Brauchen wir einen Kreativquotienten?

Design-Modewörter

Der Journalist (Business Week), Buchautor und Design-Thinking-Verfechter Bruce Nussbaum hat einen Traum: Wenn sich sein Patenkind Zoe 2020 um einen Studienplatz bewirbt, sollen nicht nur ihr Wissen und der IQ gecheckt werden, sondern auch ihr CQ – der Creative Quotient. Er ist seine Erfindung. Das Buch dazu (»Creative Intelligence«) muss er noch schreiben. Und weil ihm dazu noch Ideen fehlen, setzte er den Geistesblitz im April einfach mal auf den FastCo-Blog und bat die Leser um Kommentar-Input: “I hope to have a conver­sa­tion with the Fast Company audi­ence on this blog about how we should teach, measure, and use CQ.” So gene­riert man heute in einem Aufwasch Buchinhalte und die Leser gleich mit.

Nussbaum ist ein Experte im Buzzword-Bingo. In den letzten Jahren ritt er voller Überzeugung auf der Design-Thinking-Welle. Heute verkündet er: »Das Zeitalter des Design Thinking ist zu Ende und ich widme mich einem neuen Rahmenmodell, der krea­tiven Intelligenz, kurz dem CQ. … Design Thinking hat dem Berufsstand und der Gesellschaft alles gebracht was möglich war, doch langsam erstarrt das Konzept, ja es richtet Schaden an«. Er verweist auf seine Kollegin Helen Walters, die der glei­chen Ansicht sei. Im März 2012 kam sie in ihrem Leitartikel Design Thinking Won’t Save You (Design Thinking wird Sie nicht retten) zu dem Fazit: »Designberater hatten geglaubt, dass ein Prozesstrick Veränderungen bewirken könne.«

Design Thinking … nur ein Trick

Was war noch Mal Design Thinking? Es bedeutet, einen Schritt zurück­zu­treten von der akut zu lösenden Gestaltungsaufgabe und das Ganze anschauen. Es fordert Systemdenke: Das aktu­elle Problem ist Teil eines Ganzen, das ich als Designer in seiner Gänze erst mal verstehen muss. Das tiefe Eindringen in ein Thema ist gefragt, oft gepaart mit einer umfang­rei­chen Recherche, gefolgt von einer Analyse. Dies geschieht meist in einer Gruppe, multidisziplinär.

Eigentlich arbeiten Werbeagenturen und größere Designbüros schon sein Jahrzehnten nach dieser Methode. Warum also das neue, leicht über­kan­di­delte Etikett Design Thinking? »Weil es sich gut verkauft« sagt der Core77-Kolumnist Don Norman. Beratungsunternehmen lieben solche Floskeln: »Beauftrage uns, und wir bringen die Magie des Designs in dein unpro­duk­tives, schein­totes Unternehmen … und das wird Wunder wirken« (Don Norman). Design als Geheimwaffe, hilf­lose PR-Welt.

Ein biss­chen Zauber schadet nicht

Wie weit darf Design mit Heilsversprechen (= Buzzwords) gehen? Es ist ein biss­chen wie in der Medizin: Wenn’s wirkt, war es nütz­lich und der Arzt wird geliebt. Wittert man hinter einer Therapie nur heiße Luft (Placebo), fällt dies auf den Arzt (=Designer), die Klinik (= Designbüro), die Branche (= Design) zurück. Niemand braucht ein Design-Patentrezept mit einem gut klin­genden Namen, doch manchmal öffnet es Türen. Zum Beispiel für ein Umdenken bei notlei­denden Unternehmen oder Marken. Vergessen wir nicht, dass die meisten Führungskräfte Design-Laien sind. Trotzdem müssen sie über Investitionen in diesem Bereich entscheiden. Ein verständ­li­ches, simples Modell über­zeugt meist schneller, als eine tief schür­fende Diskussion über Farbpsychologie, Typografie und Key-Visuals.

Wie lautet nun die Antwort auf die Frage: Brauchen wir einen Kreativquotienten? Wir brau­chen weder den CQ, noch ein Buch dazu. Kreativität ist als isolierter Rohstoff wertlos … sowohl in Kunst und Kultur, als auch im Design. Erst wenn sie sich mit einer Intention paart, entstehen Ideen und Produkte.

(Abb: ©ƒstop, # 1123.049, Photographer: Carl Smith)


7 Kommentare

  1. Jean

    Kreativität ist als isolierter Rohstoff wertlos … sowohl in Kunst und Kultur, als auch im Design. Erst wenn sie sich mit einer Intention paart, entstehen Ideen und Produkte.

    Ich empfehle Ihnen sich Prof. Peter Kruse zum Thema Kreativität anzu­sehen. YouTube-Beitrag

    Dieser syste­mi­sche Ansatz zum Begriffverständnis erscheint mir recht sinnvoll.

  2. Jürgen Siebert

    Kruses Erläuterung des Begriffs Kreativität bezieht sich auf Systeme. Nur am Rande erwähnt er den Einzelnen, der durch einen »biogra­fi­schen Unfall« kreativ ist (er nennt das »Schmerzen ertragen«).
    Ich beziehe mich aller­dings auf das Individuum, denn der oben zitierte Kreativquotient CQ (als Ergänzung zum IQ) macht ja nur als perso­na­li­siertes Gütesiegel Sinn.

  3. Sascha Geisler

    Selbst wenn es ein Modell zur Ermittlung eines CQ gäbe, wäre die Aussagekraft höchst frag­würdig. Es ist nicht ausschließ­lich Kreativität, sondern eben auch Know-how, Erfahrung, Kommunikationsfähigkeit, Offenheit, ein breites Interesse, Neugierde und viele andere Eigenschaften, die einen guten Designer ausmachen.

  4. carlos

    Der Fehler ist doch, dass niemand das Wort Intelligenz hinter­fragt, was dazu führt, dass in unserer Gesellschaft fast ausschließ­lich eine Art mathe­ma­tisch-räum­li­cher Intelligenz gemessen und bewertet wird.
    Dabei gibt es unzäh­lige Arten von Intelligenz: soziale Intelligenz, emotio­nale Intelligenz, krea­tive Intelligenz…

  5. Miriam Katholnig

    Die Fachhochschule in Salzburg hat auch solche Kreative, die oft mal was veröf­fent­li­chen müssen. Auch in engli­scher Sprache, wie dieses Video zeigt. Was davon zu halten ist, muss sich aller­dings jeder selbst ausmalen. Ich find’s witzig:

    The day …

  6. Jedermann

    Ein sehr schöner Beitrag mit exzel­lentem Fazit. Vielen Dank!

  7. ber

    Bücher schreiben 2012: Grobe Idee ins Netz posten, Input abschöpfen, Finanzierung evl. per Crowdfunding abwi­ckeln, fertig. Tss …

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