Wie ich antworte …

Es gibt wohl glas­klare Gründe, warum ich nicht für den Schalter bzw. den Servicebereich geeignet bin: Ich bin ein frecher Hund. Dabei will ich gar nicht so sein. Aber man braucht bei mir nur einen Knopf (sprich: eine empfind­liche Stelle) zu berühren, und schon gebe ich brutal kontra. Ach hätte ich nur die Beherrschung eines Oliver Adam (siehe Kommentar zum vorhe­rigen Eintrag).

Vor rund 13 Jahren – genauer: am 30. 9. 1994 – schrieb mir ein Student aus Essen, der sich als h/d schell­nack ausgab. Zwei Seiten, ein Anschreiben und ein Fragebogen mit 10 Fragen zum Thema Typografie. Es ging um seine Zwischenprüfungsarbeit und die »Bedeutung der Typographie als Mittel der künst­le­risch-kultu­rellen Expression«. Der junge Mann begeis­terte sich für Drucksachen wie Octavo, Emigre, Ray Gun, Beach Culture und Frontpage. Und natür­lich FUSE. Und darum drehten sich auch die meisten Fragen (»1. Wie oft werden die Fuse-Packs im Durchschnitt verkauft?«) … aber nicht alle.

Frage 6 lautete: »Welche Bedeutung hat Schrift im Zeitalter neuer elek­tro­ni­scher Medien – und wie muß sie aussehen? Wie haben die neuen Medien unsere Sehgewohnheiten geän­dert? Braucht die mit Computer, Video und TV gewöhnte neue Generation eine neue, den verän­derten visu­ellen Gewohnheiten ange­paßte Schriftsprache? Kehrt die Gesellschaft im digi­talen Zeitalter zur Bilderschrift zurück? Ist in der virtu­ellen Erlebniswelt des ›Cyberspace‹ über­haupt noch eine Schrift nötig?« Da platze mir der Kragen:

»Zu Frage 6: Das sind 5 Fragen auf einmal (Sie wollen mich täuschen). Inhaltlich sollten sie alle durch Ihre Recherche im Rahmen Ihrer Arbeit beant­wortet werden und nicht durch FontShop.« Mein zwei­sei­tiges Schreiben enthielt noch weitere Rüffel, ja es begann bereits mit einer ausführ­li­chen Belehrungen über h/ds Sprache (zu viele Fremdwörter). Mein Gott, war ich gnadenlos und pampig.

Zehn Jahre später, ich hatte diese Korrespondenz längst vergessen, traf sich zum ersten Mal der FontShop-Beirat. Mit am Tisch: HD Schellnack. Ich selbst hatte ihn hierzu nomi­niert, weil er mir in den Monaten zuvor als konstruk­tiver FontShop-Kritiker aufge­fallen war. Ich glaube, es war bereits beim gegen­sei­tigen Vorstellen, als HD – ganz nebenbei – meine arro­gante schrift­liche Abfertigung von damals in Erinnerung brachte. Erik Spiekermann meinte nur: »Das war doch die rich­tige Antwort, oder?« HD stimmte nicht ganz zu, und ich bekam einen roten Kopf. Nee, es war eine unreife Antwort.

Ich habe in der Zwischenzeit ein biss­chen dazu­ge­lernt. Trotzdem habe ich auf die E-Mail von heute morgen sehr kurz ange­bunden, mit den folgenden Worten geant­wortet: »Lieber Herr XXXXX, ich denke: was Sie von mir fordern ist genau Ihre Aufgabe im Rahmen des Studiums. Ich müsste Archive durch­wühlen, Suchmaschinen anschmeißen und Bibliotheken aufsu­chen. Diese Arbeit kann und will ich Ihnen nicht abnehmen.
Liebe Grüße, Jürgen Siebert«

Mit der Länge bin ich sehr zufrieden, auch mit dem inves­tierten Zeitaufwand. An ein freund­li­ches, verbales »an die Hand nehmen« werde ich mich noch heran­tasten. Danke Oliver. Danke den anderen Kommentatoren, die unserem Freund brauch­bare Tipps gegeben haben. Danke HD für deine Geduld.


18 Kommentare

  1. robertmichael

    >> Es gibt wohl glas­klare Gründe, warum ich nicht für den Schalter bzw. den Servicebereich geeignet bin: Ich bin ein frecher Hund. Dabei will ich gar nicht so sein.

    *seufz* da haben wir etwas gemeinsam.
    wenn ich mir manchmal anhören muss was sich meine freunde so den lieben, langen tag alles antun/anhören müssen — das könnte ich nicht schlucken.
    —-
    HDs brief ist ein schönes beispiel – aus ihm ist trotzdem was geworden … :-D

  2. thomas

    und ganz offen­sicht­lich würdet ihr zwei ja sogar noch ein bier­chen zusammen trinken gehen :-)

  3. Jürgen Siebert

    Wir würden nicht nur, wir haben es getan, am vergan­genen Samstag: Auf diesem Foto siehst Du eine Spiegelung im Braukessel vom Pirnaer Brauhaus, rechts Robert und in der Mitte – mit Kamera – meine Wenigkeit.

