Design vs. Dekoration, oder …
… Lasst uns die Spreu vom Weizen trennen!
von Jeffrey Zeldman, Happy Cog Studios, New York
»Content precedes design. Design in the absence of content is not design, it’s decoration.«
Den heutige Anstoß für den Streittag verdanken wir dem Twitter-Kosmos (und Philip von Winterfeldt, der’s aufpickt hat). Twitter ist ein spannendes soziales Netz, in dem Mitteilungen in SMS-Länge ausgetauscht werden, wahlweise vom Schreibtisch aus oder mobil per Handy/Blackberry/iPhone – also die ideale Fundgrube für Zitate.
Am 5. Mai um 16:48 Uhr Ortszeit twitterte der angesehene New Yorker Webdesigner Jeffrey Zeldman seinen 5.500 »Verfolgern« den oben zitierten Satz ins Ohr: »Design setzt Content voraus. Design in Abwesenheit von Content ist kein Design, es ist Dekoration.«. Zeldman’s Online-Veröffentlichungen gelten als Pflichtlektüre für Webdesigner: sein Blog Jeffrey Zeldman Presents, A List Apart, An Event Apart und natürlich sein Twitter-Tagebuch.
35 Kommentare
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<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
Pascal
Kann ich persönlich 100% unterschreiben. Ohne Inhalt keine Form.
charly
genau! sonst wär’s ja kunst. (obwohl, was weiß ich was kunst ist?)
;-)
Sebastian Nagel
Ich erweitere die Frage (weil ständige Querelen mit meiner Freundin) deswegen: Wenn Inhalt vorhanden – darf er dann dekoriert werden?
poms
Wenn Dekoration Ausschmückung meint, dann wird ja – _etwas_ ausgeschmückt –, also muss während des Ausschmückungsprozesses „Inhalt“ (content) als Voraussetzung vorhanden sein.
@Zitat
Ja, manchmal höre ich solche Bauernweisheiten gerne, manchmal nerven sie durch ihre Selbstverständlichkeit. Vielleicht wurde Zeldmans Zitat nur aus dem Zusammenhang gerissen …
>>Ohne Inhalt keine Form
>sonst wär’s ja kunst.
Was soll denn das aussagen?
Grüße
poms
>Ich erweitere die Frage (weil ständige Querelen mit meiner Freundin deswegen: Wenn Inhalt vorhanden – darf er dann dekoriert werden?
Natürlich! Wenn wir schon in Zeiten eines modernen Historismus leben, muss er sogar, hehe
Jürgen
Nein, es steht für sich, weil aus Twitter (maximal 140 Zeichen). Den einzigen Zusammenhang lieferten entweder eine Erkenntnis oder ein vorausgegangener Twitter-Kommentar.
robertmichael
design vs. kunst. herr schellnack, bitte übernehmen sie.
daniel perraudin
in diesem fall, sehr gutes zitat, wenn auch der inhalt nun schon mindestens zum (geschätzt) 23.765 mal der selbe ist.
natürlich setzt design content voraus. das ist ja die aufgabe von design: inhalt aufzubereiten, zugänglich zu machen, verständlich zu machen. in diesem sinne darf man den inhalt dann auch gern dekorieren (s. sebastian), aber nur insofern er nicht hinter der hülle zurücksteht. wenn design nur als selbstzweck betrieben wird, sicher, dann ist das in gewisser weise kunst, weil kunst an sich ja auch (meistens jedenfalls) als selbstzweck funktioniert…
Daniel
Dieses ewige Design vs. Kunst geplapper sollte bitte nicht schon wieder aufkommen, das ist, wie O. Eliason schon richtig bemerkt hat, nur eine Bezeichnung für Galeristen um sich selbst zu rechtfertigen und zu positionieren.
Und erscheint mir immer von Leuten, die ihre Arbeit nicht verstehen und weil sie, ähnlich wie dicke kinder im sportunterricht, kein team haben und sich somit nur von etwas abzugrenzen nach dem schema «ja, was ich mache ist scheisse, aber das wollen die Kunden so, ich bin ja schließlich kein Künstler, der ein gehirn hat, mit dem er selber entscheiden kann»
Was macht es für einenen Unterschied, ob Design oder Kunst. Beides kann sowohl Auftrag (egal ob JvM für Mercedes oder Michelangelo für den Papst) als auch eigenpromo (Lineto im Museum für Gestaltung) / langeweile (sagmeister in New York) oder sonstwas sein.
