Fontblog Artikel im Juni 2011

Die Zukunft der digitalen Zusammenarbeit

Wir müssen reden!

Eine Gruppe von Studentinnen an der FH Salzburg hat sich mit der Frage beschäf­tigt, wie sich durch neue Technologien die Methoden der gemein­samen Ideenfindung und Diskussion visu­eller Dokumente verbes­sern lässt. Hierfür haben sie einen Touch-Screen-Tisch entwi­ckelt, auf dem sich in bisher nicht gekannter Form Dokumente austau­schen, bear­beiten und entwi­ckeln lassen.

Als Ergänzung hat die Gruppe die Webseite sphera​-discus​sion​.com ins Netz gestellt, auf der die Kreativbranche das Thema bewerten bzw. kommen­tieren kann. Anschauen, mitma­chen, lernen! Ich habe auch eben einen kleinen Kommentar einge­reicht, in dem ich die zuneh­mende Bedeutung von Begegnungen unter­streiche, die aber anders statt­finden als zu Zeiten der Nichtdigitalisierung.


Gut, böse, hässlich: Supermarkt-Typografie

Ein jeder mache den Selbsttest: Was fällt dir zu Lidl ein? Was fällt dir zu Edeka ein? Was fällt dir zu Penny ein? Was fällt dir zu Netto ein? Es gibt Supermarktketten, die habe sich – visuell oder mit bestimmten Produkten – in unserer Erinnerung veran­kert. Andere lösen partout kein Bild in unserem Gehirn aus. Oder nur Puzzlesteine. Denke ich an Aldi (Nord), asso­zi­iere ich eine Halle mit vielen Paletten, Kartons und Büchsen. Zu Penny fällt mir gar nichts ein. Rewe ist aufge­räumt, dort gibt es alles, neben der billigen Eigenmarke ja! sogar prima Premium-Produkte.

Zwei aktu­elle und leses­werte Blogbeiträge (bei Faz​.net/​S​u​p​e​r​m​a​r​k​t​b​log und Fonts in use) beschäf­tigen sich mit dem Thema Lebensmittelketten und ihre Typografie. Mit dem Autor des Beitrags Netto verpasst seiner Eigenmarke ›BioBio‹ schon wieder ein neues Design, Peer Schader, habe ich kurz gespro­chen. Wir haben gemeinsam die Schriften iden­ti­fi­ziert, mit denen BioBio damals, zwischen­zeit­lich und heute wieder in Erscheinung tritt. Meine Vermutungen zur Schriftwahl sind in seinem Beitrag zitiert, aber nicht so scharf, wie ich es hier machen kann und werde:

Schader glaubt, dass der grau­en­hafte visu­elle Auftritt von Netto System habe … man wolle eben billig aussehen. Ich dagegen glaube, dass sich der visu­elle Auftritt von Netto (und manch anderer Billigläden) auf purem Unvermögen stützt. Bei der Schriftwahl von BioBio gehe ich von einer Zufallsentscheidung aus: Man hat genommen, was gerade auf dem Grafikrechner geladen war, nämlich die allge­gen­wär­tigen Klassiker der Betriebssysteme bzw. der mit dem Grafikprogramm gelie­ferten Fonts. Anders kann ich mir die Beliebigkeit der Textgestaltung nicht erklären.

Billig sein ist eine wich­tige Markenqualität im Discount-Bereich. Wie alle anderen Markeneigenschaften auch, muss sie profes­sio­nell kommu­ni­ziert werden. Plus hat das einst mit den »kleinen Preisen« vorge­macht, auch MediaMarkt und Easy Jet verstehen es, preis­be­wusste Kunden gezielt anzu­spre­chen. Darum bin ich verwun­dert, dass viele Menschen (durchaus auch Designer) die Eigenschaft billig mit minder­wertig in der Kommunikation gleich setzen. Leider finden wir viel zu häufig Bestätigungen für die Gleichung billig = schlecht gemacht. Richtig und ökono­misch schmerz­haft ist aber die Gleichung: schlecht gemacht = schlechte Werbung.

