Drei Buchempfehlungen zum Wochenende

Auf meinem Schreibtisch liegen, teils schon viel zu lange, drei bemer­kens­werte Bücher, die den Fontblog-Lesern garan­tiert gefallen werden.

Der Berliner Designer Markus Nebel hat mir bereits Anfang Januar sein Buch »Psychogramm des Selbständigen« zusammen mit einem netten Brief zuge­stellt. Dort schrieb er unter anderem: »Ich hab dich am 28. Dez im MacDonald’s an der A4 gesehen, doch wäre es mir ein wenig komisch vorge­kommen, dir dort – zwischen BigMac und Konsorten – ein Exemplar zu über­rei­chen.« Ich hätt’s lustig gefunden, Markus. Nun haben wir unsere Begegnung beim letzten Creative Morning am Flughafen nach­ge­holt, und in der Zwischenzeit konnte ich mich etwas inten­siver mit deinem Buch beschäf­tigen, das im letzten Jahr als Diplomarbeit an der FH Mainz entstand, betreut von Prof. Johannes Bergerhausen.

Vielleicht sollte man dies vorweg­schi­cken: Das Buch widmet sich gezielt der Selbständigkeit in der Kreativbranche, was nicht zuletzt die Riege der Gastautoren verrät (Johannes Erler, Andreas Trogisch, Joachim Kobuss und Jan Welke), sondern vor allem die Liste der Interviewpartner: Thomas Ackermann, Gregor Ade, Frank Bannöhr, Ruedi Baur, Daniel Behrens, Roman und Julia Bittner, Daniel Frericks, Juli Gudehus, Lars Harmsen, Fons Hickmann, Stephan König, Eike König, Stephan Lauhoff, Ulrike Meyer , Claudia Mittendorf, Christoph Niemann, Johannes Plass, Anne-Lene Proff, Chris Rehberger, Raban Ruddigkeit, Jan Schaab, Steffen Schuhmann, Jan Schwochow, Jarek Sierpinski, Erik Spiekermann und Andreas Uebele.

»Psychogramm des Selbständigen« ist kein Ratgeberbuch, mit klugen Tipps und gut gemeinten Patentlösungen. Das Buch will viel­mehr zu einer inneren und persön­li­chen Auseinandersetzung anregen, indem es Motivation und Werdegang von 30 selb­stän­digen Gestaltern beleuchtet. Zur Publikation gehört eine kosten­lose iPhone-App, die den gedruckten Inhalt mit einer digi­talen Datenbank verknüpft. In dieser befinden sich – neben vielen Stunden Interviewmaterial – sämt­li­ches digi­tales Recherchematerial, einschließ­lich Bild- und Videoaufnahmen, Internetverweise und Textbeiträge von Co-Autoren. Diese beiden Elemente, Buch und Interface, bilden in ihrer Summe das »Psychogramm des Selbständigen« und machen es zu einem einma­ligen Lese-Erlebnis.

Weitere Informationen und zur Bestellung (19,90 €) auf www​.markus​nebel​.de …

»20+1. Vergleich von ausge­wählten seri­fen­losen Schriften der letzten zwanzig Jahre« ist eine Studie, die im Rahmen des Jahreskurses Typografie bei der tgm München entstand, geleitet von Rudolf Paulus Gorbach. Es ist kein Fachbuch, das fertige Erkenntnisse liefert, sondern dabei hilft, selber Schrift- und Typo-Erkenntnisse zu gewinnen. Wie der ausführ­liche Titel bereits verkündet, widmet sich der Autor Manuel Kreuzer, ein Münchener Multimedia-Designer, 21 bedeu­tenden seri­fen­losen Schriften der letzten zwanzig Jahre – für jedes Jahr eine:

1990 Quay Sans von David Quay
1991 DTL Argo von Gerard Unger
1992 Myriad von Robert Slimbach und Carol Twombly
1993 FF Scala Sans von Martin Majoor
1994 TheSans von Luc(as) de Groot
1995 FF Din von Albert-Jan Pool
1996 FF Dax von Hans Reichel
1997 Corpid von Luc(as) de Groot
1998 ITC Officina von Erik Spiekermann
1999 Linotype Aroma von Tim Ahrens
2000 FF Fago von Ole Schäfer
2001 Compatil Fact von Olaf Leu
2002 PTL Manual Sans von Ole Schäfer
2003 FF Unit von Erik Spiekermann
2004 FF Nexus Sans von Martin Majoor
2005 Monitor von Fred Smeijers
2006 Phoenica von Ingo Preuß
2007 Candera von Gary Munch
2008 Museo Sans von Jos Buivenga
2009 Secca von Andreas Seidel
2010 Carter Sans von Matthew Carter

Kreuzer beginnt seine Analyse mit einem Proportionsvergleich: er hat die Höhenverhältnisse von Groß- und Kleinbuchstaben sowie Ober- und Unterlängen vermessen und gegen­über gestellt. Anschließend unter­sucht der Autor ausführ­lich Versalien und Minuskeln und präsen­tiert die Unterschiede in über­sicht­li­chen Tafeln mit Anmerkungen. Immer wieder macht er auf Achsen, Rundungen, Strichenden, Schrägen und andere Buchstabendetails aufmerksam, wodurch er den Variantenreichtum der Sans-Serifs aufdeckt.

