Erik Spiekermann bei Creative Mornings
Letzten Freitag übernahm Erik Spiekermann einen Creative-Mornings-Auftritt, um das Thema App-Schriften zu behandeln.
Zwanzig lehrreiche und – wie gewohnt – unterhaltsame Minuten mit Erik Spiekermann
Seit Frühjahr dieses Jahres finden die Berliner Creative Mornings Mitten in Westberlin statt: im Orangelab am Ernst-Reuter-Platz. Der Glaspavillon befindet sich im Erdgeschoss des ehemaligen IBM-Hauses, in dem heute unter anderem die Kommunikations-Agentur CB.e residiert, die uns den Veranstaltungsraum freundlicherweise zur Verfügung stellt. Vielen Dank dafür. Das 9-stöckige Bürogebäude wurde 1962 von dem Stuttgarter Architekten und Hochschullehrer Rolf Gutbrod (1910–1999) erbaut und steht unter Denkmalschutz. Den breiten Stahlbetonskelettbau erkennt man sofort durch seine großen Fenster mit weißer, nach außen gewölbter Alu-Verblendung. Der einst als Verwaltungssitz und Rechenzentrum von IBM genutzte Bau galt wegen seiner dynamischen Fassade, dem eingesetzten Material und dem kühl gestalteten Eingangsbereichs in den 60er Jahren als architektonisch erstrangige Leistung.
Im Orangelab gibt es nicht nur mehr Platz für Creative-Morning-Besucher, der Raum erlaubt auch das Einfahren des Elektromobils unseres Kaffeesponsors Electric Espresso
Creative Mornings ist eine wachsende Vorlesungsreihe, die vor vier Jahren von der New Yorker Designerin Swissmiss alias Tina Roth Eisenberg ins Leben gerufen wurde: »A monthly breakfast lecture series for creative types. Each event is free of charge, and includes a 20 minute talk, plus coffee!« Die ersten Creative Mornings gab es in New York, Los Angeles, Chicago, Zürich und San Francisco, dann in London und Berlin; es folgten Vancouver, Stockholm, Boston, Mailand und Aukland und inzwischen auch Kappstadt und Singapur.
Alle Creative-Mornings-Veranstaltungen weltweit finden einmal monatlich an einem Freitag Morgen um 9:00 Uhr statt. Der Eintritt ist frei, der Vortrag dauert 20 Minuten und ist in Englisch. Es gibt kostenlosen Kaffee. Alle Vorträge werden gefilmt und Online gestellt.
Vor zwei Tagen wurde eine Croudsourcing-Kampagne abgeschlossen und Creative-Mornings verfügt jetzt über ausreichend Mittel zur Einrichtungen eines mitwachsenden, durchsuchbaren Archivs, das jeden Vortrag der Veranstaltungsreihe aus der ganzen Welt enthält.
Sans Wirbelwind: FF Marselis
Jan Maack, Entwerfer der FF Cube– und der FF Speak-Familie präsentiert jetzt FF Marselis, Ergebnis einer Design-Kreuzung aus geometrischen und humanistischen Formen. Print- und Web-Einsatz sind bei dieser dynamischen Sans-Familie fein aufeinander abgestimmt und ergeben ein geschlossenes medienübergreifendes Gesamtbild.
Wiedererkennbarkeit erzielt die FF Marselis durch offene Endungen. Überflüssige Striche wurden eliminiert und Maack verzichtete komplett auf Ausläufer zum Beispiel bei »b« oder »q«.
Hanzer: »Krieg der Zeichen«, kostenloses eBook
Vor drei Jahren erschien im Hermann-Schmidt-Verlag das Buch »Krieg der Zeichen – Spurenlese im urbanen Raum«, verfasst, fotografiert und gestaltet von Markus Hanzer. Ich habe das Buch damals ausführlich besprochen (Stadtgespräche: Spurenlese im urbanen Raum), es wurde kommentiert, viel gelobt (HD Schellnack: »Das Buch ist grandios.«), aber auch kritisiert. Letzteres mündete in die erste und einzige Leserkritik im Fontblog, verfasst von Fritz Grögel: Krieg der Zeichen — Eine Leserkritik. Sie beginnt: »Dieses Buch stinkt.« Die Verlegerin Karin Schmidt-Friederichs machte in einem Kommentar das Zusammenspiel von Biodruckfarben und Ökopapier dafür verantwortlich.
Zumindest das olfaktorische Problem ist jetzt gelöst: Krieg der Zeichen ist soeben als iBook für das iPad erschienen. Kostenlos und geruchlos! Auch inhaltlich hat Markus Hanzer sein Werk überarbeitet. Das technische Lesererlebnis ist durch die Ausnutzung der iBook-Möglichkeiten ein wahrer Genuss. Dazu gleich mehr.
