Neville Brody ans Royal College of Art berufen

Der welt­weit ange­sehen briti­sche Designer Neville Brody, unter anderem Mitbegründer von FontShop International, der FontFont-Schriftbibliothek und der TYPO Berlin, wurde als Leiter des Fachbereichs Communication Art & Design ans Londoner Royal College of Art (RCA) berufen. Er wird diese Position zum 1. Januar 2011 antreten.

Es gab im Netz wilde Spekulationen während der letzten Woche zu dieser Personalie. Am Montag schließ­lich wendete sich der Rektor des RCA, Dr. Paul Thompson, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Brodys Berufung bestä­tige die Verpflichtung seiner Hochschule, die Chancen und Herausforderungen der sich rasend schnell entwi­ckelnden Disziplin des Kommunikationsdesigns im 21. Jahrhundert anzunehmen.

»Neville Brody ist sowohl ein eloquenter Fürsprecher als auch ein glän­zender Praktiker.« begründet Thompson die Entscheidung für den neuen Leiter. »Sein Talent erstreckt sich über viele Disziplinen – von den klas­si­schen Drucksachen und der Typografie über Online-Medien und Motion-Graphics bis hin zu Packaging und Corporate Design. Er ist einer der einfluss­reichsten Designer seiner Generation und verkör­pert auf perfekte Weise den inter­dis­zi­pli­nären Ethos unseres Fachbereichs Communication Art & Design.«

Obwohl ihn sein Designbüro Research Studios voll in Anspruch nimmt, hatte Brody stets großes Interesse an der Designausbildung und dem Nachwuchs. Davon zeugen zum Beispiel seiner Unterstützung des Student-FUSE-Projekts Anfang der 90er Jahre, die FUSE-Konferenzen (inkl. FUSElab) und die vielen Vorträge, die er an Hochschulen in aller Welt hielt. Auch die Idee, ein Drittel der TYPO-Konferenzkarten vergüns­tigt an Studenten abzu­geben, stammt von Brody, denn die TYPO basiert auf dem Grundstein, den er mit seiner legen­dären FUSE 1995 in Berlin legte.

»Die Berufung ans RCA ist eine Ehre und eine große Herausforderung für mich.« sagt der Designer über seinen neuen Job. »Das Royal College ist ein Qualitätszentrum für Kunst und Design, die Geburtsstätte für alle Disziplinen der visu­ellen Kommunikation. Ich freue mich darauf, das tiefe Verständnis des RCA für Geschichte, Handwerk und Sachkenntnis mit einer dyna­mi­schen, aktu­ellen und forschenden Herangehensweise zu verknüpfen, um Kunst und Kommunikation weiter zu bringen.«

Was können wir in Deutschland von London lernen? Ich habe Johannes Erler gefragt, Gründer von Factor Design in Hamburg und Professor an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur. Er bewertet die Nachricht aus dem Royal College so: »Eine bedeu­tende Hochschule wirbt mit der Ernennung eines bedeu­tenden Designers und stellt damit einen direkten Zusammenhang zwischen fundierter Ausbildung und Relevanz von Design in unserer Zeit her!« Er wisse zwar nicht, welches Verfahren zu dieser Entscheidung geführt habe, aber allein das Ergebnis sei erfri­schend konse­quent und logisch. Die Meldung mache ihm Mut, aber kann sie ein Vorbild für Deutschland sein? »Ein Zeichen, ein Symbol dieser Art kann ich hier nicht erkennen. Jedenfalls erin­nere ich mich nicht an eine vergleich­bare Meldung. Die Auswahlverfahren bei uns sind gruselig. Und die Arbeitsbedingungen für Professoren verschlech­tern sich zuse­hends.« (Abbildungen: Marc Eckardt, Research Studios)


30 Kommentare

  1. Johannes

    Vielleicht noch ein Nachtrag zu meinem Kommentar: irgendwie hört sich das alles ja so ein biss­chen wie beim Fußball an. Ein neuer Trainer wird gesucht. Es gibt wilde Spekulationen. Die Sache zieht sich. Und plötz­lich zieht der Präsident des Vereins den Supertrainer aus dem Hut. Und ist wahn­sinnig stolz. Und die Fans staunen und sind glücklich.

