Vom Preisschild bis zum Textilpflege-Symbol: Wie die dm-Drogerie-Exklusivschrift entstand
Ein Gespräch mit den Markenexperten Claus Koch und Jörg Hemker
Kein Handelsunternehmen in Deutschland ist so häufig an Spitzenpositionen in Rankings zu finden wie dm-drogerie markt. Jüngere Auszeichnungen wie »Beliebtester überregionaler Drogeriemarkt Deutschlands« und »Service Champion« sind nur zwei Beispiele. Zum 40 Geburtstag beschert sich das Unternehmen erstmals in seiner Geschichte eine starke visuelle Identität, basierend auf einer maßgeschneiderten Schrift-Großfamilie (»dmSoft«), einer überarbeiteten Farbpalette und einem ganzheitlichen Konzept, mit dem bereits der Gründer Prof. Götz Werner das Unternehmen zum Erfolg führte. Fontblog sprach mit dem Hamburger Markenexperten und Unternehmer Claus Koch und seinem Partner für Schriftentwurf Jörg Hemker über die Rolle der Schrift im neuen Erscheinungsbild von dm.
Kurz noch ein paar Zahlen. 1973 eröffnete der erste dm-Markt in Karlsruhe. Heute ist dm in 12 Ländern aktiv und Deutschlands umsatzstärkster Drogeriemarkt, mit 1417 Filialen (2802 Filialen im Ausland). Fast 32.000 Mitarbeiter erwirtschafteten im ersten Halbjahr 2013 in Deutschland einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro (im Ausland 0,9 Milliarden Euro), ein Plus von 16,2 Prozent (5,4 Prozent) gegenüber dem Vorjahreshalbjahr.
Fontblog: Viele Menschen lieben die dm-Drogeriemärkte. In Umfragen verzeichnet das Handelsunternehmen gegenüber seinen Mitbewerbern einen Vorsprung in Sachen Transparenz, Ausbildung der Mitarbeiter, Kundenzufriedenheit und Preisstabilität. Gerade stärkt die Drogeriekette – im laufenden Betrieb – ihren visuellen Auftritt, wobei der von Ihnen konzipierten Exklusivschrift eine wichtige Rolle zukommt. Welchen Markenwerte standen am Beginn des Projekts?
Claus Koch: Der Ausgangspunkt für die Entwicklung waren die dm-Markenwerte menschlich, ehrlich, ästhetisch, offen, authentisch, zurückhaltend, verlässlich. Die Schrift musste diese Haltung umsetzen.
F: Wann ist eine Schrift menschlich, ehrlich und authentisch?
Koch: Grundlagen für den Entwurf waren die Formen einer humanistischen Grotesk … da ist der Begriff ›menschlich‹ bereits enthalten. Offene, organische Figuren und eine echte Kursive spiegeln die Markenwerten ›ästhetisch‹ und ›authentisch‹ wider. Die Zeichenformen sind geschrieben, nicht konstruiert wie bei statischen Groteskschriften. Die Offenheit und Differenzierbarkeit der Ziffern war eine weitere Anforderung. Wir haben die Kernwerte der Marke in Typografie relevante Kriterien übersetzt. Die dmSoft ist zeitlos, schnörkellos in den Formen, klar und unterscheidbar für die Lesbarkeit mit einem ökonomischen, ausgeglichenen Schriftbild.
F: Neben den emotionalen Werten der Marke dm, welche sachlichen und technischen Voraussetzungen musste die Schrift erfüllen?
Jörg Hemker: Die beiden wichtigste Kriterien einer Corporate-Schrift sind natürlich die Lesbarkeit und ihr Charakter. Extravagante Display- und Schmuckschriften besitzen in der Regel zwar eine große Plakativität, meist jedoch zu Ungunsten der Leserlichkeit. Beim dm-Projekt war es von großer Bedeutung, beide Merkmale ungestört zueinander und positiv zu entwickeln.
F: Welche Bedeutung spielt die Internationalität der Schrift, also ihr Sprachausbau?
