Hat sich Obama bei der Schriftwahl vergriffen?
Seit dem Wochenende besucht der amtierende US-Präsident Barack Obama im Rahmen seiner Betting On America-Kampagne per Bus ein gutes Dutzend Städte in Ohio und Pennsylvania. Für den Wahlkampf-Trip hat er sich aus dem Motto ein Key-Visual entwerfen lassen, bestehend aus einer Schreibschrift (“Betting On”) und einer Versalschrift (“America”).
Und weil der Präsident von seinen Gegnern aufmerksam beobachtet wird, glauben die einen, er habe den Slogan von Bill Clinton geklaut (Obama’s New Slogan ‘Betting On America’ Cribbed From Clinton), andere wittern in der gewählten Schriftart Revolution Gothic Extra Bold (Design: Ryoichi Tsunekawa) für das Wort “America” eine kommunistische Unterwanderung. Die Klatsch-Website Buzzfeed weiß, dass ein Vorläufer dieser Schrift von kubanischen Revolutionspostern inspiriert sei. Als sie den Obama-Presse-Chef Ben LaBolt zu diesem Thema anschrieben, antwortete der per Mail: »Ihr Parteibeobachter sollte bis zum Mittagessen nüchtern bleiben und sich ansonsten auf das Kommentieren von Katzenvideos konzentrieren.«
(Foto: www.barackobama.com)
Süddeutsche Zeitung mit neuer Typografie
Als erste überregionale Tageszeitung im Land ließ sich die Süddeutsche Zeitung maßgeschneiderte Schriftfamilien für alle ihre Kanäle entwickeln. Heute feiern SZ Text, SZ Serif und SZ Sans in der Printausgabe Premiere (vgl. Titelseite, Abbildung oben). Entworfen wurden die Schriften im Verlauf der letzten acht Monate vom Büro ErlerSkibbeTönsmann, namentlich den Type-Designern Henning Skibbe (FF Dingbats, FontFont) und Nils Thomsen (Meret, Ourtype), in enger Zusammenarbeit mit dem SZ-Artdirector Christian Tönsmann (Layout). FontShop begleitete die technische Aufbereitung der 40 Fonts.
Seit Jahren vertritt das Corporate-Font-Team bei FontShop (gemeinsam mit Erik Spiekermann) die These, dass anspruchsvolle Medien und Marken mit einer exklusiv entwickelten Hausschrift
- ihr Profil maximal schärfen,
- ihre individuellen Anforderungen maßgeschneidert lösen,
- lizenzrechtliche Freiheit über alle Kanäle genießen und
- dies meist weniger kostet als die Lizenz einer Standardschrift.
Bei den deutschen Nachrichtenmedien setzt sich diese Erkenntnis langsam durch; britische und US-amerikanische Zeitungen praktizieren den Individualweg bereits seit Jahren mit Erfolg. Die Tageszeitung (taz) war einst Vorreiter (Schriften: Taz und Tazzer, heute nicht mehr exklusiv), auch der SPIEGEL arbeitet seit über zehn Jahren mit individualisierten Schriftfamilien (modifizierte Franklin Gothic und Linotype Rotation).
Das Aussehen einer etablierten Tageszeitung anzufassen ist stets ein Wagnis. Wer sie über Jahre täglich konsumiert, dies pflegt die wichtigste Kundengruppe zu tun, reagiert kritisch auf optische Veränderungen. Dabei dürfte ein Schriftwechsel allein kaum auffallen. Doch es geht meist um mehr als um mikroskopische Eingriffe, nämlich um makrotypografische Veränderungen (Spalten, Zeilenabstände, Kästen, …) bis hin zu inhaltlichen Aufräumarbeiten. Bei der Süddeutschen hatte sich über Jahre manches eingeschlichen, zunächst aus Nachlässigkeit, doch bald wurde es zu einem Wildwuchs von Ressort-Eigenheiten: »Acht verschiedene Kommentar-Formen, jede Menge Autorenzeilen, krumme Kästen und sonderbare Umtextungen eigenartig geschnittener Bilder …« heißt es in einer aktuellen Selbstanalyse. All dies wurde geordnet, aufgeräumt und manches auch abgeschafft. Die Redaktion feiert den neuen Auftritt mit einem populären Vergleich: »Die SZ wird nicht gebotoxt, nicht verschnitten, und Silikon kriegt sie auch nicht. Sie bekommt eine neue Garderobe, die zu ihr und vor allem zu ihren Lesern und Freunden passt.«
Unter der programmatischen Überschrift »Die gute Zeitung hat Zukunft«, wendet sich – wie in solchen Fällen üblich – die Chefredaktion an die Leser und erläutert die Beweggründe des Redesigns. »Wir haben zuerst in der Redaktion und dann unter den Lesern erforscht, was bleiben soll, was verändert werden kann, und was gemacht werden muss. Die Schaffung einer neuen Schrift war uns dabei ein sehr wichtiges Anliegen. Die neue Schrift wird zur Identität dieser Zeitung, zur Marke beitragen, sie wird sogar ein bestimmender Teil des Charakters werden.« schrieb Kurt Kister, seit Januar 2011 Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, bereits gestern auf sueddeutsche.de.
