Zwanzig Jahre FF Hands

Als im Jahr 1991 die beiden Handschriften FF Erikrighthand und FF Justlefthand als erste FontFonts auf den Markt kamen, hatten die beiden Scripts zwei (durchaus beab­sich­tigte) Geburtsfehler:
• Sie wurden als »Hands 1« veröf­fent­licht, es erschien aber nie »Hands 2«
• Die zwei Handschriften waren mit heißer Nadel gestrickt

Beide Makel wurden erst heute, nach 20 Jahren ausge­bü­gelt. Beide konnten auch nicht verhin­dern, das die Jugendwerke von Erik van Blokland und Just van Rossum zu welt­weiten Bestsellern wurden und viele Nachahmer fanden.

Ursprünglich waren Erikrighthand und Justlefthand als reine Spaßschriften gedacht, als provo­kante Statements gegen den Perfektionismus, ähnlich wie der Random-Font Beowolf. Ihre Entstehungsgeschichte ist nach­zu­lesen im Buch »Made with FontFont«. Ende 1990 hält sich Erik van Blokland in New York, sein Random-Twin Just van Rossum in Berlin auf. Eines Abends fällt ihnen ein, dass sie auf Wunsch von Joan und Erik Spiekermann für die gerade gegründet FontFont-Bibliothek noch zwei Script-Fonts beisteuern sollen, eine leichte und eine fette. Wegen der Entfernung bzw. der stein­zeit­li­chen Übertragungstechnik (Fax), zeichnet »Erik der Ferne« mit seiner rechten Hand und einem Filzstift kräf­tige Buchstaben auf ein Fax-Formular, Just greift mit seiner linken Hand zu einem Fineliner und tut dasselbe in Light. Anschließend verrichten ein Scanner sowie die Software-Programme Photoshop, Streamline und Fontographer ihren Job, und fertig ist das Schriftpaket FF Hands 1 mit 4 Fonts. Es stößt in die gähnend leere Marktlücke der unge­küns­telten Handschriften und werde weltberühmt.

Da ich seit 20 Jahren Mitglied im FontFont-Typeboard bin und somit mitver­ant­wort­lich für die Veröffentlichung neuer Schriften, möchte ich heute mal einen Traum zerplatzen lassen, den mir Außenstehende schon häufig ange­tragen haben: Die Vorstellung von der Schriftschöpfung als Auftragsarbeit. Es ist ein Märchen zu glauben, das ein Schriftenhaus seine Designerschützlinge – wie es ihm gefällt – Bestseller am Fließband produ­zieren lassen könne. Das funk­tio­niert nicht. Auch Buchverlagen gelingt dies nur in Ausnahmefällen, denn den wenigen Serientätern wie Stephen King oder Joanne K. Rowling steht eine Heerschar von One-Hit-Wondern gegenüber.

Ihr glaubt gar nicht, in wie vielen der bis heute 55 Typeboard-Sitzungen ich bei Erik van Blokland nach­ge­fragt habe – er ist eben­falls Typeboard-Gründungsmitglied –, wann denn nun endlich Hands 2 fertig sei. Es sollte eine Display-Version der Grundschriften werden, mit feineren Buchstabenkonturen, und mehr Stützpunkten. Tatsächlich waren die ersten Fassungen 1991 ja nicht aus Schlampigkeit so grob digi­ta­li­siert: Die dama­lige PostScript-Umgebung (Rechner, Drucker, Adobe Type Manager) ließ es aus Gründen der Stabilität nicht zu, dass man ausge­franste Script-Glyphen bis in die letzte Verästelung digital nach­bil­dete. Die Faustregel damals: mehr als 20 Stützpunkte/Buchstabe können dafür sorgen, dass eine Quark-QPress-Seite abstürzt oder ein Druckjob nicht ausge­führt wird.

Nun endlich, mit dem Erscheinen des FontFont-Release 54, liegen FF Erikrighthand und FF Justlefthand in neuer, verbes­serter Qualität vor. Verpackungsdesigner, Plakatgestalter, Ladenbeschrifter (typi­sche Anwendungsfelder für die beiden Hands) können aufatmen. Der Grund für die Überarbeitung war der Abschied von PostScript. Dieses Format gibt es bei FontFont nicht mehr, sondern nur noch OpenType (als .otf und .ttf). Erik van Blokland und Just van Rossum haben diese Gelegenheit genutzt, ihren Klassiker nun zu überarbeiten.