Koch: dm ist innerhalb Europas in 11 Ländern vertreten. Neben dem lateinischen Alphabet musste auch das kyrillische entwickelt werden, sogar in seinen individuellen Ausprägungen für Bulgarien und Serbien. Wichtig war uns dabei, dass die Schrift auch im Kyrillischen ihren Charakter beibehält und dm stets als Absender erkennbar ist.
F: Wie kamen Sie auf die Idee der abgerundeten Strichenden
Koch: Wir rundeten die Schrift ab, um das Schriftbild möglichst eigenständig zu halten und den Werten menschlich und verlässlich zu entsprechen …
Hemker: … dabei war für mich die Definition der Radien von großer Bedeutung. Perfekt halbrund sollten die Enden keinenfalls werden, zumal dies auch nicht zur Grundform der Schrift passen würde. Die Lösung lag in einer weichen Form. Die Rundungen sind keine aufgesetzte Formalität sondern verschmelzen harmonisch und unterstreichen in jedem Zeichen auf passende Art den Schriftcharakter.
F: Ich wusste gar nicht, dass es böse und gute Rundungen gibt
Hemker: Ich wollte unbedingt vermeiden, dass die Rundungen an kritischen Positionen zur Tropfenbildung neigen. Die hohe Auflösung in FontLab war dabei sehr hilfreich, vor allem als es darum ging, die hochgestellten Zeichen umzusetzen.
F: Stichwort »hochgestellt«. Bei der Preisauszeichnung arbeiten die dm Märkte sehr gerne mit hochgestellten Cent-Beträgen. Wurde daraus im Font reagiert?
Hemker: Ganz klar: Am Point of Sale spielen die Ziffern die Hauptrolle. Daher habe ich mich auch sehr intensiv mit der Gestaltung der Ziffern auseinandergesetzt. Preis- und Mengenangaben müssen für die Kunden sowohl unter verschiedensten Bedingungen verlässlich lesbar sein, aber auch in kultureller Hinsicht und in Bezug auf die Bildungserfahrung darf das Aussehen der Zahlen keine Missverständnisse provozieren. Dies alles haben wir bei deren Gestaltung bedacht. Und natürlich enthalten alle dmSoft Fonts diverse Ziffernsätze, einschließlich der verkleinert-hochgestellten, natürlich in der richtigen Strichstärke.
F: Bei den verschiedenen europäischen Währungszeichen haben sie sich einen font-technischen Kniff einfallen lassen …
Hemker: Richtig, wir haben die Abkürzungen für die osteuropäischen Währungen als OpenType-Feature in die Fonts einprogrammiert.
F: Von welchen Währungen sprechen wir jetzt, haben die nicht alle den Euro?
Koch: Vonwegen. dm ist überwiegend in Nicht-Euro-Ländern präsent. Ganz konkret geht es um die tschechische Krone, den ungarischen Forint, kroatische Kuna, bulgarischer Lev, mazedonischer Denar, den weißrussischen Rubel und die tschechische Krone …
Hemker: Für alle diese Währungen gibt es kein spezielles Zeichen, aber Abkürzungen mit einer bestimmten Schreibweise – z. B. Ft, Br, KM – mit denen die Kunden in diesen Ländern vertraut sind. Und damit nicht jeder Benutzer der dmSoft die Währung anders abkürzt oder eventuell ausschreibt, haben wir die kompletten Abkürzungen als je ein Zeichen im Font abgelegt, also praktisch Währungsligaturen erzeugt.
F: Und wo liegen die, wie tippt man ein solches selbstgemachtes Zeichen auf der Tastatur?
Hemker: Ganz einfach: Man schreibt das dreistellige ISO-Kürzel der jeweiligen Währung mit einem $-Zeichen davor, also zum Beispiel $HUF für die ungarische oder $CZK für die tschechische Währung. Dank des OpenType-Features der bedingten Ligaturen werden diese Abkürzungen vom dmSoft-Font automatisch durch das Währungszeichen ersetzt.
F: Zurück zu den Buchstaben. Welche Aufgaben – außer der Preisauszeichnung – muss eine dm-Schrift noch erfüllen.
