»Twang!«
oder: Wie ein Mathe-Prof Beatle werden wollte
Der aktuelle SPIEGEL widmet sich auf Seite 121 dem zweifelhaften Versuch eines kanadischen Professors, das Geheimnis der Beatles-Arrangements wissenschaftlich zu ergründen. Das ist nicht neu: Auch die Kompositionen von Johann Sebastian Bach versuchten Experten seit Jahrhunderten mathematisch zu erklären, freilich ergebnislos. Sicher ging Bach bei seinen Kompositionen (vor allem in »Die Kunst der Fuge«) systematisch vor, was ihn schon zu Lebzeiten den Ruf eines Kompositionslehrers einbrachte, ein darüber hinausgehender musikalischer Wert wurde jahrzehntelang bezweifelt. Doch genau diesen gab es, weil zwischen den berechenbaren Tönen stets unberechenbare Inventionen stecken. Erst Alban Berg gab der fruchtlosen Debatte 1928 eine Wende, als er nach einer Aufführung in Zürich an seine Frau Helene schrieb: »Gestern Kunst der Fuge gehört. Herrlich! Ein Werk, das bisher für Mathematik gehalten wurde. Tiefste Musik!«
Nun hat also der Mathematiker Jason Brownmittels Fourier-Transformation die Tiefen des Beatles-Œuvre ergründet. Seine Erkenntnis, laut SPIEGEL: Die bewegendsten Passagen der Beatles-Musik seien jene, die auf mathematischen Mustern beruhten. Brown wuchs in einem Vorort von Toronto auf, lernte früh Geige und Gitarre, wurde aber kein Musiker sondern Mathematiker … zum Glück, möchte man ergänzen, wenn man diesen Bühnenauftritt mit Beatles-Gitarren- und -Gesangspassagen auf seiner Webseite anschaut.
Dabei erklärt er das Phänomen der Beatles-Kompositionen völlig korrekt. Die Beatles hätten die Kunst der Transformation beherrscht, also die Fähigkeit, bekannte Muster zu erkennen und zu durchbrechen. Nun ist die Transformation zwar eine Methode der Beweisführung in der Mathematik, doch wer sie dort beherrscht ist noch lange nicht in der Lage, sie in musikalischen Arrangements einzusetzen. Anders ausgedrückt: Jeder ein Genie auf seinem Gebiet. Es gibt keine interdisziplinären Genies.
Dies beweist nicht zuletzt Jason Browns selbst komponierter und arrangierter »Beatles-Song« A Million Whys (iTunes-Link), der zwar nach Lennon-McCartney klingt, aber so belebend ist wie ein Beuteltee, der zum 5. mal aufgegossen wurde. Vergiss es, Jason, du wirst dich zwar der Magie der Beatles-Kompositionen mathematisch beliebig nähern können, das macht dich aber noch lange nicht zu einem Beatle.
Browns Lieblingsobjekt ist der gewaltige Eröffnungsakkord von A Hard Day’s Night (G¹¹(sus4)), 1964 von George Harrison auf einer 12-seitigen Rickenbacker 360 angeschlagen. Dieses 2 Sekunden »Tang!« war nicht nur der Auftakt des dritten Beatles-Albums und des zeitgleich erschienene Kinofilms, nein er wirkte wie der Auftakt zu einer 4 Jahre anhaltenden Periode allerhöchster Kreativität in der Popkultur. Keine andere Band, kein anderer Musiker (außer vielleicht Bob Dylan) konnte zu jener Zeit auf diese genial-minimalistische Weise mit einem Schlag den Startpunkt setzen.
Immerhin hat Brown mit seinen Frequenzanalysen herausgefunden, dass der Beatles-Arrangeur George Martin dem Hard-Day’s-Night-Akkord mit einem Klavier zusätzlich Fülle und Nachhall verliehen hat. Allein diese Erkenntnis bringt weder ihn, noch die Beatles-Fans weiter.
7 Kommentare
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Dave
Ab 3:73 wird das Video interessant. Ehhmmm jaaa (bin immer noch sprachlos!)
Die müssen vom Blatt abspielen … sagt doch alles oder? „Rockmusik funktioniert einfach nicht mit einem Stock im *****.”
Simon
Möchte ja nicht als Korrektor auftreten, aber „Jahrzehntelang“ schreibt man klein – ist ja ein Adverb, auch wenn „Jahrzehnte“ ein Substantiv ist.
Und was bitte ist das „Beatles-Oevre“? Ist da evtl. das „Œuvre“ gemeint?
Da kann man doch ganz phantastisch den Ausbau der Schriftart zeigen (bei „Oeuvre“ hätte man ja noch einen eingeschränkten Font vermuten können) – und direkt noch ein wenig Werbung für das legendäre Fontshop-Mauspad machen (gibt’s das noch?). Da war (wenn auch nur in der Windows-Variante) die kleine Version (œ) als ALT-0156 enthalten.
Sebastian Nagel
Schwierige Sache, wenn Wissenschaft und Popkultur aufeinander treffen …
Da will jemand (vielleicht ernsthaft) Strukturen in unserer Musik erforschen. Dazu gehören nun mal Frequenz-Ganzzahlenverhältnisse (sonst ist es Geräusch) und diese können mathematisch und statistisch erfasst und beschrieben werden. Ob das dann die große Erkenntnis bringt und wie das Wissen angewendet werden könnte, sei mal dahingestellt.
Der Forscher meint vielleicht, dass er seine Forschung zugänglicher machen kann, wenn er Ikonen des Pops als Forschungsobjekt heranzieht. Aber …
Die Ikonen-Fans, die ihre Ikonen lieber im Mystizismus belassen wollen („Magie“), fühlen die Ikone erwartungsgemäß angegriffen und der Schuss geht nacht hinten los.
Jürgen Siebert
Danke, Simon.
Wolfgang
Ich möchte hier noch bezweifeln, dass Bachs systematische Kompositionart ihm zu Lebzeiten einen Ruf als Kompositionslehrer einbrachte. Ist doch das systemarische Komponieren nicht typisch für Bach sondern für alle Komponisten seiner Epoche. Schließlich sind auch viele der bekanntesten Bach-Werke nachweislich gar nicht von ihm sondern von unbekannten zeitgenössischen Komponisten.
tjark
Das wären z.B. welche Werke (außer BWV 142, da stehts fest)?
// t.
Jürgen Siebert
@Wolfgang: vgl. Wikipedia »Die Kunst der Fuge«, Rezeptionsgeschichte: »Die Kunst der Fuge wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als die streng kontrapunktischen Kompositionsformen … allmählich als unmoderner ›alter Zopf‹ empfunden wurden. Man bewunderte diese Form der Komposition zwar noch und empfahl sie dem angehenden Komponisten wärmstens zum Studium. Einen darüber hinausgehenden musikalischen Wert begann man aber immer mehr in Zweifel zu ziehen. … Vom Erstdruck wurden nach Angaben des Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach in den ersten fünf Jahren nur dreißig Stück verkauft, was nicht einmal die Kosten für den Druck deckte.«