Wer da noch versucht besserwisserisch und pseudo-schlau zu argumentieren, dass Design ja soooooo was von nichts mit Kunst zu tun hat, und anders herum, hat nichts begriffen.
Ein guter Künstler ist meist ein besserer Designer, siehe Joshua Davis oder Andy Warhol, da diese wissen, wie man gutes zeug macht, das seinen Wert selber bestimmt und noch von Marken gerne verwendet wird um ihr image zu schmücken.
thomas | BFA
so wie anton corbijn mit dem logo für den haag? ;-)
dan
Kannst du mal ausschnittsweise zitieren oder anmerken wo ich es nachlesen könnte. Danke.
robertmichael
http://www.hdschellnack.de/?p=1289
fjord
Von Kunst erwarte ich, dass sie mich stutzig macht, mir Steine in den weg legt. Mich aus meinen alltäglichen Wahrnehmungsmustern herauskatapultiert. Dass sie sich nicht selbst erklärt, sondern Fragen stellt, die mich erst einmal ratlos davor stehen lassen. Kunst verlangt mir Arbeit ab. Kunst darf/soll mir das Leben erschweren.
(Tut das Warhol heute wirklich noch, Daniel? Mir scheint eher, dass Warhol heute wegen seiner Deko- und Glamour-Qualitäten so beliebt ist. Sieht eben nett aus, tut keinem mehr weh und wirkt im Globalisierungs-Zeitalter eher harmlos, niedlich, geradezu heimelig.)
Von Gestaltung/Design erwarte ich, dass sie/es Inhalte visuell verständlich aufbereitet, strukturiert und zugänglich macht. Gestaltung soll mir prinzipiell die Orientierung (und damit das Leben) erleichtern.
Das ist für mich der Unterschied. Ein Künstler kann deshalb kein Designer sein und umgekehrt.
Was beiden gemeinsam ist, ist der konzeptionelle Ansatz. Also die Frage nach dem gezielten Einsatz der (künstlerischen) Mittel.
Kunst, die keine Fragen stellt ist Deko. – Das gleiche gilt für Gestaltung, der es nur um Form und Verzierung geht, und nicht um den Inhalt und dessen Bedeutung (sozial, politisch, etc.).
fabian
neue frage: ist deko schlimm?
matthias
„der künstler macht was er will, der designer will was er macht“, kurt weidemann.
s
Dekoration kann funktional sind.
Wenn sie nicht funktional ist, ist sie überflüssig. Und dann ist es einfach eine Frage des eigenen Anspruchs: Will ich in unserer zugemüllten Welt etwas überflüssiges produzieren?
Oliver Adam
“der künstler macht was er will, der designer will was er macht�?, kurt weidemann.
Ein Wortspielchen, das ja gerne und oft als »intellektuelles Bonmot« zitiert wird. Wenn man diesen Spruch mal genau durchdenkt, wird einem auffallen, wie banal und inhaltsleer er ist …
Herr Kleber
Design ist weder Decoration noch Kunst.
Design ist Problemlösung (meist ein kommunikatives Problem) und ein bißchen Stil. So wie das schöne Zitat aus dem Saville-Thread von Max Bill:
„95% unserer Arbeit gilt der Problemlösung, aber wir müssen die restlichen 5% nutzen um darüber hinaus einen Beitrag zur Ästhetik der Umwelt beitragen.“
Ich glaube wenn man vergisst, das unser Beruf auch Kommunikationsdesign genannt werden kann, passiert es schnell, das eine Broschüre nur decoriert wird.
Decoration ist nur Selbstzweck und will nett aussehen.
Kunst ist … ich glaube das kann man nicht mehr so genau fassen. Früher war Kunst sowas wie die „reflektion“ der Umwelt, oder eine visuelle philosophische Auseinandersetzung mit ihr. Heute, oder seit Kunst Pop wurde, verkommt es mir immer mehr zur Decoration oder zum Schund, wo alles damit gerechtfertigt wird, dass es ja Kunst sei. (In einer Ausstellung habe ich ein Video gesehen, wie sich ein Künstler dabei gefilmt hat, als er auf die Toilette gegangen ist. Inwieweit das Kunst ist, würde den Rahmen hier sprengen).
