Belgische Agenturen wehren sich gegen Unkultur des Pitchens
Aus Unmut über kostenlose Kreativwettbewerbe (Pitchs) veranstaltet der belgische Berufsverband ACC (Association of Communication) mit seinen größten Mitgliedern einen einwöchigen Streik, darunter so berühmte Namen wie BBDO, Ogilvy, Saatchi, McCann-Lowe, Polygone und JWT. Aus Protest haben rund 20 Agenturen ihre Webseiten geschlossen. Auf ihren Hompages prangt der Ausschnitt eines offenen Briefs, dessen gesamter Text sich in einer Art Staffellauf über die Homepages aller Streikenden erschließt. Der Anfang des Textes steht auf famous.be.
Wortführer des Streiks ist der Designer und mehrfache TYPO-Berlin-Sprecher Hugo Puttaert, Gründer und Inhaber von Vision Factory. Seine Begründung ist überschrieben mit »Was ihr schon immer über diese verfluchte Forderung nach einem Pitch wissen wolltet, euch aber nie getraut habt zu fragen« (hier als PDF). Puttaert beklagt, die einst von der ACC beschlossenen Spielregeln für faire Pitches inzwischen nicht mehr gelten. Statt 3 Agenturen würden oft mehr als 10 um einen Etat ins Rennen gehen. Pitches, die gerade bei Kulturorganisationen und öffentlichen Einrichtungen sehr beliebt sind, seien pure Energie- und Geldverschwendung.
20 Kommentare
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Bal
>Der Anfang des Textes steht auf famous.be.
Tatsächlich ist es egal welche der teilnehmenden Seiten man zuerst besucht. Man sieht die Texte immer von Anfang an in der richtigen Reihenfolge. Tja, da hat sich jemand mal Mühe gegeben…
titi
Beindruckende Aktion von vorne bis hinten. Meine Lieblingsstelle:
„Our idea of a sane world is where you do your best work for the clients you do have. Not the ones you don‘t.“
Thomas
Kurz vor der Stelle sagen sie doch, daß die Kunden die Verlierer seien, weil die Agenturen sich in Pitches aufreiben, statt an den Kundenprojekten zu arbeiten.
Nur, die wirklich konsequente Reaktion wäre da nicht „wir machen unsere Webseiten dicht und fordern von anderen, daß sie keine Pitches mehr ausschreiben“.
Die konsequente Reaktion wäre „wir machen bei Pitches nicht mehr mit und kümmern uns um unsere Kundenprojekte“.
Das ist aber wohl nicht geplant.
„Zwingt uns bitte, keine Pitches mehr mitzumachen“… euch zwingt doch keiner.
Oder?
HD Schellnack.
Es ist etwas schwer, Kultureinrichtungen Pitches vorzuwerfen, sie sind zT gesetzlich dazu angehalten, so wie auch Druckereiausschreibungen vorgeschrieben sind – und da auch immer zwei drei Druckereien leider den Kürzeren ziehen. Dennoch ist die Sache ärgerlich.
Pitches können sehr cool sein, weil man ganz abstrakt und frei an ein Thema herangehen kann, und wenn sie halbwegs bezahlt sind, ist das auch fair so.
Die besseren Ergebnisse hat der Partner aber unweigerlich, indem er sich Portfolios anguckt, die möglichen Agenturen kurz kennenlernt, Preise vergleicht und dann die gezielte Zusammenarbeit anfängt. Und er erspart es sich, stundenlang dieses Designer-Präsentationen-Gerede hören zu müssen. Denn so richtig klar wird ein Design ohnehin erst, wenn Budgets stehen, Druckereien angeheuert sind, Möglichkeiten austariert und Ideen/Designs miteinander gemeinsam entstehen. Und das sag ich als jemand, der letztes Jahr fast viele Pitches gemacht und überwiegend (gottseidank) auch gewonnen hat – es gab nur eine einzige Arbeit, die sich danach nicht grundlegend noch einmal verändert hat oder verändern musste.
