bukowskigutentag 18/12: Der große TV-Quoten-Quatsch
eit ewigen Jahren staunt das Land über die Fernsehquote. Top-Quoten erzielen zunehmend Formate, die neue Untiefen des schlechten Geschmacks ausloten. Verzweifelt eilt das Feuilleton von Aufschrei zu Aufschrei über immer neue Niveau-Limbo-Rekorde, die uns das sogenannte Unterschichtenfernsehen beschert. Aber entspricht das wirklich dem mehrheitlichen Geschmack der Fernsehzuschauer in Deutschland, wie es uns die Quoten glauben machen wollen? Ich glaube das nicht und erkläre auch gleich, warum. Es liegt an einem Systemfehler der Quotenmessung.
Jetzt zunächst ein kurzes Wort zum Messverfahren: Die GfK Fernsehforschung schöpft aus einem Reservoir von etwas über 5000 Haushalten, deren Fernsehverhalten gemessen wird. Diese Haushalte sind laut GfK so repräsentativ ausgewählt, dass sie die gesamte Bevölkerung des Landes widerspiegeln. So weit die Theorie. Schreiten wir jetzt zum gravierenden Messfehler im System.
Warum die Quote spinnt? Weil die Messung nicht stimmt.
Dazu folgendes Zitat eines GfK-Mitarbeiters, das so vor kurzem im SZ-Magazin veröffentlicht wurde und das ich hier sinngemäß wiedergebe: »Wenn wir feststellen, dass wir mehr linksrheinische Hausfrauen brauchen, um unser Panel repräsentativ zu halten, dann akquirieren wir die.«
Hier wird es interessant. Wie werden denn die Leute akquiriert und unter welchen Umständen nehmen sie als Messhaushalt teil? Ganz einfach im ersten Schritt per Anwerbung seitens der GfK. Danach wird bei Bereitschaft zur Teilnahme entsprechende Messtechnik vor Ort installiert und sodann müssen die Teilnehmer noch verschiedene Interviews und Befragungen absolvieren. Finanziell entlohnt werden die Kandidaten nicht.
Das wirft folgende Frage auf: Was für Leute sind das, die dazu bereit sind? Laut GfK-Mann zählen also zum Beispiel linksrheinische Hausfrauen dazu. Aber ist auch ein Manager mit 16-Stunden-Arbeitstag dabei? Wie sieht es mit einer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter aus? Was ist mit jüngeren Leuten, die mehr mit dem Internet, als mit dem Fernseher aufgewachsen sind? Und wie bekommt man die Personenkreise in die Messung, die – wie ich zum Beispiel – gar kein herkömmliches Fernsehgerät besitzen? Machen aus diesen Kreisen wirklich ausreichend Leute bei der GfK-Messung mit, damit diese sich repräsentativ nennen darf? Ich halte das für unwahrscheinlich.
Je eingebundener die Leute in berufliche und familiäre Zusammenhänge sind, desto geringer die Bereitschaft, sich als Quoten-Messkandidat zu engagieren. Und im Gegenzug darf man den Messbereiten eine gewisse Couch-Potatoe-Tendenz attestierten. Das vermeintlich repräsentative Panel besteht also nicht aus einem repräsentativen Teil der Bevölkerung, sondern aus dem spezifischen gesellschaftlichen Milieu der messbereiten Haushalte. Dieses Milieu mag in sich nicht homogen sein, weist aber durch das verbindende Merkmal der Messwilligkeit eine wichtige Gemeinsamkeit auf.
Das falsch konstruierte System liefert so auch die Antwort auf das große Rätsel der TV-Quote. Man darf nämlich annehmen, dass das Produktivitäts- und Bildungsniveau GfK-bereiter Haushalte tendenziell unter dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt liegt. Denn, mal ehrlich, welche weitgehend mit Job, Kind & Kegel ausgelasteten Leute lassen sich denn freiwillig und unentgeltlich in die Fernsehzuschauerforschung einspannen? Sieht also wirklich die überwältigende Mehrheit der Menschen in diesem Lande gerne »Bauer sucht Frau«? Nein. Die Mehrheit der GfK-Haushalte sieht gerne »Bauer sucht Frau«!
Nicht die Mehrheit hat einen so schlechten Geschmack, sondern nur die Mehrheit derjenigen mit etwas schlichterem Geschmack
Der Untergang des Abendlandes wäre hiermit also offiziell abgeblasen. Untergehen muss nur das GfK-System in dieser die Wirklichkeit drastisch verzerrenden Form. Denn die GfK arbeitet nicht auf Basis eines repräsentativen Panels. Gebildetere, berufstätige und jüngere Teile der Bevölkerung können mangels Messbereitschaft von der GfK überhaupt nicht in ausreichender Anzahl ins Panel akquiriert werden.
Eine Bestätigung der Unschärfe im aktuellen Messystem liefert der Plan, künftig auch den TV-Konsum am PC zu messen. Derzeit fließt online in Mediatheken geklicktes oder im Stream gesehenes Programm nicht in die TV-Quote ein, was unter anderem einen erheblichen Teil junger Leute mit hoher Affinität für neue Medien ausschließt.
Selbst wenn dieses Vorhaben umgesetzt werden sollte, handelt es sich auch hier wieder nur um eine technische und keine qualitative Messung. Gemessen würde schließlich nicht, wie viele Leute das Fernsehen im PC nur als Nebenbeiprogramm zum Internet und anderen Anwendungen laufen lassen. Diese Frage stellt sich analog dem bekannten Dilemma, dass bis heute keiner messen kann, welchen bewussten Netto-Sehzeiten die gemessene Brutto-Laufzeit der Fernsehgeräte entspricht. Die Frage also, wie oft und wie lange der Fernseher im Wohnzimmer nur im Hintergrund vor sich hin dudelt, während man in der Küche den Abwasch macht oder ähnliches. Auch der ehemalige Sat-1-Programmchef Kogel hält die TV-Quote deswegen für überbewertet.
