Fontblog Artikel im Juli 2012

Hat sich Obama bei der Schriftwahl vergriffen?

Seit dem Wochenende besucht der amtie­rende US-Präsident Barack Obama im Rahmen seiner Betting On America-Kampagne per Bus ein gutes Dutzend Städte in Ohio und Pennsylvania. Für den Wahlkampf-Trip hat er sich aus dem Motto ein Key-Visual entwerfen lassen, bestehend aus einer Schreibschrift (“Betting On”) und einer Versalschrift (“America”).

Und weil der Präsident von seinen Gegnern aufmerksam beob­achtet wird, glauben die einen, er habe den Slogan von Bill Clinton geklaut (Obama’s New Slogan ‘Betting On America’ Cribbed From Clinton), andere wittern in der gewählten Schriftart Revolution Gothic Extra Bold (Design: Ryoichi Tsunekawa) für das Wort “America” eine kommu­nis­ti­sche Unterwanderung. Die Klatsch-Website Buzzfeed weiß, dass ein Vorläufer dieser Schrift von kuba­ni­schen Revolutionspostern inspi­riert sei. Als sie den Obama-Presse-Chef Ben LaBolt zu diesem Thema anschrieben, antwor­tete der per Mail: »Ihr Parteibeobachter sollte bis zum Mittagessen nüch­tern bleiben und sich ansonsten auf das Kommentieren von Katzenvideos konzentrieren.«

(Foto: www​.barack​obama​.com)


Süddeutsche Zeitung mit neuer Typografie

Als erste über­re­gio­nale Tageszeitung im Land ließ sich die Süddeutsche Zeitung maßge­schnei­derte Schriftfamilien für alle ihre Kanäle entwi­ckeln. Heute feiern SZ Text, SZ Serif und SZ Sans in der Printausgabe Premiere (vgl. Titelseite, Abbildung oben). Entworfen wurden die Schriften im Verlauf der letzten acht Monate vom Büro ErlerSkibbeTönsmann, nament­lich den Type-Designern Henning Skibbe (FF DingbatsFontFont) und Nils Thomsen (MeretOurtype), in enger Zusammenarbeit mit dem SZ-Artdirector Christian Tönsmann (Layout). FontShop beglei­tete die tech­ni­sche Aufbereitung der 40 Fonts.

Seit Jahren vertritt das Corporate-Font-Team bei FontShop (gemeinsam mit Erik Spiekermann) die These, dass anspruchs­volle Medien und Marken mit einer exklusiv entwi­ckelten Hausschrift

  • ihr Profil maximal schärfen,
  • ihre indi­vi­du­ellen Anforderungen maßge­schnei­dert lösen,
  • lizenz­recht­liche Freiheit über alle Kanäle genießen und
  • dies meist weniger kostet als die Lizenz einer Standardschrift.

Bei den deut­schen Nachrichtenmedien setzt sich diese Erkenntnis langsam durch; briti­sche und US-ameri­ka­ni­sche Zeitungen prak­ti­zieren den Individualweg bereits seit Jahren mit Erfolg. Die Tageszeitung (taz) war einst Vorreiter (Schriften: Taz und Tazzer, heute nicht mehr exklusiv), auch der SPIEGEL arbeitet seit über zehn Jahren mit indi­vi­dua­li­sierten Schriftfamilien (modi­fi­zierte Franklin Gothic und Linotype Rotation).

Das Aussehen einer etablierten Tageszeitung anzu­fassen ist stets ein Wagnis. Wer sie über Jahre täglich konsu­miert, dies pflegt die wich­tigste Kundengruppe zu tun, reagiert kritisch auf opti­sche Veränderungen. Dabei dürfte ein Schriftwechsel allein kaum auffallen. Doch es geht meist um mehr als um mikro­sko­pi­sche Eingriffe, nämlich um makro­ty­po­gra­fi­sche Veränderungen (Spalten, Zeilenabstände, Kästen, …) bis hin zu inhalt­li­chen Aufräumarbeiten. Bei der Süddeutschen hatte sich über Jahre manches einge­schli­chen, zunächst aus Nachlässigkeit, doch bald wurde es zu einem Wildwuchs von Ressort-Eigenheiten: »Acht verschie­dene Kommentar-Formen, jede Menge Autorenzeilen, krumme Kästen und sonder­bare Umtextungen eigen­artig geschnit­tener Bilder …« heißt es in einer aktu­ellen Selbstanalyse. All dies wurde geordnet, aufge­räumt und manches auch abge­schafft. Die Redaktion feiert den neuen Auftritt mit einem popu­lären Vergleich: »Die SZ wird nicht gebo­toxt, nicht verschnitten, und Silikon kriegt sie auch nicht. Sie bekommt eine neue Garderobe, die zu ihr und vor allem zu ihren Lesern und Freunden passt.«