Pitches sind also auch Ausdruck einer Orientierungslosigkeit der Auftraggeber – in der Architektur inzwischen soweit, dass Entwürfe ja teilweise anonymisiert eingereicht werden -, der sich durch Pick&Choose eine Antwort erhofft. Diese Ratlosigkeit hängt nicht nur damit zusammen, dass Design per se schwer zu erklären ist, sondern auch damit, dass in der Branche massiv gelogen und aufgeblasen wird und insofern der Kunde aus Homepages, Portfolios usw keine sicheren Informationen über eine Agentur ziehen kann.
Indra
Architekturwettbewerbe werden immer anonym durchgeführt, das regeln dort die Richtlinien für Planungswettbewerbe (pdf). Es soll der beste Entwurf gewinnen, nicht das Büro, das mit dem Jury-Mitglied befreundet ist.
Für private Auslober sind die Richtlinien nicht verbindlich. Jedoch sind alle Architekten berufsrechtlich dazu verpflichtet, nur an Wettbewerben teilzunehmen, die diese Regeln einhalten.
schnipsel
indra – danke für die richtigstellung.
Thomas
Vor weg: Ich kenne nur Architekturwettbewerbe. Die Design-Szene ist mir praktisch unbekannt.
Aber grundsätzlich Architekturwettbewerbe halte ich für ein sehr gutes Mittel, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Bei schwierigen Aufgaben, führt ein Wettbewerb zu vielen verschiedenen Lösungen mit unterschiedlicher Ästhetik. Würden Wettbewerbe nicht durchgeführt, würde für so mancher alter Entwurf zu Gunsten einer neuen Aufgabe recycled. Ein Wettbewerb erfodert also eine ausführliche Auseinandersetung mit dem Thema, was bei einer Beauftragung ohne Konkurrenz sicher weniger der Fall wäre. Zudem sorgt die Anonymisierung dafür, dass auch kleine bzw. unbekannte Büros gegen die etablierten Stars eine Chance haben.
Aber natürlich gilt auch hier: Es gewinnt nur der erste Preisträger, zumindest bei Realisierungswettbewerben. Auch ein grundsätzliches Berabeitungshonrar gibts es äußerst selten. Meist nur bei geladenen Wettberwerben.
Was mich jedoch stutzig ist macht ist die Tatsache, dass Design-Pitches offenbar nicht anonymisiert durchgeführt werden. Das kann doch nicht zu gerechten und objektiven Ergebnissen führen.
Vroni
Hochinteressant geschalteter Kettenbrief.
Mir gefällt der unter anderem deswegen so gut, weil Agenturen hier mal nicht als Konkurrenten auftreten, sondern gemeinsam etwas Interssantes auf die Beine gestellt haben. Das erlebe ich als neu.
Verbesserungsvorschlag dennoch (verbessern lässt sich immer alles):
Den inflationär 10-er-Pitches-beauftragenden Unternehmen deutlich und früher im Text sagen, was sie denn DAVON HABEN, wenn sie zur alten Vereinbarung zurückkehren. Die Vorteile der Auftraggeber noch klarer und früher ausarbeiten.
Es fehlt mir auch abschließend eine klare HANDLUNGSAUFFORDERUNG, wie Auftraggeber ihre Probleme der organisatorischen Ratlosigkeit denn dann anders lösen können. Einfach zu sagen: Die Mega-Pitches lassen! An die alte Charta halten bitte! das sit ldigleich eien UNTERLASSUNGSAUFFORDERUNG und hinterlässt für viele Organisationen ein weiteres Handlungsloch und noch mehr Ratlosigkeit. (Das menschliche Bewusstsein kann neurologisch keine negativen Aufforderungen verarbeiten wie: tu das nicht! Es will hören, was es denn dann tun soll. Es will imaginieren, sich konkretere Ziele vorstellen.)
Wenn es denn keine Bösartigkeit ist, dann muss es ja Ratlosigkeit sein. Und auf ratlose Schuldig-Unschuldige drischt man besser nicht ein. (Natürlich sind sie nicht ganz unschuldig, sondern viele haben ihren Spaß daran, kreative Zirkuspferde hüpfen zu lassen.)