Erinnern wir uns noch mal an das heftig disku­tierte Schrottschild für die Berliner Fahrschule Edelweiß: Ronald W. ist sauer auf uns Typografen. Es blieben drei über­ra­schende Erkenntnisse, nach 137 Kommentaren:

  • der Schöpfer wusste nicht, was er (typo­gra­fisch) tat
  • weniger (Effekte) wäre mehr gewesen und damit:
  • gute Typografie ist billiger als schlechte Typografie

Die Autorin des zweiten lesens­werten Beitrags zur Supermarkt-Typografie ist die Hochschullehrerein und TYPO-Moderatorin Indra Kupferschmid. Für das englisch­spra­chige Blog Fonts In Use hat sie sich mit der Schriftwahl der nord­hes­si­schen Handelskette Tegut ausein­an­der­ge­setzt, deren Erfolgsgeschichte in ihrer Heimatstadt Fulda begann und im Handelsmarketing als Vorbild taxiert wird. Ich schätze mich glück­lich, just in der letzten Woche zum ersten Mal einen Tegut betreten zu haben, dessen Filialen sich inzwi­schen bis in meine südhes­si­sche Heimat ausge­breitet haben. Das Einkaufen hat richtig Freude gemacht. Ich fühlte mich als Kunde ernst genommen, was viel mehr mit Regalen, Wegen, dem Angebot und Tageslicht aus Fenstern zu tun hatte als mit der – in der Tat vorzüg­li­chen – Typografie. Aber lest selbst: Good groce­ries deserve good typography.


100-beste-Plakate–Ausstellung in Berlin

Vom 24. 6. bis 17. 7. 2011 werden die prämierten 100 besten Plakate des voran­ge­gan­genen Jahres aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin im Kulturforum Potsdamer Platz gezeigt. Die Eröffnung findet am 23. 6. 2011 um 19 Uhr im Foyer des Kulturforums statt.

Der Wettbewerb »100 beste Plakate des Jahres – Deutschland Österreich Schweiz«, 2010 zum zehnten Mal im inter­na­tio­nalen Maßstab ausge­schrieben, gilt über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus als wich­tige Institution aktu­ellen Plakat-Designs. Zahlreiche Grafikdesigner und -desi­gne­rinnen, Studierende der Fachbereiche Grafikdesign künst­le­ri­scher Hoch- und Fachhochschulen, Agenturen, Büros sowie Auftraggeber und Druckereien betei­ligen sich alljähr­lich – im aktu­ellen Jahrgang ca. 500 Einreicher mit über 1600 Plakaten.

Eines von »100 beste Plakate 2010«: entworfen von Ueli Kleeb und Caroline Lötscher (DNS-Transport) für Zuger Chriesiwurst, Auftraggeber war die Metzgerei Rinderli in Zug, Siebdruck, Format F4

Die 100 Preisträger-Plakate und Plakatserien (davon 53 mal Deutschland, 45 mal Schweiz und zwei mal Österreich) wurden durch die Jury unter Vorsitz von Claude Kuhn (CH Bern) mit 2×Goldstein (D Karlsruhe), Elvira Barriga (D Berlin), Erich Brechbühl (Mixer, CH Luzern) und Peter Klinger (A Wien) nominiert.

Entsprechend einer Neuerung im Reglement werden die gleich­be­rech­tigten Siegermotive in den Kategorien auftrags­ge­bun­dene Plakate (63), Eigenaufträge bzw. freie künst­le­ri­sche Plakate (14) und projekt­be­treute Plakate von Studierenden (23) präsentiert.


Heute: letzter Azuro-Aktionstag

Nur noch heute gibt es die Azuro als Printfont (.ttf) oder als Webfont (.eot/.woff) für je 19,90 € (statt 199,00 €, alle Preise zzgl. MwSt). Wir dürfen das, wie damals bei der Axel von Erik Spiekermann, weil FontShop der Herausgeber diese Schrift ist und den Preis – in Absprache mit dem Designer – selbst fest­legen kann. Hier geht es zum Download von Azuro auf www​.font​shop​.com …


Typogravieh Lebt, Nr. 7: On Ink Trips

Bold geht’s los, in großen Schnitten, auf die Lettern, die die Welt bedeuten, als Blackpacker, nicht nur nach Egyptienne oder Italic, sondern in höchste Versalhöhen, blind­text drein auf Expedition in die lauf­weite Welt der analogen Schriftgestaltung … On Ink Trips.

