Die neuen Leiden des Wupperwurms
Die Wuppertaler Designwirtschaft diskutiert seit dem Wochenende zwei unvereinbare Entscheidungen ihrer Stadtväter. Zum einen wurde der Auftrag zur Findung einer neuen Stadtidentität an die Düsseldorfer Agentur Scholz & Friends vergeben (Ergebnis: »Wuppertal – macht was anders«). Zum anderen hat die Stadt ein komplettes Corporate Design als Schenkung von einer Wuppertaler Agentur erhalten. Auf der einen Seite ein Auftrag von über 200.000 Euro, dem gegenüber ein Corporate Design zum Nulltarif: Wie passt das zusammen?
Über 50 Wuppertaler Designer haben sich nun an einen Tisch gesetzt und einen offenen Brief an den Oberbürgermeister Peter Jung verfasst. Prominentester Unterstützer ist Christian Boros. Hier der Brief im Wortlaut:
Wuppertal, 19. Juni 2013
Sehr geehrter Herr Jung,
wir schreiben Ihnen als Fach- und Führungskräfte der Wuppertaler Designwirtschaft und beobachten mit Sorge die aktuelle Vorgehensweise der Stadt Wuppertal im Bereich Kommunikation und Design.
Die zeitlich und inhaltlich sehr ungeschickt platzierten Meldungen über ein mittelgroßes Budget für die Entwicklung einer Stadtidentität, welches an die Düsseldorfer Agentur Scholz & Friends vergeben wurde und andererseits eines Corporate Designs, welches der Stadt von der Wuppertaler Agentur Illigen Wolf Partner kostenlos zur Verfügung gestellt wird, sorgen für offene Fragen, zumal diese Prozesse nicht nachvollziehbar dargelegt wurden.
Das großzügige und offensichtlich notwendige Geschenk der Agentur Illigen Wolf Partner schließt mit Sicherheit eine wichtige Lücke. Doch auch wenn Sie die Analyse, Konzeption und Gestaltung als Geschenk erhalten haben, zieht die Implementierung aus unserer Erfahrung Folgekosten nach sich. Sei es für die weitere begleitende detaillierte Ausarbeitung, fachliche Unterstützung sowie auch für die Umsetzung.
Als Wuppertaler Kolleginnen und Kollegen der Designwirtschaft möchten wir Sie bitten, transparent darzulegen, wie der Prozess zur Entstehung des Corporate Designs genau abgelaufen ist und ob dieser zukünftig mit weiteren Bedingungen verknüpft ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir begrüßen es, dass die Stadt Wuppertal sich um einen professionellen visuellen Auftritt bemüht und wir schätzen die Arbeit unserer Kollegen aus dem Tal. Wir wissen um den wirtschaftlichen Wert dieser Arbeit. Durch den Akt der Schenkung wird jedoch ein falsches Signal gesetzt. Denn somit wird der Wert von Kreativ- und Designleistungen grundsätzlich in Frage gestellt.
Wir würden uns freuen, wenn Sie uns hierzu Antworten geben könnten.
Zu einem persönlichen Gespräch laden wir Sie gerne ein.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Albrecht, Geschäftsführung bürger albrecht partner GmbH
Leonie Altendorf, Diplom Designerin
Christoph Baum, Mediendesigner
Philipp Blombach, Diplom Designer
Christian Boros, Geschäftsführung Boros GmbH
Dirk Büchsenschütz, Diplom Designer
Patrizia Cacciotti, Diplom Designerin
Jacob Economou, Diplom Designer
Anja Eder, Diplom Designerin picnic grafik-design
Verena Engel, Geschäftsführung Engel und Norden GbR
Rob Fährmann, Geschäftsführung wppt:kommunikation GmbH
Jan Federmann, Geschäftsführung FKK .design gmbh
Sebastian Gimmel, Diplom Designer
Olaf Glasmacher, Diplom Designer
Sebastian Glück, Diplom Designer
Andy Gumpertz, Geschäftsführung zumquadrat – Visuelle Kommunikation GbR
Wolf-Nicolas Henkels, Geschäftsführung Media Nova GmbH
Andrea Hold-Ferneck, Geschäftsführung hold-ferneck kommunikationsdesign
Nicole Hoppe, Fotografin
Swen Hoppe, Geschäftsführung Praxis für visuelle Kommunikation
Hanna Hüttepohl, Diplom Designerin
Sonja Kampczyk, Geschäftsführung FKK .design gmbh
Süleyman Kayaalp, Geschäftsführung wppt:kommunikation GmbH
Andreas Komotzki, Diplom Designer
Pascal Kremp, Geschäftsführung Pinetco Webdesign
Jonas Künstler, Geschäftsführung zumquadrat – Visuelle Kommunikation GbR
Sandra Lehner, Geschäftsführung vielfein konkret
Dirk Longjaloux, Geschäftsführung Büro Longjaloux GmbH
Kristine Löw, Diplom Designerin
Thomas Milz, Geschäftsführung tm™
Eberhard Norden, Geschäftsführung Engel und Norden GbR
Anni Roolf, Creative Consultant MBA
Michael Römer, Diplom Designer picnic grafik-design
Mycha Schekalla, Diplom Designer
Thomas Schekalla, Diplom Designer
Annette Schild, Geschäftsführung Praxis für visuelle Kommunikation
Juliane Schlörscheid, Mediendesignerin
Jessica Scholz, Geschäftsführung Einars & Scholz Partnergesellschaft
Dorothea Schwabe, Geschäftsführung adby Kommunikationsdesign
Lena Stiller, Diplom Designerin
Anna Tertel, Diplom Designerin
Klaus Untiet, Geschäftsführung wppt:kommunikation GmbH
Norbert Valluš, Kommunikationsdesigner
Susanne Weiß, Diplom Designerin Weissheiten Design
Wolfram Zwanziger, Geschäftsführung zwonull GbR
Beispiele aus dem neuen Corporate Design sind hier zu sehen: Stadt Wuppertal – Corporate Design.