    So ist die Sache hier auch aufge­macht. Und so hat sie Sexappeal.
    Wie gesagt: in Deutschland wäre das undenkbar. Da steht erstmal die Verwaltung vor der Sexiness. Und dann die Quote und der Proporz. Und die Angst vor der mutigen Entscheidung. Und die Angst vor den Stars. Das ist bisweilen schon ziem­lich traurig. Und bedenk­lich ist es auch. Weil sich diese Haltung natür­lich auf die Studierenden und letzt­lich auf die gesamte Branche überträgt.

    Wir brau­chen mehr Licht und mehr Luft und vor allem auch ein biss­chen mehr Glamour an den Schulen. Statt dessen gibt es W2 und entwür­di­gende Diskussionen über Nebentätigkeiten. Da würde sich schon der Satz »Obwohl ihn sein Designbüro Research Studios voll in Anspruch nimmt…« auf der gefühlten Grenze zur Illegalität bewegen.

  2. HD Schellnack.

    Ausgezeichnet. Sehr passend, dass Wozencroft ja auch am RCA Senior Tutor ist, Wozencrofts Texte für «The Graphic Language …2» sind klasse.

  3. Indra

    Naja, Ende des Abendlandes ist die deut­sche Hochschullandschaft ja nun auch nicht gerade. Es gibt sehr wohl einige renom­mierte Designer unter den Hochschullehrern. Allerdings, da hast Du Recht Johannes, werden Besetzungen hier­zu­lande selten an eine so große Glocke gehängt.
    Hochschulen sehen das mitunter als Mischkalkulation. Wenn man große Stars mit gut gehendem Büro an Bord holt, ist das viel­leicht Glamour und gute PR, aber man muss damit rechnen, dass sie ihren Wohnsitz wohl eher nicht verlegen, wenig an der Hochschule sind und vor allem in der Selbstverwaltung wahr­schein­lich nicht extremes Engagement zeigen. Der Arbeitsaufwand in diesem Punkt ist in Deutschland nicht zu unterschätzen.

    Die Stelle in London muss entweder sehr begehrt gewesen sein, oder es wurden gezielt große Köpfe ange­spro­chen: “… those also in the running included Quentin Newark, Rick Poynor, illus­trator and head of Kingston’s School of Communication Design Lawrence Zeegen; St Martins tutor Andrew Haslam; desi­gner Cornel Windlin; and designer/writer William Holder” (Zitat Creative Review).
    Dort, auf dem CR-blog, tobt zu der Meldung eine anschei­nend stel­len­weise sehr heiße Diskussion, zumin­dest wenn man die »Hitzigkeit« an der Anzahl vom Moderator gelöschter Kommentare festmacht.
    Gegen Rick Poynor hätte ich zuge­ge­be­ner­maßen auch nichts einzu­wenden gehabt.

  4. rebus

    warum sind beru­fungs­kom­mis­sionen zumin­des­tens in deutsch­land eigent­lich immer nur hoch­schul­in­tern besetzt? wenn diese zur hälfte aus externen bestünden, könnte viel eher gewähr­leistet werden, dass vor allem die qualität des bewer­bers entscheidet und keine fragen ins spiel kommen wie: »wird der mich hier über­strahlen?«, »hat der inhalt­lich mir genehme standpunkte?«.

  5. Johannes

    @ rebus: tja…

  6. Indra

    In den meisten Kommission, zumin­dest denen, die ich kenne, ist auch ein externes Mitglied dabei. 1 zu 2–3 internen Profs. finde ich keinen so schlechten Schnitt, immerhin muss die Person ja zur betref­fenden Hochschule passen und wird nicht nur aufgrund seiner Designpreise ausgewählt.
    Zudem gibt es ja auch noch externe Gutachter, die unab­hängig die Kandidaten der engeren Wahl beur­teilen. Inzwischen können auch die meisten Hochschulen selber über ihre Berufungen entscheiden und müssen nicht das Ministerium auswählen lassen.

