Apples ungeschicktes Musikgeschenk

U2, live in Mailand 2009

Mal ange­nommen, du isst gerne Müsli, vorwie­gend Bio-Qualität. An einem wunder­baren Spätsommertag, nach dem Einkauf im Supermarkt, begrüßen dich freund­liche Kellogg’s-Promoter hinter der Kasse, die jedem Kunden drei Pakete Kellogg’s-Frühstücksflocken im Gesamtwert von 9,90 € in den Einkaufswagen legen. Ein Geschenk des Hauses. Du wirst es nicht annehmen. Du wirst es den Vertreten freund­lich zurück­geben mit der Bitte, es jemand anderem zukommen zu lassen.

Während Apple seine Produkte tradi­tio­nell bis zum letzten Schräubchen durch­denkt, war die Musik-Verschenk-Aktion vor einer Woche über­haupt nicht durch­dacht. 500 Millionen iTunes-Kunden fanden im Laufe des Dienstags auf einmal das neue Album der briti­schen Band U2 in ihrem Einkaufskorb, »Songs of Innocence«, bezahlt von Apple, ready to down­load. Das fand ein geringer Prozentsatz der iTunes-Kunden, also mehrere Millionen, gar nicht nett.

Apple hatte die Büchse der Pandora geöffnet. Wie einst Amazon, als es Tausenden Kindle-Kunden das Buch »1984« (George Orwell, 1949) im Lesegerät löschte, weil es von einem zwei­fel­haften Anbieter illegal in den Store gestellt wurde. Nur machte es Apple umge­kehrt, frei­lich mit dem Einverständnis von U2 und deren Plattenfirma: Man fügte der Bibliothek aller Kunden einfach ein Album hinzu. Ungefragt. Die Irritation beim Kunden ist die gleiche, nein größer.

Der U2-Sänger Bono versucht den Fall in einem Brief auf der Website der Band schön zu reden: “And for the people out there who have no inte­rest in checking us out, look at it this way… the blood, sweat and tears of some Irish guys are in your junk mail.” Dieser Vergleich geht völlig daneben. Junk-Mail landet bei mir direkt im Müll, und pflanzt sich nicht in eine Datenbank, die ich seit über 10 Jahren akri­bisch pflege. Apple und U2 haben sich auf Geräte einge­nistet, mit denen Menschen ihr Leben orga­ni­sieren, die Adressen ihrer Freunde verwalten und ihre Lieblingsmusik. Selbst die Kasse wurde ange­tastet: Denn wenn sich neben dem U2-Albums im iTunes-Store der Kaufen-Button ohne mein Zutun in ein Gekaufte Artikel-Button verwan­delt, fühle ich mich nicht nur irri­tiert, ich fühle mich verfolgt, denn der Kaufprozess ist nicht mehr meiner.

Ein Woche brauchte das Unternehmen aus Cupertino, bis es seinen Kunden einen Entfernen-Button servieren konnte. Das ist zwar eine zügige Reaktion, aber man hätte sich das vorher über­legen können.

Ich selbst habe das Album nicht gelöscht. Bin zwar kein U2-Fan, aber neugierig auf neue, gut produ­zierte Musik (und das ist sie). Daher halte ich manche Reaktionen im Netz für über­trieben. Oder schlicht daneben, zum Beispiel wenn man die Aussage »Ban music thieves from web« des U2-Managers aus dem Jahr 2008 mit dem Desaster dieser Woche gleich­setzt, wie hier geschehen.

Foto: U2 live, am 8 Juli 2009 in Mailand (mit freund­li­cher Genehmigung von Shutterstock, © Valeria73 / Shutterstock​.com)


6 Kommentare

  1. Anderer Jürgen

    Ich war von dieser Apple-Aktion sehr beein­druckt. Apple beglückt also seine zig millionen Nutzer mit einem Stück aktu­ellem Kulturschaffens. Wenn man sich nun die Frage stellt, ob U2 eine poli­ti­sche Band ist, und wenn ja, welche poli­ti­sche Botschaft in dem Album trans­por­tiert werden könnte, kommt man schnell ins Grübeln.
    Apple verlässt hier die Position des Distributors und nimmt die Rolle eines Publizisten ein. Ein Publizist, der nicht nur die Macht hat, Millionen von Menschen mit seinen Inhalten zu konfron­tieren, sondern einem, der das auch noch ausnutzt.
    Einer von vielen, aber defintiv ein denk­wür­diger Schritt des Mediengiganten.

  2. Michael

    * Apples :) TRotzdem sehr schöner Beitrag zum Thema!

  3. DerSiedler

    In der Tat war selbst ich als Apfelliebhaber etwas über­rascht, dass das Album ohne mein Zutun direkt als gekauft gelistet wurde. Entgegen 99% der Nutzer sind auto­ma­ti­sche Downloads abge­schaltet und wenigs­tens diesen Button durfte ich betä­tigen. Aber sicher wäre es besser gewesen, das Album über einen iTunes Code zu verschenken, den alle Nutzer per E-Mail hätte bekommen können. Aber wie sie sagen ist das U2-Gate reich­lich aufgeblasen.

  4. Tom Turbo

    Die Conclusio verstehe ich nicht …
    Oben wird geschrieben dass Apple mir einen Inhalt augedrängt hat den ich viel­leicht explizit ablehne, in eine persön­liche Datenbank einge­griffen hat die mir viel­leicht wichtig ist (und für die ich auch einiges an Geld ausge­geben habe), und mir mit der Formulierung „gekauft“ sogar Angst macht ich hätte was von U2 erworben (ich hab ernst­haft nach­ge­sehen ob irgendwo Geldbeträge bewegt wurden).

    Speziell die Punkte 1 und 2 sind eigent­lich dermaßen ein von Ignoranz und Macht geprägter Übergriff auf mich als Kunden, dass ich die Geschäftsbeziehung eigent­lich auflösen müsste weil das bishe­rige Vertrauensverhältnis nach­haltig gestört ist. Da ist eine wütende verbale Reaktion im Internet doch weit weg von – laut conclusio – „über­trieben“?

  5. 17

    Lieber Jürgen,
    der Apostroph in der Überschrift ist fehl am Platz. Im Deutschen muss es ›Apples unge­schicktes Musikgeschenk‹ heißen.

  6. Jürgen Siebert

    Danke, 17, du hast natür­lich voll­kommen recht. Ich habe den Fehler korrigiert.

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