Es ist besser im KONKRETEN PRAKTISCHEN Vorschlag zu sagen (wie einer meiner Vorschreiber es hier getan hat), wie sie denn stattdessen ihr Agentur-Screening konkret vereinfachen/verbessern können, damit beide etwas davon haben. Nicht nur in abstrakten Worthülsen.
Ich habe so den Eindruck, dass den Agenturen emotional einfach der Kragen geplatzt ist. Nuja, warum soll einem mal nicht derart hochkreativ :-) (Klasse Ansatz) der Kragen platzen. Gewitter reinigen die Luft, auch in einer masochistischen Branche.
Die noch bessere Lösung wäre, einfach nicht mitzumachen und der jeweiligen einladenden Organisation im Brief oder persönlich genau erklären, warum. Das wäre stiller, hätte aber mehr nachhaltige Wirkung an die Auftraggeber (z. B. von Grey, BBDO oder McCann) als 1 Woche plakativ öffentlich mit 200 Punkt (schreienden) Großbuchstaben zu streiken. und dan sit die Aktion rum. Sturm im Wasserglas des Internets vorbei. Whats next?
Aber vielleicht ist ja etwas in deren Schublade, was ich ja derzeit nicht wissen kann. Ich bin gespannt, ob das Ding einen längeren Atem, einen Zyklus hat. Oder eben nur wieder eine – zu – kurze Aufmerksamkeitsaktion. Die Währung Aufmerksamkeit beherrschen Agenturen ja. Eben bewiesen.
Vielleicht antworten ja die Unternehmen in einer ähnlichen Aktion: Unternehmen machen endlich Dialog miteinander im Netz. Aber anders als erwartet… :-)
Michael
Oliver Reichenstein will auch nicht mehr: „I’m actually thinking about drafting a ’no free pitch‘ manifest. I’ve had enough of the slavery bullshit. Any agencies interested to join?“ http://twitter.com/iA/status/8949879221
Nein sagen ist immer schwer, fällt bei „gratis, bitte“ aber leichter.
BTW: Interessant sinnlos, dass die Agenturen ihre Texte in Flash-Files veröffentlichen. Da brauchts dann Blogs die das abschreiben und posten, damit es auffindbar ist…
Markus
@HD Schellnack:
Öffentliche Einrichtungen sind meist zur Ausschreibung gezwungen, das stimmt. Aber ist eine Ausschreibung nicht noch etwas anderes als ein Pitch?
Eva A.
Schöne Aktion, aus der leider sofort die Luft raus ist, wenn eine der beteiligten Agenturen dann doch wieder am nächsten Giga-Pitch teilnimmt.
Meist ist es hilfreicher still zu handeln als laut zu schreien.
Konsei
Pitches sind wirklich das Allerletzte, und werden die Agenturen vernichten, wenn sie nicht bald die Reißlinie ziehen und sich jedem Pitching verweigern.
Stephan
Verstehe ich das richtig, das die protestierenden Agenturen prinzipiell nix gegen Pitches haben, diese nur in anderer Form durchgeführt sehen wollen? Bin mal gespannt wer da am längeren Hebel sitzt, die Agenturen oder deren Auftraggeber.
erik spiekermann
Im englischen fällt es besonders krass auf, wenn die kollegen nicht wissen, was ein apostroph ist. Da gibt es seiten mit vier foot-marks. Dabei hat die AG doch so schöne apostrophe. Die agenturen würde ich schon mal alle zum typokurs schicken, denn es gibt immer noch auftraggeber (nicht: kunden), die etwas vom handwerk verstehen.
Jonas
Richtig gute Aktion, ich hab zwar keine Vorstellung davon, wie WIrkungsvoll das ganze ist, aber es steckt auf jeden Fall die richtige Idee dahinter.
