Volkssport Design: Fontblog berichtet live (3) [Update]

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Wolfgang Beinert (links) und der Gastgeber Prof. Herbert Grüner

Endlich lerne ich mal Wolfgang Beinert kennen (vgl. Diskussion im Fontblog vom Juni 2008). Optisch entspricht er dem Prototyp eines Designers, eine Mischung aus Jan Tschichold und Otl Aicher: Bürstenhaarschnitt, kräf­tige Statur, schwarze Kleidung, bequeme Schuhe, seltenes Lächeln.

Beinerts Thema: Think diffe­rent! Klare Positionierung als Wettbewerbsstrategie. Und er weiß, wovon er spricht. »Designer werden zu Prekariern, analoge Handlungsweisen werden zur digi­talen Flexibilität und viele beruf­liche Rahmenbedingungen werden sich nach­haltig verän­dern. Wer sich heute als frei­be­ruf­li­cher Grafik- bzw. Kommunikationsdesigner etablieren will, muss sich klar entscheiden: Erfüllungsgehilfe oder hoch­wer­tiger Dienstleister? Masse oder Klasse? Aber der Wille alleine reicht nicht: denn nach wie vor beginnt Qualität mit Q wie Qual und eine klare, authen­ti­sche Positionierung ist heute wich­tiger denn je. Denn die Dinge sind nicht so wie sie scheinen und Design ist nicht gleich Design …«

Der größte Feind des Designers ist – laut Beinert – das »tota­li­täre Zeitdiktat«. Und der Designer selbst, denn er bildet sich nur mangel­haft oder über­haupt nicht weiter: »Ich kenne keine Branche, die sich so wenig weiter­bildet.« Kann ich irgendwie bestä­tigen. Ich kenne Kollegen, die arbeiten seit 10 Jahren unter Mac OS 9, damit sie FreeHand weiterhin einsetzen können – nur nicht mit alter­na­tiven Programmen beschäftigen.

Ein Tipp von Beinert: Sprecht gegen­über einem Auftraggeber (nicht Kunde) nicht von »Honorar«, sondern von »Vergütung«.

Boris Buchholz: Design hat seinen Preis. Buchholz ist Pressesprecher der Allianz Deutscher Designer (AGD). »Es gibt in Deutschland rund 42.000 Designer, davon sind 3223 in der AGD orga­ni­siert.« Er spricht über das Hauptthema seines »Service-Verbandes«, die realis­ti­sche Kalkulation eines selb­stän­digen Designers. Rein rech­ne­risch muss ein Designer im Monat 3835 € erwirt­schaften. Von den 160 Stunden im Monat, kann man rund 80 Stunden in Rechnung stellen – der Rest ist Selbstverwaltung. So ergibt sich ein Stundensatz von 48 €.

Die AGD hat fest­ge­stellt, dass tatsäch­lich nur 1/3 der Arbeitszeit den Auftraggebern berechnet wird, was einen Stundensatz von 71 € ergibt. Also empfiehlt der AGD 76 € für die Entwurfsstunde (inkl. 5 € für Rücklagen). Dazu addieren sich Nutzungsvergütungen.

Ein Rechenbeispiel. Eine Briefschaft (Signet, Briefbogen, Visitenkarte) bean­sprucht rund 30 Stunden Arbeitszeit, macht 2280 € Vergütung.

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Malte Christensen (kopf­bunt) spricht jetzt über »Designer x.0 – Ein Leitfaden zur Etablierung im Web.« Er kam jüngst so an einen Job: »Sie wurden mir empfohlen vom Twitterer meines Vertrauens«. Früher: Demokratisierung der Produktionsmittel … Heute: Demokratisierung der Publikationsmittel. Sein Schlusssatz: »Egal wie digital es auch wird, es endet immer im Realen.«
Bitte morgen auf seinem Blog nach­sehen, er veröf­fent­licht dort seine Folien plus wert­volle Links.

[Update: http://​kopf​bunt​.de/​v​o​l​k​s​s​p​o​r​t​-​d​e​s​i​g​n​-​a​u​f​a​r​b​e​i​t​u​n​g​/​4​9​27/]

Diskussion:

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Von links nach rechts: Wolfgang Beinert, Ronen Kadushin, Gastgeber Prof. Herbert Grüner, Malte Christensen, Boris Buchholz


10 Kommentare

  1. Simon Wehr

    »Rein rech­ne­risch muss ein Designer im Monat 3835 € erwirt­schaften. Von den 160 Stunden im Monat, kann man rund 80 Stunden in Rechnung stellen – der Rest ist Selbstverwaltung. So ergibt sich ein Stundensatz von 48 €.«
    Na, das ist ja mal ein AGD-Preis, den man sogar als kleiner Designer nehmen kann! Ich kannte bisher nur die 76€, aber keinen Einzelkämpfer, der die regel­mäßig nehmen kann.