  7. Benjamin Hickethier

    Ich kann Indra (3.) nur zustimmen. Auch in Deutschland gibt es etliche Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen mit ›großen Namen‹. Natürlich ist Prestige nicht immer das wich­tigste Qualitätskriterium zur Beurteilung von Forschung und Lehre. Zum Glück.

    Und es ist auch leicht, die Ermangelung der Berufung eines ›ähnli­chen Stars‹ in Deutschland zu beklagen, eine Ernennung, die ›ein Zeichen, ein Symbol dieser Art‹ sein solle. Eine ähnlich spek­ta­ku­läre Stellenbesetzung würde eine Person erfor­dern, mit dem Stellenwert, dem Werk und dem erfah­rungs­ver­mit­telnden Anspruch von Brody. Wer sollte das sein?

  8. Dan Reynolds

    Eine ähnlich spek­ta­ku­läre Stellenbesetzung würde eine Person erfor­dern, mit dem Stellenwert, dem Werk und dem erfah­rungs­ver­mit­telnden Anspruch von Brody. Wer sollte das sein?

    Uhh… wouldn’t that be Erik Spiekermann? He has already been an hono­rary professor in Bremen for several years. And he teaches at the UdK in Berlin, too. In fact, both his XING-Profile and the UdK website list him as a professor there. So, it seems to me that world-class desi­gners are teaching in Germany at good univer­si­ties as profes­sors, too. What’s the difference?

    (sorry for the English-language post :( I have a weeklong work­shop this week, and am really tired…)

    Edit:
    Und bevor wir eine lange Diskussion anfangen, wer der bekann­tere Designer ist, sage ich lieber im Voraus, dass ich Grafikdesign in den 90ern in den USA studierte… und ich wüsste wer Erik Spiekermann war schon lange vor ich von Brody zum ersten Mal hörte. Nichts gegen Brody! I just have to represent…

  9. Christoph

    Viel inter­es­santer ist doch: warum fragt eigent­lich niemand die Studenten, wen sie gern als neuen Professor hätten? (Weimar lassen wir mal aussen vor: http://​brug​-halle​.de/​2​0​1​0​/​0​1​/​w​a​s​-​i​h​r​-​w​o​l​lt/ )
    Und jetzt braucht hier keiner die studen­ti­schen Beisitzer zu erwähnen. Deren Stimmrecht steht ja wohl in keinem Verhältnis zur Professorenschaft.

  10. HD Schellnack.

    Soweit ich weiß, arbeiten ziem­lich viele namhafte Designer an Hochschulen, soweit ihr Alltag es zulässt. Namhaft für deut­sche Verhältnisse, wo – da hat Dan 100% Recht – Erik sicher der unan­ge­fochten Bekannteste ist. Wobei niemand in Deutschland den Popstar-Status von Neville Brody hat – der in England zumin­dest für eine Zeit lang einfach auch ein Name war, den halb­wegs einge­weihte «normale» Menschen kennen, die nicht aus der Branche kommen, so wie man ja auch mal den Namen eines bekannten Photographen oder Architekten kennt. In Deutschland gibt es diesen medialen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung durch «normale» Publikationen, TV usw. eigent­lich kaum, es gibt keinen Popstar-Designer, keinen Jamie Oliver der Typographie :-D

  11. Indra

    Erik ist ein Popstar. Und er ist auch eini­ger­maßen bekannt in Nicht-Fachkreisen. In den anderen Kreisen kommt es eben darauf an, worauf man den Fokus legt.
    Was ist mit Fons Hickmann, Andreas Uebele, Eike König, Atak/Georg Barber, Fred Smeijers, Klaus Hesse, Uwe Loesch (okay, viel­leicht haar­scharf an der Pension vorbei), Anna Berkenbusch, Rudi Baur, Alessio Leonardi, Sascha Lobe, Markus Dreßen, Ralf de Jong, Andrea Tinnes, Joachim Sauter, Sven Voelker, Gerwin Schmidt, Wim Westerveld … und das sind jetzt nur mal die, die mir zur nächt­li­chen Stunde gerade in den Sinn kommen.