Daniel
@dan
in dem Eliason Interview in der aktuellen Art
Benjamin Hickethier
Adolf Loos ick hör’ Dir trapsen! Aber prima, eines der Themen, die (natürlich nicht nur) hier immer für gute Diskussionen sorgen, und es muss noch nicht einmal über den Umweg eines Banklogo-Relaunches hergeleitet werden (Trotzdem ist bei diesem älteren thread einiges nachzulesen, was nicht wiederholt werden muss). Wie schön, dass fjord sich auch hier schon zu Wort gemeldet hat!
Passend dazu ein Veranstaltungshinweis: Am Samstag sprechen auf der Typo Pierre M. und Sandy K. von image-shift – ›design is not enough‹.
Denn eigentlich geht es ja nicht um die Frage Design/Kunst.
-non redon
be contented with: »Form fabricates function.« Hans P Brandt
Ben
Man kann durch Deko so viele Sachen machen. Selbst die hässlichsten Räume können so gut aussehen, also ist Deko eine Art Kunst
Marc
Design without content? No problem, no deco:
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fjord
@ Benjamin
Hi, Du auch wieder dabei? Fein! – Würde mir gerne image-shift anhören. Leiderleider schaffe ich das heute nicht mehr nach Berlin.
Benjamin Hickethier
nein, sorry, der Vortrag ist ja nicht heute! Sondern auf der Typo.img, am Ende des Monats, genauer gesagt am 31. Mai.
HD Schellnack
Content precedes Design. Das klingt sehr griffig. Und so einfach, dass man es als Weisheit à la Paul Arden hinnehmen kann und will. Hat der Mann nicht recht? Ohne Inhalt kein Design. Klingt doch logisch.
Die Frage ist nur – was ist denn der Content?
Wer bestimmt das? Wer zieht und wo zieht man da die Grenzen?
Hat Eiswerbung nicht auch Content? Hat eine Cornflakespackung nicht auch – im Wortsinne sogar – Inhalt?
Was Zeldmann Decoration nennt, was man als Überbegriff «Styling» nennn könnte (als Gegensatz, wie immer man den auflösen mag, zu «Design»), hat jeder von uns intuitiv parat. Oberflächliche, irgendwie hohl wirkende Arbeiten ohne Nährwert.
Wenn man aber tatsächlich Designer nach GEGENbeispielen fragt – sind die Antworten nicht mehr so einfach. Oft kommen dann Sachen, die zwar schön aussehen, aber eigentlich auch hinterfragbaren Inhalts sind. Oder die für einen tollen Inhalt stehen, aber dann doch eigentlich die gleiche Design/Style-Semantik bemühen wie das «böse» normale Werbungsdesign. Wo ist die neue Sprache von Design, die den Inhalt wirklich abhebt? Oder stehen wir seit Greiman und Emigre still, weil die Designwerkzeuge so gründlich durchdemokratisiert wurden wie die Musiksoftware ja auch? Vom Fairlight für 250.000 Dollar zu Logic Express für 99.
Habt IHR aktuelle Beispiele für «Design», das nicht nur dekorativ ist? Wo hat Design noch revolutionäres Potential und will mehr als nur irgendwas verkaufen? Welche Inhalte verdienen welches Design?
Oliver Adam
Habt IHR aktuelle Beispiele für «Design», das nicht nur dekorativ ist?
Die Diskussion muss immer im Kreise laufen, denn Ihr spielt das »Beispiel-Spiel«. Ihr versucht, Begriffe zu definieren, indem Ihr Beispiele nennt. Das Problem nur: Jedesmal, wenn ein anderer ein Gegenbeispiel bringt, ist die Defintion (»Was ist Design?«, »Was ist Styling?«, »Was ist Dekoration?«, »Was ist Kunst?«) widerlegt – jedenfalls dann, wenn man an einer ernsthaften Defintion interessiert ist. Auf Deutsch, wenn die Begriffsdefinition notwendig und hinreichend ist. Also: »Design« liegt dann, und nur dann vor, wenn …«
Ihr versucht, sozusagen nach dem »verborgenen Gemeinsamen« zu suchen, dass dem Begriff »Design« zugrundeliegt. Das kann nicht gelingen, denn Ihr jagt nach einem Phantom, denn dieses Gemeinsame gibt es nicht. Die Lösung hat Wittgenstein schon dargestellt. Zentral ist hier der Begriff »Familienähnlichkeit«. Wie etwa 10 Gesichter, die in einigen Punkten übereinstimmen, in anderen aber nicht, sich aber nie hundertprozentig decken, kann man doch sagen, diese 10 Gesichter gehören zur »Familie Schmidt«, denn sie ähneln sich in Summe eben sehr.
