Die Schenkelklopfer der »Grünen Woche«
Zur Zeit läuft in Berlin die Messe Grüne Woche, eine Leistungsschau der Bauern dieser Welt. Die Stadt hängt voller Plakate, auf denen vier seltsame Lebewesen zu sehen sind: Kartoffelelch, Aubergineente, Bananefisch und das besonders eklige Kiwischwein. Als ob es nicht schon genug Proteste am Rande der Messe gibt, gegen Genmanipulation, Industriehaltung und denaturierte Lebensmittel. Die Grüne Woche setzt einen oben drauf und zeigt per Photoshop, was wirklich möglich wäre. Nein, sie macht sich lustig, über die Produkte der Bauern, ihrer Aussteller.
Ach hätten die Messeverantwortlichen doch nur das Logo für das diesjährige Schülerprogramm gewählt, das leider ein Schattendasein auf der Webseite fristet … gezeichnet von einem unbekannten Nachwuchstalent, bei weitem aussagekräftiger und ganz sicher preiswerter in seiner Machart als die hochglanzpolierte Monstergalerie.
34 Kommentare
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timeout
Solche gedanklichen Fehlgriffe kommen eben dabei heraus, wenn man unbedingt ganz furchtbar originell sein will.
Übrigens heißt das Wort „Schenkelklopfer“.
Frank Meier
Genmanipulation, Industriehaltung und denaturierte Lebensmittel?
Oh mein Gott, wir werden alle sterben. Und wenn nicht sterben werden wir zumindest völlig degeneriert am Boden dahinsiechend unser Dasein fristen. Allerorten diese pöse, pöse Gentechnik und verrückt gewordene Bauern.
Mal gut das wir die irgendwann mal auf die Arbeitsteilung kamen, nicht auszudenken, wenn heute noch jeder seinen eigenen Stiefel im wörtlichen Sinn fertigen würde.
Sam
@Frank: Ich bitte davon abzusehen, die Gentechnik zu verharmlosen.
Frank Meier
@ Sam
Genau, weil das im Grunde ja nichts anderes ist als Züchten, nur das es schneller geht.
Verstehe, verstehe, böser, böser Turboraubbaukapitalismusmenschenverachtenundsoweiterdedöns.
matthias
Man sollte sowieso Logos in Zukunft nur von aussagekräftigen Kindern pinseln lassen und die ganzen Agenturen und Büros mit ihren Überlegungen und ihrem Marketinggedöns mitsamt den horrenden Honoraren zum Urlaub auf die Auberginen schicken. Mit Typografie haben die Kleinen offensichtlich auch nicht die geringsten Probleme.
Jürgen Siebert
Danke timeout: Ich glaube, ich schwankte zwischen Schenkelklopfer und Kopfgeburt …
Max
@matthias: Was sind denn »aussagekräftige Kinder«? — Schreihälse?
HD Schellnack.
Interessant – ähnliche Bilder hatte mal ein Studentin produziert, allerdings eher als Kritik an der Gentechnologie. Die im übrigen längst Alltag ist, wenn auch nicht in dieser Form.
Das Schülerlogo ist allerdings ganz ganz große Klasse. Auch wenn die Handschrift nicht unbedingt nach Kind aussieht, sondern nach Mama – aber insgesamt very charming.
konrad.
Ist eigentlich bekannt, ob die Agentur dahinter etwas mit der »Nicht das, was Sie erwarten«-Kampagne des Jüdischen Museums Berlin zu tun hatte? Ich habe mich dabei doch stark daran erinnert gefühlt…
Siehe hier: http://www.jmberlin.de/main/DE/05-Publikationen/05-poster-postkarten.php
robertmichael
aber süß finde ich diese ‚wolpertinger‘ schon, wobei …
ich finde auch den besoffenen elch, die partybiene und den schnuffelhasen süß. von daher – ab zu jamba mit den dingern! muss nur noch der lukas hilbert eine melodie dazu erfinden …
Simon Wehr
Frank, ich bewundere Deinen sachlichen Argumentationsstil.