Unter der program­ma­ti­schen Überschrift »Die gute Zeitung hat Zukunft«, wendet sich – wie in solchen Fällen üblich – die Chefredaktion an die Leser und erläu­tert die Beweggründe des Redesigns. »Wir haben zuerst in der Redaktion und dann unter den Lesern erforscht, was bleiben soll, was verän­dert werden kann, und was gemacht werden muss. Die Schaffung einer neuen Schrift war uns dabei ein sehr wich­tiges Anliegen. Die neue Schrift wird zur Identität dieser Zeitung, zur Marke beitragen, sie wird sogar ein bestim­mender Teil des Charakters werden.« schrieb Kurt Kister, seit Januar 2011 Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, bereits gestern auf sued​deut​sche​.de.

Dass der Chefredakteur einer deut­schen Tageszeitung die Rolle seiner (neuen) Schrift in einem Atemzug mit redak­tio­nellen Änderungen leiden­schaft­lich vertei­digt, ist eine Anerkennung für alle Typografen und Schriftentwerfer in diesem Land, die seit Jahren für die Nutzung des viel­fäl­tigen Angebots kämpfen. Tatsächlich ist die deut­sche Font-Szene welt­weit aner­kannt (wenn nicht sogar führend), gemessen an den Bestsellern, den Umsätzen, den Neuerscheinungen und den neu gegrün­deten Schriftenhäusern (Foundries).

Wie erklärt man seinen Lesern die Vorzüge der neuen Schrift? Einige Änderungen sind mit bloßem Auge kaum wahr­zu­nehmen, die Wirkung ist subtil. Die Süddeutsche versucht es mit einer Abbildung (oben), die eine Gegenüberstellung von sechs typi­schen Lettern der bisher verwen­deten Excelsior und der neuen SZ Text zeigt. Ein solcher Vergleich ist aufschluss­reich für Experten, doch Laien fragen sich ange­sichts mini­maler Kurvenänderungen: ›Was soll das nun bewirken?‹

Würde BMW einen neuen Motor entwi­ckeln und in seinen Prospekten die verbes­serten Ventile, Schrauben und Kolben abbilden, wäre das selbst für Autofans wenig aufschluss­reich. Erst das Anlassen des Motors, sein Geräusch und eine Probefahrt offen­baren die Vorzüge der über­ar­bei­teten Verbrennungstechnik. Genau so verhält es sich mit Schriftdesign und Typografie. Erst das Zusammenspiel der Buchstaben und das prak­ti­sche Lesen erbringen den Beweis, wie sich der Feinschliff der Buchstabenkurven auf die Leserlichkeit des Texts auswirkt. Genau das ist die Kunst der Typografie. Das Schriftbild ist so etwas wie das »Grundrauschen der Gestaltung« (SZ), das wir erst bemerken, wenn eine Störung eintritt.

Zu den besei­tigten Störungen in ihrem Schriftbild schreibt die SZ heute: »Zu Beginn der Neugestaltung analy­sierte eine Typografin eine Titelseite der SZ und zählte dort ganze 20 Schriften. Hier hat das grafi­sche Grundrauschen schon fast den Pegel des Lärms erreicht. Das lag unter anderem daran, dass die SZ bisher drei sehr unter­schied­liche Schriften verwen­dete, die Helvetica, die Excelsior und die Times. Nun wird es nur noch eine Grundschrift geben, die SZ-Text, aus der sich alle anderen ableiten. So wird nun aus dem Lärm wieder ein ange­nehmes Grundrauschen.«

Es war nicht nur wichtig, das Schriftbild zu beru­higen. Die bisher einge­setzten Schriften waren für eine moderne Zeitung veraltet, weil sie einst für den Bleisatz geschnitten wurden. Was in der gedruckten Ausgabe noch halb­wegs funk­tio­nierte, stößt bei den neuen Medienangeboten an seine Grenzen, also beim E-Paper, bei iPad-Ausgaben, auf der Website und ähnli­ches. Die neuen SZ-Schriften berück­sich­tigen auch das Lesen am Bildschirm, und damit sichern sie die Zukunft der Zeitung aus München.

