Emoji Chinesisch – müssen wir das lernen?
Gasteditorial von Jochen Gros
Als Designer und Designtheoretiker reflektiert Jochen Gros seit 1974 verschiedene Entwicklungen der »Do-it-Yoruself«-Kultur, zunächst im Rahmen der Des-In-Gruppe mit selbst gebauten Möbeln aus Abfallmaterialien. Seit 1994 als Gründer des C-Labors und Initiator von Newcraft mit Enwürfen für die handwerkliche Fertigung durch computergesteuerte Maschinen, und seit dem Ausscheiden aus der HfG Offenbach 2004 nicht nur mit Icons im Stil von Handschrift, sondern nun auch mit dem Versuch einer digitalen Reanimation von Handschrift, d. h. einem alten grafischen Inbegriff des Selbermachens. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Jochen Gros auch mit der visuellen Kommunikation mittels statischer Symbole (Icons) und animierter Symbole (Movicons).
Prof. Gros ist Autor verschiedener Bücher und veröffentlicht seit 1976 in Fachzeitschriften wie form, Domus, Page etc. Auch im Fontblog meldet er sich nicht zum ersten Mal zu Wort.
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In dem Buch Die Schrift: Hat Schreiben Zukunft? prophezeit Vilém Flusser bereits 1993 ein neues “Universum der technischen Bilder” und dafür war er sogar bereit, das Alphabet aufzugeben. So weit sind wir natürlich noch lange nicht. So weit wird es nie kommen. Und doch:
1. Stellen Sie sich vor, Sie schreiben eine Email, einen Geschäftsbrief, was auch immer, und bei bestimmten Wörtern wird jedesmal angezeigt, dass sie auch durch Emoji zu ersetzen sind.
Wer älter als 13 ist, muss das nicht unbedingt cool finden. Aber genau so funktioniert inzwischen die ganz normale chinesische Texteingabe. Wer hier zum Beispiel “che” (Auto) tippt, der erhält zunächst ein Pop-up Menü mit synonymen Schriftzeichen und dazu gehören jetzt auch Emoji, Seite an Seite und gewissermaßen auf Augenhöhe mit den klassischen Schriftzeichen.
Na gut, könnte man jetzt sagen, die Chinesen erhalten ohnehin bei jedem Wort zunächst ein Pop-up Menü mit synonymen Zeichen, einfach weil es in ihrer Sprache so viele davon gibt. Und da kommt es wohl auf ein weiteres, anscheinend gleichbedeutendes Bildchen auch nicht mehr an. Unsere Textverarbeitung dagegen funktioniert doch ganz anders, und da kann der Kinderkram sicher nicht so weit ausufern. Sie werden sich noch wundern.
2. Stellen sie sich vor, Sie schreiben auf dem iPad, wie gewohnt, einen Text, und einzelne Wörter erscheinen automatisch im Highlight. Damit zeigt das Programm an, dass man nur mit dem Finger auf ein solches Wort tippen muss und es verwandelt sich, Sim Sala Bim, in ein Emoji. Zukunftsmusik? Nein, genau so funktioniert die Texteingabe bei Apple in dem neuen iOS 10 Messenger.
3. Und stellen Sie sich dann auch noch das umgekehrte Verfahren vor: Bestimmte Wörter erscheinen gar nicht erst im Highlight, sondern werden, quasi ohne uns zu fragen, sofort durch ein Bildchen ersetzt. So können wir das Wortbild zwar nicht wählen, aber immerhin mit einem Sonderzeichen (#) wieder abwählen. Das allerdings ist nun doch Zukunftsmusik. Gleichwohl kann man das Verfahren bereits mit einem experimentellen Font ausprobieren, mit Emoji English.ttf (1).
Fassen wir zusammen: Alle drei Beispiele, und am Ende kommt noch eins dazu, illustrieren eine Art Paradigmenwechsel: Emoji werden nicht mehr in Menüs angeboten, sondern mit Wörtern in den Text eingeschrieben. Das ist in der Tat unschlagbar praktisch, hat aber auch weitreichende Konsequenzen. Nichts für eingefleischte Ikonoklasten.