Dem Material ist zu entnehmen, dass die Pro-Bono-Agentur auch den »Wupperwurm« neu gezeichnet hat, das offizielle Logo der bergischen Großstadt. Die Bildmarke vereint die Wuppertaler Schwebebahn mit dem Fluss Wupper, die den Buchstaben W formt. Der Wupperwurm wurde von Albrecht Ade (*1932), der von 1960 bis 1970 als Dozent für Typografie und Grafikdesign an der Werkkunstschule Wuppertal tätig war, in den 1960er Jahren entwickelt. Seitdem tragen städtische Einrichtungen und Briefköpfe das Logo. Neu hinzugekommen ist der Zusatz Stadt Wuppertal.
Das Designtagebuch sprach mit Jörg Illigen, dem Geschäftsführer der CD-Agentur Illigen Wolf Partner über die Hintergründe des neuen Corporate Design und fand heraus, das rund 1000 bis 1200 Arbeitsstunden in das Konzept geflossen seien. Die Agentur habe den Auftrag ehrenamtlich in die Hand genommen, weil aufgrund der »diffizilen Haushaltslage keine Mittel zur Verfügung gestanden haben.« Bürgerschaftliches und unternehmerisches Engagement habe in Wuppertal eine lange Tradition. »Dieser Tradition folgend haben wir der Stadt angeboten, das dringend erforderliche Corporate Design honorarfrei zu entwickeln.«
15 Kommentare
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carlos
Da werden zwei Probleme deutlich:
1. Designer verschenken ihre Arbeit. Das tun sie anscheinend gerne – bei unbezahlten (oder schlecht bezahlten) Pitches oder bei irgendwelchen Gratis-Aufträgen. Das Problem ist offensichtlich: Die kreative Arbeit wird abgewertet, ein eigentlich lukrativer Auftrag vernichtet.
2. Werbeagenturen bekommen durch aggressives Marketing gut bezahlte Aufträge. Eigentlich spricht da ja nichts gegen – das Problem ist: Die öffentliche Hand lässt sich von dem Marketing-Gerede offensichtlich gerne einlullen und vergibt dann gigantische Aufträge für grinsende Buchstaben (Düsseldorf) oder fragwürdige Konzepte (Düsseldorf). Das Ergebnis ist dann immer gestalterisch indiskutabel und konzeptioneller Irrsinn.
Somit müssen wir an zwei Fronten kämpfen: Wir müssen es schaffen, dass unsere Kollegen zukünftig nicht mehr gratis arbeiten. Und wir müssen es schaffen, dass Grey und BBDO und wie sie alle heißen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und Frühstücksflocken bewerben und keine grausamen Stadt- oder Flughafen-Logos konzipieren und keine Steuergelder für Marketingunfug kassieren.
Geh doch nach Österreich!
Dort wird der Auftraggeber nicht nur eingelullt, wie du es nennst vom Marketinggebrabbel, sondern dort brauchst du auch noch gute Freunde: Eingeladen wird, wer Freund ist – statt Auftraggeber einzulullen. Und der Freund, der besser lullt, bekommt den Job: Können nicht nötig!
Sogar schädlich ist es, weil die anderen dich fürchten müssen.