Selbst Fernsehmacher glauben nicht mehr an das Quotenmärchen
Ginge es dabei nur um Milliarden Euro, die im Werbefernsehen falsch versendet werden, wäre das Problem fast noch harmlos. Aber bekanntlich resultiert daraus die großflächige geistige und kulturelle Verödung unserer Fernseh-Zivilisation, die dem Diktat der falschen Quote folgt. Polemisch überspitzt gesagt verhält es sich hier so, als hätten in Deutschland nur Bürgerinnen und Bürger ohne Schulabschluss Wahlrecht.
Abschließend sei gesagt, dass ich meine These nicht beweiskräftig belegen kann. Dafür bräuchte man Zugriff auf die Paneldaten der GfK. Es handelt sich daher bei diesem Beitrag um pure Spekulation. Mir scheint die Sache allerdings ziemlich plausibel. Daher möchte ich es als Frage an die GfK stellen: Können Sie die oben vorgebrachten Behauptungen glaubhaft entkräften?
7 Kommentare
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ts
hallo, herr bukowski.
sie wissen also auch nicht, ob die stichprobe der gfk repräsentativ ist. sie dürfen deshalb natürlich annhehmen, was sie wollen, und sie wollen annnehmen, „dass das Produktivitäts- und Bildungsniveau GfK-bereiter Haushalte tendenziell unter dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt liegt.“
Marc
Hierzu gibt es einen sehr unterhaltsamen und kritischen Film:
http://de.wikipedia.org/wiki/Free_Rainer_%E2%80%93_Dein_Fernseher_l%C3%BCgt
Twix Raider
„Repräsentativ“ ist immer noch grob geschätzt, vor der Glotze hocken ja ggf. auch mehrere Personen bzw. eben nicht, wenn einer das Programm nicht gefällt. Oft läuft der einäugige Teufel auch einfach so, z.B. als Babybespasser. Also selbst wenn man die Daten aller Geräte hätte, würden die über das tatsächliche Konsumverhalten immer noch nicht besonders viel aussagen. Ich bin übrigens linkslechiger Schwabe, meine Stadt ist ein Marketinggrosslabor, hauptsächlich für Lebensmittel. Was hier an (selbsverständlich nicht als Test deklarierten) Neuheiten aus dem Supermarktregal angenommen wird, verkauft sich auch im Rest der Republik, das ist der berühmte „Augsburger Geschmack“. Die tatsächliche Trefferquote der Vorkoster der Nation ist allerdings ein Geheimnis…
Schrägstrich
Ein Glück das da noch der letzte Absatz da stand. Mir ist es trotzdem zu arg spekulativ. Wenn am Ende eigentlich der ganze Artikel nur auf diverse Vermutungen aufbaut find ich das ziemlich sinnlos. Oder anders gesagt: Journalistisch ist das dann jedenfalls nicht mehr.
Dass das ganze nicht wirklich der Realität entspricht hat man hier und da ja schon mal gehört (Hr. Kogel). Das Problem gibts übrigends auch bei den Printmedien. Und bei der Onlinewerbung erst …
Mick
Gute Sache, das mal zu hinterfragen. Es läuft auf den Punkt hinaus: was ist repräsentativ? Die Auswahlkriterien offen zu legen würde da schon mal helfen. Es gibt einen nicht unerheblichen Anteil an Fernsehzuschauern im Strafvollzug. Ich frage mich, ob diese auch vertreten sind? Einer, den ich kenne, hat vor allem Arte und deren Tierfilme gesehen, weil er auf das andere Beschallungsfernsehen kein Bock hatte. Ist das eine Ausnahme?
Ein anderer Punkt ist die Bereitschaft sich für Quoten und Zahlen zu verbiegen und sich denen total unterzuordnen. Es ist mE genauso krank in kollektive Hysterie zu verfallen, weil das Bruttosozialprodukt nur noch 0.2% oder so wächst. Es ist eh Wahnsinn bzw. unrealistisch davon auszugehen, dass Dinge immer wachsen müssen. Die Quote verkörpert zudem Quantität und nicht Qualität, das zu relativieren und infrage zu stellen ist nur angemessen finde ich.
mbukowski
@ Schrägstrich Das ist tatsächlich nicht journalistisch im investigativen Sinne, sondern ein Meinungsbeitrag im Rahmen einer, also dieser Kolumne. Trotzdem finde ich es nicht sinnlos, diese Frage zu stellen.
Magnus
Wie im Artikel erwähnt, gibt es sehr viele Menschen, die inzwischen (meist über DVBT) am Laptop mit einer Zusatzsoftware Fernsehen. Da all diese Rechner am Internet hängen, wäre es technisch gesehen ein Leichtes, deren Fernsehverhalten automatisch und in Gänze abzubilden. Wenn man parallel noch einen „bei Facebook veröffentlichen“ Button dazufügt, würden zumindest diejenigen ihr Fernsehverhalten bereitwillig veröffentlichen, die auch sonst alles veröffentlichen. Es entstünde dadurch sicher eine ebenso verzerrte Abbildung des allgemeinen Nutzungsverhaltens, vielleicht aber als statistische Ergänzung aus einem anderen Bildungsniveau wertvoll. Auch hier darf trefflich spekuliert werden … Spätestens wenn Google eine smarte TV Software entwickelt hat, wissen wir mehr.