Geometrie der Schweinebauch-Sticker


Wahlplakate der Linkspartei in Berlin haben mich an ein Thema erinnert, dem ich endlich mal genauer auf den Grund gehen will: Wann »knallt« Schweinebauch-Design? Warum sind sternförmige Neu-Plaketten wirkungsvoller als runde? Die euklidische Geometrie reicht aus für die Erklärung. Um jedoch die Wirkung eines Media-Markt-Prospekts wissenschaftlich zu erklären, bedarf es Methoden der fraktalen Geometrie. Weiterlesen ...


Die Linkspartei/PDS wirbt in Berlin mit einer Plakatserie, die Elemente aus der Schweinebauch-Werbung aufgreift. Unter diesem Begriff fasst die Kommunikationsbranche jene aggressive Printreklame im Handelsbereich zusammen, die mit Sonderangeboten, Coupons, Beigaben, Rabatten und ähnlichen verkaufsfördernden Maßnahmen die Verbraucher in ihre Filialen lockt. Typisch für Schweinebauch-Werbung sind groß gesetzte Preise, Sonderangebot-Marken, Etikette, 3D-Effekte, leuchtende Druckfarben sowie schattierte oder konturierte Schriften.
Diese visuellen Mittel sind unüblich für politische Werbung. Die Linksparteien greifen sie auch nicht aus Überzeugung auf, sondern aus ironischen Gründen. Wahrscheinlich dachte man in den Wahlkampfzentrale der Linken, Politik wie Waschmittel anzupreisen sei originell und fällt besonders ins Auge.



Preisschild, Aufkleber, Aktions-Stern: die Linkspartei zitiert in ihren Plakaten Elemente aus der Einzelhandelswerbung. Warum »knallt« der Stern mehr als der Kreis?

Was tatsächlich ins Auge fällt ist die höhere Störwirkung des Sternes gegenüber der des Kreises. Ich spreche von Störung, weil die wichtigsten Elemente der Schweinebauch-Werbung Störer sind: penetrant, zudringlich und unangemessen. Darum sind sie bei den Designern so unbeliebt. Wenn Störer funktionieren sollen, dann machen sie die gestaltete Seite kaputt: kein Totalschaden aber eine fette Beule. Das tut natürlich weh, wenn der Auftraggeber am Ende einer Anzeigengestaltung fordert: »Und hier kommt jetzt ganz fett ein TIEFSTPREIS-Etikett hin.«
Als Verantwortlicher für das FontShop- und TYPO-Marketing weiß ich, wovon ich rede. Der erste Entwurf: »Wo ist denn der Button? Ach da .. bitte mindestens doppelt so groß!« Der zweite Entwurf: »Schon besser. Jetzt noch mal 50 % größer und in rot. Dem Umriss geben wir einen Schatten.« Und so geht das hin und her. Der innere Kampf des Designers ist hart, vergleichbar mit einem Autolackierer der aufgefordert wird, den Kotflügel eines frisch lackierten Wagens mit seiner Drahtbürste wieder zu verkratzen.
Ich bewundere Unternehmen und deren Agenturen, die so was hinkriegen wie den aktuellen Titel des Media-Markt-Fotoprospekts (ich glaube, der Media-Markt arbeitet mit einem internen Marketing-Team):



Hohe Schule des Schweinebauch-Designs: Titelseite des aktuellen Media-Markt-Fotoprospekt mit Schatten, Konturen, 3-D-Effekten, Highlights und, perspektivisch inszenierter Typografie

Damit mich niemand falsch versteht: Schweinebauch ist von guter Gestaltung so weit weg wie eben jener vom Filet-Steak. Es geht schlicht ums Verkaufen, und zwar in seiner härtesten Form. Wir sprechen über Marktgeschrei und nicht über wohlige Ladenpassage. Die wöchentlichen Einzelhandelsbeilagen kommunizieren mit Stangen, Brettern, Planen und Gebrüll. Glas, Aluminium und ein Prosecco aufs Haus sind da nicht gefragt.
Zurück zu meiner Untersuchung, die sich nur einem Element der Schweinebauch-Werbung widmet, dem Aktions-Button. Ich versuche mich dem Thema geometrisch zu nähern, indem ich verschiedene Buttons konstruiere und deren Eigenschaften beleuchte.

1. Kreis



Diese Form kennzeichnet – bei vorgegebener Fläche – den geringst möglichen Umfang. Die Natur macht sich das im Dreidimensionalen zunutze (Seifenblasen, Strohhalme, ...). Für die Schweinebauch-Werbung ist es ein eher triviales Format, das nur dadurch auffällt, weil es zum üblicherweise rechteckigen Umfeld kontrastiert ... bedingt Schweinbauch-tauglich!

2. Quadrat



Größerer Umfang als ein Kreis und bietet maximal horizontal nutzbare Fläche für Texte. Da sich die Proportion jedoch kaum abhebt von der des Untergrunds bzw. des Umfeldes: minimaler Störeffekt, nicht Schweinebauch-tauglich!

3. Kreuz



Ich gestehe: diese Form habe ich als erste aufgemalt, weil die Schweizer Flagge gegenüber der japanischen zwei »Schweinebauch-Vorteile« hat: a) Die Grundfarbe ist dunkel, nämlich rot (und nicht weiß) und b) statt eines Kreises ziert die Schweizer Flagge ein Kreuz. Das Kreuz hat einen größeren Umfang als der Kreis (siehe Punkt 1.), wodurch es »strahlt«. Damit meine ich, dass es seine Weißheit mit der roten Fläche verzahnt. Es ist – geometrisch – effektvoller als der Kreis. Gleichwohl ist es nicht Schweinebauch-tauglich, weil politisch und religiös besetzt.

