Die kleinste Schriftsippe der Welt: FF Antithesis
Antithesis ist die neueste Schrift von Jan Gerner aka Yanone, dessen kommerzielle Premiere FF Amman Sans und Serif vor 4 Jahren hier im Fontblog gefeiert wurde. Weit mehr Grafikdesigner kennen ihn als Entwerfer des Freefonts Kaffeesatz (heute ein Google-Font), aus dem später die professionelle Familie FF Kava wurde.
Eines Vorweg: der Name von Yanones jüngstem Release steht in keinem Zusammenhang mit der berühmten Schriftsippe Thesis von Luc(as) de Groot (TheSans, TheSerif, TheMix, …), was sich alleine schon aus dem Aussehen und dem Umfang von Antithesis (3 Schnitte) ablesen lässt. Nein, die Antithesis hat ihre ganz eigene Entstehungsgeschichte und ist eng mit einem Kurzfilm von Yanone verknüpft, der in zwei Wochen auf der TYPO San Francisco Weltpremiere feiern wird und im Mai auf der TYPO Berlin Europapremiere.
Yanone, aufgenommen von Daniel Scholz wärend der Dreharbeiten zum Antithesis-Tanzfilm
Wenn hier von der »kleinsten Schriftsippe der Welt« die Rede ist, so sei noch mal daran erinnert, dass wir von Sippen statt von Familien reden, wenn ein Schriftsystem mehrere Schriftklassen abdeckt, zum Beispiel Sans, Serif und Slab; im Englischen hat sich der Begriff Super-family durchgesetzt. Mich persönlich erinnert das Wortspiel an das britische Rockduo Hardin & York Anfang der 1970er Jahre, die als »kleinste Big-Band der Welt« bezeichnet wurden, weil sie alleine mit Keyboard und Schlagzeug eine Riesenshow auf der Bühne abzogen, freilich ohne Sequencer und gespeicherte Tracks. Zurück zur Superschrift und kurz begründet: Antithesis besteht aus drei Schnitten – Regular, Italic und Bold –, die sich drei Schriftklassen zuordnen lassen.
Die dynamische Neuheit ist Yanones Meisterstück aus der Schriftgestaltungsklasse Type and Media an der Königlichen Akademie der bildenden Künste in Den Haag. So ungewöhnlich der Name, so außergewöhnlich das Bauprinzip der drei Schnitte: Die Spannung zwischen drei ungleichen Polen. Anders als bei vielen Schriften heute üblich, besteht Antithesis nicht aus einer Vielfalt interpolierter Strichstärken, die dem gleichen Konstruktionsprinzip folgen. Antithesis ist eine Familie aus nur drei Schnitten, deren Konstruktion sich maßgeblich voneinander unterscheidet. Die Normale ist eine scharfkantig geschnittene Slab-Serif, die Kursive eine verbundene Schreibschrift und die Fette eine serifenlose Grotesk— drei Formprinzipien unter einem Dach, was in dieser Kombination äußerst unüblich ist.
Schon während des Type-Design-Studiums in Den Haag hatte Yanone die Idee, sein Konzept der Spannung in einen Kunstfilm zu verwandeln. Im Sommer 2011, nach dem Ende des einjährigen Master-Studiums, kam ihm, nach Gesprächen mit der langjährig befreundeten freien Dresdner Tänzerin Johanna Roggan und mehreren Festivalbesuchen in der Psytrance-Szene, die richtungsweisende Idee: Es soll ein rund 10-minütiger Tanzmusikfilm werden, in dem Johanna Roggan im Rampenlicht steht und sie die Freiheit bekommt, die gemeinsam erarbeitete Handlung rund um die Spannung zwischen den drei Polen (frei nach der philosophischen Dialektik These, Antithese und Synthese) und den drei Phasen der Entstehung des Universums (nach hinduistischem Glauben Entstehung, Dauer und Auflösung) aufs Parkett zu bringen.
