bukowskigutentag 24/12: Lidl und das liebe Klickvieh
Kürzlich behauptete ich hier mit großer Geste, dass sich die klassische Werbung in Zeiten von Social-Media noch ganz schön umgucken wird. Ein schönes Beispiel liefert 1&1: Die Werbung des Unternehmens verspricht blühende Servicelandschaften, während auf der Facebook-Seite öffentlich dreckige Wäsche gewaschen wird; aber so richtig dreckige. Im Gegensatz zu früher kann sich also jeder persönlich davon überzeugen, wie wenig fundiert das große Serviceversprechen ist. Ergo: Die Werbung wird so plump nicht mehr agieren können. Dachte ich.
Heute möchte ich mich für eine Medaille im Zurückrudern bewerben, die ich mir dank der folgenden souveränen 180-Grad-Kehrtwende zu verdienen meine. Anlass dafür war ein kurzer Besuch auf der Facebook-Seite von Lidl. Dabei zog ich mir zwar eine spontane Großhirn-Nekrose zu, die ich zum Glück mit einer mehrliterigen Bierinfusion therapieren konnte, aber ich machte eine unerwartete Entdeckung: Bei Lidl findet sich eine ganz erstaunliche Social-Media-Strategie – nämlich keine Social-Media-Strategie, sondern schlicht und ergreifend Werbung.
Tatsächlich postet Lidl nichts anderes als klassische Schweinebauchanzeigen. Man kippt völlig unkaschiert tumbe Reklame in die Timeline und erntet dafür immense Mengen an Resonanz in Form von Likes, Kommentaren und geteilten Inhalten. Im ersten Moment dachte ich: Ich glaub, mein Hamster bohnert. Plumper geht’s ja gar nicht. Aber der Scheiß funktioniert, wenn man Erfolg in Klickraten misst. Da zerbricht man sich täglich den Kopf über die Frage, wie man in sozialen Netzen kommuniziert, und dann … so einfach, ey! Und da geht sogar noch mehr:
Die Leute von der Lidl-Kommunikation haben nämlich noch ein paar ganz andere Tricks auf Lager. Zum Beispiel passen sie sich dem orthografischen und stilistischen Niveau des alleseits gefürchteten Internet-Kommentars an und verzichten auf die Einhaltung lästiger Rechtschreib-Konventionen (siehe obigen Screenshot): Lassen Sie mich das mal in Internet-Kommentar-Deutsch kommentieren: »Wenn die Absich is dann, wehren die voll kluk ! :-D« Denn wenn man einfach so schreibt wie das Publikum, fühlt sich dieses entsprechend bekuschelt, so wohl das Kalkül, das offensichtlich voll aufgeht, wie auch die Nominierung der Lidl-Seite für einen „beste deutsche Markenseite auf Facebook“-Preis zeigt.
Nun denn … in meinen Grundfesten erschüttert neige ich mein Haupt in Demut vor der Realität. Wenn Sie dagegen noch ein bisschen Spaß haben wollen, schmökern Sie doch mal ein bisschen in der Lidl-Chronik. So schön!
Noch schöner stelle ich mir den Alltag in der Kommunikationsabteilung von Lidl vor. Man darf annehmen, dass dieser Alltag überwiegend unter dem Tisch stattfindet, unter dem die Redakteure vor Lachen ihren Tag verbringen. Deswegen zum Schluss meine Bitte: Falls hier ein personalverantwortlicher Lidl-Mitarbeiter mitliest, möchte ich mich hiermit offiziell als »Jessica« bei Euch bewerben. Und alle Anderen: Drückt mir bitte die Daumen, Ihr Lieben!
10 Kommentare
Kommentarfunktion ist deaktiviert.
<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
Neuropol
Meinen Daumen hast Du. Aber dafür will ich einen Akku-Schrauber der limitierten Lidl-Girlie-Edition in pink.
westernworld
keine angst da liest auf keinen fall jemand mit. die leute die das für lidl machen sind bestimmt ein paar jüngere bürokaufleute und keine orbitanten des berliner planet hip.
lidl gehört auch zu den unternehmen die eine social media strategie brauchen wie ein loch im knie, man macht es halt weil das jetzt alle machen und wie sieht denn das sonst aus.
lidl will ja alles nur keinen dialog mit seinen kunden.
social media im sinne des erfinders würde für solche buden auch gar nicht funktionieren.
was sollen sie denn sagen? etwa leute wir testen gerade bei unseren neuen eigenmarken wie weit wir die qualität bei gleichegleichbleibendembleibendem preis runter fahren können bevor die kunden kotzen beim verzehr oder zu aldi gehen oder gleich zu edeka.
das ist stumpf ist trumpf beim social schweinebauch eigentlich eine geradezu sympatisch ehrliche lösung.
lidl- friß oder stirb wäre übrigens ein super claim für die herrschaften.
Arne
Siehste, Bukowski, funktioniert doch, da ist selbst mit Dir als Jessica wohl kaum noch Luft nach oben ;-)
mbukowski
@Neuropol Danke, geht klar!
mbukowski
@westernworld Völlig richtig, was Sie da sagen. Eigentlich fast schon sympathisch. Trotzdem war’s einen Moment shocking, auf der Seite zu landen. Den Claim würde ich geringfügig ändern: Friss und stirb. Einverstanden?
mbukowski
@Arne Psst, doch nicht hier in der Öffentlichkeit, wenn gerade meine Bewerbung raus ist!