  12. thomas junold

    du selbst liebe indra bist ja keine unbe­kannte. :) es ist ja nicht nur, dass uns die pop-stars fehlen, es werden auch nicht-pop-stars, aber mehr als fähige gestalter&persönlichkeiten nicht korrekt an die schulen berufen, wenn ich da an den HD denke. ja ich weiss, du hast wie immer keine zeit, aber ernst­haft deine begeis­te­rung und fähig­keit zu denken und das anschlies­send zu kommu­ni­zieren ist NUR in einer agentur echt zu begrenzt aufge­hoben, blog hin oder her. du gehörst vor studenten.

    es ist glaube ich viel­mehr so, dass lehre ein wenig unsexy zu sein scheint aus sicht der lehrenden oder der, die sich grund­sätz­lich dafür inter­es­sieren. die anreize seitens der ausbil­dungs­stätten sind begrenzt.

  13. verena

    Es ist einfach eine Zeitfrage. Irgendwann steht man vor der Entscheidung: Lehre oder Kunden und »reale« Projekte. Ich selbst hatte beides parallel gemacht. Und musste zugeben: es geht nicht. Jedenfalls nicht auf höchstem Niveau in beiden Bereichen. Im einen muss man sich den StudentInnen verpflichten und hat eine Verantwortung, die viele leider nicht so richtig ernst nehmen. Im anderen muss man flexibel sein und kann nicht sagen »oh, da kann ich nicht, da muss ich unter­richten. Müsst ihr halt auf Euren neuen grafi­schen Auftritt noch etwas warten«.
    Ich habe mich jetzt für die die Praxis entschieden, da ich da auch mehr Freiheiten, als im Hochschulapparat habe. Und auch spielt das Ego eine Rolle, wenn man sich mit eigenen Projekten auf dem Markt beweisen kann. Was bei gleich­zei­tiger Professur nur mit Abstrichen ginge.
    Aber ich glaube Stars, die schon alles erreicht haben und auch den Markt kennen wären super für die Hochsschulen. Dann wird aber wieder gemault, dass sie den Jungen die Plätze wegnehmen und das sie Allüren hätten.
    Lasst doch alles einfach wie es ist. Oder gründet ein Royal College in Deutschland. Da ist eh alles anders.

  14. stefano picco

    Da denkt man ja glatt nach sich noch einmal ein zu schreiben … und mal eben nach England zu ziehen :P

  15. alex

    hallo,

    es für mich scho­ckie­rent wie sehr ihr euch alle über namen unter­haltet. warum nicht über lehr­in­halte, forschung und visionen? viele leute die sich für profe­so­ren­stellen bewerben denken kaum an die studenten, größ­ten­teils nur um ihre absi­che­rung und dem vita gegen­über eines auftrags­ge­bers. an den soge­nannten elite design­hoch­schulen deutsch­lands werden zukünf­tige profes­soren anhand der schön­heit ihrer websiten ausge­wählt und vettern­wirt­schaft wird vor forschungs­an­setzen gestellt. ich bin mir bewusst das büro­kratie es vielen design­hoch­schulen schwer­macht neue wege zugehen. doch wenn wir alle nur nach namen entscheiden und nicht nach einer gewissen haltung zur lehre wird es keine entwick­lung geben.

    viel­leicht ist es eine sehr naive einstel­lung von mir, doch wir stehen vor einem grossen umbruch (Bologna-Prozess / neube­set­zungen von alt profes­so­ren­stellen). und ich glaube viele schulen verlieren mit ihrer visi­ons­lo­sig­keit den anschluss an schulen in holland / schweiz und england.