  4. thomas

    jürgen ich meinte eigent­lich den freund­li­chen ex-studenten :-) und für HD haben die alle zu viel haare auf dem kopf *hihi*

  5. HD Schellnack

    Argh, dieser Brief damals ist ja schreck­lich gestaltet :-D. Peinlich, pein­lich. So pompös gestaltet wie geschrieben. Alter Schwede, diese Jugendsünden :-D.
    Und das mit den Fremdwörtern hab ich heute noch. Ob aus mir aller­dings was geworden ist, frag­lich. Wird viel­leicht noch mal. 

    Und Jürgen, alles gut. Ich würde für dich jeder­zeit durchs Feuer gehen. So wie Erik, Dirk und einige andere – aus genau der Phase, aus der der Brief stammt, als ich vom Kommunikationswissenschaftsstudenten zum Designer werden wollte… – damals entschei­dende Vorbilder und Leitsterne für mich waren, so bist du das sicher heute.

  6. Felix Barthel

    Zum Thema zurück: Warum hast du ihm keinen Tipp gegeben wo er nach­schauen soll? Seine Anfrage an dich ist ja Teil seiner Recherchebemühung und er wollte ja keine Ausarbeitung, sondern nur einen Tipp, wenn ich das richtig verstanden habe. Besser wäre doch:

    »Lieber Herr XXXXX, ich denke: was Sie von mir fordern ist genau Ihre Aufgabe im Rahmen des Studiums. Wenn mir so auf die Schnelle etwas einfiele wo ich Ihnen weiter­helfen könnte, oder einen Tipp geben, würde ich es tun.

    Doch: Ich müsste Archive durch­wühlen, Suchmaschinen anschmeißen und Bibliotheken aufsu­chen. Diese Arbeit kann und will ich Ihnen nicht abnehmen.
    Liebe Grüße, Jürgen Siebert«

    Ein Rat, wenn er vorhanden, wäre doch schön gewesen und sicher­lich auch nütz­lich für FontShop, im Sinne von Coporate Behavior, etc.

    Mich hätte ihre Antwort nicht erfreut und ich hätte unwei­ger­lich wieder an Wissensprotektionismus, Angst vor Authentizitätsverlust und soziale Kälte denken müssen.

    Ich weiß nicht ob es gut ist, wenn auch mit Humor, zu erklären: „Mach doch Deinen Scheiß alleine, wenn du was werden willst. Der Weg ist das Ziel.“

    Ich finde so macht man niemanden Mut und bringt Menschen nicht weiter. Es ist kein sozial lobens­wertes Vorgehen. Niemand will sagen man müsse immer nett sein und wäre jeder­zeit sozial korrekt.

    Aber muß man solche Entscheidungen des gelaunten Egos in einem viel beach­teten Blog als gelun­genen Streich aus Lebensweisheit inszenieren?

    Ich weiß nicht!

    Mit freund­lichsten Grüßen.
    Felix Barthel.

  7. Felix Barthel

    Und Danke an alle die ihm behilf­lich waren. Vielleicht hat er den Mut an kompe­tenter Stelle zu fragen nicht verloren.

  8. Jürgen Siebert

    @ Felix: Warum soll ich meine Unsicherheit verbergen … ? Ich helfe täglich weiter, öffent­lich und zwischen­mensch­lich. Wenn ich das Gefühl habe, eine »seria­li­sierte Methode« nimmt Überhand, dann spreche ich darüber. Auch im Fontblog … Mich hat die Meinung der Menschen inter­es­siert, mit denen ich hier immer wieder disku­tiere. Der Austausch hat niemandem geschadet … ganz im Gegenteil.

  9. Ivo

    Mich hätte ihre Antwort nicht erfreut und ich hätte unwei­ger­lich wieder an Wissensprotektionismus, Angst vor Authentizitätsverlust und soziale Kälte denken müssen.

    Nein, das sehe ich absolut anders. Wenn Sie noch einmal die Anfrage genau lesen, werden Sie sicher spüren, wie wenig Eigeninitiative vom Studenten selbst kommt. Das ist nicht nur an der Rechtschreibung zu spüren, auch an den unkon­kreten Fragen selbst. Man kann solchen Menschen wirk­lich besser helfen, wenn man sie ab und an auch mal deut­lich auf ihr Verhalten aufmerksam macht, ohne das eigene oder ange­spro­chene Gesicht zu verlieren. Jürgen hat in seiner Antwort genau die Tipps gegeben, die er hätte geben müssen:

    Ich müsste Archive durch­wühlen, Suchmaschinen anschmeißen und Bibliotheken aufsuchen.

    Mehr Informationen wären eindeutig zu viel gewesen. Und die Form ist absolut profes­sio­nell und ange­messen. Auch die Meinung von Erik hat genau den Punkt getroffen, der hinter dieser Problematik steckt.