Das Typogravieh wurde 2004 vom dama­ligen Gastprofessor Alexander Branczyk ins Leben gerufen und lebt bis heute weiter – studen­tisch orga­ni­siert. Jedes Jahr bietet es den Studierenden in Weimar und Umgebung umfas­sende Einblicke in die Welt der Typografie. In diesem Jahr wird das Symposium am 24./25. Juni in Weimar statt­finden. Mit dabei sind Juli Gudehus, FriendsOfType, Zwölf, Dan Reynolds, Daniel Janssen, Typism und fromheretofame …

Einen Einblick in alle bishe­rigen Leben des Typograviehs gibts hier: www​.typo​gra​vieh​-lebt​.de


Berliner Kunst-Leistungsschau von unten


Als »notwen­dige Ergänzung der Ausstellung ›Based in Berlin‹«, die vom 8. Juni bis 24. Juli im Atelierhaus Monbijoupark statt­findet (siehe Fontblog-Beitrag unten), stellt sich jetzt auch die Kunsthalle am Hamburger Platz (eine Zweigstelle der Kunsthochschule Berlin-Weißensee) einer tatsäch­li­chen und ergeb­nis­of­fenen Bestandsaufnahme der Berliner Gegenwartskunstproduktion. Dabei sind alle Künstler mit Lebens- und Arbeitsschwerpunkt Berlin aufge­rufen, eine Originalarbeit einzu­rei­chen. Die einge­reichten Arbeiten müssen folgende formale Kriterien erfüllen: Das Kunstwerk darf die Paketgröße von 40 x 40 x 60 cm nicht über­schreiten und nicht mehr als 10 Kilo wiegen. Zugelassen sind ferner: Konzepte (für vergan­gene, gegen­wär­tige, oder zukünf­tige Arbeiten) in schriftlicher/zeichnerischer Form (A4) Medienarbeiten auf CD, DVD, Audio-CD Performances in Form von Fotos, Texten, Videos. Die Anlieferung erfolgt per Post oder persön­lich an die Adresse.

Weitere Informationen: http://​tinyurl​.com/​a​r​t​i​s​t​s​-​o​p​e​n​-​c​all


Die Kunst-Leistungsschau »Based in Berlin«

Berin selbst ist der eigent­liche Star dieser Mammut-Kunstschau. In zwei Tagen, ab dem 8. Juni 2011, lädt Based in Berlin die Bewohner der Stadt und ihre Gäste dazu ein, im Atelierhaus im Monbijoupark und an vier weiteren Ausstellungsorten Berliner Gegenwartskunst zu erleben. Sechs Wochen lang zeigt Based in Berlin – beispiel­haft für die dyna­mi­sche Kunstproduktion in der Stadt – Werke von rund 80 soge­nannten »emer­ging artists«, die von den fünf Kuratoren Angelique Campens, Fredi Fischli, Magdalena Magiera, Jakob Schillinger und Scott Cameron Weaver zusam­men­ge­stellt wurden.

Viele der teil­neh­menden Künstlerinnen und Künstlern aus über 26 Nationen, die alle in Berlin leben und arbeiten, entwi­ckeln im Dialog mit den Kuratoren neue Werke. Außerdem sind Berliner Projekträume einge­laden, im Rahmen der Ausstellung ihr eigenes Programm zu gestalten. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstlerprogramm DAAD entsteht eine große Skulptur im öffent­li­chen Raum am Alexanderplatz.

Das Atelierhaus im zentral gele­genen Monbijoupark an der Oranienburgerstraße in Berlin-Mitte erhielt eine 13 Meter hohe Plattform, die als schwe­bende Gerüstkonstruktion über dem Atelierhaus liegt und als Ausstellungsfläche und Terrasse genutzt werden kann. Seitlich neben dem Gebäude liegt ein ehema­liger Hochbunker, der eben­falls einbe­zogen wird. In den KunstWerken (KW) werden die große Halle und die kompletten vier Etagen mit künst­le­ri­schen Positionen bespielt. In der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof wird based in Berlin im gesamten Ost-Flügel auf knapp 800 qm zu sehen sein; der Neue Berliner Kunstverein n.b.k. präsen­tiert die Ausstellung im Erdgeschoss sowie im Showroom im ersten Stock; die Berlinische Galerie erwei­tert Based in Berlin mit 160 qm Ausstellungsfläche.