Christian Büning
@ Carlos:
Danke, du sprichst mir aus der Seele. Ein professioneller Designeinkauf und mehr professionelle Designer. Das wäre ein Markt… :)
Artur
I’m sorry, my German is not too good. But with a little help from Google Translate I understand the following:
The commission to develop a identity for the city was granted to agency A, but then agency B decided to „donate“ an identity for free, so they choose to work with agency B. And now the design community is asking the mayor to give insight in the decision forming process and they want to know where the work for implementing the identity is going.
Is that about correct?
Best,
Artur
Christian Büning
@ Artur,
nearly correct. The commission asked Agency A to develop an Identity. Agency B took an existing icon, arranged it into a CD and gave it for free. (Their own words: ca 1.000 hours of work). Gifts need to be declared by the commission. That didn’t happen yet. And nobody knows about the consequences for future projects for other agencies in Wuppertal.
Artur
Thanks for clarifying Christian.
Now, that really is a sticky situation they have here.
It’s an interesting case to follow though. Anywhere we can follow the answer to the letter?
Jean Krömer
Was bitte ist daran verwerflich, sich für seine Stadt zu engagieren, insbesondere, wenn überhaupt keine Mittel für ein solches Projekt da sind und auch nicht da sein werden? Und recherchiert doch bitte mal etwas sorgsamer, bevor ihr euch der allgemeinen Polemik anschließt und auf fahrende Züge aufspringt, die bald vor die Wand fahren: Der Job an die Düsseldorfer hat nichts, aber auch gar nichts mit Corporate Design oder Corporate Identity zu tun. Das ist schlichweg in allen Medien falsch berichtet worden und mittlerweile durch die Stadtverwaltung nochmals richtiggestellt worden.
carlos
Jean, es spricht nichts dagegen, sich für seine Stadt zu engagieren. Das Problem ist nur, dass sich hier das Problem manifestiert, dass die Öffentlichkeit denkt, für ordentliche Gestaltung müsse nichts ausgegeben werden. Mit solchen Aktionen wird der ohnehin geringe Stellenwert guter Gestaltung torpediert.
Welche andere Branche würde so etwas machen?
Heinrich
die büromaterialbranche verschenkt alles an die rathäuser
die fahrzeughersteller verschenken ihre fahrzeuge
die tankstellen sprit
die energieversorger verschenken strom
nur toilettenpapier muss die verwaltung selbst bezahlen.
keine ahnung in welcher branche jean krömer arbeitet?
Woes
Worum geht es den Verfassern des Briefes denn jetzt? Machen sie sich Sorgen um die Folgekosten für die Stadt, ums Verschenken von Leistungen oder dass Aufträge nach Düsseldorf vergeben werden? Wäre ja alles nachzuvollziehen, aber so klingt das alles sehr schwammig und nach unfairem Nachtreten. Man hätte die Vertreter von Illigen Wolf Partner mit an den runden Tisch setzen sollen. Da beginnt der Fisch doch zu stinken.
Dirk Büchsenschütz
Natürlich macht es Sinn sich mit Illigen Wolf Partner an einen runden Tisch zu setzen. Niemand will hier irgendwen treten … es geht um einen offenen und öffentlichen Dialog. Da Illigen Wolf Partner nach der Veröffentlichung der Schenkung drei Wochen im Urlaub waren, gibt es erst jetzt einen gemeinsamen Termin.
Am 3. Juli um 20 Uhr können in der Wuppertaler Hebebühne konstruktive Fragen gestellt werden. Ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister wird es am 15. Juli ebenfalls in kleinerer Runde geben.
Woes
Wow, erst ein CD verschenken, dann drei Wochen Urlaub … die Kollegen Illigen und Wolf sind zu beneiden. :-) Viel Erfolg beim Roundtable!
flow
ach ja…
also dieses vorgeschlagene (verschenkte) design, bewirkt bei mir leider nur ein kleines schelmisches lächeln.
liebe wuppertaler:
bitte! dieses „geschenk“ NICHT annehmen!
ich finde wuppertal hat etwas würdigeres verdient als diese überdimensionierte wurstkurven (eigendlich lästere ich nicht mit so groben worten, aber auch nach 5 min. ist mir nicht besseres eingefallen).
Humberto
Geschenkt passt zur Qualität der Arbeit. Geschenkt.
Christine Burlon
liebe Wuppertaler Designer,
aus gewissem Abstand betrachtet: wie gut, dass dieses schwierige Thema hier angegangen wird, wie schön, dass bisher vorwiegend eine gewisse kluge Zurückhaltung und keine Kollegenhäme die öffentliche Diskussion bestimmt. Ich wünsche sehr, dass das Ganze konstruktiv und fair bleibt und ein Thesenpapier oder ein Designwirtschafts-Knigge herauskommt. Drücke die Daumen und bin stolz auch Euch, Leute!