Emoji-Typing mit Risiken und Nebenwirkungen
Das neue Verfahren, kurz Emoji-Typing, funktioniert natürlich nur, wenn man Wörter definitiv mit mehr oder weniger gleichbedeutenden Bildchen assoziiert. Und das wiederum führt mit der Zeit, fast wie in einer Muttersprache, zu einem, wenn auch nur partiellen Vokabular wohldefinierter Wortbilder. Einen Vorgeschmack darauf vermittelt zum Beispiel ein Emoji namens “Freudentränen”, das es immerhin schon zum Wort des Jahres 2015 gebracht hat (2). Wer jetzt also regelmäßig Wörter durch bestimmte Emoji ersetzt, der entwickelt nach und nach so etwas wie eine alphabetische und visuelle Zweisprachigkeit mit jeweils unterschiedlichen Emotionen und Konnotationen.
Gäbe es einen Plan dahinter, abgesehen vom praktischen Vorteil, es wäre die zusätzlich Einführung einer neuen Bilderschrift. Aber auch heute schon ist infolge zunehmend praktikabler Verfahren durchaus zu befürchten, dass immer mehr Wörter durch kindliche Emoji ersetzt werden. Und was sollen wir dann machen, wenn wir uns von den infantilen Bildchen belästigt fühlen, die Freunde und Partner uns andauernd zusenden? Müssen wir die wörtliche Bedeutung der uns aufgedrängten Emoji dann am Ende auch noch erlernen? Hier gibt es wohl nur zwei Möglichkeiten: Entweder man zettelt einen gewaltigen Aufstand gegen den ganzen Kinderkram an, oder man versucht “das Beste” daraus zu machen. Doch einerlei, wie man sich entscheidet, die zu Grunde liegende Technologie kann keiner mehr außer Acht lassen und schon gar nicht ihre fantastischen Möglichkeiten.
Und warum eigentlich können Emoji nicht auch ganz anders aussehen?
Für eine Befürchtung immerhin, die zunehmende Infantilisierung, gibt es womöglich einen Lichtblick. Wenn wir den Begriff Emoji nämlich nicht nur an den derzeitigen Beispielen dafür festmachen, wenn wir vielmehr von der japanischen Übersetzung ausgehen, von “e” Bild und “moji” Schriftzeichen, dann kommen heute nicht immer mehr Emoji auf uns zu, sondern neue Schriftbildzeichen. Und als solche wird man sie wohl – analog zu den alphabetischen und chinesischen Schriftzeichen – früher oder später ebenfalls in typografischer Vielfalt und für unterschiedliche Zielgruppen gestalten. Vielleicht gibt es dann auch “Emoji” für Erwachsene.
In der Praxis sieht das zunächst einmal so aus: Apple zum Beispiel integriert ab iOS 10 auch Emoji und Sticker von Fremdanbietern in seinen iMessenger. Und dafür gibt es nur einen Grund: typografische Vielfalt. Die Bandbreite der Emoji Gestaltung wäre dann aber auch noch mit einer ganz anderen Art von Schriftbildzeichen zu erweitern, mit Piktogrammen und Icons. Auch die haben ja in der Regel, und trotz vieler grafischer Varianten, eine nicht nur bei “Mann” und “Frau” wörtlich zu lesende Bedeutung und eine lange Vorgeschichte als “Hilfsbilderschrift” (3). In den Text einzuschreiben sind Piktogramme allerdings nur, wenn sie sich gewissermaßen in die Zeile ducken.
Und wenn wir schon dabei sind: Mit Piktogrammen lassen sich offenbar noch viel mehr Begriffe visualisieren, als im Stil heutiger Emoji. In der chinesischen Texteingabe jedenfalls finden sich bis heute noch keine Bildchen für zum Beispiel die folgenden Begriffe.
Doch selbst wenn sich nun Emoji entwickeln, die auch ganz anders aussehen, als die bisherigen: grafische und typografische Vielfalt macht, insbesondere bei visuellen Begriffen, selbstverständlich nur Sinn, wenn man die neuen Schriftbildzeichen auch semantisch differenziert und linguistisch kultiviert. Nennen wir es Grammatik.
Einsicht in eine Wort-Bild-Grammatik
Sicher kann man die wörtliche Bedeutung von Emoji auch aus dem Gebrauch heraus erlernen, beispielsweise wenn dieses Zeichen ???? in der chinesischen Schrift immer Schlips bedeutet. Man kann Schriftbildzeichen aber auch so gestalten, dass sie einen Begriff überall eindeutig und dazu noch wie selbstverständlich bezeichnen! Dieses Projekt einer wort-bildlichen und gleichwohl sich selbst erklärenden Grammatik ist hier natürlich nur beispielhaft zu veranschaulichen, angefangen mit der regelmäßigen Unterscheidung zwischen dem jeweils Gemeinten und seiner Umgebung, zwischen dem visuellen “Text” und seinem Kontext.
