Wird Kyrillisch eine aussterbende Schrift?

Wenn Bulgarien in drei Monaten Mitglied der Europäischen Union wird, was die Europäische Kommission kommende Woche empfiehlt, gehört erst­mals eine kyril­lisch geschrie­bene Sprache zu den offi­zi­elle EU-Sprachen. Bulgarien feiert sogar einen Tag der kyril­li­schen Schrift (24. Mai) als offi­zi­ellen Feiertag, an dem am Denkmal für Kyrill und Method vor der Bulgarischen Nationalbibliothek Blumen nieder­ge­legt werden (Abbildung).

Ein Artikel im aktu­ellen Economist-Magazin vertritt die Ansicht, dass die kyril­li­sche Schrift in den kommenden Jahren stark an Bedeutung verlieren wird. Auch in Bulgarien ist die kyril­li­sche Schrift eigent­lich auf dem Rückzug (daher der Feiertag?), seitdem sie einst von den Sowiets verordnet wurde: man bedient sich längst einer Transliteration, alo einer latei­ni­schen Umschreibung. Als erstes schaffte Moldawien die Schrift ab, danach Aserbaidschan.

In Zentralasien wird Kyrillisch wohl über­leben, obwohl Usbekistan eigent­lich wech­seln möchte. In Montenegro, Europas jüngster Zuwachs seit der Trennung von Serbien diesen Sommer, gewinnt das latei­ni­sche Alphabet an Popularität, obwohl beide Staaten den glei­chen Status behalten sollen.

Schriften funk­tio­nieren am besten mit den Sprachen, für die sie entwi­ckelt wurden. In »fremden Territorien« verur­sa­chen sie eine Bündelung von Konsonanten, Vokalen oder Akzentbuchstaben. Slawische Sprachen, die latei­ni­sche Buchstaben verwenden, reiben sich an den sch- oder ch-Lauten, die im Kyrillischen mit einem Zeichen geschrieben werden, mit latei­ni­schen Zeichen aber je nach Laune sz, cz, ci, si, š, ś oder ć geschrieben werden, wie in dem polni­schen Wort szczęś­liwy, das »glück­lich« bedeutet (wenn Ihr jetzt ?s und Äs seht, so liegt das nicht an einer billigen Schrift, die ihr oder ich einsetze, sondern daran, dass die per CSS empfoh­lene Schriftart Georgia die von mir verwen­deten osteu­ro­päi­schen Akzentbuchstaben nicht enthält).

Burgarische Transliterationen sind teils chao­tisch. Nikolay Vassilev, der das als Minister Minister für Wirtschaft und Energie regeln soll, führt als Beispiel die Stadt Панагюрище an, die auf nicht weniger als 7 Arten trans­li­te­riert werden kann. Das aktu­ellste System schlägt Panagyurishte vor. Es bleibt span­nend für Sprachforscher und Schriftentwerfer.


13 Kommentare

  1. Ugla

    In Bulgarien wurde das Kyrillische nicht von den Sowjets verordnet, und der Feiertag zu Ehren Kyrill und Methods ist uralt! Siehe auch:

    http://​de​.wiki​pedia​.org/​w​i​k​i​/​K​y​r​i​l​l​i​s​c​h​e​s​_​A​l​p​h​a​bet

  2. Jürgen Siebert

    Wer wüsste das besser als Du, Ugla … danke für den Hinweis. J

  3. Christoph Päper

    Das bulga­ri­sche Щ wird immerhin nur als »Scht« ins Deutsche tran­skri­biert, nicht in den Buchstabenhaufen »Schtsch« wie beim russi­schen. (Entsprechend schriebe man den Ort in einem deut­schen Text »Panagjurischte«; wenigs­tens bis Bulgarien offi­ziell eine Lateinschrift einführt.)

    Dass das kleine E mit Ogonek in »szczęś­liwy« als großes Ä und Fragezeichen erscheint, liegt aber wohl kaum an der Schriftart, sondern an einem Kodierungsfehler (vermut­lich UTF-8 als ISO 8859(-1) gelesen). Warum die Polen lieber z-Digraphen als Hatscheks (wie die Tschechen etc., *»š�?ęśliwy«) verwenden, werde ich wohl nie verstehen. Genauso wenig, weshalb die Allerwelts-Georgia (oder jede belie­bige andere Mainstream-Schriftart) nicht wenigs­tens WGL4 abdeckt.

