kuriosa-Sammlungen auf der Tagesordnung. Das wach­sende Interesse ist auch durch die enorme Zahl von Blogs und Websites zum Thema belegt, ebenso wie durch den grafi­schen Trend zum Hand-made der letzten Jahre und die rasant wach­sende Anzahl von Fonts auf der Basis von Handschriftlichkeit, Schriftmalerei und Lettering.

Im deutsch­spra­chigen Raum war ein Werk über­fällig, das für sich bean­sprucht, einen Überblick über die visu­elle Kultur des öffent­li­chen Raums zu geben. Interessierte mussten bisher auf englisch­spra­chige Veröffentlichungen zurück­greifen, etwa auf »Signs – Lettering in the Environment« von Phil Baines und Catherine Dixon oder auch die älteren, zu Unrecht wenig bekannten Standardwerke von Alan Bartram und Nicolete Gray.

Die Stadt als Schauplatz eines andau­ernden Krieges

»Krieg der Zeichen« von Markus Hanzer geht von einem gewalt­tä­tigen Bild aus, das im Großen und Ganzen über das ganze Buch hinweg durch­ge­halten wird : »Dieses Buch versteht sich als Bericht von der Front eines Kriegs der Zeichen und versucht, Beweggründe und Methoden zu beschreiben, die im Kampf um Aufmerksamkeit sichtbar werden. Es erzählt von kleinen Grabenkämpfen und großen Schlachten, von Guerilla-Taktiken, von Siegern und Verlierern.« Der gewählte Vergleich zum Krieg liefert in der Folge viele sprach­liche Bilder für Kapitel- und Seitenüberschriften. So handelt etwa der erste Teil von »Kriegsparteien und Waffengattungen«.

Was unter Waffengattungen zu verstehen ist, begreift man, wenn man die ersten drei Doppelseiten gelesen hat und sich bewusst geworden ist, dass man den Schlüsselbegriff des Abschnitts besser im ersten Absatz sucht als in den Überschriften. Diese neigen leider dazu, durch die Versteigung in eine Metaebene den Gliederungspunkt zu verbergen, statt ihn zu präsen­tieren. Letztlich ist das erste Kapitel eine kleine Mediengeschichte von der Grab- und Monumentinschrift über das Papiergeld, den Brief, das Buch, die Zeitung und das Plakat zum Kino, Fernsprecher, Fernsehen und Internet. Dabei bilden die im öffent­li­chen Raum foto­gra­fierten Zeichen ledig­lich die Folie für einen kriti­schen Mediendiskurs, der, geschult an Naomi Klein (»No Logo! – Der Kampf der Global Players um Marktmacht«, zu finden in Hanzers Literaturanhang), die Welt der öffent­li­chen Zeichen über­wie­gend als ille­gi­time Versuche der Fremdsteuerung des Individuums durch staat­liche und wirt­schaft­liche Mächte darstellt.

Auf die grafi­sche Beschaffenheit, Gestaltungsprinzipien und Kontexte dieser Zeichen wird nicht einge­gangen. Bereits hier fragt sich der Leser, ob ein gestal­tungs­feind­li­cher Soziologe oder ein prak­ti­zie­render Designer zu ihm spricht. Ein Kulturwissenschaftler kann es nicht sein, da die Präsentation der Medien weder Bezug nimmt auf die histo­ri­sche und tech­nik­ge­schicht­liche Situation ihrer Entstehung, noch auf die kultu­rellen Effekte, die die Medien zeitigten: etwa auf die Ausstellung der Gesetze in der Griechischen Polis, die Kultur des Flugblatts in der Reformation oder die Briefkorrespondenzen des 18. Jahrhunderts.

Die Zeichen werden aus einem einzigen, zeit­ge­nös­si­schen und eindi­men­sional-konsum­kri­ti­schen Blickwinkel gelesen und interpretiert.

raum_fritz_1

Verschiedene Versuche, Ordnung zu schaffen

Im zweiten Teil wird das Material nicht nach Medien, sondern nach formal-stilis­ti­schen Kriterien und Techniken geordnet. Vom Disloziert-Poetischen über das Individualistisch-Handschriftliche zum Standardisierten, vom Offiziellen über das Kommerzielle zum Persönlichen, vom Teuren zum Billigen, vom Handwerklichen zum Industriellen, vom Verwurzelten zum Globalisierten. Wird in diesem Teil die Organisation des Materials inter­es­santer, so gilt dies leider nicht für die Entwicklung der text­li­chen Ebene, die all zu oft auf beschrei­bendem Niveau verharrt oder sich in Allgemeinplätzen ergeht. Dies ist um so bedau­er­li­cher, als die Überschrift dieses zweiten Teils verspricht, zu erklären, »Wodurch Zeichen ihre Macht ausüben«. Diese Frage bleibt im ganzen Buch unbeantwortet.