Eine umfassende Darstellung dieser Grammatik (4) reicht inzwischen von der Unterscheidung zwischen Artikel, Verb, Adjektiv usw. bis hin zur regelgerechten Satzbildung. Und die funktioniert offenbar allein schon mit zwei Personalpronomen und einem durch Speedlines gekennzeichneten Tätigkeitswort bzw. Verb:
Doch wie auch immer wir heute versuchen, “das Beste” aus den neuen Schriftbildzeichen zu machen, es erfordert Zeit, viel Zeit, und dabei rast uns die technologische Entwicklung nur noch weiter davon. Inzwischen nämlich funktioniert das Bilder-mit-Wörtern-Schreiben nicht nur offline, wie bisher, sondern auch online – mit buchstäblich Schwindel erregenden Aussichten.
One more thing ….. Nehmen wir zum Beispiel
Slash, ein App mit virtueller Tastatur und einer Sondertaste. Tippt man die an, dann erscheint zunächst eine Auswahl von Internet Plattformen: /emoji, /sticker, /giphy, /soundcloud usw.. Hier wählen wir zum Beispiel /giphy und tippen “happy”.
In der oberen Zeile erscheinen jetzt verkleinerte GIFs zum Scrollen und Durchblättern. Es sind vermutlich alle, die bei giphy mit dem Wort “happy” eingereicht wurden. So aber entsteht nur ein wüstes Durcheinander. Wesentlich brauchbarer wäre das Verfahren vielleicht, wenn man auch hier zwischen unterschiedlichen Stilen wählen könnte, um die Anzahl wort-bildlicher Animationen für den jeweiligen Gebrauch zu beschränken. Und das gilt im Prinzip dann auch für die Anbieter von Emoji, Fotos, Videos und Musikstücken, die über Slash und ähnliche Programme online abzugreifen sind.
Nun wollte ich diesen Text eigentlich so beenden, wie er angefangen hat, mit einem Zitat von Vilém Flusser, selbst wenn Flusser den Kern der Sache wiederum überspitzt: “Alle Revolutionen sind technische Revolutionen” (5). Doch jetzt drängt sich doch noch ein Verweis auf in Richtung Philosophie und Kunstwissenschaft.
Auf, auf zum erneuten Bilderstreit!
Der Streit um die Bedeutung, die Gewichtung und den Gebrauch von Wörtern, oder Bildern, der so genannte Bilderstreit, hat bekanntlich eine lange Tradition bis hin zur Sinnbild feindlichen Abstraktion als Kennzeichen der Moderne. In seiner aktuellen Ausprägung geht es dabei jedoch vor allem um den„Pictorial Turn“ (6), um eine, in der Digitalisierung und im Zeitgeist angelegte Tendenz zur Visualisierung unseres Denkens und Kommunizierens. Doch dieser „Pictorial Turn“ wird bislang vor allem philosophisch, oder medien- und kunsttheoretisch reflektiert. Inzwischen jedoch lenken kleine, niedliche, kitschige Emoji, die quasi von ganz unten, aus einer kindlichen Graswurzelbewegung heraus aufgetaucht sind, den Blick immer stärker auch auf die Form und Formulierung einzelner Wörter und Begriffe, und damit zugleich auf den Kern unserer Kultur. Im Chinesischen jedenfalls schreibt man das Wort “Kultur” von je her als Inbegriff mit den Zeichen für „Schrift“ und „Entwicklung“.
(1) Gros, Jochen, Emoji English.ttf, ein Font zum Herunterladen
http://icon-language.com/basic/today.html
(2) Gros, Jochen (2016) Freudentränen – Word of the Year, in: form 264, S. 78-82
(3) Neurath, Otto, Gesammelte bildpädagogische Schriften, Band 3, Wien 1991, S.432
(4) Gros, Jochen (2016) Emoji Chinesisch, PDF, mit einem Piktogramm-Vokabular und
einer ausführlichen Grammatik der visuellen Begriffsbildung und Satzbildung.
http://icon-language.com/basic/today_files/Emoji %20Chinesisch_Essay.pdf
(5) Flusser, Vilém (1988): Alle Revolutionen sind technische Revolutionen.
