News-Karussell: Die iPad-Zeitung »The Daily« ist da
Eigentlich sollte die lang erwartete iPad-Tageszeitung »The Daily« Mitte Januar an den Start gehen. Im Dezember hofften die Apple-Jünger noch, dass Steve Jobs und der News-Corporation-Boss Rupert Murdoch ihr Vorzeigeprojekt gemeinsam vorstellen würden. Dann meldete sich zunächst der Apple-Gründer krank, anschließend musste seine Company das Abo-Modell für den Bezug von The Daily über den App-Store neu programmieren.
Der Medien-Mogul Murdoch, 1931 in Australien geboren, gilt als Vorreiter für den Wandel in der Verlagslandschaft. Er verlangte als einer der ersten von den Online-Lesern seiner Zeitungstitel Geld. Zu seiner News Corporation gehören unter anderem das Wall Street Journal sowie die Londoner Times und Sun. Murdoch kontrolliert darüber hinaus das Filmstudio 20th Century Fox, die Fox-Fernsehsender und den Bezahlsender Sky. Doch auch Murdoch macht Fehler: Im Jahr 2005 kaufte er für 580 Mio. Dollar MySpace, dessen Bedeutung nach und nach sank.
Gestern Abend war es soweit. Im New Yorker Guggenheim Museum traten die Schöpfer von The Daily vor die Presse, allen voran der 79-jährige Rupert Murdoch, scheu und steif, eingeschnürt von einer stahlblauen Krawatte. In einer 10-minütigen Ansprache dankte er zunächst Steve Jobs und Apple für des iPads und die Zusammenarbeit mit seinen Redakteuren und Designern. The Daily wird es nur als iPad-Produkt geben, nicht als gedruckte Version, nicht als Internetausgabe* und zunächst auch nicht auf anderen Geräten. Für Murdoch ist es ein weiterer Versuch, digitale Zeitungsinhalte kostenpflichtig zu machen. »Wir müssen das Nachrichtengeschäft wieder existenzfähig machen«, sagte er in New York. Das iPad zwinge die Branche dazu, »unser Handwerk neu zu erfinden.«
Eine rund 120 Köpfe zählende Daily-Redaktion bereitet Tag für Tag die Inhalte für die erste Tablet-Zeitung auf. Laut SPIEGEL hat Murdoch in die Entwicklung der Digitalzeitung rund 30 Millionen Dollar investiert. Pro Woche werde die Produktion »nur« eine halbe Million Dollar kosten, das sei ein Bruchteil der Kosten, die bei einer herkömmlichen Tageszeitung für Druck und Vertrieb anfallen. Ganz nebenbei bricht die Redaktion mit einigen Gepflogenheiten der Medienbranche, »allein schon, weil der iPad-Hersteller Apple kräftig mitmischt und einen Anteil vom Kuchen haben will.« (DER SPIEGEL)
Gestern Abend in New York: die Daily-Mannschaft stellt die erste iPad-Tageszeitung vor (das gesamte Event als Video … nach dem Klick)
Mit Stolz verkündete Murdoch daher, dass eine Ausgabe von The Daily nur 14 Cent koste. Der Betrag ergibt sich aus dem eigens für die Zeitung entwickelten Abo-Modell, nämlich 99 Cent für ein Wochenabo (= 7 Ausgaben), gebucht mit einem Klick im App-Store. Die ersten beiden Wochen sind kostenlos. Ein Daily-Jahresabo kostet 40 Dollar. Im deutschen App-Store ist The Daily im Moment nicht erhältlich. Ich habe mit die Zeitung über meinen US-Account geladen. Ein solcher Account ist übrigens am einfachsten einzurichten, wenn man sich einen iTunes-Gutschein aus den USA besorgt.
