Warum 2012 doch ein bisschen wie 1984 ist
Apple scheint in Sachen Kommunikation auf dem Weg der Besserung. Das Unternehmen hat gemerkt, dass es sich heute, angesichts einer Kundenzahl von einer Milliarde, etwas gesprächiger zeigen muss als gegenüber zehn Millionen Fanboys in den 80er Jahren. Malware im App-Store, die Knebel-EULA bei iBooks Author, die Übermittlung vertraulicher Adressbuch-Daten, die Arbeitsbedingungen bei Foxconn … neuerdings dauert es nur noch wenige Stunden, bis Apple einen Missstand abstellt oder zumindest ein paar Sätze dazu sagt.
Der ABC-Journalist Bill Weir wurde nun in Absprache mit Apple zu Foxconn geladen, um für das Nachrichtenmagazin Nightline einen Blick in die Produktion von iPhone und iPad zu werfen (Video der 15-Minuten-Sendung). Die Fabrik im chinesischen Shenzhen beschäftigt 240.000 Arbeitskräfte. Lohnarbeiter aus der Provinz übernachten und essen auf dem Werksgelände, um anschließend wieder für 12 Stunden ihren Arbeitsplatz einzunehmen.
Eine Szene in der faszinierenden Reportage erinnerte mich unmittelbar an den legendären Macintosh-Werbespot aus dem Jahr 1984 (Abbildung oben), der nur einmal – beim Super-Bowl – ausgestrahlt wurde, aber in die Geschichte der Werbung eingegangen ist. Eine Foxconn-Managerin informiert die Arbeitskräfte ihrer Abteilung per Lautsprecher über die Essenspause, worauf zig Arbeitskräfte wie gleichgeschaltet den Weg zur Kantine antreten, weiter begleitet von der blechernen Mikrofonstimme:
13 Kommentare
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Simon Wehr
Ich erinnere mich an das Video der Rede von Steve Jobs wie er sagt: »Big Blue wants it ALL!« nunja, seit einer Weile schon ist Apple dabei, alles zu wollen und alles zu kontrollieren.
Bin gespannt auf die nächsten Jahre und auf ernst zu nehmende Hammerwerfer(innen).
Mick
Na, so traurig es ist, diese Wende hat wohl auch mit dem Tod von Steve Jobs zu tun. Er hat letztlich bestimmt was und was nicht kommuniziert wird. Schön zu sehen, dass das derzeitige Management weiser ist. Ein Schritt in die richtige Richtung, der meinen Respekt hat. Also Apple: weiter so!
Alex
Ich arbeite und lebe in China. Mein Eindruck ist, dass Foxconn und andere Großunternehmen keine Probleme haben, Arbeiter zu finden, weil sie bessere Arbeitsbedingungen bieten und höhere Gehälter zahlen als die meisten anderen chinesischen Arbeitgeber. Es mag ja nicht der Traumjob sein, in einer Fabrik am Fließband zu arbeiten. Aber das ist es in Europa oder anderswo auch nicht.
Die Unterkünfte, die gezeigt werden, kenne ich aus meiner Zeit an einer chinesischen Universität selbst — Gruppenunterkünfte gelten als ganz normal.
Überstunden machen viele Arbeiter gerne und beschweren sich, wenn es keine gibt — weil sie ohnehin keine anderen Aufgaben haben und den zusätzlichen Lohn gerne verdienen wollen: Überstunden werden besser bezahlt als „normale“ Arbeit.
Foxconn zahlt deutlich mehr als die jeweiligen Mindestlöhne und die private Einkommenssteuer fängt in China oft erst über dem lokalen Durchschnitts-Einkommen (!) an. Das taugt also nicht als Maßstab dafür, ob das Gehalt angemessen ist…
Dass es unabhängige Gewerkschaften geben könnte, glaube ich aber nicht — das möchten die chinesische Regierung die die Kommunistische Partei nicht. Eine „Einheitsgewerkschaft“ gibt es ja schon, und das wird auch die einzige bleiben.