  16. Johannes

    um das noch mal deut­lich zu machen: es ging mir gar nicht so sehr darum zu bemän­geln, dass es nicht genug gute und namen­hafte gestalter an den schulen gibt. ich muss auch aufpassen, nicht immer nur zu meckern und auf das bessere in anderen orten zu verweisen. auch ist vieles von dem, was indra geschrieben hat, voll­kommen richtig (»misch­kal­ku­la­tion«, zusam­men­stel­lung der kommis­sionen etc.). und klar (@ alex): vor allem geht es immer noch um inhalte.

    was mich an der neville-meldung jedoch so reizt, ist die opti­mis­ti­sche, vorwärts­ge­wandte art. dieses unbe­dingt wollen. dieses wuchern mit pfunden.

    auf den gängen des rca sieht es wahr­schein­lich genauso aus, wie in allen gestal­tungs­schulen dieser welt. und die gremi­en­ar­beit wird auch nicht anders sein, als in detmold. und dennoch klingt das gut und begeh­rens­wert und nach aufbruch. und es setzt eine haltung voraus, die einen dies auch so einfach auspre­chen lässt. eine popu­läre und trotzdem intel­li­gente haltung. womit wir wieder beim pop wären. womit sich der brite bekannt­lich etwas leichter tut.

    dass der alte punk­so­zia­list brody nun chef vom royal collage of art ist, scheint in england nur logisch. wenn aber der ehema­lige sponti joschka in zukunft als herr fischer bmw berät, dann ist das in deutsch­land verrat an der sache.

  17. alex

    hey johannes,

    man muss auch bedenken das es in england eine meinung gibt, dass RCA hätte stark an qualität verloren. aber trotzdem gab zum dies­jäh­rigen term drei­fach soviele bewerber wie in den jahren vorraus (was aber scheinbar an der wirt­schafts­krise und dem bolgana-prozess liegt).

    ich selbst habe unter drei RCA absol­venten studiert und dies hat meinen horri­zont sehr erwei­tert. erstaun­lich ist da auch die starke vernet­zung, was auch den wich­tigsten punkt für ein studium am RCA ausmacht. eine starke alumi arbeit.

    eine beein­dru­ckende person ist für mich james goggin (www​.prac​tise​.co​.uk), welcher derzeit in holland in arnhem / Werkplaats und in der schweiz ECAL unter­richtet. (inter­es­santes konzept – unterichten an mehrern hochschulen)

    derzeit sind mir in deutsch­land 2 RCA absol­venten als profes­soren bekannt:

    http://​www​.fbg​.​h​-da​.de/​p​e​r​s​o​n​e​n​/​p​r​o​f​e​s​s​o​r​e​n​/​f​r​a​n​k​-​p​h​i​l​i​p​p​in/
    Hochschule Darmstadt – prof. frank philipin

    http://​www​.hgb​-leipzig​.de/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​a​=​p​e​r​s​o​n​&​b​=​m​i​t​a​r​b​&​i​d​=​2​0​7​&​amp;
    HGB Leipzig – prof oliver klimpel

    beide sind sehr inter­es­sant für mich.

  18. Florian Pfeffer

    ICH OUTE MICH JETZT ALS OPTIMIST, ZUKUNFTSGEWANDT UND GLÜHENDER VERFECHTER DER HOCHSCHULLANDSCHAFT IN DEUTSCHLAND!

    (und entschul­di­gung für die HD-artigen ausmaße meines posts – aber hier geht es um eine angel­gen­heit des herzens).

    ich bin seit nunmehr 13 jahren an hoch­schulen tätig – in den usa, im libanon, in groß-britan­nien, italien und in deutsch­land (und ebenso in der praxis mit unserem design­büro one/one in amsterdam und berlin). ich war gast­pro­fessor, gast­vor­tra­gender, work­shop­leiter und bin nun seit nunmehr 3,5 jahren als ordent­li­cher professor an der hfg karls­ruhe tätig. ich habe durch unser projekt :output als jury­mit­glied in den vergan­genen 13 jahren ca. 12.000 studenten-projekte aus aller welt (ca. 80 länder) ansehen und beur­teilen dürfen.