Frank Meier
@ Simon Wehr
Danke.
matthias
@ max: Die Formulierung der „aussagekräftigen“ Kindern ist ein Spaß, der sich über das wohl eigentlich „ausdruckstarke“ Logo lustig macht.
Mich erinnert die Diskussion hier ein wenig an Präsentations- bzw. Betreuungssituationen, wie wir sie alle wohl schon erlebt haben. Erst finden alle alles gut, danach fragen sich alle, was jemand verstehen könnte, der partout etwas missverstehen will. Danach wird jede Typik abgeschliffen und alles wird so egal, dass niemand mehr drüber reden mag.
Das ist doch nur eine Kampagne für eine Messe, die in Berlin große Popularität genießt, und die möglichst neu eine Botschaft sagen will, die seit Jahren die selbe ist: „Die Grüne Woche ist eine Messe über Landwirtschaft und seine Erzeugnisse“. Damit ist übrigens alles gemeint, vom LowTech-Biobrot bis zum High-Tech Biokraftstoff. Das ist wirklich ein Kommunikationsproblem, wenn man allen Ausstellern halbwegs gerecht werden will. Und das ist in seiner Aufmerksamkeitsstärke und Aussageunschärfe mit den seltsamen Frucht-Tier-Bastarden doch prima gelungen.
Nein, ich habe die Kampagne nicht entwickelt und nicht an ihr gearbeitet und ich kenne auch niemanden, der das gemacht hat. Trotzdem ist es ein guter Job für diese Aufgabe.
Nick Blume-Zander
Wunderschönes Logo. Würde auch zu allen Bio-Messen passen…
henning
ich verstehe nicht wo das problem mit der kampagne sein soll, ob man die viecher nun süß findet oder nicht. auf jeden fall entsprechen sie deutlich mehr der realität in der heutigen landwirtschaft als die kindliche fantasie das zeigen könnte. kampagnen bei denen die wirklichkeit übergangen wird und in denen dem konsumenten fantasiewelten vorgesetzt werden gibt es doch schon zu genüge.
das kinderbildchen zeigt doch eine nicht mehr existente form der landwirtschaft. ein wunschbild das es so nicht mehr gibt. möglicherweise ist das so wie mit den dampfloks in kinderbüchern, die ein kind im hbf berlin nur schwer finden wird.
ein interessanter artikel zu den wirklichkeiten in der landwirtschaft war letzte woche im sz-magazin:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/32251
Hannah Montana
Das Logo gefällt mir
Carola
Gibt es zu den Plakatmotiven auch einen Slogan? Würde mich echt mal interessieren.
Abgesehen davon, dass man natürlich auch Genmanipulation darin sehen kann, könnte ja auch nur Vielfalt gemeint sein … also Ansatz gut, Umsetzung naja.
Verena
Das alte Logo aus den Zwanzigern war toll:
http://www.dasberlinblog.de/wp-content/uploads/2009/01/grune-woche-wikipedia.jpg
(allerdings weiß ich nicht, ob es das hier überhaupt unmodifiziert ist)
Das war auch lange das Plakat. Aber außer uns Typohansel, die dort sowieso nicht hin gehen, würde das wohl keinen ansprechen. Insofern finde ich die Kampagne gelungen. Süss…
Heinz
Also: Unsere Tochter Elisabeth, 7 Jahre, stürmt in U-Bahn Höfen etc. begeistert von Plakat zu Plakat, findet das Kiwischwein nicht „besonders eklig“, sondern „besonders süß“ und freut sich auf den alljährlichen Besuch der „grünen Woche“ – einer Messe übrigens, die von all denjenigen gemieden wird, für deren kulinarischen Lifestyle das Steak aus Japan und der Cabernet aus Hawkes Bay stammen muss, während in anderen Teilen der Welt Menschen auch deshalb verhungern, weil es der Landwirtschaft ihres Landes an Produktionseffizienz mangelt. Vor dieser Gemengelage sind die Plakatmotive – sogar wenn sie „eklig“ wirken – doch zumindest eines: ehrlich, und deshalb polarisierend und motivierend. Wat willste mehr erreichen in Billboardcity Berlin?
