Nichtlesen 21: Optimal!
iebe Leserinnen und Leser, leider ist unser Herr Grabowski wiederholt absent. Er weilt in Mönchengladbach, wo er einen weiteren Franchise-Nehmer bei der Eröffnung eines »Günter ihm sein Salon«-Standorts betreut (siehe Nichtlesen 20). Als Vertretung bemüht sich daher wieder unser CvD, der Herr Bukowski, um diese Kolumne. Wir bitten um Entschuldigung für etwaige Unannehmlichkeiten,
Ihre Nichtlesen-Redaktion
Guten Tag. Meine Name ist Herr Bukowski und ich habe mich optimiert. Ich bin jetzt optimal. Wie ich das gemacht habe, fragen Sie? Ganz einfach: Wie Sie vielleicht wissen, sind im Buchhandel zahllose, kompetente Personality- und Managment-Ratgeber erhältlich. Die habe ich großenteils gelesen und beherzige seitdem die vielen, wertvollen Tips zur Verbesserung der eigenen Persönlichkeit.
Ein Beispiel: Das Buch namens »Meconomy«. Der Titel ist schlichtweg genial! Falls Ihnen das nicht auf Anhieb einleuchten sollte, keine Sorge. Ich selbst kam auch erst nach einer guten Stunde Grübeln hinter den besonderen Kniff. Schauen wir uns den Begriff »Meconomy« einmal genau an. Da stecken doch zwei Wörter in einem! Nämlich »me« und »economy«. Das »e« teilen sich die beiden einträchtig zum Wohle des größeren ganzen … nämlich für ein neues Wort, das das Ich und die Wirtschaft zusammendenkt. Und dies, meine Damen und Herren, ist ein brillanter Schachzug, der uns im Prinzip schon ohne das Buch gelesen zu haben, den Zeitgeist und die spezifischen Anforderungen unserer modernen Arbeitswelt zum Wohle der eigenen Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend erklärt.
Aber auch der Buchumschlag und die begleitenden Werbetexte von und zu »Meconomy« bieten manche hilfreiche Überraschung. Wir erfahren nämlich folgendes: »Jeder ist eine Marke.«, »… und warum wir uns jetzt neu erfinden müssen.« und nicht zuletzt »Wie wir in dieser neuen Arbeits- und Lebenswelt mit Hilfe von Lifehacking, Personal Branding und globaler Mobilität Erfolg haben, erklärt dieses Buch anhand vieler Fallbeispiele, aktueller Studien, praktischer Tipps.« Ich finde ja allein schon die Wendung »sich selbst neu erfinden« absolut großartig. Das hat so viel Schönes, das klingt nach Aufbruch, man überwindet seine Schwächen und geht optimistisch ins Leben. Schön! (Und kannte ich übrigens noch gar nicht, diese Sentenz.) Auch die Idee, sich selbst als Marke zu denken: stark!
Durch dieses profunde Wissen allein schon auf dem Umschlag und der Website hatte ich mich bereits so vollumfänglich optimiert, dass ich das Buch gar nicht mehr zu lesen brauchte. Trotzdem habe ich es – aus Dankbarkeit und Loyalität gegenüber dem Autor – gekauft. Und nicht nur einmal. Nein, ich habe gleich einhundert Exemplare geordert, die ich seitdem im Freundeskreis verteile. Schließlich möchte ich es, optimiert wie ich inzwischen bin, nicht mit einem suboptimalen Freundeskreis zu tun haben. Da müsste ich mich dann ja immer erst auf deren Niveau deoptimieren, um ihre Gesellschaft aushalten zu können. Das ginge nur mit reichlich Alkohol, wäre also gar nicht optimal, sondern teuer und gesundheitsschädigend, sprich: kontraoptimal.
Und ein weiteres Optimier-Werk möchte ich nicht unerwähnt lassen, dessen geistiges Schaffen mich sehr zum besten meiner selbst geprägt hat. Es stammt vom berühmten Personality-Coach Johann Gotthilfihm Businessklaus Graf von Einen an der Waffel (siehe Portrait). Dessen Forschung verdanken wir bedeutende Erkenntnisse. Eine seiner wichtigsten Thesen: »Ein erheblicher Teil der Ursachen von Wirkungen sind Gründe.« Mit den Arbeiten des Graf von Einen a.d. Waffel gelang es mir zum Beispiel, meine Copy&Paste-Technik so weit zu perfektionieren, dass ich bei »Wetten, dass …?« kürzlich mit folgender Wette brillieren konnte: »Ich wette, dass ich 50 der meist gebräuchlichen Ratgeber-Phrasen – mit verbundenen Augen! – auf Anhieb genial finde.«
So weit, so optimal. Leider musste ich kürzlich einen schweren Systemfehler im Optitech-Segment konstatieren. Zwar bin ich persönlich nach dem Studium der entsprechenden Materie zweifelsohne optimaler denn je. Aber dies trifft inzwischen auf alle anderen auch zu. Skandalöserweise haben sich auch die anderen optimiert. Das Ergebnis: Wir sind alle gleich optimal. Der Abstand zwischen uns hat sich trotz meiner Mühen keinen Deut verändert. Ich sehe also keine andere Wahl, als mich durch noch mehr Optimier-Bücher zu fressen, um mir einen optimalen Vorsprung im Wettbewerb zu verschaffen. Ich werde weiter berichten.
Zum Schluss noch ein von mir persönlich – und ich sage das immerhin als jemand, der sich selbst die Schnürsenkel zubinden kann – entwickelter Ratgeber-Tipp, mit dem ich gute Erfahrungen gemacht habe: Sollte ein Business-Papier mal nicht richtig zünden, einfach »antizyklisch« auf den Titel schreiben, dann: Funzt!
Text: Michael Bukowski; Abbildung: © Image Source via ZOOM, CD Second Honeymoon
P.S.: Um zur ausführlichen Lobhudelei in diesem Beitrag auch einen Kontrast zu schaffen, möchte ich noch diesen Kurzverriss nachlegen: Auf nur rund 60 schmalen Seiten demonstriert der Karlsruher Philosophieprofessor Byung-Chul Han in seinem Essay »Müdigkeitsgesellschaft«, wie wenig Peilung er von der modernen Meconomy hat. Bloß nicht lesen!
3 Kommentare
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E. K.
Nein, nicht jeder oder alles ist eine Marke, da sich eine Marke nach qualitativen, quantitativen, juristischen … Merkmalen auch noch nach dem Begriff der Verkehrstauglichkeit definiert. Das heißt: Erst wenn jemand oder etwas diese Schwelle der Bekanntheit (30%) innerhalb eines definierten Gebietes übertrifft, gilt er/sie oder eben es als Marke. Auch „no name-Produkte“ werden ab diesem Wert zur Marke – in gewisser Weise sogar automatisch.
Hair Fisher
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Theo
Ich habe es nicht gelesen, diesmal nicht. Eine frage habe ich trotzdem: darf man noch so sein wie man ist?