Im dritten Teil widmet sich der Autor dem »Kampf der Kulturen«. Auf Bildebene werden (haupt­säch­lich) Südfrankreich, San Diego und Amsterdam in die Schlacht geschickt. Auf der Textebene erfahren wir aber nichts über konkrete lokale Differenzen der Zeichenqualitäten sondern werden mit der Existenz von Mechanismen und konsens­fä­higen Regeln der indi­vi­du­ellen geschmack­li­chen Exponierung, mit visu­eller Integration und post­ko­lo­nialer Patchwork-Identität, mit Authentitizität und dem Auslagern von Botschaften an über­ge­ord­nete gesell­schaft­liche Instanzen konfron­tiert, die, wie so vieles, nicht bespro­chen, sondern ledig­lich zur Sprache gebracht werden.

Der vierte Teil »Historische Dimensionen« vereint ein Potpourri von Aspekten in sich, die man grob unter das Thema Zeit stellen kann. Das betrifft öffent­liche Gedenkinschriften (verknüpft mit der Frage nach der Interpretationshoheit über Geschichte), Jahreszahlen an Fassaden, das Anbringen von öffent­li­chen Uhren (mit dem Zweck, den Einzelnen besser zu kontrol­lieren und ohne die Erwähnung der Begeisterung für Mechanik im Barock) und Schriftformen, die zeit­lich und stilis­tisch Epochen zuge­ordnet werden können (Fraktur, »Westernschriften«). Ebenfalls hier einsor­tiert werden die Überlagerung von Schichten, der Zerfall, die Wegwerfgesellschaft und der Dreck. Einen inhalt­li­chen Zusammenhalt über das Oberthema Zeit hinaus gibt es nicht, eben­so­wenig wie die Möglichkeit, das Säbelrasseln des Titels in diesem Kapitel ins Bild zu schmuggeln.

raum_fritz_2

Ausweitung der Kampfzone

Der fünfte Teil »Raumordnung und Schlachtfelder« holt uns ins Kriegsgeschehen zurück. Es wird über­wacht, verboten und begrenzt. Infrastruktur ergänzt Hierarchie und der Einzelne ist erneut gefangen zwischen den Fronten. Ein falscher Schritt und es droht Versorgungsentzug, Ausgrenzung oder Genickschuss.

Fühlen wir uns bereits gegän­gelt, abhängig und perma­nent geblendet, gibt uns nun der sechste Teil »Kampf um Kunden« den Rest. Auf beacht­li­chen 40 Seiten werden wir mit mannig­fal­tigen Möglichkeiten konfron­tiert, uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wir sind schwach, wir werden verlockt, von Werbung bedrängt und umzin­gelt, suchen Zuflucht in vertrauten Qualitäten (die alten, guten!), dann wieder mit Fastfood gequält, in Hotels einge­la­gert, zu Fitness, Beauty und Lifestyle genö­tigt, von Marken ange­fixt und ausge­saugt, um schließ­lich in den Schlund einer Unterhaltungsindustrie gestoßen zu werden, in der wir so lange Konsumkarussel fahren bis wir uns über­geben und endlich einschlafen, aber natür­lich erst, nachdem wir so richtig schön im Puff waren. Das auffäl­ligste an diesem Kapitel ist sicher, dass vier Doppelseiten Las Vegas gewidmet sind, dem Herz der Finsternis, der Epigone des Kampfes der Industrie gegen das Indiviuum. Es bleibt die Frage, warum Menschen wie du und ich täglich mit unseren Füßen für die Erhaltung dieses Systems abstimmen. Und warum der Autor Mitinhaber einer Agentur ist.

Es folgen zwei Teile zu Informationssystemen und Kollektivem Gedächtnis, deren Tenor einmal mehr lautet: Misstraue den Botschaften, denn oft sind sie böse. Misstraue den Institutionen, denn die wenigsten sind legitimiert.

Interessant wird es dann von Seite 234 bis Seite 245, auf denen es um die »Verteidigung privater Positionen« geht, nämlich um Graffiti und Streetart. Hier wird der Basso continuo des asym­me­tri­schen Kriegs im öffent­li­chen Raum endlich einmal leiser und die Sympathie des Autors für das Eingreifen des Andersdenkenden im Geschrei der Zeichen bricht sich Bahn. Was für eine Wohltat!

Ein biss­chen Frieden

Zum Ende des Buches wird der Ton versöhn­lich, Zeichen der Vermittlung, des Ausgleichs, des Leben-und-Lebenlassens werden gesucht. Zeichen der Gemeinschaft, der Waffenruhe, des Friedens gar. Hier nun wird die Qualität der öffent­li­chen Zeichen auf den Punkt gebracht: »Wo es gelingt, Auseinandersetzungen auf eine Zeichenebene zu über­tragen, müssen wir uns nicht mehr direkt die Schädel einschlagen.« Das Kriegsgeschrei der Zeichen, das uns über 250 Seiten Angst einflößte, bekommt jetzt eine posi­tive Bedeutung. Das kommt eini­ger­maßen über­ra­schend. Dankbar ist man trotzdem.

