Zwischen Neutralität und Überschwang: Heimat
Zwei Schriften in einer Familie
Neutralität und Ausdrucksstärke sind auf den ersten Blick zwei Attribute, die sich ausschließen. Umso interessanter war es eine Schrift zu gestalten, die mit Hilfe von Alternativbuchstaben zwischen beiden Polen oszilliert – eine extreme und zugleich neutrale Schrift sein will. Christoph Dunst hat diese Herausforderung angenommen und legt nun sein neustes Werk vor, die Schriftfamilie Heimat (fontshop.de-Link …).
Der Begriff Neutralität ist nicht unbedingt mit Vertrautheit gleichzusetzen. Viele Schriftkenner halten beispielsweise Akzidenz Grotesk oder Helvetica für neutral, übersehen aber, dass in den Konstruktionen beider Schriften sehr viel mehr Raffinesse steckt, als dass sich die Formen selber erklären. Was diese Schriften neutral wirken lässt ist allein ihre Allgegenwärtigkeit und dass sie deshalb kaum wahrgenommen werden.
Anders verhält es sich mit der DIN-Schrift, die sich aufgrund ihres pragmatischen Aufbaus weniger ästhetischen Kompromissen beugen musste. Hier beginnt die Entstehung der Heimat. »Seit den Arbeiten an der FF-DIN-Familie, die ich für Albert-Jan Pool bereits 2002 begann, habe ich mir oft Gedanken zu der konzeptionellen Gestaltung von konstruierten Groteskschriften gemacht. Ich wollte eine Serifenlose gestalten, deren Formen alle logisch nachzuvollziehen sind, die einen sehr eigenwilligen Charakter hat ohne über eine ›Persönlichkeit‹ zu verfügen.« erinnert sich Christoph Dunst an die ersten Konzepte für Heimat.
Wichtig war ihm, einen geometrischen Gesamteindruck zu erzeugen, ohne die Buchstaben mit einem Baukastenprinzip zusammenzusetzen, wie dies bei DIN beispielsweise der Fall ist. Allerdings sollte die Schrift nicht zu sehr in Richtung Futura gehen, bei der ein O kreisrund aussieht. Somit konnte weniger mit einem Raster gearbeitet werden, als vielmehr mit einem ideellen Konzept, das auf alle Zeichen zu übertragen war.
Die DIN-Schrift basiert auf einem relativ einfachen Gestaltungsprinzip von geraden Elementen und Kurven. Sieht man sich die Versalien der Helvetica an, erkennt man, dass es sich in erster Linie um geschlossene Formen handelt. Bei der DIN gibt es sowohl geschlossene wie offene Endungen. Dass die Kleinbuchstaben allesamt offen sind, wirkt sich gut auf die Lesbarkeit aus.
»Da Heimat über wenige ästhetische Modifikationen verfügen sollte und möglichst streng umgesetzt werden sollte, entschied ich mich, alle runden Endungen geschlossen enden zu lassen.« beschreibt Dunst eines der Heimat-Konstruktionsprinzipien. Der positive Effekt guter Lesbarkeit von offenen Formen sollte jedoch Maßstab sein, was sich schwer mit geschlossenen Formen erzielen lässt: Wer einmal ein Buch in Helvetica lesen musste, weiß was gemeint ist. »Nach umfangreichen Studien entschied ich mich dafür, die Kurven möglichst flach enden zu lassen, so dass der negative Raum die einzelnen Buchstaben im Satz harmonisch verbindet und somit die Lesbarkeit unterstützt:
Des weiteren lag es nahe, den Zeichensatz um Alternativzeichen zu erweitern, damit es eine extreme Variante und eine neutrale gibt. Der Grund weshalb bei dieser Schrift die neutraleren Zeichen als Alternate-Belegung und nicht im regulären Zeichensatz sind, ist ganz einfach die stärkere Charakteristik:
Hanging Figures mit proportionaler Breite für den Einsatz im Text:
Hanging Figures Monospaced für Tabellensatz:
Lining Figures mit proportionaler Breite für den Einsatz im Text und in Headlines:
Lining Figures Monospaced für Tabellensatz:
Heimat ist eine Großfamilie. Der umfangreiche Zeichensatz bietet die Schnitte ExtraLight, ExtraLight Italic, Light, Light Italic, Regular, Regular Italic, Semibold, Semibold Italic, Bold, Bold Italic, Extrabold, Extrabold Italic und ist aufgrund der vielen Ligaturen und alternativen Glyphen nur im OpenType Format erhältlich:
Wer eine frische, gut ausgebaute und vielseitig einsetzbare Schrift sucht, wird mit Heimat große Freude haben. Sie hat sowohl enorme Displaywirkung als auch eine gute Textqualität und lässt sich somit zum Beispiel für Plakate, Leitsysteme und Editorial Design ausgezeichnet einsetzen. Auf den ersten Blick scheint sie durch ihre Eigenwilligkeit die erste Wahl für kulturelle Institutionen und Themen, doch warum sollte ein selbstbewusstes Unternehmen oder eine Marke nicht mit Heimat ihren Anspruch betonen?
Während der Entwicklung von Heimat gab es viele Diskussionen mit Schriftgestaltern, wie streng eine Schrift sein darf und wann die Lesbarkeit wichtiger ist, als die konsequente Umsetzung eines formalen Konzepts. »Für mich stand an oberster Stelle, eine Schrift zu gestalten, der einer interessanten Ausgangsidee zu Grunde liegt, die aber nicht weich gekocht wird um am Ende als witzloser Kompromiss dazustehen. Mein Ziel war, eine Displayschrift mit guter Lesbarkeit zu gestalten. Dass sich Heimat auch in kleinen Größen erstaunlich gut lesen lässt, hatte ich erwartet … und es war trotzdem eine positive Überraschung.« Resümiert Christoph Dunst.
Heimat ist keine Schrift für vorsichtige Gestalter, sondern ein Ansporn, typografisch mehr zu wagen.
Den Einzelschnitt Heimat gibt es für 49 €, die gesamte Familie (12 OpenType-Schnitte) kostet 350,– €. Heimat auf www.fontblog.de …
3 Kommentare
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Wolfgang
Wow, da läuft einem wirklich das Wasser im Mund zusammen. Leider ist der Preis ziemlich hoch für eine Typo, die man nur sehr begrenzt einsetzen kann. Immerhin ist sie aber ein absolutes Unikat.
Daniel
Eine sehr schöne Schrift, jedoch kippen mir die 6 und die 9 zu doll als wenn diese gleich umfallen würden.
jan
@ Daniel wer nicht wagt der nicht gewinnt.
Ich find die Schrift sehr elegant. Lediglich der fette schnitt macht das ganze wieder unheimlich breit aber sonst find ich sie sehr schön.