FontExplorer X: Schriften besser verwalten


Auf der TypeCon im Juli in New York gestattete Linotype einen ersten Blick ins FontExplorer-Entwicklungslabor. Seit 4 Wochen ist das Schrift-Verwaltungsprogramm im iTunes-Look als finale Beta-Version für Mac-OS und Windows kostenlos downloadbar. Fontblog hat sich die Macintosh-Version des FontExplorer X angesehen und ... ist begeistert. Weiterlesen ...


Warum braucht man eigentlich eine separate Schriftverwaltung für das Macintosh OS X? Erster Grund: Weil Apple es selbst nicht hinkriegt, zumindest nicht für professionelle Belange, wo man schon mal ein paar hundert Fonts organisieren muss. Nächster Grund: das Apple-Schriftmenü wird mit den Schriften eines durchschnittlichen Designers – üblicherweise PostScript-Type-1-Familien – endlos lang, weil es keine Untermenüs zur Verfügung stellt. Dann dauert es ewig, bis man an den gewünschten Zeichensatz kommt, gerade wenn sie mit »Zapf...« beginnt. Der dritte Grund ist die Performance. Das Mac OS wird mit Hunderten von Schriften geliefert, was keine schlechte Sache ist: japanische Internetseiten angucken, in kyrillischen Tageszeitungen herumsuchen oder die Al-Jazeera-Seiten ungefiltert betrachten – eine spannende Weltreise. Doch wenn stets hunderte von Schriften installiert sind, bremst dies so manches Programm aus, weil jede Software ihr eigenes Schriftmenü aufbaut. Kommen dann noch so Spielereien hinzu wie »zeige die Schriftnamen in der jeweiligen Schrift«, vergeht einem schnell der Spaß an der großen Schriftvielfalt.



Das FontExplorer-Navigationsfenster, vergleichbar mit den iTunes-Wiedergabelisten: Bibliothek, Store, »Quarantänestation«, die Systemschriften, die Apple-Schriftsammlung, letzter Import, aktivierte Schriften, intelligente Sets, Gruppen ...

Die von Apple gelieferte Palette der lateinischen Schriften löst bei anspruchsvollen Designern Unlustgefühle aus. Was soll man mit Arial, American Typewriter, Baskerville, Charcoal, Copperplate, Skia und dem ganzen Zauber anfangen? Seiten gestalten bestimmt nicht. Aber wehe man deinstalliert versehentlich einen essenziellen Font, dann sind furchteinflößende Fehlermeldungen die Folge. Oder bestimmte Funktionen setzen ohne Ansage aus, wie zum Beispiel der kleine, rote Mail-Counter im Dock, wenn man Helvetica deinstalliert.
Also: ohne eine Schriftverwaltung läuft bei der professionellen Verwendung eines Macintosh-Rechners nichts. Die mitgelieferte Schriftsammlung (engl: Fontbook) hilft nur Amateuren. Sie bietet auf Systemebene keine Möglichkeit, überflüssige Schriften zu entfernen. Ja sie lässt einem nicht mal hinter die Kulissen der kniffligen Apple-Schriftverwaltung blicken. Das Unix-System kennt nämlich jede Menge Orte, an denen Schriften aufbewahrt (= zugänglich gemacht) werden können. Da gibt es gleich 5 verschiedene Fonts-Ordner: einer für den angemeldeten User, einer für alle User (= für den Rechner), einer für das Betriebssystem (Finger weg!), einer für die Classic-Umgebung (Ordner »Zeichensätze«) und einer, der im Netzwerk liegen kann. Die unangenehmste Eigenschaft der Apple-Schriftsammlung: Sie bewegt die Schriftdaten physisch zwischen den Fonts-Ordnern hin und her, was für Schriftensammler eine Katastrophe ist, denn meist haben sie ihre Kollektion auf der Verzeichnisebene nach den eigenen Vorstellungen bereits sortiert. Das Apple-Programm scheut sich auch nicht, beim wiederholten Installieren und Deinstallieren von Schriften diese doppelt und dreifach in den diversen Fonts-Ordnern anhzulegen, was nicht nur für eine vollere Festplatte sondern auch bald für selbst verursachte Konflikte sorgt.



Die vier möglichen Teilfenster des FontExplorer X: Verwaltung, Schriftenlisten, Informationen und Schriftmuster

Was bleibt sind die kommerziellen Verwaltungsprogramme, zum Beispiel Extensis Suitcase oder FontAgent Pro ... Ich kenne sie beide. Sie haben mich nicht nur Nerven, sondern auch jede Menge Dollars gekostet. Auf ihre Vor- bzw. Nachteile will ich an dieser Stelle gar nicht mehr eingehen, denn sie sind alle vergessen, seit ich Linotypes FontExplorer X installiert habe (ein unvorteilhafter Name, der schon für andere – inzwischen eingestellte – Produkte verwendet wurde ... aber das wissen eigentlich nur Insider).
Der Anspruch von FontExplorer X ist einfach auf den Punkt gebracht: er will das iTunes für Schriften sein. Linotype überholt also Apple in Sachen Schriftverwaltung mit seinen eigenen Mitteln. Und weil Linotype das extrem konsequent durchgezogen hat, ist der FontExplorer zur Zeit die eleganteste Schriftverwaltung unter Mac OS X.
Dabei geht die Software mit Geschick auf die Bedürfnisse der User ein, von Home-Office-Ansprüchen bis zu hochprofessionellen Bedürfnissen. Bei der Installation begleitet einen ein Assistent, der vor Fallen warnt und wichtige Entscheidungen anmoderiert, zum Beispiel ob man gleich alle Schriften importieren möchte und ob gefundene Font-Dateien bewegt werden sollen (anstatt eine eigene FontExplorer-Library mit Kopien aufzubauen, was in den meisten Fällen zu empfehlen ist). Der FontExplorer ist ein natives Cocoa-Programm, und damit schnell, optisch attraktiv und er greift auf alle vertrauten Systemmodule zurück, zum Beispiel die Farbpalette.