Koch: Wir haben das sorgfältig analysiert und die folgenden typografischen Anforderungen herausgearbeitet: Headlines, Mengentexte, Preise und Pflichttexte, die unter besonders schwierigen Druckbedingungen wiedergegeben werden müssen. Dieses Spektrum kann nicht alleine von einer Schriftart abgedeckt werden. Und so haben wir die dmSoft in drei Untergruppen aufgeteilt, deren Name das jeweilige Einsatzgebiet beschreiben …
Hemker: Die dmBrand ist die Marken- und Headlineschrift. Sie prägt das Bild der Marke. Mit ihr werden alle plakativen Informationen umgesetzt. Das sind Regalbeschriftungen, Preise, Claims etc. Die dmSupport ist für Mengentexte gedacht. Die Zeichenformen sind gegenüber der Brand breiter gehalten, die Ober- und Unterlängen ausgeprägter. Die Support besitzt einen ausgeglichenen Grauwert im Mengensatz. Eine Kursive ergänzt die typografischen Möglichkeiten.
Und schließlich die dmIntelligence. Auch wenn die Formen der Intelligence sicher sehr interessant sind, ist diese Schrift nicht für einen Einsatz jenseits von 8 oder 10 Punkt gedacht. Sie läuft schmaler als die Brand was durch eine große x-Höhe kompensiert wird. Inktraps steuern dem Zulaufen der Binnenräume unter schlechten Druckbedingungen entgegen. Drei Fetten reichen aus, um allen typografischen Eventualitäten zu begegnen.
Koch: Gerade haben wir noch eine spezielle, extraschmale Form der Intelligence entwickelt. Wir nennen sie dmLegal, und sie wird nur für die Preisetiketten in Österreich genutzt, da die dort bestehenden Rechtsvorschriften eine Mindestschriftgröße für Vergleichspreise vorschreiben.
F: Sie überlassen aber auch nichts dem Zufall …
Hemker: So ist es, und darum gibt es sogar noch einen Symbolzeichensatz, der die wichtigsten Textilpflegezeichen beinhaltet.
F: Abschließend darf ich noch verraten, dass FontShops Corporate-Font-Abteilung für die technische Umsetzung der dmSoft-Familie verantwortlich war, also Sprach-Encoding, OpenType-Programmierung, Hinting, Font-Produktion … hab’ ich was vergessen?
Koch: Vielleicht, dass wir das Projekt immer noch weiter vorantreiben. Dank der ausgezeichneten Umsetzung durch FontShop macht die Schrift ja bereits im Druck und auf Bildschirmen eine hervorragende Figur. Brand und Support liegen komplett als gehintete Webfonts vor. Nun werden wir noch drei Schnitte der Support als Office-Fonts im TrueType-Format realisieren, damit die dm-Mitarbeiter auch in der internen Kommunikation mit der eigenen Schrift Texte erstellen und lesen können.
F: Herr Koch, Herr Hemker, vielen Dank für das Gespräch.
10 Kommentare
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spiv
Da hat man sich eine Schrift wie z.B. die „Cast“ von Dominique Kerber genommen und die Ecken abgerundet und Kleinigkeiten modifiziert – fertig. Wenn die „Entwicklung“ der Schriftfamilie mehr als 4000 € gekostet hat, war die Differenz ein Geschenk für die Agentur.
Jürgen Siebert
Interview gelesen? Eigentlich beweist das Gespräch, dass es eben nicht so gelaufen ist, wie in deinem Kommentar beschrieben. Aber ich gebe gerne zu: Träumen macht einfach mehr Spaß als Lesen.
manuel
danke für den Beitrag.
»und sie wird nur für die Preisetiketten in Österreich genutzt, da die dort bestehenden Rechtsvorschriften eine Mindestschriftgröße für Vergleichspreise vorschreiben.«
Interessant – gibt es da auch ein Art Styleguide? Welche Mindestgrößen sind das?
R::bert
Ja, Danke! Sehr interessante Einblicke!
Noch ein paar Fragen haben ich trotzdem:
1) Wurde zur Umstellung auch eine begleitende Agentur beauftragt?
