Das erste Deppen-Versaleszett
So haben sich die Freunde des Versaleszetts die Premiere im Buchhandel sicher nicht vorgestellt. Der Berliner Drucker Martin Z. Schröder verkündet nicht ohne Stolz über das neue Max-Goldt-Hörbuch ›Nichts als Punk und Pils und Staatsverdruss‹: »Mein Kollege und Mitarbeiter Frank Ortmann … hat nach der Dresdner Form … einen eigenen Entwurf für den kalligraphierten Titel gezeichnet; ich freue mich sehr, diesen Titel hier präsentieren zu können … Frank Ortmann hat vermutlich das erste große Eszett auf einem CD-Cover überhaupt gezeichnet.«
Leider hat Frank Ortmann nicht bedacht, dass sich die deutschen Verlage vor vielen Jahren zur Neuen Deutschen Rechtschreibung verpflichtet haben. Nach dieser schreibt sich »Verdruss« mit Doppel-s, denn das u wird kurz gesprochen, im Gegensatz zu »Ruß«. Es besteht daher keine Veranlassung, bei versaler Schreibweise etwas anderes zu schreiben als VERDRUSS. Es sei denn, das Cover ist eine Steilvorlage für einen neuen Max-Goldt-Text, der den Titel tragen könnte »So machen es die klugen Sprachen (2)«.
Nach dem Deppenapostroph und dem Deppenleerzeichen wird die deutsche Rechtschreibung – in Rekordzeit – um ein weiteres Phänomen bereichert, das Deppenversaleszett.
35 Kommentare
Kommentarfunktion ist deaktiviert.
<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
Tram
Tja, das kommt dabei heraus, wenn man als Autor immer ’ne Extrawurst gebraten haben will – und, um es mal vorsichtig zu formulieren, nicht sehr kooperativ in der Zusammenarbeit mit Verlagen ist.
nicetype
Kann mir nicht helfen, aber im Versalsatz sieht jedes ß komisch aus…
chris
@nicetype: Sicher, dass du nicht komisch mit ungewohnt verwechselst?
thomas | BFA
armer herr schröder, dann war der ganze schweiss beim drucken wohl umsonst.
Marik
Soviel ich weiß, ist Max Goldt ein bekennender Verweigerer der Rechtschreibreform. Und die Verlage haben sich bis heute keineswegs alle für die reformierte Rechtschreibung entschieden, die allein für Schulen und Behörden verbindlich ist. Aber was soll’s: Auch bei der Reform von 1901 hat es eine Generation gedauert, bis sie sich allgemein durchgesetzt hatte.
Jochen Hoff
Nun aber doch nicht so hart. Es wird die Wissenden amüsieren und andere werden es nicht bemerken. Nichtwissen schützt.
kosmar
Toll und Für mich bleibt das ß ein Kleinbuchstabe und seine Zeichnung in versal sieht so aus: SS
Die kann von mir aus so auch gern per Tastatur erreichbar sein. Ein versales Esszett bleibt für mich ausgemachter Blödsinn. So oder so.
Katrin
Wir könnten ja auch zunächst mal unser Denken, dann das Sprechen und erst danach das Schreiben reformieren, was dann SZ ergäbe – ob nun als Ligatur oder nicht.
Die Brüder und Schwestern weiter östlich von uns haben dieses Problem nicht.
ph
Es sieht einfach nicht versal aus…
ph
Außerdem gibt es doch eine SS-Ligatur: §
»Nach einer Ansicht handelt es sich um ein Doppel-S, das für die Abkürzung signum sectionis (lat. „Zeichen des Abschnitts“) steht. Da Papier früher sehr teuer war, sparten sich die Schreiber das Einfügen einer neuen Zeile und malten das Paragrafenzeichen als Trennungszeichen (auch lat. signum separandi) an den Rand. Dieses wurde als ineinandergeschlungenes „SS“ geschrieben. Daraus soll sich dann das geläufige Paragraphenzeichen entwickelt haben. In der Fachliteratur wird diese Erklärung als „ebenso einleuchtend wie frei erfunden“ bezeichnet. Für sie spricht jedoch, dass in älterem Sprachgebrauch der Paragraph auch als „Trennstrich“ gelesen und in vielen älteren Beurkundungen z. B. „/3/“ statt „§ 3“ geschrieben wurde. Auch die Abkürzung des Begriffes Senatu Sententia (lat. „Satz des Senates“) ist als Quelle des Doppel-S im Gespräch.«
nicetype
Klar, ungewohnt und deshalb komisch (wie eigenartig, nicht lustig, wenn Du das meinst), ich bleibe jedes Mal an dem Zeichen hängen und muss mir überlegen ob das nun ein Versal- oder Normal-ß war.