Curd Igor Eberspächer
Lieber Michael, geehrter Herr Bukowski,
Sie haben völlig recht, Werbung wird zunehmend banal. Aus dem Konkurrentenmarkt ADEG kommend hat man mich bei LIDL zum Glück einmal abgewiesen. Allerdings muss ich zugeben, dass man für die Prospekte, für die ich dann auch hätte zuständig sein sollen, nichts, rein gar nichts können muss – zumindest, was die Grafik anbelangt. Hier wie da haben ja durchaus ungelernte Leute in die Grafik- wie Druckabteilung Einzug genommen, weil: Einige Klicks und fertig ist der shit. Nicht zu vergleichen natürlich mit den vielen kleinen, von den größenwahnsinnigen Beschäftigten in den Großkonzernen – wenn man einen Job machen darf, weshalb auch immer, fühlt man sich ja gleich besonders toll, vielleicht umso mehr, umso weniger man gelernt hat, glaubt man doch, darin die doppelte Bestätigung zu finden, weil’s die eigene Psyche einfach braucht – immer wieder unterschätzten und durchaus feinen Agenturen.
als Slogan zu verwenden, passte zur heutzutage durchschnittlichen Umgangssprache umso besser. Künftig wird man total bescheuert sein müssen, um überhaupt noch an lukrative Jobs zu kommen, weil das Volk (besonders sprachlich) immer mehr verblödet wird. Natürlich wird es dadurch einfacher, weil das vom Kultusministerium vorgeschlagene Prinzip „Schraib wia du sprichst“ langsam normativ Einzug in die Vorstandsetagen nimmt. Zwischendurch hat man ja einmal geglaubt, dass künftig gerade die ihre Jobs behalten würden, die noch richtig etwas können, Zeitungen würden nur noch mit speziellen Inhalten überleben können und so weiter und so fort. Ich denke: Das Gegenteil ist der Fall. Sind alle blöd, wirst als Andersdenkender du gejagt und qualitativ Hochwertiges wird zunehmend nicht mehr in Anspruch genommen, wodurch es einfach wegstirbt oder einige Zeit vom Steuerzahler gerettet wird.
Leider muss ich feststellen, dass auch zunehmend immer mehr Studierte immer weniger den Kriterien gesamter Bildung entsprechen, ja, nicht einmal ihrer Ausbildung nachkommen können, weil sie zusätzliche Sinnlosigkeiten, bis zur eigenen Überforderung, hineingedrückt bekommen, was viele, hat man den Unfug endlich geschafft, die eigenen Unzulänglichkeiten nicht sehend, immer selbstsicherer auftreten und die, die nicht studiert, sondern das Handwerk anderswie erlernt haben, ausgrenzen lässt. Leider gibt es bei beiden Seiten solche und solche, was aber nichts nützt in Anbetracht unfähiger Personalmanager, die nur Zettelchen bestaunen, aber Arbeiten schon lange nicht mehr beurteilen können. Da ist ein Text ein Text und ein Bild eben nur ein Bild. Das beides aus Dutzenden Teilen besteht, das Kriterien zu erfüllen hat, bleibt da außen vor. Der Personaler sieht aber die neue Landschaft nicht, die oft aus zwanzig Bildern entstanden ist, er sieht nur die vereinte Ebene. Umso besser, wenn man hier auch einmal Leuten begegnet, die ihr Handwerk besser verstehen als ich selbst.
Curd Igor Eberspächer
ist ein gutes Beispiel dafür. Was ich hier schnell tippse, darf Fehler enthalten, was länger online gestellt oder in Printmedien abgesetzt wird, sollt jedoch überdacht werden. Schaut man sich aber den Webauftritt der größten Kärntner Agentur für Industrie und Wirtschaft an, sieht man, dass ich mich irre. Schreibt man denen auch noch Korrekturvorschlägen in das Blog, werden diese, klar, ist doch peinlich, strikt gelöscht, die Fehler aber nicht ausgebessert. Ignoranz oder Unzulänglichkeit, das ist hier die Frage. Aber: Die Kunden merken’s gar nicht, wobei ich solchen Fehlermachern, die sich diese auch nicht eingestehen, keinen Cent für einen Auftrag zukommen lassen würde. Wie oben erwähnt: Die Realität sieht anders aus.
C. I. E.
… Korrekturvorschläge(n) … – Na, sehen Sie. Aber: Einfach ausklammern. Ich habe im Gegensatz zu Lidl und der erwähnten Agentur hier aber keine Korrekturmöglichkeit. Also: Deleatur bezüglich des (n)!
C. I. E.
Wenn ich Ai in einem Gast-Account öffne, funktionieren die Stilisierungsfilter. Aber hier sind in der Schriftsammlung nicht alle Schriften vorhanden, was auf das alte Problem hindeuten könnte. Ob’s dann auch so ist, weiß ich leider nicht.