Spielt das mal durch mit der Frage: »Was ist ein Spiel?«. Was haben Poker, Fußball, Klatschspiele im Kindergarten, Schach, Couterstricke etc. gemeinsam, dass man sie »Spiel« nennt? Ihr müsst scheitern, wenn Ihr das »verborgene Gemeinsame« sucht. Die Lösung bringt hier wieder die »Familienähnlichkeit« im Sinne Wittgensteins. Ja, selbst das »verborgene Gemeinsame« beim Suchen nach der Defintion »Stuhl« muss scheitern.
Man kann es sich aber auch ganz einfach machen und der »Institutionstheorie« folgen. Danach ist Design das, was Experten der Szene wie Design-Professoren als Design erachten. Kunst ist demnach das, was Kunst-Professoren, -Kritiker oder Galeristen dafür halten. Etc. Woher nun ihre »magische Berechtigung« kommt, ist natürlich völlig unklar.
Fazit: Lest Wittgenstein!
fjord
@ HD
Entsprechend dem alten Satz, man könne nicht nicht kommunizieren, kann es keine Form ohne Inhalt geben. Und ich glaube, die Frage nach der Grenzziehung zwischen gutem und schlechtem Inhalt ist absurd, wie man an der Zuspitzung bereits sehen kann. (Es sei denn, wir sprächen von der moralischen Qualität von Botschaften. Aber darum geht es im Moment nicht.)
Die Frage sollte vielleicht sein: Schert sich das Design überhaupt um den Inhalt? Wie geht es mit dem Inhalt um? Nimmt es ihn bzw. den Adressaten ernst? Und welche Position bezieht es dabei selbst (deutlich sichtbar oder subtil oder gar nicht) im Spannungsverhältnis zwischen Auftraggeber, Inhalt und Adressat, oder sagen wir schlicht: Kontext?
Also geht es (einmal wieder) um den professionellen Umgang und gezielten Einsatz der gestalterischen Mittel. Um die Trennschärfe der Analyse und die Argumentationsschärfe des Konzepts. Und um die damit verbundene Einstellung bzw. Haltung, die den Gestalter zum Gestalter und den Dekorateur zum Dekorateur macht.
Die „Demokratisierung“ der Gestaltungsmittel spielt dabei keine Rolle. Bei Gestaltung geht es nicht um die Fähigkeit, ein Programm bedienen zu können. Es geht darum, ob und was im Kopf vor sich geht.
fjord
@ Oliver Adam
Es gibt auch ganz interessante Texte zu den Themen „Was ist Kunst?“ etc.
Beispielsweise der Rundumschlag (Adorno, Benjamin, Kant, Hegel, Heidegger, …) von Georg Bertram „Kunst. Eine philosophische Einführung“ (Reclam).
Jürgen
@ Oliver
Können wir noch bloggen, wenn wir Wittgenstein gelesen haben? Oder macht es dann erst richtig Spaß? Wir müssten das Thema mal im Gespräch vertiefen, Oliver … vielleicht im Rahmen einer Spontansession auf der TYPO.
Benjamin Hickethier
Ein bißchen seltsam kommt mir die Aufforderung von HD vor, bzw. frage ich mich ob Du sie ernst gemeint hast.