    aus dieser erfah­rung heraus kann ich sagen, dass es in deutsch­land eine ausser­or­dent­lich hohe qualität in der design­aus­bil­dung gibt, die sich mit allen – ich wieder­hole: MIT ALLEN! – ländern messen kann. die qualität ist dabei in den vergan­genen jahren enorm nach oben ange­stiegen. viele der inter­es­san­testen arbeiten kommen heute aus hoch­schulen, sodass sich die „profis“ anstrengen müssen, um mithalten zu können.

    hier nur ein beispiel: http://​www​.open​-output​.org/​K​a​t​r​i​n​S​c​h​a​c​k​e​4​9​/​p​r​o​j​e​c​t​/​594

    aus diesem grund haben mitt­ler­weile sowohl der red dot award als auch der if-award studen­ten­ka­te­go­rien einge­richtet (jahre nachdem wir mit :output den anfang gemacht haben). das geht so weit, dass in manchen jahren die „best of the best“ preise beim red dot zu einem über­wie­genden teil aus hoch­schul­ar­beiten bestehen.

    man muss aber dabei berück­sich­tigen, dass es in deutsch­land keine elite-hoch­schulen gibt, die wie ein leucht­turm aus allen anderen heraus­ste­chen würden (wie beispiels­weise das RCA in london oder Yale, CalArts, Cranbrook, RISDI in den USA). nebenbei: das ist aber nicht nur negativ. man kann in deutsch­land (zumin­dest noch) eine sehr, sehr gute design­aus­bil­dung bekommen ohne 80.000 $ dafür zahlen zu müssen.

    es stimmt, dass heraus­ra­gende studen­ten­ar­beiten aus deutsch­land meist etwas anders aussehen, als die aus anderen ländern: inhaltlich/konzeptionell fundiert, sorg­fältig durch­ge­ar­beitet, typo­gra­fisch oftmals sehr, sehr gut … aber – im vergleich zu den nieder­landen beispiels­weise – nicht so humorvoll/überraschend/witzig/spritzig oder nicht so plakativ wie in den USA. das passt aber ganz gut auf den deut­schen markt (der auch nicht so viele witzig/spritzige auftrag­geber hat wie die nieder­lande). die frage ist nur: ist das so schlecht einen eigenen charakter zu haben?

    das ausschlag­ge­bende für die qualität eines studiums ist im übrigen nicht die bekannt­heit der profes­soren, sondern die frage ob studie­rende und lehrende in der lage sind, aus einem belie­bigen hoch­schul­ge­bäude einen magi­schen ort zu machen. magisch im sinne der verwand­lung von menschen. studieren ist keine tech­ni­sche ange­le­gen­heit und hat auch nicht alleine eine berufs­aus­bil­dung. es geht viel­mehr um eine grosse chance im leben, selber der eigenen persön­lich­keit eine form geben zu können (also eine design­auf­gabe an sich).

    studi­en­struk­turen spielen dabei eine zentrale rolle, weil sie einen direkten einfluss auf die art und weise haben, wie lehrende und studie­rende zusammen arbeiten können (bachelor lässt grüssen).

    und zuletzt noch, weil mich so etwas wirk­lich aufregt:
    wer hier schreibt, dass professor/innen sich nicht um ihre studenten kümmern, sondern nur um ihr einkommen; dass sie nach der schön­heit ihrer website einge­stellt werden, und vettern­wirt­schaft vor forschungs­an­sätze gestellt werden, muss dafür belege auf den tisch legen – und nicht einfach im internet behaup­tungen aufstellen! dass man im internet einfach alles rein­schreiben darf, heisst nicht, dass man das auch muss. bitte lasst doch diese vorur­teile lieber weg.

    ich lade alle ein, die sich für eine opti­mis­ti­sche hoch­schule inter­es­sieren, an die hfg in karls­ruhe zu kommen.

    wir sind so zukunfts­ge­wandt, dass wir uns aktiv um die studen­ten­ge­nera­tion von morgen kümmern (ohne das laut irgend­eines lehr­planes zu müssen, sondern weil es wichtig ist): http://​www​.oh​-camp​.de

    ich mache für gäste in karls­ruhe gerne führungen, infor­miere über unser studi­en­kon­zept, zeige arbeiten und setze mich mit kritik ausein­ander. man kann aber auch inko­gnito zu uns kommen und sich auf dem gang den o-ton derer anhören, für die das alles am ende veran­staltet wird: der studenten. da haben wir keine angst vor …

  19. Johannes

    @ florian: :-))

  20. thomas anderson

    mal ehrlich: Andreas Uebele, Eike König, Atak usw. kennt doch kein normaler deut­scher bürger. diese desi­gner kennen ja kaum design­stu­denten anderer ausrichtungen.