Zwar bin ich noch nicht im Beruf aktiv, aber ich kann mir gut vorstellen, dass für solche Pitches sehr viel Energie „verschwendet“ wird die man für andere AUfträge weit besser einsetzen kann, aber was will man machen, der Wettbewerb wird auch in dem Business wohl immer härter :(
Thomas
Wenn die Energie in anderen Projekten besser angelegt wäre, warum wird sie dann dort nicht angelegt?
Doch wohl, weil die Agenturen die Teilnahme an Pitches als vorteilhafter einschätzen als das Fernbleiben.
Das hat alles ein bißchen was von „ich mach mir die Welt, wiedewiedewie sie mir gefällt“.
„Wenn nur X nicht wäre, dann Y“ ist irrelevant, solange X eben ist.
Wo ist denn nun die klare Ansage „wir machen bei sowas künftig nicht mehr mit“?
HD Schellnack.
Wo ist denn nun die klare Ansage “wir machen bei sowas künftig nicht mehr mit”?
Die ist wirtschaftlich kaum haltbar, solange nicht zumindest ein großer Teil von allen solidarisch mitmachen.
Das einzig schöne am Pitch – wenn es nur anständig bezahlt wäre – ist, dass es manchmal ja auch nett sein kann, einfach zu erfinden, ohne Micromanagement :-D. Aber für den Auftraggeber, der dabei nicht Teil des Dialoges sein kann und seine Ziele formulieren kann, kommt am Ende oft nichts brauchbares heraus.
Drift: Ich finde ja Eriks Herleitung von Kunde – vs – Klient/Auftraggeber gut.
Aber «Auftraggeber» schmeckt mir auch gar nicht, da ist eine böse Hierarchie vorweggenommen, die Erik sicher nicht meint, aber da ist eben drin, das einer sagt, was zu tun ist und der andere führt den Auftrag durch. Designer sind aber keine Soldaten.
Und «Klient», da zucke ich ganz zusammen, vielleicht durch den alten Studienhintergrund aus der Therapie geschädigt. Klienten sind in der Suchthilfe die Junkies und in der Analytik die «Patienten». Ganz so schlimm ist ja auch nicht.
«Partner» mögen wir sehr, zumal Partnerschaften ja auch gute und schlechte Zeiten haben, aber so ganz bringt der Begriff es auch nicht auf den Punkt und ist zu privat.
Wie nennt ihr die Leute, die euch für Geld anvertrauen, wie sie so aussehen :-D?
ber
Herr Spiekermann, das ist nun aber ein sehr deutscher Kommentar. Schulmeisterhaft, belehrend, Inhalt ist egal, Hauptsache es ist „richtig“ gemacht.
Da Sie es verpasst haben, verweise ich auf ein Interview indem die E/S Pitch-Spielregeln erwähnt werden:
http://blog.wearesmile.com/post/212007513/when-nathan-met-erik-spiekermann
Thomas
Tja, warum dann abschaffen wollen? Ganz ketzerisch gefragt. Wenn es doch wirtschaftlich von Vorteil ist.
Das „solidarisch mitmachen“ funktioniert eben nicht.
Ich kritisiere ja nicht, daß die Leute sich eine Welt wünschen, in der ihre wirtschaftliche Lage rosiger und ihre Mühen geringer wären. Das wünschen sich die meisten Leute, in dem ein oder anderen Umfange.
Ich kritisiere, daß man solche Kampagnen führt, ohne selbst wirklich dahinterzustehen.
Es wird viel lamentiert (auch hier im Fontblog), aber am Ende, wenns um die Euronen geht, finden es dann doch alle toll. Oder zumindest gut genug, um voll dabei zu sein.
–cut–
Bei „Klient“ denke ich übrigens primär an Grisham. :-)
Kathrin Gapp
Hall zsuammen, wir finden, es kommt immer darauf an, wie ein Pitch stattfindet. Dies haben wir in einer Checklist zusammen gestellt, die man sich hier kostenlos downloaden kann: http://www.creationell.de/service/checklisten.html
Viele Grüße von der Werbeagentur creationell aus Augsburg