  2. Simon Wehr

    Äh? habe ich eben zu früh kommen­tiert? Auf einmal steht die Erklärung darunter …

  3. Christian

    die Herleitung für den Stundensatz finde ich nicht ganz logisch. Warum kann ich nur 80 Stunden in Rechnung stellen? Und woher kommen die 3835 €?

  4. Jürgen Siebert

    Warum kann ich nur 80 Stunden in Rechnung stellen? 

    Weil Du nicht 100% Deiner Arbeitszeit am Gestalten bist. Du musst Besprechungen durch­führen, Telefonate annehmen, Blogs lesen, kommen­tieren usw …

  5. hans

    … warum muss ich gestalter während des gestal­tungs­pro­zesses blogs lesen? *verwirrt*

  6. Florian

    @Hans: Nicht während des Gestaltungsprozesses, aber während der Arbeitszeit. Und zwar um Dich fort­zu­bilden. Es müssen keine Blogs sein; Du darfst ›Blogs‹ auch gerne ersetzen durch ›Fachbücher‹.

    @Christian: Die € 3.835 sind das Ergebnis einer persön­li­chen Kostenkalkulation: Welche Fixkosten habe ich monat­lich, wieviel Geld brauche ich für meinen Lebensstandard? Bürokosten, Sozialversicherungsbeiträge, private Altersvorsorge, Steuern. Hinzu kommen die privaten Ausgaben wie Miete, Lebensmittel, Kino etc. Das muss natür­lich jede/r für sich selbst ausrechnen; es kann auch deut­lich mehr oder weniger dabei raus­kommen. Herr Buchholz – mit Kind und Katze, aber ohne Auto – kam in seiner Aufstellung eben auf € 3.835.

  7. ud

    Würde mich mal inter­es­sieren, wie hoch neben der Arbeitszeit von 30 STunden à 76 Euro noch die Nutzungsvergütung ausfallen soll (zum Beispiel für natio­nale, zeit­lich unbe­grenzte Nutzung)? Außerdem grenzt die Pauschalisierung des Preises hier auch die in der Praxis oft statt­fin­denden ›ausglei­chende Gerechtigkeit‹ bzw. unter­schied­li­chen Preise für platt gesagt große und kleine Kunden aus. Oder geht es hier nur um Pi mal Daumen?

  8. Christian

    @ Florian: Die Herleitung habe ich vermutet, finde ich aber dennoch nicht logisch. Ich würde es logi­scher finden, kauf­män­nisch ein Risiko abzu­schätzen. Zu welchem Risiko bekomme ich ein Drittel meiner Stunden pro Monat verkauft? Ich würde von den 160 Stunden pro Monat etwa ein Drittel für Administratives reser­vieren und dann sehen, dass ich mit einem Drittel der übrig­ge­blie­benen Stunden meinen Lebensunterhalt erziele. Dann habe ich als Gestalter ein vertret­bares kauf­män­ni­sches Risiko (Ein Drittel meiner Stunden bekomme ich relativ wahr­schein­lich verkauft) und komme je nach Lebensstandard auf einen ähnli­chen Stundensatz. Mir fehlte hier das Kaufmännische.

  9. Birgit

    http://​youtu​.be/​5​K​T​2​B​J​z​A​wbU

    leute…
    es gibt menschen, die haben eben mehr begriffen und
    sind in der lage, sich sensa­tio­nell zu vermarkten.
    das scheint die „zahlende (nicht ahnende) klientel“ ja scheinbar auch
    genau so zu wünschen…
    was nicht teure ist, ist nix wert?
    na – das wäre doch wohl auch ein sympo­sium wert – nicht wahr??
    aber mal ne andere frage, oder n‘ büschn denksport:
    kennt jemand den unter­schied zwischen einer ordent­li­chen professur
    und einer ernannten professur?

    http://​de​.wiki​pedia​.org/​w​i​k​i​/​P​r​o​f​e​s​sur

    also…
    hängt die titelei nicht so hoch und seid einfach mal ein wenig
    kriti­scher. das blend­werk nennt sich marke­ting und das
    haben die stra­tegen unter uns nur allzu gut drauf.

    liebe grüße von B.

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