Trotzdem – ein paar spontane ›Gegenbeispiele‹: ausser den bereits erwähnten bildwechsel/image-shift, finden sich Anregungen m. E. in den Arbeiten von Daniel van der Velden u.a., oder im Umkreis von Peter Bil’ak und •••, oder Daniel Tartakover und anderen ›explizit politischen‹ Designern wie zB. auch den französischen (Autorengrafik-)›Klassikern‹ in der Grapus-Tradition, aber interessant in dem Zusammenhang ist auch BAR-M, z.B. die Broschüre/Unterrichtseinheit/Ausstellung über ›das Recht auf Aufenthalt‹, Sichtbar werden – interessant in der grafischen Form aber auch der Auftraggeber-Gestalter-Zusammenarbeit und des sozialen Kontextes. Oder, auch aus Berlin, auch von der an der Kunsthochschule Weißensee stattfindenden ständigen Auseinandersetzung mit ›Inhalten‹, Auftraggebern, der Gesellschaft und der eigenen Rolle als Designer geprägt, die mittlerweile gut bekannten anschlaege.de, die ohne Zweifel Design ›not enough‹ finden und u.a. raumgestalterisch Nachbarschaften umgestalten – wie den ›Heikonauten‹, eine ehemalige DDR-Kita in der Lichtenberger Platte, die nun von Designern, Künstlern u.a. genutzt wird.
Es gibt mehr als genug Beispiele für Leute, die mit den Mitteln des Kommunikationsdesign arbeiten, aber denen das Design eben nicht genug ist, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind und zu deren Arbeit mit grosser Selbstverständlichkeit eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit den von ihnen gestalteten, in Form gebrachten oder ›dekorierten‹ Inhalten gehört.
Naturgemäss finden diese Designer weniger Beachtung als die Design-Designer und sind daher eher nicht die grossen Designerstars. Leider mischen sie sich auch viel zu selten in die Designdiskussionen wie hier, aber dass image-shift auf die Typo08 eingeladen wurde, bietet eine Möglichkeit, dass sich Dekorateure und Inhaltgestalter auch auseinandersetzen können und austauschen wollen.
Darüberhinaus gibt es unendlich viele Bücher und Webseiten, die sich ausdrücklich mit den Fragen nach Sinn und Zweck des Design und den mittels Design transportierten/kommunizierten Inhalten und Botschaften beschäftigen.
Wenn man sich Arbeiten der oben aufgeführten betrachtet, wird auch HDs Erklärung, Design habe mit Kunst nichts zu tun, fragwürdig, oder wir sind eben bei Wittgenstein, und »Kunst ist demnach das, was Kunst-Professoren, -Kritiker oder Galeristen dafür halten.« – oder auch Designprofessoren.
Andrea Nienhaus hat an der UdK Berlin auch eine interessante Abschlussarbeit zum Thema gemacht und arbeitet auch sonst ›in diese Richtung‹.
Weitere interessante Ansatzpunkte wären beispielsweise zu finden über Memefest, Cactus Network, über das Social Design Zine.
Wenn Jürgen das nicht wieder zu off-topic findet, ergänze ich gerne später mit weiteren ›Gegenbeispielen‹.
Oliver Adam
@ Jürgen (und alle anderen)
Herrlich, diese Diskussion! Unbemerkt führen wir ein sokratisches Gespräch: So, wie Sokrates vor 2.500 Jahren seine Athener Mitbürger mit Fragen wie »Was ist Tapferkeit« nervte, so balgen wir uns mit Fragen wie »Was ist Design?« und »Was ist Dekoration?«. Beispiel folgt auf Gegenbeispiel, ehe wir erkennen, dass wir nicht mehr ein noch aus wissen, weil uns der Schädel brummt – weil wir, philosophisch gesprochen, in der »Aporie« stecken.
Dann kommt uns Wittgenstein mit seiner »Familienähnlichkeit« zu Hilfe. Seine Leistung ist, dass er uns wegführt von exakten Klassifikationen im aristotelischen Sinne und Defintionen im Stile von »Wir nennen etwas Design, wenn – und nur wenn, …« hin zu unscharfen Defintionen (»fuzzy«!), eben Familienähnlichkeiten.