JohanneS
Ja, es gibt einen Slogan zu den Gemüseobsttieren: „Unglaublich abwechslungsreich.“
Das Logo der Grünen Woche ist weiterhin das aus den Zwanzigern, aber typographisch modifiziert.
Das gibt es alles auf der Homepage der Grünen Woche zu sehen.
Und vielleicht sollten mehr Typohanseln und -greteln da hingehen, sich nach Kunden umsehen? Es gibt viel zu tun …
Jürgen Siebert
@Heinz: Deine Tochter (7 Jahre) gehört sicherlich auch zur Zielgruppe der Grünen Woche … aber sind Geschäftsleute in den Messehallen nicht mehr erwünscht?
Verena
Dass das jetzt modifiziert ist, ist schon klar. Ich glaube nur, dass es auch noch eine andere historische Variante gab, bei der die Schrift noch besser in die Ähre intergriert war. Hat vielleicht irgendjemand eine Abbildung? Das war nämlich wirklich hübsch.
Ich war übrigens auch so ein Grüne Woche Kind, und hatte die Besuche dorthin immer geliebt. Die Häppchen waren umsonst und Tierhalle war für uns Städter der Hit.
christoph
jetzt sagt nicht alle, dass ihr das von kinderhand gefertigte logo gut findet. sonst vernichtet crowdsourcing in kindergärten noch die letzten grafiker-arbeitsplätze.
Verena
@christoph
Sagt doch keiner.
Ivo
Hier die Titelseite des Katalogs der Grünen Woche von 1926.
Martin
Ach ist doch halb so wild, die Werber haben warscheinlich mal wieder bis zum Ende alle Ideen abgeschossen da bleib halt nichts übrig.
Aber Icatchen tut das Zeug.
till1
der look ist meiner meinung etwas zu poliert, aber ansonsten verstehe ich den verriss auch nicht …
DANA
Die Agentur (Heymann, Brandt & de Gelmini Berlin) sagt dazu:
„Die Kampagne bricht bewusst mit den bisherigen Standards der Messekommunikation und setzt statt dessen auf die Mechanismen klassischer Markenführung. dadurch ist sie nicht nur ein erfrischender Hingucker sondern auch der Beweis dafür, dass Messekommunikation durchaus intelligent verpackt, auf das Wesentliche reduziert und markenbildend sein kann.“
Was mich wundert ist, wie sie das der extrem konservativen Messe Berlin verkaufen konnten …
timeout
Jeder versteht wohl etwas anderes unter „intelligent verpackt“. Für „Die grüne Woche“ jedenfalls ist dieses Design so fehl am Platz wie das BASF Logo auf einer Kartoffel.
Søren
Also, Kartoffelch und Auberginente seh ich ja noch, aber banana fish (bone?) und dann das Kiwi-Schwein, da hörts auf mit dem Wortwitz.
Handwerklich sind die Montagen gut umgesetzt, finde ich. Über den Rest mag ich mal schweigen.
bomira
polarisation ist doch auch das stichwort. ich hab‘ vorher noch nichts von der grünen woche gehört und würde bei ortsnähe nun sicher mal vorbeischauen. wahrhaft ironisch ist der veranstaltungsort berlin > diese grüne lunge… ,)
Lars
Dies Kampagne ist nicht neu, sondern ist eine Fortsetzung aus dem letzten Jahr…
BAR M Grafikdesign
Erinnert uns ein bisschen an die Kampagne Vergessen ist ansteckend der Agentur »Etwas Neues entsteht«.
Leider: Hauptsache was »Neues«.
Richtig: In die Tonne.
Alexander Dimolaidis
Den Verriss find ich übertrieben. Aber wenn der Claim wirklich „Unglaublich abwechslungsreich“ dazu ist, dann hätte da unbedingt ein Texter rangemusst.