Zu der Ausstellung gehört ein umfang­rei­ches Veranstaltungsprogramm, mit Filmen, Performances und Künstlergesprächen. Von Berliner Kunst- und Stadtmagazinen gestal­tete Abende gehören ebenso dazu wie Open-Air-Konzerte. Es gibt eine Bar, die jeden Tag bis 24 Uhr geöffnet ist. Zur Eröffnung, am 7. Juni 2011, ab 18 Uhr, stehen gleich drei beson­dere Höhepunkte auf dem Programm: die Perfomance der Künstlerin Sunah Choi, die Tanz- und Akrobatik-Darstellung der Künstlerin Helga Wretmann, sowie die Party-Perfomance von Aleksandra Domanovic mit M.E.S.H.

Weitere Informationen: www​.base​din​berlin​.com


Nichtlesen #27: Vivantes viral – ›Machsdu misch was?‹

or kurzem star­tete eine der erfolg­reichsten viralen Kampagnen über­haupt, aus dem Hause Auweier Unhold & Partner für den Klinikkonzern Vivantes. Die Kampagne basiert auf der in Berlin weit verbrei­teten Redewendung »Isch mach Disch Krankenhaus«.

Moment mal: Krankenhaus? Das ist doch total unper­sön­lich, dachte man sich bei Auweier Unhold & Partner. Würden die Leute, wenn man es nur richtig kommu­ni­ziert, andere Leute nicht viel lieber in eine bekannte, vertrau­ens­volle Adresse machen als herzlos und anonym Krankenhaus?

Genau! Denn siehe da: Die Kampagne zündete umge­hend und statt »Isch mach Disch Krankenhaus« hört man auf den Straßen Berlins eigent­lich nur noch das weit freund­li­chere »Isch mach Disch Vivantes«.

Jetzt galt es, im Sinne des Kunden die Wirkung der Kampagne zu quan­ti­fi­zieren. Zur Messung der Real-Life-Engagements und -Likes stellte die Agentur einige hundert studen­ti­sche Meinungsforscher ein, die mit einer klaren Ansprache für eine Straßenumfrage instru­iert wurden. Dabei wurde die Popularität durch die offen­sive Kontrastierung mit dem Vivantes-Wettbewerber, der Charité, gestützt.

Aufgabe der Studenten war es, ihre Umfrage mit den Worten »Ey, isch mach Disch Schariteh« einzu­leiten. Hier das Ergebnis: In einhun­dert Prozent der Fälle wurde die Ansprache der Studenten mit »Machsdu misch was? Schariteh? Hahaha!« beant­wortet. Der weitere Verlauf der Interviews glie­dert sich dann in drei verschie­dene Ergebnisgruppen:

– 73 von 100 Studenten wurden nach dem Interview von den Interviewten konkret Vivantes gemacht.

– Nur 9 von 100 wurden Schariteh gemacht, was aber von Seiten der Machenden nicht beab­sich­tigt war und nur aus der zufäl­ligen räum­li­chen Nähe zur Charité resultierte.

– Die rest­li­chen 18 von 100 Studenten wurden leider ohne Umweg über einen Klinikaufenthalt Friedhof gemacht. Das ist natür­lich ärger­lich, weil es nicht auf die Marke Vivantes einzahlt. Trotzdem handelt es sich prozen­tual gesehen um einen erstaun­lich geringen Streuverlust.

Fazit: Obwohl die Berliner Charité der weit größere Krankenhauskonzern ist, liegt Vivantes nicht nur in der Bekanntheit weit vor dem tradi­ti­ons­rei­chen Wettbewerber. Auch im Bereich des hand­festen Verhelfens anderer Mitbürger zu statio­nären Klinikaufenthalten mit entspre­chender Umsatz-Generierung für den Konzern hat Vivantes eine führende Position erreicht.

Übrigens erweisen sich sogar die Ärzte der Vivantes-Krankenhäuser als spontan infi­ziert von der viralen Auweier-Kampagne. Immer öfter hört man bei Patientenvisiten oder Operation: »Ey, isch mach Disch Vivantes wieder raus».

Obwohl es noch viel über die genaue Ausgestaltung der Kampagne zu berichten gäbe, müssen wir leider schon zum Ende kommen, da Agentur-Chef Grabowski termin­lich verhin­dert ist. Eben antwor­tete er auf die Anfrage unserer Redaktion nach mehr Infos zum Thema mit dieser SMS: »Jetze nich. Mach isch misch gerade Kampagnen-Award-Entgegennehmung.«

Michael Bukowski