Muss ph beipflichten, es sieht nicht versal aus…
nicetype
Hm,
RU§PARTIKEL
GRO§ARTIG
FU§BALL
Also ich bin dafür :)
soophie
wie ich auch immer wieder bei Peter Kröner betone: Ich mag das versale ß nicht. Werde ich auch nicht, wenn es in dieser form bleibt. Mir hebt sich der Buchstabe einfach nicht ab und passt, auch im obigen Beispiel, nicht in den Versalsatz. Wie gewollt und nicht gekonnt
Einsiedlerkrebs
Der Grund, wieso ein Eszett verwendet wurde, sollte doch jetzt jedem bekannt sein.
Florian
Wer den sowieso zu empfehlenden Druckerey-Blog – inklusive der Kommentare – liest, kennt bereits sowohl diesen Einwand als auch die Entgegnung des Herrn Schröder.
Jürgen
Wenn Max Goldt gegen die Rechtschreibreform ist, sollte man dann den Titel seines neuen Hörbuches mit einem frisch reformierten Buchstaben setzen? Irgendwas passt hier nicht zusammen …
Florian Schommertz
»Deppenversaleszett« made my Day.
Max Goldt’s VORLE?E BUCH. – Um ‚mal den Volldeppen zugeben.
(shift-ß macht noch kein s.o. – daher ein ?)
tino
Man muss schon zwiegespalten sein, um zu versuchen eine Reform loszutreten indem man eine andere Reform ignoriert.
Katrin
Wenn es das große Eszett seit 130 Jahren gibt, wie Schröder schreibt, und wenn das auf dem Cover von 1955 ist, wieso soll das neu sein und eine Reform? Neu ist doch nur der Unicode.
tino
@Katrin: Wenn es nicht neu ist, warum dann überhaupt diese aktuellen Diskussionen? Entscheidend ist doch, ob es auch eingesetzt wurde und nicht ob in irgendeiner Schublade ein 130 Jahre altes Versal-Eszett gefunden worden ist.
Aber was mich stört ist vielmehr das oben gezeigte Beispiel und weniger die allgemeine Eszett-Diskussion. Die Orthografie kommt vor der Typografie. Und eine einheitliche Rechtschreibung hat ja auch einen gewissen Sinn.
matthias
ich weiss, dass das jetzt in dieser empfindlich, ernsten diskussion um das schriftkulturgut ein wenig verwegen klingt, aber könnte es eventuell sein, dass frank ortmann hier ganz bewusst eine kleine orthografische „brechung“ in aller formalen konsequenz eingebaut hat?
wenn sich die selbsternannten hüter guter typografie im kollektiven aufschrei über falsche esszette im versalsatz erschöpfen, ist das ein wenig einfach. lasst uns doch über die qualität des kalligrafischen swash am N reden, oder darüber, ob das „als“ und „und“ in dieser form den lesefluss fördern, oder ob man heute selbstgezeichnete schriften braucht … und, ja, wenn es sein muss auch darüber, ob der witz, ein falsches sz versal in einem „ungewohnten“ oder gar „komischen“ zeichen zu setzen, wirklich zum lachen ist.