In: Kunstforum International, Bd.97, 1988, S.120 (6) Mitchell, W.J.T.,
Pictorial Turn, in: Picture Theory, The University of Chicago Press,
Chicago 1994, S.11
(6) Mitchell, W.J.T., Pictorial Turn, in: Picture Theory, The University of Chicago Press, Chicago 1994, S.11
6 Kommentare
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Gerhard Großmann
Was mir an heutigen Emojis (im Gegensatz zu entsprechenden Worten) nicht besonders gefällt ist, dass sie in ihrer Darstellung viel konkreter und auch ausschließlicher sind. Zum Beispiel ist es schwer, ein Emoji für „Person“ zu gestalten, das (ungelernt) erkannt wird und trotzdem nicht eindeutig als „Mann“, „Frau“ oder „Kind“ interpretiert wird.
Andererseits sind Emojis auch ziemlich farblos, was ihre Ausdrucksvielfalt angeht. Ein Boot, Schiff, Kahn, Nachen, eine Barke, Zille oder Gondel; aus Brettern, einem Baumstamm, Glasfaser, Blech, Stahl, Kunststoff – will man für jede Variante ein eigenes Emoji gestalten? Oder noch mehr Modifier einführen, wie es in Unicode mit Hautfarben macht?
Wofür ich mir Emojis vorstellen gut kann, ist um Aussagen zu verstärken oder eine Haltung dazu auszudrücken („Mein kleiner Bruder ist über seine Schuhe gestolpert ????/????“). Oder als reine Dekoration. Oder als „vereinfachte Bildersprache“, die im internationalen Kontext funktionieren soll, ähnlich wie Piktogramme auf Flughafenbeschilderungen. Wobei mir da noch kein konkreter Einsatzzweck einfällt und ob eine solche Sprache nicht die gleichen Schwierigkeiten hätte wie zum Beispiel Esperanto.
Hanno
Hehe, das mit dem Ausdruck eine „Person“ als solche darzustellen verbundene Problem ist so wahr, dass es schon wieder witzig ist. Wie lösen? Tja, gar nicht! Da wär’s ja schon einfacher „Arbeit bis Hundert darzustellen“, die in pol. Gremien immer öfters diskutiert wird: 69, was in D stark im Kommen ist dürfte noch schwieriger sein, weil die konkrete Zahl wieder nur als solche darstellbar wäre.
Stephan
Wenn ich mal den Darwinismus – also eine Transformation der Syllabogramme zu Lautzeichen – zugrunde legen würde, so steht doch dahinter eine notwendige logische Entwicklung. Weg von über tausend Hieroglyphen hin zu meist 20 bis 40 leichter erlernbaren Lautzeichen.
Eine Entwicklung hin-zurück zu einem Durcheinander, einem Dualismus aus Hunderten Emojis und bestehenden Lautzeichen halte ich für eine große Hürde, die nur mit massivem (politischen) Druck durchzusetzen wäre. Andernfalls wird die Bequemlichkeit dem Erlernen im Wege stehen.
Blubber
Bei fonts zum Herunterladen fehlen mir meistens die Erläuterungen bezüglich der Lizenz, weshalb ich es dann meistens dabei belasse, es nicht zu tun. Schade!
Dafür kaufe ich gerne fonts, wenn ich die genauen Bedingungen kenne.
Jochen Gros
Ich bin der Lizenzinhaber. Dieser experimentelle Font ist kostenlos.
Blubber
So viel Arbeit gratis? Schön, aber es gibt schon zu viele Leute, die kaum noch was verdienen – wegen des Netzes, nein, wegen der Nutzungsgewohnheiten im Netz.
Wir sind eine Kostenlosgesellschaft geworden, deren meiste Mitglieder zu Verlierern werden. Das gefällt mir nicht. Die Frage habe ich deshalb eigentlich für die Allgemeinheit gestellt, weil ich nicht downloaden werde, was die Blogbetreiber auch bestätigen können werden.
Trotzdem ist die Frage so gemeint gewesen, dass sie die Nutzungserlaubnis als Antwort hat erhalten wollen: nur private oder auch kommerzielle Nutzung möglich?