Touchscreen und Barrierefreiheit
Ich staunte nicht schlecht, als Stevie Wonder am Ende seines Berliner Konzerts nicht nur Gott und der Welt dankte, sondern auch der modernen Technik. Wenn sie durchdacht sei, betonte der blinde Musiker, helfe sie Handicaps zu überwinden, und er erwähnte ein Gerät namentlich, das ihm in dieser Hinsicht Freude mache: das iPhone. Nur einige Tage zuvor hatte ich einen Artikel gelesen, der genau das Gegenteil besagte, nämlich dass die sich rasant verbreitenden Touchscreens sehbehinderte Menschen benachteiligen würden.
Noch am selben Abend bin ich der Sache nachgegangen und habe mir die Bedienungshilfen des iPhone angeschaut. Für Mac-User ist diese Systemoption nichts Neues. Und wenn sie nicht gehandicapt sind, wirkten sich diese Hilfen bisweilen störend auf die Arbeit aus. In früheren OS-X-Versionen lösten Adobe-Illustrator-Klammergriffe, zum Beispiel zum Ein- und Auszoomen, bisweilen die Bedienungshilfe für Einarmige aus, mit dem Ergebnis, dass eine Alt- oder Cmd-Taste permanent unsichtbar gedrückt war. Bis man merkte, warum das Schreiben nicht mehr richtig funktionierte oder Tastaturbefehle Seltsames auslöste, vergingen Minuten. Versehentliche Bekanntschaften mit diesem Automatismus führten dazu, dass Normalsterbliche die Bedienungshilfen abknipsten und in Zukunft eine Bogen um dieses Kontrollfeld machten.
Nun aber schaltete ich VoiceOver bewusst ein, eine Funktion, die ich vor vielen Jahren, sicherlich zu Unrecht, als »Zeitansage mit unverständlicher Roboterstimme« begraben hatte. Doch siehe da … oder besser: hört hört … VoiceOver am Touchscreen begrüßte mich ganz freundlich und nahm mich sofort an die Hand. »VoiceOver Ein – Einstellungen ›VoiceOver‹ – Bedienungshilfen-Zurück-Taste« klang es klar und verständlich aus dem Lautsprecher. Ich las die Bedienungsanleitung, die aus nur 3 Sätzen bestand:
- Objekt auswählen: Berühren Sie es
- Aktivieren des gewählten Objektes: Doppeltippen
- Scrollen: Mit drei Fingern über das Display streichen
Leicht zu merken. Mit den angebotenen Übungen lassen sich die drei Gesten rasch ausprobieren. Wieder etwas gelernt … Lektion abgeheftet.
Heute nun schreibt Spiegel Online Warum viele Blinde das iPhone lieben. Der Bericht bestätigt die Aussage Stevie Wonders und liefert aufschlussreiche Hintergrund-Informationen. Was fehlt ist die verständliche Beschreibung der Funktionsweise. Ich nehme also den Beitrag zum Anlass, die Fontblog-Website mal bind zu testen:
So sieht die Fontblog-Homepage mit geschlossenen Augen aus. In Wirklichkeit befinden sich auf der Touch-Oberfläche jede Menge Texte, Bilder und Links, die mit unsichtbaren Knöpfen zu bedienen und zu lesen sind. Wenn ihr auf das untere Bild klickt, öffnet sich eine Vergrößerung mit den VoiceOver-Sprechblasen und den Originaltexten:
Gleich, in einer dritten Abbildung, die Auflösung mit den unter der Touchscreen-Ebene liegenden Webinhalten.
Ich habe bei dem kleinen Ausflug gelernt, das einige Elemente des Fontblog nicht barrierefrei sind. So wird die übergeordnete Suche als Textfeld beschrieben, die Suchfunktion jedoch verschwiegen. Manch fehlende Hilfe ist auf meine Schlampigkeit zurückzuführen. Jeder Coder weiß, dass man zu jedem Foto auf HTML-Seiten eine (versteckte) Beschreibung hinterlegen soll. Ich vergesse das häufig, wie zum Beispiel bei der Abbildung des aufgeschlagenen Buches: Als ich diese berührte, schwieg VoiceOver. Ich habe das dann sofort korrigiert und konnte das Ergebnis unmittelbar hören.
Die beste Schule für das Formulierung von Bildbeschreibungen ist das Ansehen eines ARD Tatorts mit akustischen Kommentaren für Sehbehinderte: »Nacht. Wohnsiedlung. Lena Odenthal verlässt den Wagen.«
Der folgende Weg führt zu den iPhone-Bedienhilfen: Startbildschirm Icon Einstellungen ➔ Taste Allgemein ➔ Taste Bedienungshilfen ➔ Taste VoiceOver Ein/Aus. Wer sich für das Thema »Touchscreen und Barrierefreiheit« interesssiert, muss kein iPhone besitzen sondern kann mit diesem Pfad in einem Elektronikmarkt oder einem T-Punkt kostenlos herumspielen (ab dem 28. Oktober auch bei Vodafone und O₂). Wer sich nicht für das Thema »Touchscreen und Barrierefreiheit« interessiert, sich jedoch über das iPhone, Android und andere Smartphones streiten möchte, findet bei heise.de viele Mitwirkende. Nein, man braucht kein iPhone um glücklich zu sein. Nein, ich werde nicht von Apple bezahlt.
4 Kommentare
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Jan
Ein Wunder, dass das jetzt erst so offensichtlich wird? Ich habe diese Bedienung spasseshalber mal angeschaltet und war fasziniert wie gut das funktioniert und es den Blinden sehr gut hilft. Meine Mutter war auch sehr vom iPhone 4 fasziniert, den Sie ist gehörlos und Facetime wird für andere Gehörlose wohl das Kommunikationsmittel Nr. 1 werden. Was man bemerkt ist, dass Apple die nächste Generation von Betriebsystem entwickelt. Meine Vermutung ist ein Betriebsystem mit dem man spricht à la StarTrek-Bordcomputer, der Kauf von Siri spricht wohl dafür. Man darf gespannt sein was da noch kommen mag. Wir leben in einer tollen Zeit.
nbz
@Jan. Geht das wirklich über alle Netze – ich dachte eigentlich geht´s nur über WLAN? Das wäre genial für mich, denn ich bin schwerhörig.
Simon Wehr
Nick, FaceTime funktioniert über W-Lan. Auch auf iPod touch (4. Generation).
Jürgen, danke für die Erinnerung an die Bildbeschreibungen. Ich glaube nicht, dass bei mir ein Blinder liest, aber ich werde mir künftig mehr Mühe geben.
Jan
@nbz. Facetime funktioniert nur über W-Lan, und auch nur von und zu iPhone4, es wird aber wohl damit gerechnet das es auch andere Anbieter nutzen werden da es Open Source ist. Bleibt abzuwarten was da noch passieren wird. Apple baut ja die Funktionen immer weiter aus bis auf alle Endgeräte.