    @ verena: „muss man flexibel sein und kann nicht sagen »oh, da kann ich nicht, da muss ich unterrichten.“
    das ist genau die einstel­lung, die das berufs­bild desi­gner immer weiter zerstört. flexi­bi­lität bis zum umfallen, keine normalen arbeits­zeiten, sklave der entschei­dungen der kunden, die sie ja immer weiter aufschieben können, weil wir ja sooo flexibel sind.
    das muss endlich mal aufhören. flexibel und schnell: ja.
    über­stunden und nacht­schichten, weil kunden einfach keine verbind­li­chen entschei­dungen reffen: nein.

  21. verena

    @thomas
    Na dann lass es eben. Die Überstunden wirst Du aber genauso beim Unterrichten haben. Weil einem nämlich alles so viel Spaß macht und man selbst soviel dabei lernt.
    Ehrliche Frage an alle, die beides machen: Könnt Ihr das wirk­lich beides unter einen Hut bringen, ohne dabei die eigene Gesundheit zu ruinieren? Oder das noch vorhan­dene Privatleben? Oder dass Ihr den StudentInnen oder den Kunden und Projekten (die mich übri­gens nicht versklaven, und die ich meis­tens auch mag) kein sauschlechtes Gewissen gegen­über habt, da Ihr einen von beiden (bzw. ca 60) jeweils zurück­stellen müsst?

  22. alex

    hey florian,

    danke für den ausführ­li­chen post.
    und ich denke auch das die hfg karls­ruhe eine ausge­zeich­nete ausbil­dung ermög­licht. ich habe dort zwei tolle kongresse erlebt (commu­ni­ca­tions next und design blast) die mich stark beein­flusst haben (z.b. die vorträge von daniel eatock und teal triggs). und ich wünschte mir es würden mehr hoch­schulen davon geben. (schon allein die begrenzt­heit der lehr­tä­tig­keit finde ich interessant)

    ich wollte nur mit meiner aussprache ein problem anklingen lassen, was auch­nicht an uns studenten vorbei geht! wo es auch von dieser art noch einige mehr gibt.
    ich habe nun schon mehrere bewer­bungs­ver­fahren mit bekommen, war einmal als studen­ti­scher vertreter in einer auswahlskom­mis­sion (mir war dabei so als wäre ich nur fürs papier dabei gewesen) und habe bestimmt an die 30 bewer­bungs­ge­spräche gesehen. (für die belege: offen­bach, darm­stadt, weimar, leipzig, augs­burg, detmold)

    ich habe wolf­gang wein­gart und peter von kornatzki vor einem jahr gefragt was sie von der derzei­tigen lehre halten. sie sagten es gibt keine rich­tigen lehrer mehr (ok, sind auch vom alten schlag), trotzdem war ich darüber sehr scho­ckiert. dabei haben beide 30 jahre jeweils gesichter von hoch­schulen geprägt.

    einwas inter­es­santes kam von WW…warum man nicht eine schule/studiengang für die lehre von gestal­tung einrichten.

    einen buch­tipp möchte ich gern noch geben.
    „design­lehren- wege deut­scher gestaltungsausbildung“
    von Kai Buchholz und justus theinert
    (ist auch sehr schön gestaltet von bernd meissner aus basel > http://​www​.office​for​de​sign​.ch)

    http://​www​.amazon​.de/​D​e​s​i​g​n​l​e​h​r​e​n​-​d​e​u​t​s​c​h​e​r​-​G​e​s​t​a​l​t​u​n​g​s​a​u​s​b​i​l​d​u​n​g​-​K​a​i​-​B​u​c​h​h​o​l​z​/​d​p​/​3​8​9​7​9​0​2​729

  23. rebus

    was soll das heißen, es gäbe keine »rich­tigen lehrer« mehr? da fehlt mir der inhalt in der kritik. »rich­tige lehrer« klingt für mich auch nicht nach menschen, die wir uns im fb design wünschen sollten.