2) Gibt es schon erste Anwendungsbeispiele zu sehen?
3) Gab es Auswirkungen auf das Markenzeichen?
Simon Wehr
Zu den Mindestgrößen: Widerspricht so eine ultraschmale Schrift nicht dem Gedanken, der hinter den Mindestschriftgrößen steht? Es soll doch genau geregelt sein, dass die Vergleichspreise einen bestimmten Raum einnehmen und eben für Kunden gut lesbar sind. Die Schrift ist – juristisch legaler – vorsätzlicher Regelbruch. Oder bin ich jetzt zu streng?
@spiv schickst du mir bitte deinen Kontakt? Wenn du mir solche Arbeit für 4000€ machst, stelle ich dich sofort fest an!
Jörg Hemker
#4
Die Schrift wird seit geraumer Zeit genutzt und findet Anwendung in allen dm-Filialen. Nur der Claim ist betroffen, das Logo an sich blieb unverändert.
#5
Die Anforderungen der Preisetiketten am Regal bestimmen das Format und definiert den zur Verfügung gestellten Platz. Hier müssen viele unterschiedliche Informationen, inhaltlich Strukturiert, untergebracht werden. Normal laufende Schriften müssten hier in Größen unterhalb von 5 pt gesetzt werden, was sicher nicht als lesefreundlich bezeichnet werden kann.
Es ist ein Trugschluss, das schmale Schriften schlechter lesbar sind als normale. Gesetzliche Vorschriften schreiben zwar pauschal eine Mindestgröße vor, berücksichtigen aber die Qualitäten und Leseeigenschaften einer Schrift nicht. Daher ist die dmLegal kein juristischer Trick, sondern überträgt die sehr guten Lesequalitäten der Familie auf die strengen Anforderungen der Preisetiketten.
R::bert
#6
Danke!
Florian
Also für mich sieht das nicht gerade wie eine abgerundete Version der »Cast« aus. Natürlich sind beide Schriften in ihrer schmalen Form sehr ähnlich aber das sind geschätzt 500 andere Schriften auch.
Wie dem auch sei, danke für die interessanten Einblicke. Immer wieder spannend zu sehen wie solche Hausschriften entstehen.
Mich allerdings würde interessieren was als Mindeschriftgröße gilt, woran wird das festgemacht? Entfernung zum Preisschild?
Ralf H.
Wenn man bei beiden Varianten von gleichen Grunddesign ausgeht: doch, dann ist das genau so.
Eine Ultra-condensed kann niemals »sehr gute Lesequalitäten« haben. Im konkreten Fall ist natürlich die Frage, wem man hier die Schuld zuschieben soll. Dass Typedesign kam ja erst nach der Bestimmung der Etikettengrößen und der Mindestschriftgrößen. Eigentlich müssten die Etiketten größer (und nicht die Schrift kleiner oder schmaler) werden, um das eigentliche Problem zu lösen.
In der neuen DIN 1450 wurde diesem Condensed-Trick bei vorgegebenen Mindestschriftgrößen ganz bewusst einen Riegel vorgeschoben. Bleibt zu hoffen, dass gesetzliche Regelungen sich zukünftig – im Sinne des Leser – auf solche Standards beziehen.
Jörg Hemker
#9
Nicht unbedingt. Hier spielt allein die Art und Weise des zugrundeliegenden Designs eine Rolle. Pauschalisierende Einschätzungen sehe ich kritisch.
An der Situation der Preisetiketten am Regal ist auch konkret niemand Schuld; es ist das klassisches Henne-Ei-Problem. Eigentlich müsste hier eine Größendefinition nach Bogenminuten erfolgen, da jede Regalebene andere Anforderungen an die Leserlichkeit stellt.
Das ist aber theoretisch und weder praktikabel noch realisierbar. Eine Vergrößerung der Preisetiketten ist aufgrund des beschränkten Raums auch nicht möglich. Eher müsste über die Inhalte der Etiketten diskutiert werde, und zwar auch über den Sinn von Vergleichspreisen.