Zentraler Navigations-Dreh- und Angelpunkt bei The Daily: das Ressort-Karussell
Wie fühlt sich The Daily nun an? Die App serviert die Medieninhalte anders als WIRED (vgl. Fontblog: WIRED Screen vs. WIRED Print) und auch anders als DER SPIEGEL (vgl. Fontblog: DER SPIEGEL auf dem iPad: grafische Schlachtplatte) … was nicht schwer ist, denn die Zeitung wurde von Grund auf für das iPad konzipiert und muss kein gedrucktes Vorbild simulieren. Gleichwohl trifft man auf vertraute Gesten und Design-Eigenschaften (z. B. die 100-prozentige Aufbereitung der Seiten im Hoch- und Querformat), aber auch eine Menge neuer Ansätze.
Wie alle Printmedien baut auch The Daily auf eine Themenstruktur. Die Ressorts sind der Zielgruppe entsprechend gewählt und heißen News, Gossip, Opinion, Arts & Life, Apps & Games und Sports. Die Leser können in diese Ressorts über eine Kopf-Navigation einsteigen … oder man dreht das Karussell. Diese Metapher hat in etwa den Stellenwert eines Mac-OS-Finders oder einer Homepage, es ist das Navigationszentrum. Die Performance wie auch die Gestaltung des Karussells machen eine wackeligen Eindruck: schlecht aufgelöste Vorschaubilder, hakelige Rotation. Der Guardian schreibt: »Mit dem himmelblauen Hintergrund und der weißen Beschriftung wirkt es wie eine schlechte Microsoft-Kopie von Coverflow.« Das Karussell ist stets mit einem Fingertippen anwählbar, über ein kleines Icon in der rechten oberen Bildschirmecke.
In der Karussell-Ansicht mit ausgeklappter Schalttafel wird die Zeitung zum Multimedia-Drehkreuz, mit TV- und Vorlesefunktion
Am Fuß des Karussells lässt sich ein Bedienfeld einblenden, das einen bisher nicht gekannten multimedialen Zugang zu den Inhaten einer Zeitung gestattet. Ein Vorlauf-Knopf bringt das Karussell in Schwung und lässt es so lange drehen, bis man es an einem interessanten Beitrag stoppt. Der Shuffle-Button springt nach dem Zufallsprinzip zu Artikeln, die der Benutzer noch nicht gelesen hat. Ein TV-Knopf knipst ein moderierte Video-Einführung mit den Themen des Tages an und der Kopfhörer-Schalter steht für die Vorlesefunktion – nicht für alle Beiträge aber die interessantesten. Damit bietet The Daily nicht nur Präsentationsformen, die man je nach Laune auswählen kann, sondern auch beeinträchtigten Menschen den Konsum einer Zeitung erleichtern.
Typografische Katastrophen: Löcher im Text und gesperrte Zeilen beleidigen das Auge der Leser
Übrigens wird The Daily schon gleich nach dem Start von Werbekunden umgarnt. Beim Start der App wird das 2-wöchige Probeabo als gute Tat des US-Netzbetreibers Verizon angekündigt, und zwischen den Beiträgen gibt es bereits reichlich Werbung, überwiegend von Hollywood-Filmen und Technik-Unternehmen.
Eines ist allen digitalen Medien gemein – sofern sie sich nicht auf die pure Wiedergabe einer gedruckten Seite in PDF-Form reduzieren: die Typografie ist unter aller Sau. Zwar benutzt The Daily vorzügliche Schriften (unter anderem die FF Unit Slab von Erik Spiekermann), aber die guten Schriften auch gut zu verwenden – da scheinen Welten dazwischen zu liegen. Alleine sich vom Blocksatz zu verabschieden würde enorm helfen.
Fazit: The Daily nennt sich Tageszeitung und ist vielleicht gar keine. Das liegt sowohl an der Gestaltung (Magazin-Layout) wie auch am Lieferanten der Inhalte, dem Medien-Mogul Rupert Murdoch, Herrscher über Zeitungen, Internet-Plattformen und TV-Sendern. Sein jüngstes Produkt vermischt schriftliche Nachrichten mit gesprochenen Worten, bewegten Bildern, 360°-Bildern und Foto-Strecken zu einem völlig neuen Medium. Es könnte auf den ersten Blick funktionieren … nur der »Leser« muss diese Melange erst mal verdauen.