Im Schlusskapitel »Optische Heimat« verheißen die Bilder (aus Frankreich, Brasilien und Thailand) eine Reflexion über visu­elle Identitäten in Zeiten offener Grenzen für Waren und (viele) Menschen. Leider erfüllt sich diese Erwartung nicht. Stattdessen wird resü­miert, dass die Stadt ein Spiegel gesell­schaft­li­cher Konflikte ist, fest­ge­halten, dass jede Gruppe einer Stadt ihre Zeichen setzen können muss, um sich akzep­tiert zu fühlen, unter­stellt, dass multi­na­tio­nale Konzerne Vielfalt als Markthindernis sehen, repe­tiert, dass das Internet die Welt kleiner gemacht hat und terri­to­riale Grenzen an Bedeutung verloren haben. Aber letzt­lich werden wir »nur im urbanen Raum […] weiterhin mit verschie­denen Zeiten, Kulturen und Zivilsationen konfron­tiert«. Schade, dass genau diese Konfrontation weder aus unter­schied­li­chen Perspektiven beschrieben, noch im Kontext städ­ti­scher Räume analy­siert wird.

San Francisco

Wo ist die Stadt?

In »Krieg der Zeichen – Spurenlesen im urbanen Raum« verfolgt Markus Hanzer mitnichten die Spuren der Zeichen im öffent­li­chen Raum, sondern einen gesell­schafts- und medi­en­kri­ti­schen Diskurs, den man als »konsum­kri­ti­schen Mainstream« bezeichnen könnte. Die gefun­denen Zeichen entwi­ckeln kein System aus sich selbst, sondern werden in ein Wahrnehmungs- und Interpretationssystem einge­fügt, in dem die Erscheinung ledig­lich als Sprungbrett für einen Text dient, der dem eingangs gesetzten Bild von Krieg und Kampf unter­worfen ist. Die forma­li­sierte Konzeption in Doppelseiten führt zu erheb­li­chen inhalt­li­chen Redundanzen und Allgemeinplätzen.

Diese drei Faktoren – Degradierung der Zeichen zu Anlässen, forma­li­sierte Konzeption, sowie Unterwerfung der Betrachtung unter ein nega­tives Leitbild – führen dazu, dass der viele Text zu einer Bürde wird, die dem Betrachter des viel­schich­tigen und hervor­ra­gend ins Bild gesetzten Materials aufer­legt wird. In Anbetracht von Umfang und Geruch des Buches ist diese Last groß.

Auch sehnt man sich nach der Lebendigkeit, der Kreativität der Stadt, der posi­tiven Deutung der Stadt als Ort der Wahl, der Verwirklichung, der über­spru­delnden Kraft. Wo ist das Vibrieren New Yorks, das Fragmentarische Berlins, das Strahlende von Paris? Das Selbstbewusstsein Lissabons, das Morbide Barcelonas, die Langeweile LAs? Wo ist die Begegnung der Polis, die Befreiung der Republik? Wo ist die Verneigung vor guter Gestaltung, gran­dioser Inszenierung, hand­werk­li­cher Brillianz? Wo ist die Freude, die Lust am Leben, das Prickeln, das Abenteuer? Wo ist die Stadt?

Fotos: Friedrich Grögel

»Krieg der Zeichen: Spurenlesen im urbanen Raum« von Markus Hanzer, Verlag Hermann Schmidt Mainz, 2009; 288 reich bebil­derte Seiten, 39,80 Euro (FontShop-Link)


Retrodesign: das Buch und ein erhellendes Gespräch

Kein Buch beschäf­tigte mich in den letzten Tagen mehr als Retrodesign Stylelab von Achim Böhmer und Sara Hausmann. »Retrodesign ist Zukunft« lautet ein Zitat, das mich beim Blättern auf der ersten Doppelseite heraus­for­dert. In diesem kurzen Satz steckt das Geheimnis von Retrodesign, was ich aller­dings erst nach 300 Seiten begreife. Dazwischen lerne ich, dass ich eine viel zu enge Sichtweise des Begriffs im Kopf hatte. Retrodesign ist mehr, als Nostalgie, Kopiererei oder Rückbesinnung (tatsäch­lich ist es das genau Gegenteil von alledem, doch dazu später mehr). Retrodesign ist eine eigene, die Stilepochen beglei­tende Periode. Retrodesign hört nie auf, ist immer da.

Das Buch von Böhmer/Hausmann ist Nachschlagewerk, Geschichtsbuch und Denkanstoß in einem. Es ist vorzüg­lich recher­chiert – natür­lich wunderbar gestaltet – und glie­dert sich in 3 metho­di­sche Teile: Gegenüberstellung, Charakteristik und Zeitimpuls. In allen 3 Teilen werden …

Weiterlesen