Mick
Danke Alex,
finde es wichtig, die Dinge im Kontext zu betrachten, der ist aber mitunter schwer zu erfassen.
koni
Die Tatsache, daß es woanders noch miesere Arbeitsbedingungen gibt ist nun wahrlich keine Entschuldigung für unwürdige Verhältnisse. Plädier schon dafür wachsam zu bleiben (oder zu werden) und genauer hinzusehen, mit wem man dealt.
Reinhard
Es ist eine Sache, dass die Arbeitsbedingungen in China allgemein stark verbesserungswürdig sind und dass so ziemlich alle Elektronikkonzerne da produzieren lassen. Es ist eine andere Sache, dass gerade die Apple-Produkte die teuersten auf dem Markt sind und erst heute wieder zu lesen war, dass man dort mittlerweile nicht mal mehr weiß, was man mit den ganzen Gewinnen anfangen soll. Sowas stößt einem dann doch schon sauer auf.
Jan
Also diese Parallelen zwischen Fiktion (Image) und Realität haben mich echt umgehauen. Das muss man sich erstmal durch den Kopf gehen lassen. 1984 ist in den chinesischen Fabriken keine Horrorvision mehr sondern schon Alltag. Auftraggeber ist dabei ein Unternehmen das international als die »Lovebrand« schlechthin gilt.
Pervers.
Noch perverser ist es diese Arbeitsbedingungen zur Normalität zu erklären, so wie in einigen Postings vor mir. Die Politik von Apple tut das auch, indem sie uns einen Einblick in die Produktion gewährt, an den eigentlichen (realen) Verhältnissen jedoch wenig bis nichts ändert. Wir sollen denken für Chinesen sei das normal, für die ist das keine Ausbeutung. Der Markt regelt das schon. Wenn es alle machen muss es normal sein.
Pervers ist auch, dass ich diese Zeilen auf einem Laptop tippe, der wahrscheinlich auch in einer dieser Fabriken hergestellt wurde.
In was für einer kaputten Welt leben wir eigentlich?
Mich wundert, dass dieses Thema hier niemanden wirklich zu interessieren scheint. Aber wehe die Headline in Steve Jobs Biografie wird typografisch nicht korrekt gesetzt, dann gibts endlose Debatten und unzählige Kommentare im Fontblog.
Gestalter reden immer vom sozialer Verantwortung. Wo bleibt die denn wenn es wirklich wichtig wird?
Think different:
Steve Jobs didn’t make your iPad. Chinese kids did.
Kurt
Jan, deine kritische Einstellung trägt ja schon ein bisschen zur Besserung bei: Ein kleines bisschen, was nur der Anfang sein kann, der Anfang zu einer besseren Welt. Mann, ich träume schon wieder: Nur der Kunde kann’s ändern. Dafür müsste es allerdings zur Massenaufklärung kommen, wie sie ja schon Naomi Klein mit dem Buch namens „No Logo“ versucht hat. Aber außer viel Arbeit für die Autorin und ein wenig Lohn daraus, wird sich nicht viel ändern – schreibe diese Zeilen selbst auf einem 17″ MacBook und nebenan stehen noch zwei 27″ iMacs mit besonders schnellen Prozessoren. Auch ich müsste mich viel stärker ändern, als ich mir selbst zugestehe! Was also können wir wirklich tun?
Heinrich
das mit dem – der kunde kann es ändern ist doch ein blöder argument. woher soll der kunde alles wissen, was hinter seinem rücken gemacht wird? und wenn schon was hat er dann für alternativen?
die konzerne könnten es tatsächlich ändern, werden es aber nicht tun weil sie angst davor haben pleite zu gehen und werden leider so lange andere ausbeuten und bekämpfen wie sie nur können.