Dass der Chefredakteur einer deutschen Tageszeitung die Rolle seiner (neuen) Schrift in einem Atemzug mit redaktionellen Änderungen leidenschaftlich verteidigt, ist eine Anerkennung für alle Typografen und Schriftentwerfer in diesem Land, die seit Jahren für die Nutzung des vielfältigen Angebots kämpfen. Tatsächlich ist die deutsche Font-Szene weltweit anerkannt (wenn nicht sogar führend), gemessen an den Bestsellern, den Umsätzen, den Neuerscheinungen und den neu gegründeten Schriftenhäusern (Foundries).
Wie erklärt man seinen Lesern die Vorzüge der neuen Schrift? Einige Änderungen sind mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen, die Wirkung ist subtil. Die Süddeutsche versucht es mit einer Abbildung (oben), die eine Gegenüberstellung von sechs typischen Lettern der bisher verwendeten Excelsior und der neuen SZ Text zeigt. Ein solcher Vergleich ist aufschlussreich für Experten, doch Laien fragen sich angesichts minimaler Kurvenänderungen: ›Was soll das nun bewirken?‹
Würde BMW einen neuen Motor entwickeln und in seinen Prospekten die verbesserten Ventile, Schrauben und Kolben abbilden, wäre das selbst für Autofans wenig aufschlussreich. Erst das Anlassen des Motors, sein Geräusch und eine Probefahrt offenbaren die Vorzüge der überarbeiteten Verbrennungstechnik. Genau so verhält es sich mit Schriftdesign und Typografie. Erst das Zusammenspiel der Buchstaben und das praktische Lesen erbringen den Beweis, wie sich der Feinschliff der Buchstabenkurven auf die Leserlichkeit des Texts auswirkt. Genau das ist die Kunst der Typografie. Das Schriftbild ist so etwas wie das »Grundrauschen der Gestaltung« (SZ), das wir erst bemerken, wenn eine Störung eintritt.
Zu den beseitigten Störungen in ihrem Schriftbild schreibt die SZ heute: »Zu Beginn der Neugestaltung analysierte eine Typografin eine Titelseite der SZ und zählte dort ganze 20 Schriften. Hier hat das grafische Grundrauschen schon fast den Pegel des Lärms erreicht. Das lag unter anderem daran, dass die SZ bisher drei sehr unterschiedliche Schriften verwendete, die Helvetica, die Excelsior und die Times. Nun wird es nur noch eine Grundschrift geben, die SZ-Text, aus der sich alle anderen ableiten. So wird nun aus dem Lärm wieder ein angenehmes Grundrauschen.«
Es war nicht nur wichtig, das Schriftbild zu beruhigen. Die bisher eingesetzten Schriften waren für eine moderne Zeitung veraltet, weil sie einst für den Bleisatz geschnitten wurden. Was in der gedruckten Ausgabe noch halbwegs funktionierte, stößt bei den neuen Medienangeboten an seine Grenzen, also beim E-Paper, bei iPad-Ausgaben, auf der Website und ähnliches. Die neuen SZ-Schriften berücksichtigen auch das Lesen am Bildschirm, und damit sichern sie die Zukunft der Zeitung aus München.
Die Familienstruktur der neuen Süddeutschen-Zeitung-Schriften (40 Fonts):
SZ Text
Regular (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)
Regular Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic
SZ Serif
Light (inkl. Kapitälchen)
Regular (inkl. Kapitälchen)
Regular Sub (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)
Light Italic
Regular Italic
Regular Sub Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic
SZ Sans
Light (inkl. Kapitälchen)
Regular (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)
Light Italic
Regular Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic
SZ Sans Condensed
Light (inkl. Kapitälchen)
Regular (inkl. Kapitälchen)
Medium (inkl. Kapitälchen)
Bold (inkl. Kapitälchen)
Black (inkl. Kapitälchen)
Light Italic
Regular Italic
Medium Italic
Bold Italic
Black Italic
Weitere Informationen: www.sueddeutsche.de/thema/Layout-Reform
7 Minuten TYPO San Francisco
Impressionen von der ersten TYPO San Francisco, die am 5. und 6. April stattfand …
Nächste TYPO ist TYPO London 2012 unter dem Motto »Social« am 19. und 20. Oktober 2012. (Video: Robert Schatton)
Abril ist eine Gewinner-Type
Für den Satz von Zeitungen, Zeitschriften und digitalen Medien entwickelten TypeTogether die Abril-Familie – eine Editorial-Schrift mit zwei Gesichtern, für Titel und Text. ür Schriftkonzept und Umsetzung empfingen die Entwerfer Veronika Burian und José Scaglione in Helsinki den Europäischen Designpreis in Gold.
Ihr innovatives Display- und Text-System bescherte TypeTogether einen Europäischen Designpreis in Gold für die Editorial-Familie Abril
Die vier Textschnitte: Regular, Semi-Bold, Bold und Extrabold mit passenden Kusiven lehnen sich an Slab-Serifen aus dem 19. Jahrhundert an und greifen die Eigenschaften Schottischer Zeitungs-Antiquas auf. Auf den ersten Blick erscheinen die Text-Schriften kontrastarme Varianten der Display-Schriften darzustellen. Tatsächlich wurden Sie jedoch als eigenständige Formen entwickelt, die einen harmonischen Textfluss und hervorragende Lesbarkeit in Zeitungs- und Zeitschriftentexten gewährleisten und sich zusätzlich als Brotschriften für Taschenbücher und Magazine eignen.