Wir stecken also in der Aporie. Was ist also Design, Dekoration und Kunst? Das ließe sich in einer spannenden empirischen Untersuchung festellen – zum Beispiel im Rahmen der Forschung von Einstellungen in der Psychologie: Wir lassen die Versuchspersonen auf einer Rating-Skala von 0 (ist kein Design) bis 10 (ist Design) diese Frage beantworten: »Schätzen Sie spontan ein, ob die folgende Punkte für Sie Design sind.«. Als Items folgen dann »Das Herstellen eines Logos im Auftrag eines Unternehmens«, »Das Verzieren einer Tapete mit einer Borte«, etc. Ergebnis wäre vermutlich hohe Zustimmungsgrade für einige Aussagen, geringere und geringe für andere. Und schon kann man mit gewissen Ausertungstechniken die Nähe der Aussagen grafisch darstellen – Familienähnlichkeiten eben …
Fazit: Natürlich müssen wir bloggen, weil wir manchmal sokratische Gespräche führen, vermeintliche Weisheiten im Stile von »Design setzt Content voraus. Design in Abwesenheit von Content ist kein Design, es ist Dekoration.« als Nichtwissen im Sinne Sokrates entlarven, in der Aporie stecken, um auf dieser Basis unvoreingenommen neue Antworten zu entwickeln.
HD Schellnack
Benjamin,ich sage nicht, Design hat mit Kunst nichts zu tun. Es ist nur einfach etwas ANDERES. Es geht um komplett andere Dinge. Ohne dabei Kunst definieren zu wollen, hat Design einfach einen ganz anderen Aufbau. Wobei ich durchaus finde, dass Design in Zukunft als einen von vier möglichen Wegen auch den in die Kunst vor sich hat/haben muss – und da auch immer einen Fuß drin hatte, wenn ich an Peter Savilles Pantone-Gemälde denke (über die Waste Paintings lässt sich eher streiten :-D).
Die Crux mit dem Content: ALLES ist Inhalt. Deine Beispiele kommen alle aus dem soziopolitischen Bereich – und ich würde mich persönlich sicher deiner Meinung anschließen, dass hier mehr «Design» als «Styling» stattfindet – aber da stecken eben subjektive Entscheidungen und Wertschätzungen hinter. Wieso ist das Verkaufen von Fischstäbchen weniger «Content» als politisches Messaging? Ist Adbuster automatisch besseres Design als die Gala – schon qua Content?
Das Themenfeld Politik/Moral und Design ist ein endlos spannendes, eigentlich gehört hier tatsächlich näher hingeschaut, denn einfach Formeln wie Content = Design sind so verlockend und trügerisch (und dennoch im Kern nicht ganz falsch) wie der Oldie Form follows Function.
Die Tatsache, dass «Design» ein solch schwammiger, mitunter nicht zu greifender Begriff ist – und dabei rein technisch doch so schrecklich klar zu definieren – macht das Segment so spannend. Ist Design ein Luxus dekadenter westlicher Kulturen im glühenden Niedergang des Konsumkomenten? Ist Design eine menschliche Ausdrucksform, wie Musik und Geschichtenschreiben? Ist Design Kommerz? Kunst? Und wieso nicht beides, wo doch eh kein Schwein die beiden ehemaligen Gegensätze noch auseinanderhalten kann :-D.
Das Schlimme ust natürlich: Man braucht irgendwelche Kriterien, jenseits der persönlich Geschmacksgrenze, die immer trügerisch ist, um über das eigene Tun zu sprechen. Sich zu reflektieren. Die Architektur leistet das mitunter besser als wir Kommunikationsdesigner, weil wir gleichzeitig mehr zu tun haben – Kommunikation stylen statt Häuser bauen – aber andererseits unsere Ergebnisse so mickrig wirken (Visitenkarten, Pizzaflyer).Dazu kommt, dass tatsächlich Kom-Design (denke ich) weniger und weniger mit Mediengestaltung im engeren Sinne zu tun hat.
In diesem schwurbeligen Bereich gilt es, einige Grenzpfähle einzuhauen, so schwierig das ist. Ich denke, Benjamins Beispiele zeigen eine vage, auch nicht neue Richtung. Gestalterisch-ästhetisch gibt es sicherlich Regeln für «gutes» Design (die sich seit Rahms nicht groß geändert haben, finde ich). Und darüber hinaus finden wir bei eben auch wieder Rahms Produktdesign schon erste Anweisungen, die über das rein Ästhetische hinaus auf den soziomoralischen Kontext verweisen.
Gutes Design ist – nur vielleicht, vielleicht – was auf ästhetisch zeitgerechte, moderne Art (nicht gefällig, aber gefallend) effektiv Dinge kommunziert, die in sich für die Gesellschaft im Großen oder im Kleinen einen positiven Effekt haben. Insofern wäre für mich Zigarettenwerbung – auch wenn sie so wunderbar gestaltet ist wie Marlboro – vielleicht weniger Design als ein KiTa-Prospekt :-D. Da steckt – vage – eben die suzbjektive Frage drin, was IST denn gut für die Gesellschaft – und das muss jeder für sich beantworten.