Die beiden Schriftentwerfer aus Den Haag sind weiterhin gut befreundet, arbeiten jedoch nicht mehr so eng zusammen wie vor 10 oder 20 Jahren. Daher haben sie ihr jugend­li­chen Handschriften mit unter­schied­li­cher Philosophie über­ar­beitet. Erik van Blokland nutzte den Technologiewechsel, so wie er es bei der FF Trixie bereits meis­ter­haft vorge­führt hat (siehe Fontblog-Beitrag Neu: FF Trixie OT, von Erik van Blokland), für eine grund­le­gende Überarbeitung der einzelnen Glyphen. Er verpasst Erikrighthand einen neuen Schwung, der sie noch authen­ti­scher nach Filzerschrift aussehen lässt. Dabei hat sie ihren spon­tanen Charme behalten, so dass man sie weiterhin als Handschrift-Imitation und endlich auch für die groß­di­men­sio­nale Gestaltung einsetzen kann.

Just van Rossum entschied sich für eine werk­treue Überarbeitung, keine neue Abmischung … wie die Beatles mit ihrer Musik. Er tastete die einzelnen Glyphen nicht an, baute aber mehrere Hundert Ligaturen und Akzentbuchstaben hinzu, so dass nun auch Justlefthand den modernen Ansprüchen einer OpenType-Typografie genügt – in den Features und der Sprachunterstützung.

Die einst separat erschienen Schnitte Expert und Small Caps sind selbst­ver­ständ­lich im OpenType-Zeichensatz aufge­gangen. Damit werden die Schriften auch leichter bedienbar. Mehr über ihre Ästhetik und die tech­ni­sche Ausstattung verraten die beiden Steckbriefe (PDF), die sich hinter den Abbildungen links oben und rechts verbergen.


14 Kommentare

  1. R::bert

    Schön, dass Ihr das »geup­dated« habt! Bei Eriks Handschrift ging aber etwas der eigen­stän­dige Charakter verloren, oder? Siehe beispiels­weise »s« und »i«. Das alte »s« hätte man zumin­dest als Alternative lassen können …

    Trotzdem, alles in allem eine schöne Neuigkeit.

  2. Christoph

    Das alte »s« hätte man zumin­dest als Alternative lassen können …

    Hat man:

  3. R::bert

    @ Christoph
    Schön! Dann scheint bloß mit der oben abge­bil­deten Charakter-Darstellung nicht zu stimmen. Ich dachte jeden­falls, dass bei Alternativen immer rechts unten der kleine schwarze Pfeil zu sehen ist …

  4. Jürgen Siebert

    Die Charakter-Darstellung zeigt die Schrift FF Justlefthand, nicht die FF Erikrighthand mit dem alter­na­tiven s.

  5. R::bert

    Ups! Sorry ; )

  6. Christoph

    Zudem ist das kleine s, bei dem kein schwarzer Pfeil in der Ecke ist, das SmallCaps-s. Das wiederum ist bei JLH der Grund für den schwarzen Pfeil beim Minuskel-s (9. Zeile ganz rechts).

  7. R::bert

    Funktionieren die beiden Updates bzgl. »Alternates« jetzt wie die FF Duper? (Im »Text Sample« der ErikrighthandPro-SpecSheet.pdf sind keine alter­nie­renden Charaktere zu entdecken.)

  8. Jürgen Siebert

    Fast, R::bert. Sie funk­tio­nieren kontext­be­dingt (also auto­ma­tisch, wenn das in der Anwendung so einge­stellt ist). Allerdings bietet FF Hands nicht so viele Alternativen wie FF Duper (die konse­quent mit drei Zeichenformen bestückt ist und dies zum Prinzip erklärt).

    Lies bitte auch den nächsten Beitrag FF Hands – die ganze Wahrheit (inkl PDF-Download)

  9. Gerrit van Aaken

    Ach, schön! Als Hausschrift für eine ganze Insel (Spiekeroog) sehe ich jedes Jahr jede Menge „Hands am Stück“. Und auf die Nerven geht das tatsäch­lich immer noch nicht…

  10. K. E.

    Betrifft die letzte Zeile des vierten Absatzes – das heißt: Besser ein One-Hit-Wonder als gar kein Wunder!

    Stephen King ist nämlich einer der Autoren, die fast nichts selbst geschrieben haben – das Schreiben erle­digen schon lange Ghostwriter, die auch für Kings Publikationen unter diversen Pseudonymen verant­wort­lich zeichnen. Oder habt ihr euch noch nie gefragt, wie der eine Autor fast jähr­lich ein neues Werk (manchmal auch mehrere Werke!) heraus­bringen kann und der andere dafür oft bis zu sieben Jahre benötigt?

  11. K. E.

    Kleiner Verbesserungsvorschlag für einen ohnehin gut gelun­genen Blog!

    Unter „Kommentar bear­beiten“ sollte auch eine Löschfunktion vorhanden sein, sodass man zumin­dest im Korrekturzeitraum eine Deleatur durch­führen kann!

    Freundlich
    K. E.

  12. Silbia

    Das wär nicht schlecht!

  13. kalle

    Brauchen wir ein Handschriftreform :-)

  14. Helge W. Steinmann

    Finde auch die alte Variante hat mehr „Soul”…;-).

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