Ein Buch für alle, die ange­sichts der Flut seri­fen­loser Schriften fast verzwei­feln, oder schon immer mal die kleinen aber feinen Unterschieden in der Anatomie der Buchstaben entde­cken wollten. Erhältlich im Buchhandel oder bei Amazon …

Gestern hat mir Philipp Starzinger sein »Regensburg Sammelsurium« gesendet und schreibt dazu: »Typografisch inspi­riert ist es tatsäch­lich durch Ihren Artikel ›Ich fordere leiden­schaft­liche Tyografie‹, über den ich während des Layouts gestol­pert bin – glück­li­cher­weise!« Es folgt eine Aufzählung der typo­gra­fi­schen und buch­bin­de­ri­schen Quaitätsmerkmale, die ich hier mit großer Freude zitiere:

  • gesetzt aus Fonts von Zuzana Licko (Filosofia) und Ulrike Wilhelm (LiebeDoni)
  • erdacht, geschrieben, gesam­melt, illus­triert, layouted und verlegt vom Autor
  • Buch und Werbematerialien gedruckt auf der histo­ri­schen Heidelberg MO Einfabenmaschine
  • zirka 200 Stichwörter
  • über 50 Illustrationen und Ornamente
  • Titel mit 2 Sonderfarben (HKS 12 und 50),
  • Prägung, Lesebändchen und Kapitalband farb­lich abgestimmt
  • Vorspann in HKS 15 in selbst ange­fer­tigten Regensburger-Dom-Flächenornament …

Wem dies als Kaufargument noch nicht reicht … der rote Reiseführer ist das einzige Regensburg-Buch, auf dessen Titel weder Dom noch Donau abge­bildet sind und er enthält nur kurz­wei­lige Texte. Er erläu­tert, was eine »Mollen«, ein »Siri« und ein »Ratzi« ist, und welches Bier zu welcher Speise passt. Aber schaut doch selbst mal rein … hier gibt es ein Leseprobe-PDF. Wer immer noch nicht über­zeugt ist, sollte die ausführ­liche Rezension der Mittelbayerische lesen. Wer jetzt noch zögert: bei Amazon gibt es nur noch 1 Exemplar, für 14,95 €.


5 Kommentare

  1. Sandra Weber

    »Psychogramm des Selbständigen« Interviews: mal wieder 95% Jungs. Immer das gleiche mit euch…

  2. erik spiekermann

    Im Vergleich von 21 seri­fen­losen Schriften wird für ITC Officina Sans 1998 als Enstehungsjahr ange­geben. Die Schrift kam aber – wie Jürgen eigent­lich auch wissen müsste, schon 1989/90 auf den Markt, zusammen mit der ITC Officina Serif. 1998 gab es einige neue Schnitte, die Ole Schäfer als Student der FH Bielefeld ein paar Jahre zuvor gezeichnet hatte. Damit kam er als Schriftentwerfer zu mir nach MetaDesign und etliche andere Schriften entstanden in der Zusammenarbeit, u.a. die Erweiterung der FF Info Familie.

    Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell sich solche Fehler durch Abschreiben des irgendwo Abgeschriebenen verbreiten. Der Autor hätte die Entwerfer ja auch mal fragen können, immerhin leben sie alle noch – sogar ich!

  3. Jürgen Siebert

    Wir können dem Autor nicht vorschreiben, wie er die Entwicklung einer Schriftfamilie inter­pre­tiert. Im FontBook (4. Auflage 2006, S. 215 Sans) steht as Entwurfszeitraum für die ITC Officina Sans 1990–1998. Für einen juris­ti­schen Streit ist sicher­lich die Geburtsstunde einer Schrift von Bedeutung. Wer nach der typo­gra­fisch voll­endeten Lösung sucht, inter­es­siert sich für die aller­letzte Ausbaustufe der Schrift. Wenn Manuel Kreuzer ausge­wählte Sans-Serifs der letzten 20 Jahre vergleicht, dann kann es auch nur in Deinem Sinne sein, Erik, dass er die zuletzt veröf­fent­lichte Version der Officina Sans hierfür verwendet, in der Annahme, dass es die höchst entwi­ckelte Fassung ist.

  4. Manuel Kreuzer

    Lieber Erik Spiekermann, vielen Dank für die Korrektur, und Danke an Jürgen Siebert für die Antwort, auf die ich mich beziehen möchte. Als Nachschlagwerk habe ich u.a. das FontBook von 2006 verwendet und habe diese ange­ge­benen acht Jahre als Entwicklungszeit gesehen und als Fertigstellungsjahr folg­lich 1998. Interessant, dass Sie/Ihr beide von unter­schied­li­chen Definitionen ausgehen/ausgeht.

  5. erik spiekermann

    Zur histo­ri­schen Einordnung ist es schon wichtig, wann eine Schrift zuerst veröf­fent­licht wurde. Immerhin ist mit den ersten Schnitten der Charakter fest­ge­legt und eine Schrift ist immer ein Kind ihrer Zeit. Auch tech­nisch spielt es eine Rolle, ob eine Schrift in den 80ern entstand oder gerade eben erst. Die ITC Officina war eine der ersten Schriften, die Ende der 80er speziell für die Bürokommunikation per Laserdruckern gestaltet worden war und das sieht man ihr an. Die Prämisse wäre 1998 ganz anders gewesen. Auch meiner FF Meta sieht man an, dass sie in den 80ern entstanden ist, obwohl die Familie immer noch wächst. Gäbe man da aber als Entstehungsjahr 2011 an, fehlt der histo­ri­sche Zusammenhang, der wichtig ist, wenn auch nicht zur mecha­ni­schen Vermessung.

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