Themen wie Nachhaltigkeit, Ökologie, Sparsamkeit spielen hier sicher auch rein – die beste Umweltschutzbroschüre ist sicher die, die nicht gedruckt wird. Der beste Mac ist der, der AUS ist. Das macht unsere Arbeit in sich etwas absurd. Einen verantwortungsvollen Kompromiss und langfristige Ziele zu erarbeiten ist also wichtig. Über Papiere und Drucktechniken nachzudenken, über die Netzteile unserer Computer – das sollte in unserer Branche so selbstverständlich werden wie der GreenBuilding–Standard in der Architektur. Die Häuslebauer sind uns da – zumindest oberflächlich – weit voraus.
Umso wichtiger, drüber zu streiten, wo es in Zukunft hingeht, bevor wirklich nur noch kunstgewerbliche Dekoration produziert wird. Design wird sich in Zukunft im Spannungsfeld von Kommerz, Kunst, Revolution und Science Fiction begeben – genug Spielraum für uns alle, egal ob wir die Welt retten wollen oder «nur» die schönste Cornflakespackung der Welt gestalten… was vielleicht auch ein Stück Weltrettung wäre.
Auf der anderen Seite ist doch gut, dass man aus dem Bauch heraus WEISS, was NICHT Design ist – wie das neue RWE-Logo, das wir die Lüge, die zudem noch schlecht inszeniert ist, noch riechen. Das ist ein gutes Zeichen :-D
Benjamin Hickethier
Ich zitiere aus der HypoVereinsbank-Logo-Relaunch-Debatte: 46. Kommentar, HD: »Design hat mit Kunst nichts zu tun, obwohl es Grenzbereiche geben kann…«
Ansonsten hat HD in vielem Recht, auch wenn die Definition ›Was ist gutes Design‹, die – richtig – die Frage ›Was ist gut für die Gesellschaft‹ voraussetzt, eine wohl noch unbezwingbarere ist.
»Wieso ist das Verkaufen von Fischstäbchen weniger ›Content‹ als politisches Messaging?«
Auch eine interessante und berechtigte Frage – vielleicht macht es Sinn, darüber zu meditieren, wie, d.h. in welcher Form oder mit welcher Art von Gestaltung Fischstäbchen beworben werden, auch etwa vor dem Hintergrund der Produktwerbung/-verpackungsgestaltung in einem Land mit anderem Wirtschaftssystem wie zB. der DDR (ich empfehle die Lektüre des ›Handbuch der Werbung‹ aus dem Ostberliner Verlag der Wirtschaft 1969, das u.a. den Westberliner studentischen Werbung- und Konsumkritikern von Nach-68 als Inspiration diente).
Natürlich im Gegenzug auch die Frage, mit welchen Formen und welcher Art von Gestaltung wird im ›soziopolitischen Bereich‹ für ›politische messages‹ geworben. Die (kommunikations-)gestalterischen Avantgardeströmungen Anfang des 20. Jahrhunderts hatten fast alle ja auch einen gesellschaftpolitischen, überwiegend linksprogressiven Ansatz.
Eine etwas rumpelig geschriebene und definitiv schlecht dekorierte längere Abhandlung zum Thema ›Über die gesellschaftliche Verantwortung des Kommunikationsdesigners‹ hier downzuloaden (256k). Darin enthalten u.a. Design/Kunst-Disko m/ Andy Warhol, ›die neue linie‹ und Gestalten im totalitären Gesellschaftssystem, ›Kommunikationsdesign in der konsumorientierten Gesellschaft‹ und hauptsächlich (leider) Werbung-Kritik, manchmal plump und polemisch.
Ein paar Fundstücke, in diesem Zusammenhang hier (ein Blogstumpf).
Jürgen
@ Oliver
Ich würde Dir gerne einen Orden umhängen oder ein Amt verleihen, wenn es das eine oder das andere gäbe: »Spitzen-Fontblog-Moderator« oder »Master of Conciliation«. Danke, großartig!
Danke auch an HD und Benjamin, die dem Designdiskurs Substanz gegeben haben,