Wenn Schriften altern: Grimoire und Sadness
von Felix Braden
Gerade sind Felix Braden’s Erstlingswerke Sadness und Grimoire in der Neuauflage bei Myfonts erschienen. Nach dem traurigen Ende der Fountain Type Foundry musste er sich die Frage stellen, ob seine 20 Jahre alten Entwürfe noch eine Existenzberechtigung haben.
Ziemlich genau zur Jahrtausendwende gründete ich die Freefont Domain Floodfonts. Ich hatte mich mit zwei Freunden selbstständig gemacht, und um ein wenig Presse zu bekommen, entschieden wir uns, die während des Studiums entstanden Schriftprojekte zum kostenlosen Download anzubieten. Kaum hatten wir eröffnet, meldete sich Peter Bruhn aus Schweden mit der Frage, ob wir die Schriften nicht lieber über sein Label Fountaintype vertreiben möchten, statt sie zu verschenken. Aus den insgesamt 10 Schriften von Floodfonts wählte Peter drei aus, die daraufhin überarbeitet und auf den umfangreichen Zeichensatz von Fountain ausbaut wurden. Peter unterstützte uns mit vielen wichtigen Infos und Korrekturen und nach einem knappen Jahr wurden Sadness und Grimoire bei Fountain veröffentlicht. Leider habe ich Peter nur ein einziges Mal persönlich getroffen. Aber letztendlich verdanke ich ihm viel, denn er hat in mir den Gedanken geweckt, dass Schriftgestaltung für mich mehr werden könnte als nur ein Hobby.
Nach Peters tragischem und unerwartetem Tod im letzten Jahr musste ich mich der Frage stellen, wie er nun mit den Schriften weiter geht. Lotta Bruhn, Peters Frau, hatte sich entschieden, die Fountain Website im Netz zu lassen, wollte aber die Foundry nicht weiterführen. Mir gefiel der Gedanke, Peters Lebenswerk zu ehren. Aber Sadness und Grimoire sind während meines Studiums entstanden und mittlerweile fast 20 Jahre alt. Haben diese Schriften heute noch eine Existenzberechtigung? Wenn mich Leute fragen, was mich an Type Design so begeistert, nenne ich als Argument stets auch Zeitlosigkeit. Wenn man bedenkt, dass die Garamond aus dem 16. Jahrhundert heute noch die meist gelesene Buchschrift ist, würde das bedeuten, zum Beispiel übertragen aufs Modedesign, dass wir mit Ritterrüstungen oder Brustharnischen herumlaufen und in Pferdekutschen zur Arbeit fahren. Der Gedanke, dass ein Designkonzept über 500 Jahre bestand haben kann, übt auf mich eine unglaubliche Faszination aus. Nicht, dass ich meine Schriften für derart bahnbrechende Entwürfe halte, aber im Type-Design ticken die Uhren eben anders und verglichen mit einem halben Jahrhundert sind die 20 Jährchen von Grimoire und Sadness ja nur ein Wimpernschlag.
Also entschloss ich mich, die beiden in die Jahre gekommenen Fonts dezent zu überarbeiten und noch einmal auf den Markt zu bringen. Ich habe die Hoffnung, dass man damit auch heute noch zeitgemäßes Design machen kann und bin sehr gespannt auf die ersten Anwendungen.
Sadness basiert auf Experimenten mit der ›Blendfonts‹-Funktion von Fontographer, einer Typedesign-Software, mit der Zwischengrößen von Schriften errechnet werden können, um den Gestaltungsaufwand bei großen Schriftfamilien zu minimieren. Dabei wurden völlig unterschiedliche Schriften eines befreundeten Designers interpoliert, was in der Regel nur funktioniert, wenn die Konturen der Schriften ähnlich aufgebaut sind. An einigen Stellen konnte das Programm neue Outlines errechnen, doch die Ergebnisse waren sehr fragmentarisch. Daraus wählte ich die charakteristischsten Elemente aus und gestaltete damit eine neue Schrift.
Grimoire lebt von dem Gedanken, zwei stark kontrastierende Konstruktionsprinzipien zu verbinden: Den zeichnerischen, technischen mit dem kalligrafisch, schreiberischen Schriftgestaltungsansatz. Die Schrift basiert auf einem modularen System, simuliert aber dennoch eine Schreibschrift. Die Idee hat mich seitdem so fasziniert, dass ich viele Schriften nach diesem Konzept gestaltet habe, wie z.B. die bei Volcanotype veröffentlichte Bikini. Auch meine jüngste Schrift, die mehrfach ausgezeichnete FF Scuba lebt von diesem Konzept allerdings bin ich mit zunehmenden Alter weniger experimentierfreudig und will weniger exzentrische als vielseitig einsetzbare Schriften gestalten.