4. Asterisk



Eine fraktale Weiterentwicklung des Schweizer Kreuzes: der fünf- oder sechsstrahlige Stern. Wir kennen ihn auch als typografisches Zeichen mit dem man Fußnoten markiert. Eigentlich wäre die Form gerade aus diesem Grund hochgradig Schweinebauch-tauglich, und tatsächlich sieht man ihn auch häufig in Überschriften. Allerdings haben Fußnoten durch die Handy-Tarife-Werbung keinen guten Ruf mehr. Es passt auch nicht wirklich Text in diese grobe Sternform, obwohl sie eine tolle Strahlkraft hat. Trotzdem: bedingt Schweinebauch-tauglich!

5. Stern



Besser als der Asterisk, weil mehr Nutzfläche und trotzdem hohe Strahlkraft. Die Zahl der Zacken und ihre Länge lässt viele Varianten zu, die direkt proportional zur Darstellungsgröße des Zeichens entwickelt werden müssen: groß gedruckter Stern viele Zacken, klein gedruckter Stern weniger Zacken – sehr Schweinebauch-tauglich!

6. Rad



Das Rad ist, in dieser Betrachtungskette, bloß eine Sonderform des Sterns. Statt Spitzen ziert es Zähne (Zahnrad), Rundungen (Keks) oder Ausstanzungen (Briefmarke) wie hier dargestellt. Es ist die Button-Form für Individualisten mit hohem Entwicklungspotential ... sehr Schweinebauch-tauglich!

7. Freeform



Hier wird deutlich: eine gezeichnete Form ist, unter dem Schweinebauch-Gesichtspunkt, einer geometrischen deutlich überlegen. Ob sie in Richtung Sprechblase geht oder einen elliptischen Stern darstellt: die Assoziation »Comic« bietet sich unmittelbar an. Und da Comics eine sehr laute, lebendige und plakative Sprache pflegen ... sehr Schweinebauch-tauglich!

Ich bin noch die präzise mathematische Erklärung schuldig, warum Sterne mehr »krachen« als Kreise. Oben stand: Sie strahlen. Die Ursache hierfür ist ihr großer, gefächerter Umfang, im Vergleich zu Kreis, Viereck und anderen glatten Formen. Der französische Mathematiker Benoît B. Mandelbrot hat die fraktale Geometrie populär gemacht. Wir kennen alle seine Mandelbrot-Bäumchen: Flächen, deren Umrisse sich immer mehr einbuchten und verkräuseln wie ein Blumenkohl – ein Vorgang, der unendlich fortschreiten kann mit dem Ergebnis, dass der Umfang solcher Figuren gegen unendlich geht.
Der Umfang eines Sterns gehorcht der euklidischen Geometrie und ist stets endlich. Für Schweinebauch-Etikette sind Fraktale ungeeignet, weil sich die »Zellteilungen« im mikroskopischen Bereich abspielen und für den Leser von Prospekten unsichtbar blieben.



Fraktale Formen nach Mandelbaum: der Umfang geht gegen unendlich

Aus der dreidimensionalen Welt kennen wird die Bedeutung eines maximalen Umfangs, der hier Oberfläche heißt, durch die eigene Erfahrung. Heizkörper und Kühlflächen werden stets so konstruiert, dass ihre Oberfläche sehr groß ist um Wärme abzugeben. Die Ingenieure lösen dies durch Einbuchtungen (Kühlrippen), ähnlich wie sie bei den Fraktalen auftreten.
Fazit: Sterne und Räder verursachen aufgrund ihrer größeren »Oberfläche« (gemeint ist natürlich Umfang) eine höhere »optische Lautstärke« als Kreis oder Quadrat.

Die folgende Übersicht fasst die Grundformen für die Aktions-Label-Gestaltung zusammen. Ich habe sie in 4 Gruppen eingeteilt: a) Kreis/Quadrat und Zwischenformen, b) Kreuz/Asterisk, c) Sterne und d) Räder. Am besten eignen sich die Sternformen höherer Ordnung (ab 10 Zacken). Räder bieten jede Menge Potential, durch eine individuellere Form (als mit einem Stern) zu überraschen.





Button-Grundformen als PDF oder EPS downloaden

Handgezeichnete, »lebendige« Formen übertreffen jede geometrische Konstruktion. Das beweist nicht zuletzt die Schrift FF Sale, einer der authentischsten Schweinebauch-Schriften auf dem Markt digitaler Fonts. Sie kommt aus dem Mutterland des Einzelhandel-Rabattkampfs, aus Großbritannien. Ihr Schöpfer Tony Booth hat jahrelang für eine Supermarktkette Schilder gezeichnet. Neben den drei Grundschriften FF Sale Light, Medium und Bold hat Booth auch Etikette und Buttons gezeichnet, die in dem mitgelieferten Font FF Sale Dingbats enthalten sind.



Aktionsbuttons aus der Schrift FF Sale von Tony Both, einem britischen Supermarkt-Grafiker

Abschließend sei erwähnt, dass sich auch Unternehmen außerhalb des Einzelhandels-Kriesengebiets gerne der Schweinebauch-Ästhetik bedienen, weil sie immer funktioniert und Aufmerksamkeit erzielt. Zwei Beispiele:

Emigre:




FontShop:


Herausgegeben: Sa - September 10, 2005 at 11:48 nachm.         |


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