Video: So funktioniert The Daily:
11 Kommentare
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Keller
Würde es auch gerne testen, aber wenn so ein „Vorzeigeprodukt“ nur über den US-Store erhältlich ist, ist das schon ein Armutszeugnis
Jürgen Siebert
The New York Times: “Well, that didn’t take long. The Daily, Rupert Murdoch’s big push into iPad-based publishing, was introduced on Wednesday. And on Thursday morning, an unsanctioned Web site appeared with links to every article in The Daily, free on the Web.
The site, called The Daily: Indexed, was created by Andy Baio, a programmer and journalist based in Los Angeles. He said in an interview that the project took him “about 20 minutes” to build.”
Jussi
Hm-hm,
in »Gifords’ touching video« erzählt sie die ganze Zeit, wie toll das iPad ist. Oder es wird erzählt, dass sie es (nach dem Attentat) schon wieder benutzt.
Das finde ich journalistisch etwas fragwürdig für Bezahlinhalt (ganz unabhängig davon ob ich das iPad gut finde oder nicht).
Johannes Erler
Um so mehr »Innovationen« auf den Markt kommen, um so mehr verliere ich Respekt und Furcht vor diesen Veränderungen. Es ist erstaunlich und beruhigend zu sehen, wie sehr auch dieser Medienstrang wieder vom guten alten Typografenhandwerk abhängig ist. Und es ist erschreckend zu sehen, wie altbacken und teilweise schlecht Gestaltung auch auf dem iPad aussehen kann. Der Kommunikationsdesigner ist gefragter und wertvoller als jemals zuvor!
Seppl
Da wurden rund 30 (!!!) Millionen Dollar in die Entwicklung der Digitalzeitung namens ›The Daily‹ gepumpt und die Damen und Herren bekommen nicht einmal einen sauberen Blocksatz gebacken. UNGLAUBLICH!
Jan
Ich war neulich in Stuttgart bei einer Adobe Vorstellung des Publisher Tools für iPad Magazine (Plug in für Indesign). mit dem wurde übrigens das Wired Magazine für das iPad gemacht, ist nicht sonderlich gut. Ich habe mir ehrlich gesagt mehr von the daily erhofft, aber das hätte man auch billiger haben können man hätte nur auf die Abode Lösung zurgreifen müssen. Generell warte ich immernoch auf das Killerfeature für solche Zeitschriften allein die „fade Interaktivität“ ist für mich nur langweilig und bietet im Moment noch keinen Mehrwert.
By the Way warum soll ich 40 Euro zahlen wenn ich massig News aus aller Welt noch im Netz kostenlos bekomme? Nur damit ich es schick und Stolz auf meinen iPad habe?
_Sven
Ist das Environment von THE DAILY denn nun für alle potentiellen Zeitungsmachern available ?
erik spiekermann
Der Tenor bei meinen Kollegen im englischsprachigen Ausland:
„shitty content, fairly cool interaction.“
Fast nur Klatsch ohne Hintergrund oder Tiefe. Und ganz sicher rechts von Fox News, und das will was heißen. Dagegen ist Die Welt ein progressives Blatt und RTL2 etwas für Intellektuelle.
Florian
Das iPad geht in sein erstes Jahr und bis jetzt war noch niemand in der Lage ein vernünftiges Magazin/Zeitungskonzept sinvoll, benutzerfreundlich und vor allem ästhetisch für das iPad umzusetzen.
Langsam Frage ich mich wofür ich es gekauft habe.
Jürgen Siebert
Ausführliche Betrachtung der Typografie von The Daily bei Fonts-in-use:
http://fontsinuse.com/the-daily/
Helen
Schmale Blocksatzspalten. Da würde ich ja verrückt werden.