Beide Schriften, Grimoire und Sadness, sind bei Myfonts bis zum 19. Mai 2015 mit einem Einführungsrabatt von 80 Prozent erhältlich.
11 Kommentare
Kommentarfunktion ist deaktiviert.
<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
Kurt
Da beide Links (zumindest derzeit) nicht funktionieren, versuche ich etwas nachzuhelfen: falls es nicht nur vorübergehend bleiben sollte.
Grimoire & Sadness
Auch ich
Wie gut die FF Scuba funktioniert, beweist dieses Blog eindrucksvoll, sofern man die Schriftart nicht oben manuell gewechselt hat. Sie ist ganz einfach auch bei kleinsten Schriftgrößen noch gut zu lesen. Und das, obwohl ich fast blind bin.
Nochmals ich
Wie die Verkehrszeichenschriften der Schweiz, Deutschlands, Österreichs etc.? Wow, davon gibt es aber viele; ohne Experimentieren wird das nicht gehen. Auch hier dürfte Charakter gefragt sein. Erik Spiekermann hat so die Gebrauchsschrift, Brot- und Butterschriften wie er sie nennt, namens Tern für das österreichische Bundesverkehrsamt (wenn ich mich recht entsinne!) geschaffen, die für mich sehr charismatisch daherkommt und auf fast jedem Ortsschild et cetera seine Anwendung findet. Auch die deutsche DIN 1451 findet bei mir Anklang, oder eben Frutigers Astra in der Schweiz.
Und sollten sie so ’ne Brot- und Butterschrift mit Charakter schaffen, ich werde sie kaufen. Aber es wird auch für gute Zeichner hart, Neues umzusetzen und auch noch ’nen Durchbruch damit zu schaffen. Und: Ja, Ihre Schriften haben Existenzberechtigung, sogar dann, wenn sie in solchen Massenblogs nicht gefunden und deshalb nicht oder besser kaum gekauft würden.
Diese Werbung oben hilft zwar, aber leider ist mit diesen Preisen kaum Einkommen zu erzielen. Und das ist schade!
Felix Braden
Danke für die netten Worte. Ich stimme Ihnen beim Thema „Experiment“ voll zu: Experimentieren ist wichtig! Nur so kann sich Type Design weiterentwickeln. Auch im Bereich der Butter&Brot-Schriften ist das möglich, nur eben in kleineren Dosen!
Was halten Sie denn von der FF Scuba? Die ist nämlich genau als B&B-Schrift mit Charakter angelegt.
569 Glyphen pro
Schnitt bei 16 Schnitten sind ja schon mal ’ne Ansage. Dass die FF Scuba mit den Kursiven auch sehr funktionell daherkommt, das finde ich gut. Mit verschiedenen Ziffernformaten wie Mediävalziffern, aber besonders auch wegen, was bei nicht gerade wenigen Fonts fehlt, der Vielzahl von Brüchen, Zählern und Nennern (die fehlen ja oft ganz, wenn ich mich recht entsinne) ist sie ein Font meiner Wahl; schon deswegen, weil ich die Zähler gerne als Minutenangabe in Uhrzeiten verwende, was ja typographisch auch nicht ganz korrekt ist, glaube ich, auf Plakaten aber oft ganz gut ankommt und in meiner Gegend (was nichts bedeuten mag) oft so gehandhabt wird. Fehlend und hochgerechnet sind diese ja zu 99 % unbrauchbar (dünn et cetera!).
Nur die Galano von Rene Bieder ist mir diesbezüglich positiv aufgefallen, da die 3 (steht etwas tiefer, ist nicht so auffallend viel dünner, schneidet dafür schön an der Versalhöhe ab, was gut zu den Versalziffern passt) fast besser zur Stundenangabe passt, als die reale Glyphe. Verwendet habe ich dann doch den Zähler, oops. Beispiele sind hier einzusehen!
Weil ich besonders bei der HWT Artz von Erik Spiekermann vergessen habe – was ja nicht das Einzige ist, ich habe auch den Boden unabsichtlich nach unten verschoben, weswegen die Plakate in der Luft hängen, autsch –, die Textur am Material in Maxons C4D R16 etwas hochzuschieben, erscheint das Plakat im Kasten zu tief (dieser Fehler betrifft nicht die Druckversion), was ich zwar (ist ja mehr oder weniger nur ein Privatprojekt) wegen der Renderzeiten nicht mehr ändern werde, mich aber dazu bringt, für diesen Fehler den professionellen Betrachter um Verzeihung zu bitten.