    Ich warte noch auf die OT-Schrift, die (optional) nicht-latei­ni­sche Schriftsysteme trans­li­te­riert (nach jewei­liger ISO-Norm, z.B. ISO 9 für Kyrillisch: »Panagûrište«).
    Davon abge­sehen fände ich es toll, wenn »man« sich lang­fristig auf ein einheit­li­ches Akzent-System für die latei­ni­sche Schrift einigen könnte – d.h. jede Buchstabe-Akzent-Kombination stünde in allen Sprachen für dieselbe Funktion bzw. denselben Laut, aber »nackte« Buchstaben könnten indi­vi­duell besetzt werden – und Di-/Trigraphen voll­ständig durch Ligaturen oder diakri­ti­sche Zeichen ersetzen würden.

    Ansonsten denke ich, dass die Situation zur Erhaltung verschie­dener Schriftsysteme vor allem aus tech­ni­scher Sicht eher immer besser wird. Nur die Chancen auf Weiterentwicklungen (z.B. Scharf-S-Majuskel) werden durch die Kodifizierung eher erschwert. Außerdem werden, falls über­haupt, lange bevor die Russen samt ortho­doxer Kirche das Kyrillische aufgeben, die Griechen und die Hebräer / Juden / Israelis das mit ihren Alphabeten tun.

  4. Ugla

    Derselbe Buchstabe wird eben im Bulgarischen scht ausge­spro­chen und im Russischen schtsch. Panagjurischte, aber Borschtsch (russi­sche Rote-Bete-Suppe).

    Und Transliterationen sind je nach Zielsprache verschieden, weil man im Deutschen andere Laute hat als z. B. im Englischen. Schon bei Namen ist Iwanowa z. B. im Deutschen mit w laut­ge­recht zu lesen, im Englischen muß es aber Ivanova mit v heißen, damit der Name richtig ausge­spro­chen wird.

  5. Christoph Päper

    Das Blogsystem bzw. der Server ist eindeutig falsch konfi­gu­riert oder system­be­dingt kaputt; auf eine selt­same Art und Weise. Zeichen aus Windows-1252 (¼ – Viertel) oder Macintosh Roman (‰ – Promille) scheinen problemlos durch­zu­kommen, aber anderes wird als »Ä?« ausge­geben (0xC3843F in UTF-8 und 0xC43F in ISO 8859), wobei meine obige Vermutung (UTF-8 als ISO 8859-1 gelesen) nicht stimmt, denn erstens wäre e mit Ogonek 0xC499 in UTF-8 (Ä plus Trademarkzeichen in Windows 1252) und zwei­tens ist auch das c mit Hatschek/Caron genauso verhack­stückt worden. Hinzu kommt noch eine (unnö­tige) Kodierung des Ä (und aller anderen nicht in US-ASCII enthal­tenen Zeichen) als dezi­male nume­ri­sche Zeichenreferenz (Ä), die im Übrigen auch im Feed schon aufge­fallen ist, obwohl sie eigent­lich in XML wie HTML und SGML funktionieren.

  6. Christoph Päper

    Seltsam, dass Kyrillisch funk­tio­niert, Polnisch aber nicht. Auch das Promillezeichen und Viertel sind gut durch­ge­kommen, obwohl beide nur in je einem von Mac- und Windows-Zeichensatz vorkommen. Es scheint also kein (reines) Umkodierungsproblem zu sein, sondern irgend­eine dumme künst­liche Intelligenz.

    Ugla, eine Transliteration kann (und sollte meiner Meinung) quell- und ziel­sprach­un­ab­hängig durch­ge­führt werden. ISO 9 ist in diesem Fall der Standard dafür und verwendet Ŝ (S mit Zirkumflex) für Щ. Lautliche Umschriften haben natür­lich auch ihre Daseinsberechtigung, wobei ich aber gerade das sklavische Festhalten am W in der deut­schen Transkriptionspraxis nicht nach­voll­ziehen kann (S/Z, Sch, Ch und auch J schon eher), denn das führt z.B. zu »Wiktor« statt dem hier­zu­lande übli­chen »Viktor« (im Gegensatz zum origi­nalen »Victor«).

  7. Ivo

    Der Kodierungsproblematik gehe ich in den nächsten Tagen mal auf den Grund. Für Ratschläge bin ich natür­lich immer dankbar.

    Viele Grüße, Ivo (oder Iwo, ja wie denn nun?)

  8. Christoph Päper

    Ach, Mist, das Promillezeichen kommt doch in CP1252 vor, aber das Wurzelzeichen nicht: √.

  9. Jochen Evertz

    Ergibt meines Erachtens wenig Sinn weiter nach vertauschten Zeichen zu fahnden. Sieht mir nach einem Fehler in der Datenbank aus. Stichwort ‚Collation‘.
    Solch eine Diskussion gehört aber wirk­lich nicht ins Fontblog. Ivo, melde Dich doch mal direkt.