Hauptberuflich betreut der Wiener Designer und Markenentwickler Markus Hanzer große und kleine Medienunternehmen, darunter viele Fernsehanstalten. Von 2006 bis 2010 war er Partner bei der Markenagentur Mira4, seit 2011 ist Hanzer Partner von Qarante Brand Design. Darüber hinaus lehrt er an der FH Salzburg sowie an der Angewandten in Wien.
Privat treibt ihn seit Jahren eine große Leidenschaft an, nämlich Buchstaben und Schilder im öffentlichen Raum. Deswegen gründete Hanzer des virtuellen Typemuseum, aus dem sich später die Internetseite Stadtgespräche entwickelte, mit Fotografien aus dem öffentlichen Raum. Auf seinen Reisen liest er die vielfältige (typo)grafische Zeichen der Städte wie Romane. Seine Sammlung blickt auf die sichtbare Oberfläche unserer Umwelt und analysiert systematisch, welche Motive das Erscheinungsbild unserer Umwelt prägen. Welche Zeichen und Botschaften lassen wir in unser Bewusstsein dringen? Wie funktionieren die Selektionsmechanismen unserer Wahrnehmung? Welchen typografischen Formen messen wir Bedeutung zu? Woran orientieren wir uns?
Nach vielen Jahren Sammeltätigkeit entstand vor 3 Jahren das gedruckte Buch zu den Stadtgesprächen, das eine Zwischenbilanz zieht. Und dies zu einer interessanten Zeit. Warum? Markus Hanzer verriet es mir in einem Gespräch: »Der öffentliche Raum stand noch nie so im Mittelpunkt wie heute. Durch die Zersplitterung der Medien Fernsehen und Zeitschriften entwickelte er sich zum einzig verbleibenden Gemeinsamen.« Die Menschen sprechen nicht mehr über Fernsehsendungen, die am Abend zuvor Millionen gesehen hatten. Die Zeitungen verlieren an Bedeutung, Plattenfirmen gelingt wahrscheinlich nie mehr ein weltweiter Megahit. Stattdessen gewinnen Konzerte neu an Bedeutung, Sportfans zeigen mit Fahnen und Bemalung, welche Mannschaft sie unterstützen, globale Konzerne inszenieren in den Großstädten haushohe Botschaften.
Doppelseite aus dem iBook »Krieg der Zeichen» von Markus Hanzer: Es macht viel Freude, durch die Bildergalerien zu wischen, Großansichten aufzurufen und Lesezeichen zu setzen
Durch die digitale Aufbereitung hat das Buch noch mal an Präsenz gewonnen. Auch wenn es (in diesem Fall: glücklicherweise) nicht mehr nach Buch riecht und beim Blättern keine Geräusche macht … die Bilder sind brillanter als je zuvor, lassen sich beliebig vergrößern, die Texte sind gut lesbar, interaktive Inhalte befeuern die Ausdauer beim Lesen. Die 12 Kapitel führen auch Laien leicht verständlich in die Welt der öffentlichen visuellen Navigation ein.
Harzers Buch liefert eine tiefsinnige Betrachtung zur Macht der Zeichen zwischen Information, Orientierung und dem Kampf um Kunden. Er verrät, wie sich urbane Kommunikation durch die Entwicklung der Medientechnik verändert. Wie man Aufmerksamkeit erzwingt. Was Formen verraten und wodurch Zeichen Macht ausüben. Wann und wie visuelle Kommunikation Reviere absteckt und aus der Masse heraussticht. Wie Zeichen trotz Reizüberflutung Orientierung geben und welche Bedeutung Zeichen für unterschiedliche Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens haben. Viel Spaß beim Lesen. [Update … hier geht’s zum Hanzer-Buch im iBook-Store]
★ der Woche: FF City Street Type, nur 65,– statt 79,– €
(Abbildung: »Typonauts in Space: 20 Jahre Mauerfall«, Poster vom type Workshop at MCAD)
In Berlin prägten über Jahrzehnte zwei unterschiedliche Straßenschild-Systeme das Erscheinungsbild von West und Ost. Die West-Variante geht auf Groteskschriften des Berlins der 30er Jahre zurück, im Osten bediente man sich einer 50er-Jahre-Grotesk mit technischer Ausprägung. Ole Schäfer und Verena Gerlach haben die Schrifttypen Ende der 1990er Jahre anhand der Originalschilder recherchiert, also nicht auf Vorlagen zur Schilderherstellung zurückgegriffen, und digitalisiert. So entstanden aus den im Straßenbild verwendeten Ausprägungen für den Ostteil zwei, für den Westteil eine Originalschrift: FF City Street Type East und FF City Street Type West.
Um die Schriften alltagstauglich zu machen, haben Gerlach und Schäfer die in Straßenschildern nicht vorkommenden Zeichen neu entworfen und stilistisch angepaßt. Zusätzlich haben sie zu den Schrifttypen je eine Headlineschrift entworfen, die mit den Strichstärken Regular, Medium und Bold für typografisches Arbeiten jenseits der Beschilderung bestens geeignet sind.