Der Grund einiger Erwähnungen hat damit zu tun, dass ich ausdrücken und mittels einiger anderer (noch) Fontbeispiele untermauern möchte, dass auch die sogenannten Gebrauchsschriften (man beachte hier auch die ITC New Veljovic!) durchwegs über die Buch-, Zeitschriften-, Zeitungsgestaltung und so weiter und so fort hinausgehen können, dürfen und auch ganz besonders sollten, sofern der Gestalter dies als richtig erachtet und sein Kunde als schön, informativ und/oder interessant empfindet. Die fetten Schnitte solcher „Brot- und Butterschriften“ (Erik Spiekermann) beweisen einfach, dass das alles möglich ist.
Mit der FF Scuba haben Sie das alles längst geschafft; auch, wenn ich mir noch Kapitälchen wünschen würde!
Freundlich
Ich
PS: Wie schon mal erwähnt, wäre es sehr schade, wenn die Scuba unter der Vielfalt der Schriften untergehen würde, weswegen man sie wohl ständig bewerben müssen sowie gedanklich in Umlauf halten müssen wird, weil in so großen Verkaufsportalen von Kunden gefunden zu werden, ein ähnliches Problem darstellt, wie sie in einem eigenen Portal an den Mann zu bringen. Für das zuletzt Erwähnte muss jemand nämlich die Adresse beziehungsweise den Namen des Anbieters kennen – auch nicht günstig zu haben –, damit man gefunden wird. Und das ist leider die ganz große Herausforderung in Zeiten des Internets.
PPS: Ich glaube, dass besonders kleine Firmen das www völlig falsch einschätzen. Die Chancen sind auch hier nur für die Wenigsten wahrhaftig groß. Aber mit dem Gag in MyFonts haben Sie ja schon einen Schritt in die für Sie gute Richtung getan: Man biete ständig einen (einem selbst!) weniger wichtigen Font in der Angebotsliste an, sodass eventuelle Käufer durch Klick auf den Namen die anderen einsehen und annehmen mögen. So schlecht funktioniert das gar nicht, bin selbst schon darauf rein gefallen.
PPPS: Die Scuba ist übrigens sehr fein ausgeführt. Vielen Dank – im Namen aller künftigen Käufer – dafür von mir. Auch wenn ich dadurch (im Namen anderer zu sprechen!) weit hinaus über die Kiepe luge.
@ Felix
Ich hoffe, dass meine Antwort (einige Links!) bald durchgestellt wird!
Aber bis zur
Publikation meiner Antwort möchte ich Ihnen eine von vielen, vielen möglichen Inspirationsquellen zur Einsicht anbieten, weil ich der Überzeugung bin, dass dieser koreanische Designer sehr gute Schriften designt, aber wie (leider) viele andere auch, sehr unbekannt geblieben ist. Und: Nein, ich bin nicht bei Facebook und werde es niemals sein. Ein Wahnsinn, wie viele Zeichen er manchen Fonts seiner Sprache hinzugefügt hat. Und auch bei solchen Hangul-Zeichen ist Charakter möglich, wie der Designer mit der Core Gungseo eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Felix Braden
Danke für die Lobeshyme auf die FF Scuba :-)
Ich hatte tatsächlich länger überlegt auch Kapitälchen hinzuzufügen. Letzendlich habe ich mich dagegen entschieden, weil ich persönlich Kapitälchen hauptsächlich in einem klassischen Zusammenhang verwende – und eigentlich nur bei Serifenschriften. Da die Scuba trotz des lebhaften Duktus technische Wurzeln hat, fand ich Kapitälchen eher unpassend, aber da kann man ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein.
Was die Vermarktung angeht bin ich leider nicht sehr erfahren und freue mich daher sehr, einmal Etwas aus der Käuferperspektive zu hören. Tatsächlich biete ich die Schriften mit hohem Einführungsrabatt an um Aufmerksamkeit zu erzeugen, was man meiner Meinung nach am besten mit einer starken Verbreitung schafft. Dass davon auch meine anderen Schriften profitieren war zwar nicht geplant (zumal die Scuba ja auch über Fontfont erschienen ist) ist aber trotzdem erfreulich.
Ich hoffe, Sie haben Spaß an beiden Schriften. Wenn Sie damit etwas Sehenswertes gestalten freue ich mich immer über einen Beleg oder ein PDF.
Mach ich Felix,
wenn’s denn mal so weit kommt, dass ich eine der drei Fonts einsetzen kann.
Versprochen
ist versprochen: So kommt Sadness doch noch zum Einsatz! – Der Schriftzug wird allerdings anders lauten. Und wenn der Font dem Klienten gefällt, verkauft er sich gleich ein weiteres Mal, hehe.
Maja
Super, hab ich mir auch gekauft.