100 beste Schriften (9)
Als sich Futura in Deutschland Ende der 20er Jahre zum Bestseller entwickelt, sucht Stanley Morison für seinen Arbeitgeber Monotype ein britisches Äquivalent. Irgendwann Ende 1928 fällt ihm der Bildhauer und Zeichner Eric Gill ein, der 7 Jahre zuvor mit Edward Johnston eine beeindruckende Sansserif für die Londoner U-Bahn mitentworfen hat. So ähnlich könnte der »Futura-Killer« aussehen.
Eric Gill als junger Mann, zirka 1908 (© Harry Ransom Center)
Noch am selben Tag reist Morison ins walisische Nest Capel-y-ffin, wohin sich der 42-jährige Gill 1924 zurückgezogen hat, um die Schrift Perpetua fertigzustellen. Morison braucht nicht lange, um den Künstler davon zu überzeugen, dass er der richtige Mann für den Job sei, zumal dieser noch jede Menge Schriftideen in der Schublade liegen hat.
Zwei Wochen später begutachten sie beide in London alte und neue Skizzen von Schriften. Morison war erstaunt, dass viele der Johnston-Buchstaben mit nur wenigen Eingriffen eine vorzüglich lesbares Textschrift ergaben, trotz geringer Mittellänge. Der Grund: die Zeichen der neuen Gill-Schrift basieren zunächst auf Antiqua-Formen und Proportionen; erst in einem zweiten Schritt geometrisierte ihr Entwerfer die Lettern.
Über 36 Garnituren der Gill Sans entstanden in den Jahren 1929 bis 1932 für den Bleisatz. Das besondere an der Grotesk – im Vergleich zur Futura – ist nicht allein der ausgeprägte Strichstärken-Kontrast: ja alle Schnitte weisen einen eigenen Charakter auf, weil sie nicht mechanisch aus einem Entwurf abgeleitet sind.
Das Geheimnis der Gill Sans: erst die Antiqua-Grundform, anschließend die geometrische Konstruktion; eine Zeichnung von Eric Gill von 1933 (Quelle: St Pride Printing Library, London)
Die Light mit einem ausladenden f-Bogen und einem hohen t wirkt offen und elegant. Die Regular ist kompakt und muskulös, mit dem aufsitzenden b, den oben platten p und q sowie dem t mit einem Dreieck als Abschluss. Die fette Gill Sans greift wieder den offenen Stil der Light auf, während Extra Bold und Ultra Bold einen geradezu exzentrischen Stil pflegen. So spiegelt die Gill-Sans-Familie das Verständnis ihre Schöpfers von Handwerk wider.
Die Qualität des bildhauerischen und typografischen Werks von Eric Gill ist in der britischen Kulturgeschichte unbestritten. Gleichwohl wirft die 1989 veröffentlichte Gill-Biografie von Fiona MacCarthy einen Schatten auf das Schaffen des Künstlers. Sein strenger Katholizismus hinderte ihn weder an einem inzestuösen Verhältnis mit der Schwester, noch am sexuellen Missbrauch seiner Kinder; in den Tagebüchern schildert Gill detailliert ein sexuelles Experiment mit dem Familienhund.
17 Kommentare
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robertmichael
weiss eigentlich jemand wieso bei der ‚gill ultra bold‘ der i-punkt auf halb 8 steht?
Nils Tißen
Kurz ab vom Thema: Was ist das für eine Typo, die hier in diesem Zusammenhang als Überschrift verwendet wird?
Jürgen Siebert
Es handelt sich um die Schrift Dispatch Black von The Font Bureau, Inc. …
Jürgen Siebert
@robertmichael: Ich kann Dir nicht sagen, warum Eric Gill die Punkturen in der Ultra Bold so zart angelegt hat. Aber wenn man weiß, dass er Bildhauer war und das Schriftenmachen als Handwerk anging, dann ist es irgendwie erklärlich bzw. erlaubt: jeder Buchstabe eine Skulptur. Schau Dir die Teile doch nur mal in groß an …

Florian
@rm: Das fällt wohl unter die erwähnte ›Exzentrik‹ und ›Nicht-Mechanisierung‹ … bei der Extra Bold steht der Punkt noch schön mittig. Mich wurmt eher: Warum hat die Light einen eckigen i-Punkt, aber runde Umlaut-Punkte?
Magnus
Gill war noch ein echter handwerkender Schrift-Künstler und auch gedanklich nicht zu vergleichen mit unsere heutigen Protagonisten, den computerisierten Konzept-Designern. Solche Ausbrüche, wie die i-Punkte oder allerlei neckische Zipfelchen in der Kursiven, waren damals eben Ausdruck seiner künstlerischen Freiheit, bzw. bewusste ästhetische Abweichung von der Norm, die wir in den restlichen Buchstaben zu erkennen glauben. Auch die Strichstärken weichen gegenüber heutigen Maßstäben erheblich voneinander ab. Gills Schriften (besonders im Display-Bereich) waren originär dekorativ und der englisch eigensinnige Entwerfer fand sie eben schön. Eine Schönheit, die noch heute (wenn auch antiquiert) zu spüren ist.
robertmichael
skulpturen, teile … ja das sind die richtigen wörter.
ich glaube ich habe bisher noch nie freiwillig die gill eingesetzt und so richtig warm werde ich mit dieser schrift wohl auch nie werden. ich habe sogar schon bei einer headline die punkte manuell nachgebessert. auch das ‚a‘ in allen schnitten fand ich schon immer schrecklich, oben zu dick unten zu dünn, der anstrich erinnert mich immer an eine rock-a-billy-tolle …
brrrr, nein. nicht mein font.
Bert Vanderveen
One should consider that a lot of the later versions of Gill Sans were products of Monotypes drawing office. Eric Gill had quite a short attention span…
microboy
ich wuerde sie auch nicht freiwillig einsetzen. schon garnicht fuer fliesstext – die versalien passen meiner meinung nach einfach nicht zu den gemeinen und fallen unschoen auf. aber fuer sich betrachtet mag ich sie schon irgendwie …
Sebastian Nagel
Die „normale“ digitale Gill Sans ist nicht meins. Allerdings nicht wegen der Zeichenformen, sondern weil die Produktion einfach altmodisch ist. Teilweise seltsames Spacing, wenig Kerningpaare, aus heutiger Sicht wenig typografische Möglichkeiten.
Richtig lieb hab ich aber Monotypes neue Gill Sans Pro (ich hoffe der Link ist erlaubt).
Sven Winterstein
Ein Designkollege aus Schweden hat mir vor Jahren mal erzählt, SAAB habe eine eigene Gill — stimmt das?
franz
Glaube ja, Ikea hat ja auch ne eigene Futura… Futura-Killer? NIEMALS!!! :-)
Jürgen Siebert
@Sebastian Nagel: Deine heiß geliebte Gill Sans Pro gibt es auch bei FontShop …
Sandra
Weiß den jemand einige berühmte Beispiele in denen die GillSans verwendet wurde?
Tim
Ich muss über diese Schriftart eine Hausarbeit incl. Referat für mein Studium schreiben. Kann mir vielleicht jemand sagen wo ich noch weitere Infos darüber kriegen kann?
Danke & Gruß