Die Familienstruktur der neuen Süddeutschen-Zeitung-Schriften (40 Fonts):

SZ Text

Regular (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)

Regular Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic

SZ Serif

Light (inkl. Kapitälchen)
Regular (inkl. Kapitälchen)
Regular Sub (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)

Light Italic
Regular Italic
Regular Sub Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic

SZ Sans

Light (inkl. Kapitälchen)
Regular (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)

Light Italic
Regular Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic

SZ Sans Condensed

Light (inkl. Kapitälchen)
Regular (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)

Light Italic
Regular Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic

Weitere Informationen: www​.sued​deut​sche​.de/​t​h​e​m​a​/​L​a​y​o​u​t​-​R​e​f​orm


7 Minuten TYPO San Francisco

Impressionen von der ersten TYPO San Francisco, die am 5. und 6. April stattfand …

TYPO San Francisco Audience

Nächste TYPO ist TYPO London 2012 unter dem Motto »Social« am 19. und 20. Oktober 2012. (Video: Robert Schatton)


Abril ist eine Gewinner-Type

Für den Satz von Zeitungen, Zeitschriften und digi­talen Medien entwi­ckelten TypeTogether die Abril-Familie – eine Editorial-Schrift mit zwei Gesichtern, für Titel und Text. ür Schriftkonzept und Umsetzung  empfingen die Entwerfer Veronika Burian und José Scaglione in Helsinki den Europäischen Designpreis in Gold.

Magazin in Editorialschrift Abril

Ihr inno­va­tives Display- und Text-System bescherte TypeTogether einen Europäischen Designpreis in Gold für die Editorial-Familie Abril 

Die vier Textschnitte: Regular, Semi-Bold, Bold und Extrabold mit passenden Kusiven lehnen sich an Slab-Serifen aus dem 19. Jahrhundert an und greifen die Eigenschaften Schottischer Zeitungs-Antiquas auf. Auf den ersten Blick erscheinen die Text-Schriften kontrast­arme Varianten der Display-Schriften darzu­stellen. Tatsächlich wurden Sie jedoch als eigen­stän­dige Formen entwi­ckelt, die einen harmo­ni­schen Textfluss und hervor­ra­gende Lesbarkeit in Zeitungs- und Zeitschriftentexten gewähr­leisten und sich zusätz­lich als Brotschriften für Taschenbücher und Magazine eignen.

Die Display-Schnitte greifen den Stil klas­si­scher Überschriften-Antiquas auf und führen ihn weiter zu einer Serifenschrift, die mit der kontrol­lierten Spannung ihrer Schwünge, ihren starken Kontrasten und ausge­feilter schwarz-weiß-Balance das Auge des Lesers in die Headline zieht. Die vier Display-Schnitte Regular, Semibold, Bold und Extrabold werden durch den Schlagzeilen-Schnitt Fatface ergänzt und verfügen über eigene Kursivschnitte. Ornamente, Rahmen, Symbole und Alternate-Buchstaben gehören zu Abrils reichem Vorrat an Editorial-Zeichen, die dem Magazinsatz Extra-Schliff verleihen.
Abril Display at Fontshop
Abril Headlines ziehen mit oder ohne Extra-Effekte das Auge des Lesers auf sich und verfügen über einen reichen Vorrat an Sonderzeichen
Die Laufeigenschaften und der Platzbedarf der Abril nehmen es mit Zeitungsklassikern wie Utopia oder Nimrod auf, Form und Proportionen verleihen Abril eine zeit­ge­mäße Anmutung und auch die beigefügten Caps-Schnitte, die Ziffern und Satzzeichen enthalten, entspre­chen dem aktu­ellen Standart für Editorial-Fonts. Zusätzlich enthalten die Text- und  Display-Schnitte Zeichen für über 50 Sprachen, darunter Zentral- und Nordeuropäische Akzente.
 Die vier Grundschnitte der Abril Text erhielten ein manu­elles Hinting – ein sehr aufwän­diger Vorgang in dem spezi­elle Anweisungen in den Fontdateien gespei­chert werden, um die Lesbarkeit der Zeichen auf dem Bildschirm zu verbes­sern, beson­ders für die Darstellung von geringen Auflösungen und kleinen Schriftgraden. Kerning-Spezialist Radek Sidun war für diese zeit­auf­wen­dige Aufgabe zuständig. Ein ausführ­li­ches PDF-Dokument zur Abril (17 Seiten, 1,1 MB) kann hier geladen werden.
Abril complete bei Fontshop
TypeTogether: Veronika Burian and José Scaglione lernten sich an der renom­mierten Universität von Reading kennen. 2006 beschlossen sie gemeinsam an Schriften und typo­gra­fi­schen Projekten zu arbeiten: Die Geburtsstunde von TypeTogether. Die Qualität ihrer Arbeit wurde bereis mehr­fach ausge­zeichnet. Neben der Goldmedaille der ED-Awards wurde Abril 2012 auch für den Fonts-Latinos-Preis und die Bienále Brno nominiert.
Abril Complete OT | 18 Fonts | 499 Euro
Text | Regular, Semi-Bold, Bold und Extrabold mit passenden Kusiven
Display | Regular, Semi-Bold, Bold, Extrabold und Fatface mit passenden Kusiven