Das dreistufige FontExplorer-Info-Fenster liefert technische Daten plus Herstellereinträge, Zeichen-Informationen und ausführliche Vorschauen

Wie keine andere Schriftverwaltung – vor allem nicht das Apple Fontbook – macht der FontExplorer X die möglichen Speicherorte von Schriften sichtbar: Systemebene, Benutzer-Bibliothek, ja sogar die ominöse Apple-Schriftsammlung kann man hier zähmen und für seine Bedürfnisse in einer einfachen Form anpassen (sie steht in allen Cocoa-Programmen bereit, wie zum Beispiel Mail, Safari, Keynote, TextEdit und so weiter). Im Verwaltungsfenster lassen sich dann die seit Suitcase bekannten Font-Sets anlegen, endlich aber so komfortabel, wie wir das seit dem Erscheinen von iTunes kennen. Das heißt auch: intelligente Gruppen sind möglich, zum Beispiel nach den Kriterien Name, Familie, Pfad, Stil, Copyright, Hersteller, Lieferant und vielem mehr, bis hin zur eigenen Sterne-Bewertung.
Das Hinzufügen von Schriften geschieht durch einfaches Verschieben mit der Maus, entweder in das Schriftlistenfenster, besser aber in das Verwaltungsfenster und dort in eine zuvor angelegte Gruppe, so dass man nie den Überblick und den schnellen Zugriff verliert. Was fast noch mehr Freude bereitet, ist das Entfernen von Schriften aus FontExplorer, zum Beispiel wenn eine neue Version verfügbar ist. Seit Adobe Type Manager war dies stets ein Glücksspiel, auch bei Suitcase und erst recht beim FontAgent. Das Betätigen der Löschtaste entfernte zwar irgend einen Schrift- oder Familiennamen aus irgend einer Liste, aber man war nie sicher, ob die Schrift aus einer Gruppe, aus der Menge der geöffneten Schriften, aus den bekannten Schriften oder den unbekannten Schriften der Verwaltungssoftware entfernt wurde. Nur eins war stets sicher: kurz darauf waren die Löschkandidaten wieder auferstanden und kamen mit den neuen in die Quere. Der FontExplorer spricht da eine deutliche Sprache: aus FontExplorer entfernen heißt »ab in die Tonne«, fertig.



Die Inhalte von OpenType-Schriften stellt der FontExplorer je nach Wunsch dar: Schieberegler und Klickboxen führen zur ganz persönlichen Übersicht

Geradezu luxuriös sind die angebotenen Untersuchungsmethoden für Schriften. Neben den ästhetischen Fragen werden auch die technischen und juristischen beantwortet. Dabei »belästigt« einen die Software nicht mit Daten, nach denen niemand gefragt hat. Die Informationstiefe geht immer so weit, wie sich der Anwender dies wünscht. Hier unterscheidet sich FontExplorer sehr deutlich von dem Apple-eigenen Zeichenpalette, die bisweilen mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet.



Beim Untersuchen der Schriften wird der FontExplorer seinem Namen gerecht: keine Information bleibt verborgen, keine Glyphe unentdeckt

Sehr spannend auch die Frage, wie FontExplorer mit der Auto-Aktivierung umgeht. Darunter versteht man das Laden einer der Managementsoftware bekannten, aber im Moment der Öffnung eines Dokuments nicht aktivierten Schrift. Auch dies beherrscht der FontExplorer. Zwar kommt es hier und da zu Fehlermeldungen von Anwendungsprogrammen wie InDesign oder Illustrator, die fehlende Schriften melden, obwohl sie diese dann nach dem Öffnen des Dokuments anstandslos anzeigen ... dies ist jedoch nicht das Verschulden des FontExplorers.



Ein weiterer Leckerbissen: das Vergleichen von Schriften (hier die FF Dax und die neue Schwesterschrift FF Daxline): dazu müssen die zu vergleichenden Schriften sich lediglich in derselben Gruppe befinden; die Farbe der Schrift und der hellblaue Hintergrund wurden individuell eingestellt.

Kommen wir zur angenehmsten Eigenschaft des FontExplorers: er ist kostenlos und soll es auch in der endgültigen Version bleiben. Zur Zeit liegt die zweite, überarbeitete finale Beta auf dem Server von Linotype bereit. Neben Bug-fixes kann diese nun auch technischer Einbettungsinformationen aus TrueType- und OpenType-Fonts lesen und im Informationsfenster anzeigen.
Fazit: Der FontExplorer ist die beste OS-X-Schriftverwaltung, die es im Moment gibt: sicher, einfach zu bedienen, flexibel und mit stets verständlichem Feedback an den Benutzer.

Herausgegeben: Di - Oktober 4, 2005 at 03:17 nachm.         |


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