  10. HD Schellnack

    Ach Felix…
    Wenn Jürgen auf seinem Wissen hocken würde, gäbe es diese Blog nicht. Das ist Liebe, nicht bloß Marketing. Es gäbe die TYPO nicht. Lern Menschen kennen, bevor du ihnen ins Gesicht schlagen willst. 

    Was Jürgen – und so hab ich das sogar damals schon gesehen – will, ist, dass man sich SELBST auf den Weg macht und lernt (was ich ja trotzdem getan habe), anstatt einfach bequem Wissen abzu­zapfen. Bis zu einem gewissen Grade ist anzapfen gut, sogar wichtig und richtig. Aber wenn es zu viel wird (und zu diffus) hat Jürgen schon Recht, auch mal genervt zu sein ;-D. Macht menschlich. 

    Und was erik schreibt, ist – wie immer – right-on.

  11. thomas

    weitere infos zum thema »helfen« in einer der letzten BRAND EINS ;-)
    und laut deren ansicht, hat jürgen wirk­lich mehr geholfen, statt nur liefe­rant zu spielen.

  12. Eugê

    Meine Anfragen hat Jürgen stets freund­lich und hilf­reich beant­wortet, deshalb bin ich fast ein biss­chen von Jürgens Antwort enttäuscht. Typografie ist ein weites Feld und man braucht viel Zeit, um sich Kenntnisse anzueignen.
    Wenigstens ein Hinweis auf Otl Aicher wäre doch drin gewesen auch ohne viel Aufwand zu inves­tieren. (Zumindest weniger Aufwand als zwei Blogeinträge zu schreiben ;-) )
    Achja, und ich meld mich sicher­lich nochmal richtig, um mich bei Dir zu bedanken, Jürgen.

  13. Jürgen Siebert

    @Eugé: Da gibt es aber einen Unterschied zwischen Deinen Anfragen und der zitierten … Wie man in den Wald hineinruft, …
    Kann man Orl Aicher wirk­lich empfehlen, nach dem Lesen dieser Anekdote (und den Kommentaren dazu)?

  14. HD Schellnack

    Vorsicht mit Anekdoten und Gerüchten. Wenn ich so wäre, wie die Gerüchte um mich :-D… weia.

  15. Felix Barthel

    Eugé trifft, was ich meine: Eine grobe Richtung als Tipp hilft meiner Ansicht doch mehr, als der Zeigefinger der Weisheit. Der Frustriert doch nur.

    Nichts desto trotz ist das Argument der schlechten Rechtschreibung als Zeichen mangelnden Interesses das schwer­wie­genste, wenn man davon ausgeht, dass der Fragende der Meinung ist Respekt zollen zu müssen, um mit Antworten belohnt zu werden. (Oh Gott hoffent­lich schaut bei mir keiner nach.)

    „Lern Menschen kennen, bevor du ihnen ins Gesicht schlagen willst.“

    Ach Herr Schellnack. Ich schlage nie. Wenn dann stichel ich gern und seien Sie getröstet: Ich bin auch nicht frus­triert. Nur ist mir bei den ganzen Applaus-Postings ein wenig Kritik lieb, denn Sie müssen wissen, dass man selber leicht Opfer solcher Situationen wird. Meinem Aufruf zur Liebfrauenmilch im Gegenseitigen kann man auch nur schwer­lich Schlagwut unter­stellen, wenn auch eine Brise Polemik.

    Jedenfalls: Danke für die Antworten.

  16. Ivo

    Nichts desto trotz ist das Argument der schlechten Rechtschreibung als Zeichen mangelnden Interesses das schwerwiegenste[…]

    Die schlechte Rechtschreibung sehe ich nicht als Zeichen mangelnden Interesses, aber als Zeichen mangelnden Selbstengagements. Heute geht eine Anfrage dank E-Mail schon einfa­cher und schneller als ein Anschreiben per Post früher. Aber man sollte doch mindes­tens weiterhin auf die Form achten. Und wenn es nur die ordent­liche Rechtschreibung ist, die einem sogar durch das E-Mailprogramm abge­nommen wird. Man muss nur auf den rich­tigen Knopf drücken. Insofern muss man schon befürchten, dass es sich der Schreiber sehr einfach gemacht hat. Und genau aus diesem Aspekt heraus ist bereits der Hinweis auf bestimmte Bücher oder Links zu viel des Guten.

  17. Felix Barthel

    Wenn ich wirk­lich ein Anliegen habe bin ich auch nervös und lese den Text dreimal, man will ja was. Naja. Der Spruch mit dem Wald kam ja weiter oben bereits. Ich finde dennoch man könnte es weniger Zeigefingermäßig formu­lieren, wenn es doch in diesem Rahmen hier um die quali­ta­tive Diskussion der Antwort geht. Aber jedem seine eigene Meinung …

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