Wer mit der ziemlich weit verbreiteten DIN-Schrift unzufrieden ist bzw. an Grenzen stößt, den werden die 9 Schriftschnitte der FF City Street Type glücklich machen, die sogar Tabellenziffern Pfeile und andere nützlichen Zeichen enthalten.
Als Stern der Woche gibt es das komplette FF City Street Type Paket (9 Fonts) im OpenType-Format für nur nur 65,– statt 79,– € (Preise zzgl. MwSt). Um in den Genuss des Rabattes zu kommen, bitte bei der Bestellung auf www.fontshop.com den Promocode DE_star_2012_38 eingeben.
TYPO-Talk-Talk am Freitag, in Köln
Die Talkrunde am Ende des TYPO Day Hamburg: Stefan Kiefer (DER SPIEGEL, Johannes Erler (Stern), Erik Spiekermann und Jürgen Siebert (Moderation)
Wie jeder TYPO Day wird auch der in Köln am kommenden Freitag mit einer unterhaltsamen und lehrreichen Talk-Runde enden. Traditionsgemäß kommen hier eher die Auftraggeber und ihre Designer zu Wort. In der Kölner Versteigerungshalle wird Jürgen Siebert wieder drei Gäste auf dem Podium begrüßen. Jessica Krier ist Kommunikationsdesignerin bei KMS Team in München, einem international führendes Unternehmen für Markenstrategie und Markendesign. Im TYPO-Talk wird sie unter anderem darüber berichten, wie es ihr – alleine durch den Einsatz einer exklusiven Schrift – gelungen ist, eine deutsche Marke im Ausland zu etablieren, ohne den Markennamen zu verwenden. Katrin Fomm, beim Dortmunder Maschinenbauer WILO betreut sie die Erstellung von Kommunikations-mitteln für 70 Länder, wird den Besuchern verraten, warum für ihr Unternehmen ein international unverwechselbarer Auftritt höchste Priorität genießt. Felix Braden ist Designer und Schriftentwerfer, seine FF Scuba feierte jüngst Premiere (Fontblog berichtete: Diese Schrift sollte sich Ikea mal ansehen …). Jürgen Siebert wird ihn befragen, warum die Scuba mit Verdana verwandt ist, obwohl sie ganz anders aussieht, und welche Qualitäten ein Corporate Font mitbringen muss.
Font-Neuerscheinungen auf einen Blick
Jede Woche erscheinen zahlreiche neue Schriften. Man braucht nicht alle. Manchmal wünscht man sich jedoch eine Schrift mit dem gewissen Etwas. Oder einer ganz besonders zeitgemäßen Anmutung. Unser Pinterest Board »Fresh-Fonts« verschafft Ihnen einen zeitsparenden Überblick über das internationale Schriftenschaffen. Finden Sie auf einen Blick interessante Neuzugänge und verpassen Sie kein Einführungsangebot mehr.
Frisch gemasterte Schriften aus der ganzen Welt behalten Sie in diesem Board im Auge, ebenso wie Einführungspreise
So war’s: Creative Morning mit Erik Spiekermann
Kleine Diashow (16 Fotos) vom heutigen Creative Morning Berlin im Orangelab:
»Vom Worte verweht« … 152 min Buchstabengucken
Seit 2005 bereits zeigen Johannes Bergerhausen und Siri Poarangan am Ende ihrer Unicode-Schrift-Präsentation einen 10-minütigen Trailer zum hier eingebetteten Buchstabenfilms (zum Beispiel auf der TYPO Berlin 2011). Inzwischen ist ihr bemerkenswertes Buch Decodeunicode (FontShop-Link) erschienen (Fontblog-Rezension: Das Buch der Zechen ist da). Und so war endlich Zeit, den Hauptfilm zu schneiden, zu vertonen und in die Kinos (= Netz) zu bringen.
Der Director’s Cut zeigt in 2,5 Stunden nun alle Unicode-6.0-Schriftzeichen, das sind genau 109.242 Glyphen, zusammengetragen aus 66 verschiedenen Fonts, macht 12 Zeichen/s. Darunter jede Menge Highlights, zum Beispiel die Keilschrift ab Sekunde 1:17:40 oder die ägyptischen Hieroglyphen ab 1:19:00.
Decodeunicode: The Movie
D, engl, 2012, 152 min, FSK 0
Besetzung: 109.242 Unicode-Schriftzeichen (12 Zeichen/s)
Regie: Johannes Bergerhausen
Design: Daniel A. Becker, Johannes Bergerhausen, Siri Poarangan, Wenzel S. Spingler, Mathias Wollin
Softwareentwicklung: Daniel A. Becker
Ton: Andreas Leo Meyer