Kurt
Sehr geehrter Heinrich,
aufwärts geht’s mit Leipzig; zumindest, wenn man sich die Steigerung der Leseraten in den städtischen Bibliotheken ansieht, die von knapp 910.000 Leseratten besucht worden sind, wobei die Leser fast 3.900.000 Mal in die Regale gegriffen haben. Das sieht sehr nach steigender Aufklärung aus, deren Volksdurchdringung natürlich stark vom gewählten Stoff abhängen mag. Aber: Es geht voran – auch in Leipzig!
Freundlich
Ich
Stephan
Ich persönlich bin eher vorsichtig, wenn es um die Kritik eines fremden Politik- und Lebessystems geht. Kritik von meiner behüteten Wohlstandswarte aus kann evtl. von Chinesen als arrogant empfunden werden. Es ist auch Teil der europäischen Geschichte, dass unsere Vorfahren anderen Völkern in vermeintlich guter Absicht aus ihrer schlechten Lage geholfen haben. Und nun herrscht dort Jahrhunderte später, Chaos, Armut und Elend.
Auch in einigen deutschen Werken geht die Belegschaft beim Pausenton geschlossen zum Mittag. Ob jetzt in Reih und Glied oder locker ist nun wirklich kein Grund die chinesischen Verhältnisse verbessern zu müssen. Wie hoch der Lohn ausfällt ist in jedem Land der Erde anders. Das ein chinesischer Arbeiter nicht so viel verdienen kann wie sein deutscher Kollege sollte klar sein. Wohlstand muss wachsen und kann nicht von mir gefordert werden.
Der Beitrag über Foxconn ist sehr interessant und ich würde vermuten, wenn es sich nicht um die Kombination Apple-China sondern Nokia-Hamburg handeln würde, gäbe es keine Kritik zu den Arbeitsbedingungen. Ich vermute mal, wenn der Wohlstand in China steigt, werden viele Arbeiter durch maschinelle Prozesse ersetzt werden. Manpower hat China, Ingenieurswesen und Automaten haben wir. Was ist nun besser?
Apple stellt Produkte her. Wer diese kauft, trägt auch ein Stück weit Verantwortung für die Firmenpolitik von Apple. Da kann es keine pauschale Weltverbesserer-Forderung geben, da is jeder selbst gefragt. So ist meine Meinung.
Jan
@Kurt
Was wir tun sollen kann ich leider nicht sagen. Das muss jeder selbst wissen. Das schlimmste was wir tun können ist schweigen und die Dinge als gegeben hinnehmen. Ich habe den Eindruck das die Problematik stark verdrängt wird, gerade bei Apple. Wahrscheinlich weil die Marke einen positiven Lifestyle charakterisiert der manchmal schon fast religiöse Züge annimmt (siehe Tod von Steve Jobs). Pro oder Contra Apple ist oft schon eine Ideologiefrage.
Was fehlt ist Aufklärung und vor allem ein offener Diskurs. Erst dann kann (organisiert) Druck ausgeübt werden. Der Einzelne kann nur begrenzt etwas bewegen.
@Stephan
Das Problem liegt nicht darin das die Mitarbeiter geschlossen in die Kantine gehen, sondern das sie geschlossen vom Dach springen.
Anstatt die Ursachen zu bekämpfen, hängt man einfach Netze auf. Das Schlimme ist, dass der Suizid für die Mitarbeiter der einzig wirksame Protest zu sein scheint. Nur wenn sich dort jemand umbringt, dringt etwas an die Weltöffentlichkeit.
Es stimmt schon. Jeder Konsument trägt ein Stück Verantwortung bei der Kaufentscheidung. Die Schuld liegt aber klar beim verantwortlichen Unternehmen bzw. Auftraggeber. Schließlich wird dort systematisch auf Kosten der Schwachen Profit gemacht.
Kurt
Yes, Jan, und die Masse erreicht man leider nicht. Die wird von denen erreicht, die es sich leisten können, diese für sich zu instrumentalisieren.