  10. Harki

    Nein, das щ wird im Russischen nicht wie ein volles „schtsch“ ausge­spro­chen, sondern wie ein „gezi­scheltes“ sch; in manchen Transliterationssystem (auch deut­schen) wird es ja auch als scht umschrieben. War das nicht in der DDR so? Ich bin mir nicht sicher…

    Aussterben wird die Kyrilliza in Rußland garan­tiert nicht. Absurd. Ebenso der Gedanke, daß die Israelis anfangen würden, mit latei­ni­schen Buchstaben zu schreiben. Und ange­sichts des wirk­lich jahr­tau­sen­de­alten Gegensatzes zwischen latei­ni­scher und grie­chi­scher Christenheit halte ich es auch für kaum denkbar, daß die Byzantiner jemals ihr Alphabet aufgeben werden.

    In den turk­spra­chigen Ländern Zentralasiens hat die Übernahme des latei­ni­schen Alphabets natür­lich auch immer einen pantur­a­ni­schen Impetus. Gerade damals unter Özal war die Türkei sehr bemüht, ihre zentral­asia­ti­schen Brudervölker zum Verwenden latei­ni­scher Buchstaben zu animieren.

    Von klemp­ner­haften Versuchen, gewach­sene Kultursprache umzu­krem­peln („ich fände es toll, wenn alle Sprachen…“), halte ich gar nichts – wohin das führen kann, haben wir im letzten Jahrzehnt mit der Zerstörung der deut­schen Schriftsprache dras­tisch vor Augen geführt bekommen.

    Generell scheint es mir ein ganz selbst­ver­ständ­li­cher Ausdruck natio­nalen Selbstbewußtseins, Wörter aus fremden Alphabeten entspre­chend dem Lautstand der eigenen Sprache zu tran­skri­bieren und nicht etwa die angel­säch­si­sche Transkription nach­zu­äffen. In Frankreich käme kein Mensch auf den Gedanken. Daher ist dieses -ov für mich auch ein perma­nenter Aufreger – gut, „Viktor“, „Valentin“ etc. sind hier sicher Ausnahmen.

    Übrigens, von wegen viel­fäl­tige Möglichkeiten, einen russi­schen Namen zu umschreiben: Richtig lustig ist ein Google-Suche nach west­spra­chigen Texten über den gewal­tigen russi­schen Liedermacher Владимир Вы�?оцкий

    W|Vladimir

    v | w
    y | i
    s | ss
    o
    c | z | ts | tz
    k
    i | ij | y | yj

    Macht also beim Nachnahmen 128 verschie­dene Möglichkeiten, ihn zu Umschreiben. ;)

  11. Eugê

    Ich finde die Vielfalt in den Sprachen und Zeichensätzen gut und würde daran nie etwas ändern wollen. Wer Uniformierung will, sollte bedenken, dass Englisch die Weltsprache ist. Dann müssten auch deut­sche Laute und Schreibweisen ange­passt werden.
    Möchte wirk­lich jemand, dass deutshe Shtahlarbeiter in den Shtrassen brit­tishe Shocolade essen? Wie ist es mit dem Französischen?
    Und für die nicht an die Sprache, sondern an die Typographie verge­benen: Morgen kommen die Typo-Götter zusammen und beschließen für jeden verbind­lich 20 Fonts, die als einzige benutzt werden dürfen. Der Rest wird abgeschafft.
    In diesem Sinne: Respektiert das Andere, denn es macht euch einzigartig!

  12. Jens Kutilek

    Ich habe die Georgia als OTF aus Windows auf meinem Mac (eben weil ich osteu­ro­päi­sche Buchstaben brauchte), die hat ein viel größeres Zeichenrepertoire als die bei Mac OS X mitge­lie­ferte. Aber die Kodierung ist hier trotzdem irgendwie kaputt . . .

  13. Florian

    Wird Kyrillisch eine ausster­bende Schrift?

    Vor fünf Jahren habe ich im Bahnhof von Belgrad miter­lebt, wie gerade bis dahin doppel­schrift­li­chen Infotafeln und Fahrpläne durch rein kyril­li­sche ersetzt wurden …
    Serbien wollte sich, im Aftermath des Jugoslawien-Kriegs und der NATO-Bombardierung, vom Westen abgrenzen. Dies geschah (und geschieht) u.a. über Kultur, und eben inters­san­ter­weise auch über Schrift​.Am Belgrader Bahnhof ist also zunächst mal die latei­ni­sche Schrift ausge­storben – sehr zum Leidwesen meiner Orientierung. ;)

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