frank ortmann ist – da bin ich mir ziemlich sicher – des deutschen mächtig. aber viele hier nicht der ironie, wie es scheint …
ps.: jaja, die zeichensetzung ist meine stärke seit der letzten reform auch nicht mehr …
Ivo
Es ist doch immer wieder erstaunlich mit welcher Vehemenz manche Leute an ihren alten Gewohnheiten festhalten. Schlimmer ist noch, dass sich Verlage, Designer, Journalisten, Schriftsteller und wer auch immer damit öffentlich brüsten. Die Rechtschreibreform ist zum überwiegenden Teil eine deutliche Verbesserung, weil sie viel mehr Logik in die deutsche Sprache bringt als die abgelöste Variante. Aber was soll man letztlich auch erwarten von einer Nation, in der man in schöner Regelmäßigkeit stolz zu hören bekommt, dass dieser oder jener in bestimmten Schulfächern wie Mathe, Physik oder Deutsch schon immer eine Niete war …
Jürgen
Darf ich daran erinnern, dass einer der Gründe für die (von mir aus) »Wiederauferstehung« des Versaleszetts die neue deutsche Rechtschreibung war? Ging es nicht darum, die Eindeutigkeit IN MASSEN herzustellen? Jetzt soll der Buchstabe auf einmal ein Politaufkleber für die Partei der konservativen Rechtschreiber werden. Die Leipziger sollten sich von dieser Zweckentfremdung distanzieren, sonst landet das junge Zeichen ganz schnell in der Fummelecke seniler Sprachbewahrer. Das sind jene, die sich in Frakturschrift zum jährlichen Treffen verabreden und »Fernkopie« statt Fax sagen. Diese Leute sind nicht mehrheitskompatibel, es wäre das frühe Aus für das Versaleszett.
Im übrigen begrüße ich die typografische Initiative von Frank Ortmann, allein: es hat das falsche Wort getroffen. Die deutschen Vielleser (inzwischen auch die der FAZ) sind die neue Rechtschreibung gewohnt und vor allem die Schulkinder lesen ein »VERDRUß« wie »VERDRUHS«.
thomas | BFA
ich befürchte jürgen hat es auf den punkt gebracht. es riecht immer verdammt nach einer sehr unangenehmen form von konservatismus, wenn die diskussion um diese zeichnerische variante des ß losbricht.
das macht es nicht gerade einfacher sich damit anzufreunden.
Ulrich
Mehrheitskompatibel, genau, und raus mit den senilen Sprachbewahrern! Jürgen, das ist groß!
Thomas G.
Ich finde es legitim, durch Nicht-Einhaltung der neuen Rechtschreibreform in seinen Texten Stellung zu beziehen. Persönlich halte ich aber die neue Regelung zum Verwenden von „ss“ und „ß“ unter Beachtung der Lautspache für richtig. Ironie ist es dann, dass Max Gold diese Schwachstelle der „alten“ Rechtschreibung in seinem Titel so klar demonstriert.
Das Versal-SZ braucht doch – im Alltag – kein Mensch. Es wirkt dort genau so künstlich wie die Versalschreibweise, in der es seine Verwendung findet. Aus typografischer Sicht halte ich es jedoch für unglaublich spannend, wie in Zeiten von unicode im Internet eine Diskussion über ein offenbar vergessenes Zeichen geführt wird.
Florian
Ich trink’ mit Maß – nur ein Glaß!
Jürgen
Florian vergleicht Äpfel mit Birnen. Vielleicht kommt er, wie ich, aus einer Gegend (in meinem Fall Hessen), wo das stimmhafte s ein Schattendasein fristet. Wir sprechen »Drüße« und meinen »Drüse«. Genau so verhält es sich mit Maß und Glas … . Eine Hamburgerin hat mir mal erklärt, dass ich meinen Familiennamen nicht richtig ausspreche: statt Siebert sage ich ßiebert (verdammt, hier bräuchte ich mal ein Versal-ß).
