»Typorama«, das Lettern-Ballett des Philippe Apeloig
In Frankreich ist er der unangefochtene Star des Kommunikatonsdesigns: Philippe Apeloig, 2009 Sprecher auf der TYPO Berlin. Der 1962 in Paris geborene visuelle Gestalter studierte zunächst an der École Supérieure des Arts Appliqués, wo er sich für Typografie und Kalligrafie begeisterte, anschließend an der École Supérieure Nationale des Arts Décoratifs. 1983 absolvierte er ein Praktikum beim damals führenden holländischen Designbüro Total Design, gegründet von Wim Crouwel, das schon damals mit Computergrafik experimentierte. Ein zweites Praktikum 1985 machte ihn endgültig zum Digitalkünstler.
Zu dieser Zeit begeisterte Apeloig jedoch nicht nur die zweidimensionale Gestaltung, er war auch Liebhaber moderner Theater- und Ballett-Inszenierungen, insbesondere von Alwin Nikolaïs, Merce Cunningham und Pina Bausch. Die Leidenschaft für die bewegte Kunst führten ihn zu einer Sichtweise, die bis heute sein Werk prägt: Buchstaben wie choreografierte Körper einzusetzen.
Philippe Apeloig sprach auf der TYPO Berlin 2009 über den Buchstaben als Autor (Foto: kassnerfoto.de; Zusammenfassung seiner Präsentation)
Anlässlich seines 30-jährigen Berufsjubiläums zeigt das Pariser Museum Les Arts Décoratifs in der Rue de Rivoli ab dem 21. November 2013 die erste große Retrospektive zu Apeloigs Schaffen. Zur Ausstellung ist bereits der gewichtige, 400-seitige Katalog mit dem Titel Typorama erschienen, mit Beiträgen von Ellen Lupton und Alice Morgaine. Herausgeber und Gestalter des Buchs ist der Kölner Designer Tino Graß, spezialisiert auf die Konzeption und Realisation von Erscheinungsbildern, sowie Printdesign und Ausstellungsgestaltung.
Graß begegnete Philippe Apeloig erstmals 2006 beim »22. Forum Typografie« in Düsseldorf. Im Anschluss an das dreitägige Treffen entstand in enger zusammenarbeit mit den Referenten das Buch »Schriftgestalten – über Schrift und Gestaltung« (Niggli, 2008), ein Abriss aktueller Schriftkultur. Bei einem der Besuche in Paris zur Korrektur des Apeloig-Kapitels fragte dieser Graß, ob er nicht nach Paris kommen wolle, um ein Buch über seine Schaffen zu machen. Nach anfänglichem Zögern sagte er Anfang 2007 zu.
Es folgten mehrere Besuche und Ende 2008 eine Plakatausstellung im Espace topographie de l’art, einer Galerie im Pariser Marais. Das Konzept für die Ausstellung war schnell entwickelt, aber das Zusammentragen der Plakate war ein Drama. Tino Graß erinnert sich: »Zwei Leute brauchten einen gefühlten Monat, um die Plakate aus unzähligen Rollen und Planschränken herauszusuchen. Um dies in Zukunft zu vermeiden, erweiterte ich mein bis dato erstelltes Archivierungssystem um einen ›Easy Access Archiv‹. Alle Plakate, Skizzen, Bücher, Drucksachen und Presseartikel waren danach für jeden schnell und einfach zu finden. Das Konzept wurde auch auf die digitalen Daten und Server übertragen. Die Plakate für eine Ausstellung, die ein paar Monate später an der Université du Québec in Montreal statt fand, waren an einem Tag zusammengetragen und verschickt.«
Das nun nach 5-jähriger Zusammenarbeit veröffentlichte Buch zeigt eine Auswahl der wichtigsten Arbeiten Philippe Apeloigs. Erhellende Texte, Inspirationsquellen und Entwurfsskizzen erklären die Projekte und ihre Entstehung. Der erste Teil von Typorama ist in thematische Kapitel strukturiert und beschreibt die Arbeiten mit Informationen zu Auftraggebern, Gestaltungsparametern und deren Konzeption. Der erste Teil interagiert mit dem zweiten, in dem Zeichnungen, Fotos, Probedrucke, Kopien, Collagen und digitalen Abbildungen die Entwürfe zu den Arbeiten im ersten Teil in chronologischer Reihenfolge beleuchten. Dazu Tino Graß: »Beim Betrachten der Skizzen lassen sich viele Zusammenhänge erkennen. Nicht nur die Irrwege und das Verwerfen von Ideen, oder die detaillierte grafischen Ausarbeitungen eines Gestalters, sondern auch die Veränderung der Arbeitsweise durch neue Technologien und den digitalen Wandel.« In zwei Essays von Ellen Lupton und Alice Morgaine werden die Entwicklungen und auch Einblicke in das gestalterische Schaffen Philippe Apeloigs näher beschrieben.
Philippe Apeloig gestaltet vor allem für Kulturveranstaltungen, Verlage und Institutionen. Zu seinen Auftraggebern gehören die Compagnie Chopinot und viele mehr. Dabei haben seine Arbeiten in Frankreich inzwischen auch unter Nicht-Experten Wiedererkennungswert erlangt. So vielfältig der Kanon, den er uns in Ausstellung und Katalog präsentiert, so klar und konsistent seine visuelle Sprache: wenig Farbe, möglichst kein Bild, aber dennoch Bewegung, meist durch eine typografische Inszenierung. Die oberste Maxime, wie auf der TYPO Berlin 2009 proklamiert: der Buchstabe ist der Autor. Dieser braucht keine weiteren Requisiten, stattdessen wird er mit der Information verknüpft, die es zu transportieren gilt. So werden unter Apeloigs Regie Buchstaben zu Schiffen, die ihren Schatten ins Wasser werfen, zu Klaviertasten, die in einer Animation über den Bildschirm jagen oder sie stellen einen Lesesaal aus der Vogelperspektive nach.
Fazit: Der Katalog ist mehr als eine Leistungsschau des bedeutendsten französischen Grafikdesigners unserer Zeit, weil er im zweiten Teil Prozesse darstellt, die sowohl für Laien als auch für erfahrene Kollegen sehr aufschlussreich sind.
Typorama: Philippe Apeloig, Design graphique; Herausgeber: Tino Graß; Éditions Les Arts Décoratifs (französisch) und Thames & Hudson (englisch), 384 Seiten, rund 55 €. Weitere Informationen …
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