Die Dresdner Tänzerin Johanna Roggan spielt die alleinige Hauptrolle in dem 10-Minuten Tanzfilm »Antithesis«
Ursprünglich sollte es ein 3D-Film werden, worauf Yanone jedoch aus Kostengründen verzichten musste. Nicht verzichtet hat er auf die adäquate Begleitmusik. Der Berliner Komponist und Musikproduzent Georg Bauer war sofort begeistert vom Thema und steuerte die Komposition und Produktion der Musik bei. Die Sopransängerin Anna-Sophia Backhaus wirkte ebenfalls beim Soundtrack mit. Der Film entstand aus Naturaufnahmen in der Sächsischen Schweiz und Innenaufnahmen in einem improvisierten Studio. Hier ein Trailer zum Film, der vor einem Jahr entstand:
Antithesis – Trailer from Yanone on Vimeo.
Zum Vertrieb der Schrift Antithesis sagt Yanone heute: »Ich habe mich in der Zwischenzeit entschlossen, entgegen meiner bisherigen Vorstellung, nicht den Weg des unabhängigen Schriftgestalters zu gehen, der seine Fonts selbst veröffentlicht und vermarktet. Stattdessen setze ich erneut mein Vertrauen auf die FontFont-Bibliothek von FontShop und die bewährte Zusammenarbeit. Auf die Art werde ich komplett unabhängig bleiben, selbst unabhängig von Büroarbeit, die das Schriften-Verlagswesen mit sich bringt. Ich möchte in der näheren Zukunft vermehrt reisen.«
Yanone, mit bürgerlichem Namen Jan Gerner, wurde 1982 in Dresden als Sohn eines Kraftfahrzeugtechnik-Ingenieurs und einer Industrie-Architektin geboren. Nachdem er neun Jahre seiner Kindheit und Jugend mit der Familie in Addis Abeba, Hauptstadt des ostafrikanischen Äthiopiens lebte, kehrte er 1997 ins wiedervereinigte Deutschland zurück und schloss seine Schulbildung am Gymnasium in Dresden ab. Sein Vater lehrte ihm mit 14 Jahren die Programmiersprache Pascal. Das zum Hobby gewordene Programmieren sollte fortan sein Berufswunsch sein. Frühe Erfahrungen im Web-Design und das Gestalten der Abi-Zeitung seines Jahrgangs verschoben den Fokus allerdings schnell auf die Gebrauchsgrafik, und Schriftgestaltung im Speziellen.
2002 nahm er das Studium der Mediensysteme an der Bauhaus-Universität in Weimar auf, wo er 2004 ins Fach Visuelle Kommunikation wechselte. Ein Freund brachte ihm damals das Gefühl für das Gestalten einzelner Buchstaben und die benötigte Software bei, was sein Interesse in Schriftgestaltung erneuerte. Seine sieben Universitäts-Jahre brachten ihn u.a. auch zu einem Praktikum nach Amman, Jordanien, ins dort ansässige Gestaltungsbüro Syntax, und nach Berlin zum Schriftenhersteller FontShop International. Dort lernte er das Verständnis und den Durchblick zum Herstellen professioneller Schriften.
3 Kommentare
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Curd
Wieso gibt es die Familie der Antithesis nur ohne den Schnitt Bold Italic?
Curd
Na, wenigstens sind Mediävalziffern vorhanden, wohingegen echte Kapitälchen fehlen. Schriftschnitte ohne Kapitälchen sind mein größter Alptraum. Auch, wenn’s immer heißt, dass man bei Handschriften keine Kapitälchen verwenden sollte, würden sie bezüglich dieses Schnittes doch gut passen – finde ich. Aber eigentlich ist die Aussage oben allgemein gemeint gewesen, weil bei viel zu wenigen Schriften echte Kapitälchen zu finden sind.
Außerdem würde ich mir von jeder Sippe mindestens die Schnitte „Regular“, „Semibold“, „Bold“, „Regular Italic“, „Semibold Italic“, „Bold Italic“ in den Familien Serif und San Serif erwarten.
Curd
… Sans Serif … habe ich natürlich gemeint.