St.-Petersburg-Tagebuch (Schluss): Randbemerkungen

Das über­flüs­sigste Hotelzimmerutensil – nach Hosenbügler und Safe – ist das Telefon. Die letzten Male, dass ich ein solches benutzt habe, vor unge­fähr 5 Jahren, sahen so aus: Telefonstrippe raus, Modemkabel rein. Heute surft man drahtlos, tele­fo­niert wird bereits seit Jahren mit dem eigenen Handy.

Direkt gegen­über blicke ich vom Hotelfenster aus in einen fahl beleuch­teten Hinterhof. Er ist nicht groß, und sehr gespens­tisch.  Rechts ein Müllcontainer, sonst nichts. Alle Fenster verdun­kelt. Kein einziger Lichtstrahl dringt von innen nach außen. Gruselig. Trotzdem wird das Anwesen nachts wie eine Theaterkulisse illu­mi­niert. Dann sieht es aus wie ein Gemälde. Ich biete das Foto hier als Wallpaper fürs iPhone an.

Wo fand eigent­lich die ATypi statt? In einem Palast, dem Beloselsky-Belosersky-Palast. Er liegt auf dem Newskij Prospekt, direkt an dem kanal­ar­tigen Flüsschen Fontanka, über­setzt »Fontänenfluss«. Es erhielt diesen Namen, weil es die über 50 Brunnen und Fontäne des Sommergartens mit Wasser versorgte.

Das Wörtchen »Font« steckt im Namen des Flusses, also der Begriff für einen Satz Druckbuchstaben eines Stils und einer Größe. Er stammt aus dem späten 16. Jahrhundert, leitete sich vom fran­zö­si­schen ›fonte‹ ab (ursprüng­lich ›fondre‹ für schmelzen), und beschrieb den Vorgang des Bleigießens.

Weitere Informationen zu dem Palast auf Wikipedia, oder – ideo­lo­gisch aufge­hübscht – sichert bald von Harki in den Kommentaren.

Am Freitagabend besuchte ich die tradi­tio­nelle ATypI-Ausstellung. Auf zwei Wänden waren die Sieger des 1. arme­ni­schen Schriftdesign-Wettbewerbs zu bewun­dern. Hier haben Ivo und ich den besten Schriftentwerfer Armeniens kennen gelernt. Das es einen solchen dort gibt, mögen Borat-Fans jetzt amüsant finden, vor allem auch, weil unser neuer Freund Edik ein biss­chen wie Louis de Funes aussieht.
Doch der Mann ist eine Koryphäe. Er gewann in fast allen Kategorien den ersten Preis, mit unglaub­lich profes­sio­nellen und präzisen Entwürfen und einer enormen Bandbreite: Sans, Serif, Display und Script. Edik ist Mathematiker und entwirft seit 20 Jahren Schriften – am Computer. Sein ersten Schriftprogramm hat er selbst unter C++ program­miert. Danach hat er die Mathematik für immer verlassen. Heute entstehen seine Schriften mit FontLab.

Diese Schrift von unserem neuen Freund enthält nicht nur die arme­ni­schen Zeichen (oben), sondern auch Western, kyril­li­sche und das grie­chi­sche Alphabet.

Eben erhielt ich per E-Mail noch diese beiden Fotos aus St. Petersburg: Werbung für neue Schriften auf Großflächenplakaten in der Metro. Ich vermute, die Motive hat ParaType entwerfen und kleben lassen. Ich konnte es nicht entzif­fern, weil die Originalgröße der Bilder nur 320 x 240 Pixel betrug, fest einge­stellt in der Kamera �?for some reason“. Oh no, Joan ;-)


13 Kommentare

  1. Roman

    @ Jürgen
    wie heißt denn der arme­ni­sche Schriftdesigner mit vollem Namen?

  2. Jürgen

    Sag ich nicht ;-.)
    (hab Dir eine Mail geschickt)

  3. Dav(id)

    Ich schätze mal spätes­tens im nächsten FontShop Newsletter steht dann der volle Name und der Hinweis, dass es die Schriften jetzt exklusiv bei FontShop gäbe. ;)

  4. Roman

    @ Jürgen

    Ja toll…
    Danke für die Mail.
    Ich lag mit meiner Vermutung richtig.
    :)

    NUR, jetzt bin ich wirk­lich gespannt warum hier so ein Geheimnis um diese Person gemacht wird!!!

  5. Jürgen

    Weil wir mit ihm geschäft­liche Gespräche führen.
    Jeder kann Edik finden, mit ein biss­chen Google-Phantasie – schließ­lich war es ein öffent­li­cher Wettbewerb. Ich möchte nur nicht, dass es durch einen Fontblog-Beitrag zu einer Suchmaschinen-Hochzeit zwischen ihm und FontShop kommt.

  6. charly

    borat war aber kasach­stan, oder?
    :-)))

  7. Jürgen

    Ja, aber es wurde arme­nisch gespro­chen im Film.

  8. Roman

    im Film Borat wurde arme­nisch gesprochen?

  9. Timo

    toll, der Reisebericht. Es macht Spaß, die Eindrücke einer Stadt durch die Augen eines Gestlters zu sehen!
    Was Telefone auf Hotelzimmern betrifft sind sie schon sinn­voll, wenn man in einer Gruppe mehrere Zimmer belegt hat und kurz mal durch­klin­geln kann.
    Auf jeden Fall Danke für die tägliche Lektüre und bitte so weiter machen!

  10. kai

    Schoener Dreiteiler, Juergen.

    ATypI selber war also langweilig?

  11. Simone Wolf

    Jürgen, Du kannst Dich erin­nern, wann Du das letzte mal ein Telefon im Hotelzimmer benutzt hast…?? wow… ;-)

  12. Christian

    es gibt doch diese wunder­baren Weckanrufe :-)

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