Brief an mein Lieblingsradio
Vorbemerkung
Wer sich in Berlin für Politik und Kultur interessiert, früh aufsteht, abends noch mal das Radio einschaltet und gerne anständige Musik hört – für den gibt es nur einen Sender: Radio Eins. Ich behaupte sogar: Wahrscheinlich das beste gemischte Radio der Republik. Dies schreibe ich als jemand, der mit dem legendären SWF 3 (später SWR 3) aufgewachsen ist, und es immer wieder mal mit dem Hessischen, Bayerischen oder Westdeutschen Rundfunk versucht hat … die sind alle gut, selten sehr gut.
Radio Eins entstand 1997 aus B Zwei und Radio Brandenburg, ist öffentlich-rechtlich und gehört zum Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB), der in der deutschen Medienlandschaft bisher kaum Wegweisendes zustande gebracht. Fast schon peinlich: Die regionale Nachrichtensendung RBB Abendschau (19:30 – 20:00), der es dauerhaft gelingt, die spannenden Themen einer Weltmetropole und deren Umland herunterzubrechen auf Tiergeburten im Zoo, Wohnungsbrände, Schienenersatzverkehr, Adressen zum Obst-Selberpflücken und die jährlich wiederkehrenden Dramen um den Weihnachtsbaum an der Gedächtniskirche. Gäbe es Radio Eins mit Bildern … das wäre die Abendschau wie ich sie mir für die Hauptstadt wünsche.
Seit vielen Jahren setzt Radio Eins für die Eigenwerbung seines gleichermaßen anspruchsvollen wie unterhaltsamen Programms den Slogan »Nur für Erwachsene« ein. Der Sender tut dies gebetsmühlenartig im eigenen Programm, oft auch unbedacht, zum Beispiel wenn eine Programmempfehlung für eine Kindertveranstaltung ausklingt mit dem überstrapazierten akustischen Dreiklang-Claim: Für A, für B und natürlich … nur für Erwachsene.
Brief
Liebes Radio Eins vom RBB,
es war sicher richtig, dass du dich nach deiner Gründung 1997 mit dem Motto »Nur für Erwachsene«, ausgeliehen beim Rotlicht-Milieu, provokant in Szene gesetzt hast. Du wolltest kein Dudelfunk sein, wie es schon so viele in Berlin gibt, sondern ein anspruchsvoller Sender, der seine Hörer ernst nimmt, sein Musikprogramm nicht dem Computer überlässt und seine Moderatoren zu politischen Live-Interviews und -Stellungnahmen motiviert. Die Botschaft ist angekommen. Der Erfolg gibt dir Recht.
Jeder Claim nutzt sich ab, gerade wenn er täglich vielfach ausgestrahlt wird. 13 Jahren sind nicht nur zu lange für »Nur für Erwachsene«, inzwischen schadet der Satz, weil er nicht mehr trifft. Viele Erwachsene, die Radio-Eins-Fans geworden sind, haben inzwischen Kinder und sind durchaus der Ansicht, dass auch sie Radio Eins hören sollten. Auch mancher Jugendlicher dürfte sich von Radio Eins eher angesprochen fühlen als von den ungezählten privaten »Das beste von heute …«-Alternativen.
Dein Slogan, an dessen Schöpfung wahrscheinlich kein professioneller Werber beteiligt war, hat den Geburtsfehler, dass er interessierte Menschen mit dem Wörtchen »nur« ausschließt. Reich ihnen die Hand, sagt doch in Zukunft einfach:
Radio Eins – Für Erwachsene. Oder lasst den Claim einfach weg, denn Qualität spricht für sich. Dieser Tipp ist schnell umgesetzt, bürgt für Kontinuität und ist selbstverständlich kostenlos.
Dein treuer Hörer
Fontblog (Jürgen Siebert)
14 Kommentare
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ganzunten
Da kann ich als begeisterter Radio-Eins-Hörer nur zustimmen! Und wenn neuer Claim, dann doch bitte auch ein neues Logo ;)
P.S.: Der Artikel scheint aus der Zukunft zu kommen. Noch Sommerzeit?
christian
ich denke, dass dieser nervige und (doch hoffentlich) augenzwinkernd gemeinte „nur für erwachsene“-claim daher rührt, dass radio-eins vom rbb-jugendradio fritz abgegrenzt werden soll, von dem der sender teile der belegschaft übernommen hat. ein neues logo wäre m. e. überflüssig.
Olaf Drümmer
Bei Radio Eins denke ich immer nur: so muss Radio sein. Solange die Qualität erhalten bleibt, kann der Claim meinetwegen auch bleiben. Lieber die Energien weiter in die Inhalte stecken.
Also weiter so!
Olaf Drümmer
stomen
es gab mal den claim „hört orange“. aus der zeit – also vor ca. 10 jahren schätze ich – ist aus das logo … und so gesehen „passte“ das auch zusammen.
ich fand den spruch spitze (wie hans rosenthal jetzt mit einem luftsprung unterstützend ausrufen würde), spielt er doch auf die synästhetische qualitäten bei radioeins an: eine geschmackvolle musikauswahl meist abseits des dudelfunks, viele informative, anregende und intelligente wortbeiträge und eine sammlung hervorragender moderatoren. okeh, man kann nicht alles mögen, deswegen bleibt sonntags von mittags bis zwei das radio kalt … die sonntagsfahrer gehören sonstwo hin.
dann aber meinten programmverantwortliche, dass mehr leute mehr radioeins hören sollte. dagegen war und ist nichts einzuwenden, warum aber dann diese „ausgrenzende“ „nur für erwachsene“ in die runde geworfen wurde, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.
fakt ist einfach: mit „nur für erwachsene“ wird radioeins kleiner gemacht, als es ist. danke, dass das endlich mal hier so ausgesprochen wurde!
