bukowskigutentag 19/12: Quelle? Twitter!
uweia, Tweet-Diebstahl! Nun ja, Sie merken schon: Es handelt sich bei diesem Thema nur um einen kleinen Mäusefurz im Universum der Diskussionen von Urheber- und Leistungsschutzrecht. Aber trotzdem um einen relevanten kleinen Beitrag, der das schizophrene Verhältnis vieler Verlage zum Urheberrecht sehr anschaulich illustriert. Oder wie es dieser Twitter-Kollege hier auf den Punkt bringt:
Die feinsinnige Ironie alter Medien besteht darin, wie Elstern bei Blogs&Wikis zu klauen, aber zugleich über „Kostenloskultur“ zu klagen.
— oberkelln0r (@geruchtekellner) Juni 6, 2012
In diesem Fall könnte man auch gut von Bigotterie sprechen, scheint mir. Kürzlich bin ich über eines von vielen Beispielen dafür gestolpert. Hier ein Zitat aus dem ersten Absatz eines Artikels aus dem Sportteil von SPIEGEL ONLINE:
»Direkt nach dem Abpfiff der 3:5-Pleite von Basel am Samstagabend twitterte der Erste ironisch: „Eilmeldung: Löw nominiert 26 Spieler nach.“ Dann wandte sich die Kurznachrichten-Gemeinde allerdings geschlossen dem Eurovision Song Contest zu und ließ den Bundestrainer und seine an diesem Abend gedemütigte B-Mannschaft in Ruhe.«
Während Verlage also ein Leistungsschutzrecht für sich einklagen, bedienen sie sich aus dem Internet ohne jede Hemmung in Sachen Zitat-Recht, Quellen-Angabe oder ähnliches. Hier in Form eines Tweets ohne Nennung auf oder Verlinkung zum Urheber. Dürfen die das? Keine Ahnung!
Klar an der rechtlichen Lage ist nur, dass sie unklar ist.
Das heißt, dass die schöpferische Höhe eines Tweets noch nicht definiert und rechtlich geschützt oder überhaupt nur geregelt ist. Es handelt sich um eine Grauzone, in der die Rechtslage den medialen Entwicklungen mit weitem Abstand hinterherhinkt. Man erinnere sich zum Beispiel an den Ärger um die Tweets des Tages auf der Titelseite von Welt Kompakt – obwohl die zitierten Twitterer immerhin namentlich genannt und damit im weitesten Sinne CC-Lizenz-Bedingungen eingehalten wurden.
In diesem Beispiel also gibt der Redakteur als Quelle einfach Twitter an. Als wäre es eine alltägliche Nachrichtenquelle wie eben die dpa oder eine andere Presseagentur, von der die Verlage Nachrichten im Abo beziehen. Für letztere zahlen sie. Für ersteres, also „Quelle Internet“ zahlen sie auch; und zwar mit ihrer Reputation.
Zum Vergleich: Würde man aus dem SPIEGEL oder anderen in gleicher Weise eine originelle Überschrift ziehen ohne Nennung und Quellenangabe – hui! – dann wäre aber was los! Auch wird hier nicht einfach nur irgendein irrelevantes Zitat von irgendwoher irgendwie benutzt. Im Gegenteil: Bei dem zitierten Tweet handelt es sich um einen Witz mit tagesaktuellem Bezug und einem Niveau, wie es zum Beispiel Gag-Schreiber fürs Fernsehen produzieren, und zwar gegen Bezahlung. Ein solcher Witz im ersten Absatz wertet den Artikel eindeutig auf.
Um aber nicht nur entrüstet mit »Du, Du, Du!« zu argumentieren, möchte ich es als Frage formulieren. Was genau denken sich die Redakteure, Journalisten und Verlage dabei? Sie würden doch nichts verlieren, wenn sie die Quelle nennen, von der sie zitieren oder abschreiben, während die eigene Rechtsabteilung gerade die nächsten Maßnahmen gegen den Perlentaucher oder andere plant.
Wieso sollte ich dem was schenken, den ich gerade beklaue?
Steckt dahinter vielleicht die Arroganz eines Massenmediums im Sinne von: »Ich, die große, renommierte Zeitschrift verlinke doch nicht auf einen kleinen Twitterer! Und wieso sollte ich dem auch noch zu Aufmerksamkeit verhelfen, dessen geistige Produktion ich gerade zum Wohle meiner eigenen Aufmerksamkeit zocke?«
Wahre Größe würde man gerade auch als – wie ich kürzlich in einer Eigenwerbung des SPIEGEL las – »gefürchtetes Nachrichtenmagazin« beweisen, wenn man das Internet nicht als Territorium zum freien Wildern geistigen Eigentums nutzen würde, während man gerade sein eigenes Hoheitsgebiet gegen diesen Missbrauch zu verteidigen versucht.
Also, liebe große Medien, das Thema ist nicht neu, aber vielleicht denkt Ihr trotzdem noch mal neu drüber nach. Es wären sehr dankbar: Eure kleinen Mäusefurze von Twitter.
5 Kommentare
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Will Sagen
Ich weiß noch, wie dieser eine Mensch, der daran beteiligt war, son Twitterbuch zusammenzustellen, not amused war, als ich meinte, das würde ich jetzt als pdf ins Netz stellen. Da käme es ja schließlich her. Tja. Es müssen nicht nur die alten Medien sein.
Simon Wehr
»Quelle: twitter« ist aber auch so ungefähr wie »Quelle: Stammtisch«. Hätte man früher geschrieben »Ede Humbeck in Paula’s Eck sagte gestern Abend, …«? Nö.
NetzBlogR
@Simon: Schon aus Höflichkeit sollte man in der Kneipe wenigstens dazu sagen, dass ein lustiger Spruch nicht von einem selbst ist. Geht ja einfach durch den Zusatz: „Habe ich letztens gelesen“ oder so. Wobei man bei manchen schon ahnt, dass der sich sowas nicht einfallen lässt. :-)
In schriftlicher Form ist es aber eine andere Sache: Wenn etwas irgendwo steht, ist es in den meisten Fällen mit einem Namen verknüpft – dem Autor. Und wenn der nicht dazu schreibt, dass etwas nicht von ihm ist, muss man ja zunächst annehmen, dass es seine Idee war. Und das ist ja nicht richtig.
Auf diese Art haben schon einige Leute Geld verdient. Bekanntes Beispiel dürfte „Axolotl Roadkill“ sein. Die Autorin wurde durch das Medienecho erst gezwungen, einzuräumen, dass sie vieles nur zusammenkopiert hat.
Außerdem tut es keinem weh, gleich dazu zu sagen, wenn man etwas von jemand anderem übernommen hat. Im Gegenteil: Es zeigt, dass man demjenigen Respekt gegenüber bringt.
Etwas, was viel mehr wert ist als Geld.
Simon Wehr
@ NetzBlogR: Du hast total recht, mich aber leider genau falsch herum verstanden.
Ich meinte, ob ein Redakteur in seinem Artikel wohl geschrieben hätte, dass Ede Humbeck gestern in der Kneipe gesagt hat, … Er hätte eher geschrieben, dass an Berliner Stammtischen darüber diskutiert wird, dass …
Generell finde ich es (noch ?) recht merkwürdig, wenn in Artikeln steht: »Der User @bukowskigutentag beklagt sich auf twitter über die Unsitte, …«
epikur
Die Tagesschau bringt seit Wochen in der Berichterstattung über Syrien „Quelle: Internet-Video“. Anscheinend will man die wahre Quelle verschleiern.