Florian
Hehe! ;-)
Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass die deutsche Rechtschreibung auch nach den Neuregelungen nicht als Lautschrift durchgeht. Während beim s-Laut feinste Unterscheidungen getroffen werden (die man, genau, in weiten Teilen der Sprachregion gar nicht kennt), werden bei anderen Buchstaben nicht nur Äpfel und Birnen, sondern auch Zitronen und Kohlrabi in einen Topf geworfen. Ich [ç]/Ach [x] wäre so ein Beispiel, und da ist noch nicht mal berücksichtigt, dass diese Schriftzeichen auch für [k] oder [ʃ] stehen können.
johnboy
Das ß auf dem Plattencover ist aus Sicht der neuen Rechtschreibung keineswegs ein Deppenversaleszett, sondern schlicht ein Deppeneszett. Das Depperte hat (ortografisch) nichts mit seiner Versalität zu tun.
@Jürgen: „Wenn Max Goldt gegen die Rechtschreibreform ist, sollte man dann den Titel seines neuen Hörbuches mit einem frisch reformierten Buchstaben setzen? Irgendwas passt hier nicht zusammen …“
Erstens hat das Versaleszett im Prinzip nichts mit der Rechtschreibreform zu tun (in beiden ist es nicht vorgesehen, es lässt sich aber problemlos in beiden anwenden, siehe DDR-Duden), ist also nicht frisch reformiert. Zweitens ist die Schaffung einer Unicode-Kodierung nur genau das. Und wer weiß, ob das hier verwendete Versal-ß überhaupt so kodiert ist.
@Florian: „Ich [ç]/Ach [x] wäre so ein Beispiel, und da ist noch nicht mal berücksichtigt, dass diese Schriftzeichen auch für [k] oder [ʃ] stehen können.“
[ç] und [χ] sind komplementär distribuiert, insofern wiegt das nicht besonders schwer; ch für [k] und [ʃ] kommt, chs ausgenommen, hochdeutsch meines Wissens nur in Fremdwörtern vor. Da kann man schon eher hoch vs. Hochzeit bemängeln. Und die Unterscheidung stimmlos/stimmhaft ist keineswegs feinst. Sonst würde niemand über Monty Pythons plöden Pontius Pilatus lachen. Dass sich die Schreibung an der hochdeutschen Standardaussprache orientiert, ist m.E. zu begrüßen.
johnboy
@Florian: „Ich trink’ mit Maß – nur ein Glaß!“
Noch kurz zu Deinem Aufhänger. Das Phänonmen hier ist die Auslautverhärtung. Glas [s], Gläser [z]; Maß [s], Maße, [s].
Das ist aber keineswegs auf [z] -> [s] beschränkt. Rad [t], Räder [d]; König [ç], Könige [g].
Es ist jedenfalls eine sehr regelhafte ortografische Abweichung von der tatsächlichen Lautung.
robertmichael
@ Thomas G. „Das Versal-SZ braucht doch – im Alltag – kein Mensch.“
… nicht? dann warte mal bis die FUSSBALL-EM kommt.
sukisouk
das zweite deppen-versaleszett,
aber bloß als satire in gta4.
PIßWASSER
http://www.imagepanther.com/?p=1211499152d807122194
http://www.flickr.com/photos/derlinzer/2451100973/
http://youtube.com/watch?v=H-S5asBBH20
^^
Jürgen
Amüsante Projekt. Danke. Streng genommen handelt es sich nicht um ein Deppen-Versaleszett … sondern schlicht um ein gemeines Eszett in einem Versalwort.
Margit
Georges-Arthur Goldschmidt: „Man hat zum Gewinn irgendwelcher Schmarrenverkäufer und für renommeesüchtige ‚Linguisten‘ oder Gymnasialpauker eine Rechtschreibreform ‚durchzusetzen‘ versucht, über die sich sämtliche Germanisten der Welt vor Lachen biegen. Deutschland ist übrigens das einzige Land Europas, wo derartiger Quatsch ernst genommen wird, nirgendwo sonst hat man sich je irgendeiner solchen Reform ‚unterworfen‘ und in Frankreich schon gar nicht, darüber macht man sich höchstens im Kabarett lustig. (…) Einschüchterung durch Rechtschreibreformen ist das beste Mittel, um falschen Respekt und Untertänigkeit weiter als erprobte Regierungsmittel aufrechtzuerhalten.“ („Weltwoche“ vom 19.10.2000)