  24. Indra

    Florian, das ist ein tolles Plädoyer. Dürfen wir Dich zum Sprecher der deut­schen Designhochschullehrer machen?

    Thomas Anderson: Meine Mutter (Schneiderin i.R.) weiß weder wer Uebele, noch wer Neville Brody ist. Ob ich Arbeiten und Protagonisten aus einem benach­barten Fachgebiet kenne, ist eine Frage des persön­li­chen Interesses am Blick über den Tellerrand. Vielleicht fehlen uns aber auch die Orte, brei­ten­wirksam über unsere Zunft zu schreiben. (Hatten wir ähnlich vor ein paar Tagen bei der Diskussion über Musikkritik.)
    Über die Niederlegung und Wiederbesetzung der Professur von Neo Rauch oder dem Rektorwechsel an der Akademie in Düsseldorf waren die Feuilletons voll.

    Verena: Nein, ich zumin­dest schaffe es nicht, ein Büro am Laufen zu halten, schöne Aufträge zu akqui­rieren oder auch nur eigene Projekte endlich mal fertig zu machen, wenn ich halb­wegs enga­giert einer vollen Lehrerstelle nach­kommen möchte. Das denkt/wünscht man sich von außen einfa­cher. Vielleicht wird das auch irgend­wann wieder anders, wenn ich nicht mehr Fachbereichsleiter bin und wir so ausgiebig Studienstrukturen umbauen müssen. Aber Projektstudium im Design ist eben auch was anderes, als jedes Semester die gleiche Mathevorlesung zu halten.

    Alex: Deine krea­tive Rechtschreibung macht mir das Lesen stel­len­weise ziem­lich schwer. Vielleicht bin ich zu pingelig was Satzfehler u.ä. betrifft. Aber ich finde, einen Text halb­wegs ordent­lich zu schreiben (im Sinne von tippen) gehört für Grafik-Designer auch dazu.

  25. Thomas

    @Indra: „Aber ich finde, einen Text halb­wegs ordent­lich zu schreiben (im Sinne von tippen) gehört für Grafik Designer auch dazu.“

    Na, dann bring doch auch noch deinen fehlenden Bindestrich rein. SCNR :-)

  26. Wilhelm Opatz

    …In seinem Tatendrang kaum zu bremsen, eilte er von einer Aufgabe zur nächsten, und das oft am selben Tag: vom Studio in Gustavsberg auf einer Schäreninsel vor Stockholm zur Kunsthochschule in der Innenstadt, an der er lehrte; von dort zu seiner spät an Polio erkrankten Frau und den drei Kindern, für die er mittags kochte, und wieder zurück in die Werkstatt. Eben noch vor den Brennöfen der Keramikfabrik gesichtet, schaute er kurz darauf in der Küche des ange­sagten Operakällaren vorbei, um Ideen für ein neues Restaurantgeschirr zu besprechen….

    Stig Lindberg (1916 – 1982)

  27. verena

    @Wilhelm
    Das ist toll! :-)

  28. Wilhelm Opatz

    ja verena, das war wohl ein außer­ge­wöhn­li­cher Typ, denn ‚Unter Kollegen und Studenten hatte er den Ruf, immer unter Strom zu stehen.‘ (AD, MAI ’09, Seite 72–74)

  29. bene

    Ich finde den Rüdiger Goetz sehr geil, der vermit­telt CD und Marken-Strategien
    an der FH Wiesbaden (jetzt Hochschule RheinMain).

  30. Daniel

    Felix Scheinberger – FH Wiesbaden.

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