Jürgen Siebert
Touché. Der Deutsche Radiopreis sollte eine Goldene Himbeere für so etwas einführen.
JanOne
der alle halbe stunde wiederkehrende spruch: »diese sendung wurde durch ihre rundfunkgebühren ermöglicht«, gefolgt von einem fünf-minütigen werbeblock scheint allerdings ungewollter zynismus zu sein. ;)
Saskia Denise Gloye
Schöne Gedanken, die ich im Großen und Ganzen teile. Auch ich höre RadioEins seit ich denken kann – da hieß es noch SFB2, B2 oder so – und liebe die Mischung aus klugen Wortbeiträgen und guter Musik, zumindest in den Kernzeiten bis ca. 19 Uhr. Danach ist die Musik bisweilen recht skuril… Man hört gut recherchierte Beiträge, die richtigen Interviewpartner und Kommentare. Nicht zu vergessen die sehr schwarzen Gedanken von Wischmeyer sowie seinen Gegenpol Horst Ewers, die ich auch immer als anregend und kurzweilig empfinde. Das „nur für Erwachsene“ könnte man aus meiner Sicht gut durch seinen Vorgängerclaim „aus purer Lust“ ersetzen, denn das bringt es auf den Punkt: Lustvolles Radiohören und informiert werden und zwischendurch auch mal ein Lied laut drehen und durch’s Wohnzimmer tanzen. Wenn wir jetzt noch einen besseren Sendeplatz für die Sonntagsfahrer finden könnten – Sonntag Abend, wenn mein Radio schläft? – wäre der Sender noch schöner:-D!
Tanja
Diese ewigen Claims und Werbeblöcke, die ständig selbe Musik… deswegen höre ich kein Radio.
etg
Eine Lanze für die Sonntagsfahrer: die müssen bleiben. Wenigstens etwas Abwechslung.
Dafür weg mit der „Hörbar Rust“ :)
Nee, nicht wirklich, auch wenn die mir wahrlich nicht oft gefällt, ist es schöne Sonntagsnachmittagunterhaltung. Und der Auftakt für Grissemann und Stermann.
Zum Claim: am Anfang fand ich den doof, jetzt geht er so. Schwer, was besseres zu finden. Die Vorschläge bisher fand ich auch nicht überzeugend.
Oliver Adam
Ich bin komplett gegenteiliger Meinung – abgesehen davon, dass Radio 1 in Berlin auch für mich der einzig akzeptable Sender ist.
Branding hat doch immer mit Abgrenzung zu tun. Ausgeschlossen werden eben alles »Kinder«, wobei ich darunter vor allem nicht Kinder, sondern infantile Erwachsene zähle, die diese dämlichen Radioshows mit den vermeintlich lustigen Moderatoren hören. Die angesprochenen interessierten Jugendlichen können sich, quasi stolz, ebenfalls den »Erwachsenen« zugehörig fühlen, wenn sie den Sender hören.
Kurzum: Ich finde die Positionierung von Radio 1 nebst Claim trennscharf und empfehle, den Claim beizubehalten. Wie sagte schon Domizlaff sinngemäß: Wenn einen Profi das Branding anfängt zu nerven, dringt es bei der Masse gerade erst ein ;-) .
Rainer
Ein wirklich gutes und abwechslungreiches Radioprogramm hat auch Angebote im Portfolio, die ich nicht mag. Ich schalte bei der Show Royal ab, die ertrage ich selten länger als 5 min. Aber aus dem Programm genommen gehört die deshalb noch lange nicht. Wenn wir das Programm per Massenabstimmung ermitteln lassen, landen wir am Ende sicher unweigerlich wieder beim Formatradio 08/15.
Viel wichtiger finde ich, dass sämtliche Moderatoren – von der Polit- bis zur Musikredaktion – auch journalistisch arbeiten können und das auch dürfen und müssen.
Ich finde den Claim im Übrigen auch nach 10 Jahren radioeins nach wie vor super und sehr flexibel.
„radioeins“ mit Bildern: Schöner Gedanke ;-)
Timo
Ohne den Sender zu kennen, klingt für mich „Nur für Erwachsene“ besser als „Für Erwachsene“. Gerade die scharfe Abgrenzung finde ich für ein Radio, das eine gewissen Aufgeschlossenheit und hier und da mal Mitdenken vorraussetzt, gut.
Bildlich gelesen wird etwas Lebenserfahrung und ein breiter Horizont beim Hörer erwartet. Jugendliche könnten sich aufgrund der Zugangsbeschränkung interessiert zeigen.
Der kürzere Claim-Vorschlag birgt jedoch interessante Möglichkeiten für eine Wort-Bild-Marke á la „RADIO 1 für Erwachsene“. Grafisch kann man da einiges draus machen.
Rainer
@Timo.
Dann bitte hier entlang: http://www.radioeins.de/livestream/radioeins_hoeren.html
horst
Es gibt doch schon genügend weichgespülte Claims in unserer Medienlandschaft. Ich würde mich sogar darüber freuen wenn es viel mehr »nur« geben würde.
Im Übrigen hatten Radio-Eins-Hörer vor 13 Jahren auch schon Kinder.